TE Vwgh Erkenntnis 2020/7/13 Ra 2018/11/0170

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Veröffentlicht am 13.07.2020
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Index

E1E
E6J
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
59/04 EU - EWR
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

AVRAG 1993 §7f Abs1 Z3
AVRAG 1993 §7i Abs1
AVRAG 1993 §7i Abs4
VStG §31 Abs1
VStG §44a
VwGG §42 Abs2 Z1
12010E056 AEUV Art56
62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/11/0171

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Finanzamts Oststeiermark gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark, jeweils vom 21. Juni 2018, Zlen. LVwG 33.26-733/2018-24 und LVwG 30.26-735/2018-24, jeweils betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Leoben; mitbeteiligte Parteien: 1. S B (zu Ra 2018/11/0170) und 2. D F (Ra 2018/11/0171), beide in B (Italien), beide vertreten durch die Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Karlsplatz 3/1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit gleichlautenden Straferkenntnissen der belangten Behörde vom 23. Jänner 2018 wurde den Mitbeteiligten jeweils Folgendes zur Last gelegt:

Zeit: 13.11.2015 zumindest bis zum 06.04.2016

Ort: [V A A D in St. P-F, D-Straße 1]

Ihre Funktion: Beschuldigter

Sie haben in Ihrer Eigenschaft als verantwortliches Vorstandsmitglied der Firma [D C I SpA. mit Sitz in B, Italien], diese ist Arbeitgeber nachangeführter Personen, zu verantworten, dass den Kontrollorganen der Finanzpolizei der Region Süd bei den erforderlichen Erhebungen beim Bauvorhaben [V A A D in St. P-F, D-Straße 1] (Errichtung eines Drahtwalzwerkes) die zur Erhebung erforderlichen Lohn/Unterlagen (§§ 7b Abs. 5 und 7d) nicht binnen nachweislich vorgeschriebener Frist übermittelt wurden, obwohl die Organe der Abgabenbehörden berechtigt sind, das Bereithalten der Unterlagen nach §§ 7b Abs. 5 und 7d zu überwachen sowie die zur Kontrolle des den nicht dem ASVG unterliegenden folgenden Arbeitnehmern unter Beachtung des jeweiligen Einstufungskriterien zustehenden Entgelts im Sinne des § 7i Abs. 5 erforderlichen Erhebungen durchzuführen und die Übermittlung von Unterlagen zu fordern, wobei die Unterlagen (Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung in deutscher Sprache) bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Sie wurden nachweislich, e-mail vom 08.02.2016, aufgefordert, die oben angeführten Unterlagen vorzulegen und sind dieser Aufforderung zumindest bis zum 06.04.2016 nicht fristgerecht nachgekommen. Für die unten angeführten Arbeiter wurden keine Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, keine Lohnaufzeichnungen (Lohnkontoblätter, Lohnlisten, An- und Abmeldungen zur Krankenversicherung bzw. vergleichbare Unterlagen) und keine Unterlagen betreffend die Lohneinstufung (Nachweis Berufsausbildung/Qualifikation, Unterlagen über einschlägige Vordienstzeiten bzw. Berufserfahrung, Unterlagen, welche die Basis der Einstufung in den AT-KV gebildet haben) übermittelt.“

Dadurch sei in 142 Fällen § 7i Abs. 1 iVm § 7f Abs. 1 Z 3 AVRAG verletzt worden, weshalb je Übertretung eine Geldstrafe in Höhe von € 800,-- sowie im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen verhängt würden. Weiters wurde ausgesprochen, dass das angeführte Unternehmen gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand für die verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen sowie die (mit € 11.360,-- bestimmten) Verfahrenskosten hafte. Im Anschluss daran findet sich eine Auflistung der betroffenen Arbeitnehmer.

2        Den dagegen erhobenen Beschwerden der Mitbeteiligten (die bereits wegen mangelnder Bereithaltung von Lohnunterlagen in 142 Fällen am 13. November 2015 mit Straferkenntnissen vom 22. und 23. Jänner 2018 bestraft worden waren; siehe dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/11/0167, 0168) gab das Verwaltungsgericht mit den angefochtenen - gleichlautenden - Erkenntnissen statt, behob die Straferkenntnisse und stellte die Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Gleichzeitig sprach es jeweils gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

3        Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Finanzpolizei die Mitbeteiligten am 8. Februar 2016 per E-Mail zur Nachreichung „der Lohnzettel für den Monat November 2015, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege für den November 2015, Lohnaufzeichnungen (Lohnkontoblätter, Lohnlisten, Lohnsteuerkarten, An- und Abmeldungen zur Krankenversicherung, Urlaubs- und Abfertigungskarten, Melde- und Zuschlagsverrechnungsfristen bzw. vergleichbare Unterlagen), Unterlagen betreffend die Lohneinstufung (Nachweis Berufsausbildung/Qualifikation, Unterlagen über einschlägige Vordienstzeiten bzw. Berufserfahrung und alle übrigen Unterlagen, welche die Basis der Einstufung in den AT-KV gebildet haben)“ mit dem Auftrag aufgefordert habe, diese bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktages abzusenden. Die Verfolgungsverjährungsfrist habe daher mit Ablauf des 10. Februar 2017 geendet. Binnen dieser Frist sei jedoch keine „ausreichende“ Verfolgungshandlung gesetzt worden, weshalb Verjährung eingetreten sei.

Keine der Aufforderungen zur Rechtfertigung der belangten Behörde vom 1. September 2016 und vom 22. Dezember 2016 und auch nicht die Verständigungen von der Beweisaufnahme hätten nämlich angeführt, wann die Aufforderungen zur Nachreichung der Unterlagen gemäß § 7f Abs. 1 Z 3 AVRAG seitens der Finanzpolizei tatsächlich ergangen seien und wann das Delikt vollendet gewesen sei. Der Vorwurf einer Tatzeit vom 13. November 2015, 09:15 Uhr, zumindest bis zum 6. April 2016 sei angesichts des sehr langen Zeitraums keinesfalls konkret genug, um die Mitbeteiligten vor einer Doppelbestrafung zu schützen. Auch gehe aus den Aufforderungen zur Rechtfertigung nicht konkret hervor, welche Unterlagen nachzureichen gewesen wären, zumal aus der Formulierung „wobei die Unterlagen (Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung in deutscher Sprache) bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind“, nicht klar hervorkomme, „ob hier der Gesetzestext zitiert wird oder ob es sich um einen Tatvorwurf handelt“.

4        Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Die Mitbeteiligten erstatteten Revisionsbeantwortungen.

5        In der Zulässigkeitsbegründung wird (unter Hinweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs) vorgebracht, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Eintritt der Verfolgungsverjährung und der Tauglichkeit der Verfolgungshandlung abweiche.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

7        Die Revision ist aus dem in ihr genannten Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

8        Die maßgebenden Bestimmungen des AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993 idF BGBl. I Nr. 113/2015, lauten auszugsweise:

„Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen

§ 7d. (1) Arbeitgeber/innen im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 und 9 haben während des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§ 7b Abs. 4 Z 6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel (§ 7b Abs. 1 Z 4), Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem/der entsandten Arbeitnehmers/in für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten, auch wenn die Beschäftigung des/der einzelnen Arbeitnehmers/in in Österreich früher geendet hat. Bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten sind die Lohnunterlagen am ersten Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten. Ist die Bereithaltung der Unterlagen am Arbeits(Einsatz)ort nicht zumutbar, sind die Unterlagen jedenfalls im Inland bereitzuhalten und der Abgabenbehörde auf Aufforderung nachweislich zu übermitteln, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.

...

Erhebungen der Abgabenbehörden

§ 7f. (1) Die Organe der Abgabenbehörden sind berechtigt, das Bereithalten der Unterlagen nach §§ 7b Abs. 5 und 7d zu überwachen sowie die zur Kontrolle des dem/der nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmer/in unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zustehenden Entgelts im Sinne des § 7i Abs. 5 erforderlichen Erhebungen durchzuführen und

1.   ...

2.   ...

3.   in die zur Erhebung erforderlichen Unterlagen (§§ 7b Abs. 5 und 7d) Einsicht zu nehmen, Abschriften dieser Unterlagen anzufertigen und die Übermittlung von Unterlagen zu fordern, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Erfolgt bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten die Kontrolle nicht am ersten Arbeits(Einsatz)ort, sind die Unterlagen der Abgabenbehörde nachweislich zu übermitteln, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.

...

Strafbestimmungen

§ 7i. (1) Wer die erforderlichen Unterlagen entgegen § 7d Abs. 1 oder § 7f Abs. 1 Z 3 nicht übermittelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. ...

...“

9        Soweit das Verwaltungsgericht annahm, die Aufforderungen zur Rechtfertigung vom 1. September 2016 seien insofern unkonkret, als nicht klar sei, ob es sich bei der darin enthaltenen Aufzählung der fehlenden Lohnunterlagen (Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Unterlagen betreffend Lohneinstufung) bloß um eine Zitierung des Gesetzestextes oder um einen Tatvorwurf handle, ist ihm das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/11/0167, 0168, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, entgegenzuhalten.

10       Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die in den Aufforderungen zur Rechtfertigung angegebene Tatzeit „vom 13. November 2015, 09:15 Uhr, zumindest bis zum 6. April 2016“ sei angesichts des sehr langen Zeitraums keinesfalls konkret genug, um die Mitbeteiligten vor einer Doppelbestrafung zu schützen, vermag das angefochtene Erkenntnis gleichfalls nicht zu tragen. Aus den vorgelegten unbedenklichen Akten der Finanzpolizei ergibt sich, dass die in den Aufforderungen zur Rechtfertigung bezeichneten Arbeitnehmer im genannten Zeitraum in Österreich ausschließlich beim genau beschriebenen Bauprojekt beschäftigt waren und dass die Mitbeteiligten innerhalb dieses Zeitraumes lediglich einmal, und zwar am 8. Februar 2016, zur Übermittlung der fehlenden Lohnunterlagen aufgefordert worden waren und diese entgegen § 7f Abs. 1 Z 3 AVRAG nicht bis 10. Februar 2016 vorgelegt hatten (mit dem letztgenannten Zeitpunkt war das Delikt verwirklicht und es begann der Lauf der Verfolgungsverjährungsfrist; vgl. etwa Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2, § 31 VStG E 67).

Unerlässlich wäre die Anführung der präzisen Tatzeit nur dann gewesen, wenn andernfalls die Unterscheidung verschiedener Taten voneinander unmöglich wäre (vgl. Walter/Thienel, aaO, § 44a VStG E 351). Durch die gewählte Formulierung der Tatzeit war jedenfalls ausgeschlossen, dass die Mitbeteiligten wegen einer gleichartigen, zwischen 13. November 2015, 09:15 Uhr, und 6. April 2016 gelegenen Tat neuerlich hätten zur Verantwortung gezogen werden können (vgl. etwa VwGH 25.4.1991, 91/09/0004; 28.6.2016, Ra 2016/10/0048, 0049, mwN). Aus den Stellungnahmen der Mitbeteiligten zu den Aufforderungen zur Rechtfertigung und zum Ergebnis der Beweisaufnahme erhellt überdies, dass den Mitbeteiligten die Identität der angelasteten Tat bekannt war. Sie haben sich in diesen und weiteren Schriftsätzen konkret und detailliert gegen den Tatvorwurf zur Wehr gesetzt. Dass die Mitbeteiligten an der Wahrung ihrer Verteidigungsrechte gehindert gewesen oder der Gefahr der Doppelbestrafung ausgesetzt wären, ist daher nicht ersichtlich (vgl. etwa VwGH 3.2.2020, Ra 2019/02/0212, mwN).

11       Da das Verwaltungsgericht somit die Tauglichkeit der Verfolgungshandlungen und seine Pflicht, den Spruch der Straferkenntnisse daher erforderlichenfalls selbst zu präzisieren (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/11/0167, 0168), verkannt hat, waren die angefochtenen Erkenntnisse gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufzuheben.

12       Im fortzusetzenden Verfahren werden gegebenenfalls auch die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. September 2019, Rs. C-64/18, Maksimovic, und vom 19. Dezember 2019, Rs. C-645/18, NE, zu beachten sein. Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 und 0034, bereits ausgesprochen hat, zieht eine Verletzung der Bereitstellungspflicht hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer nur mehr eine einzige Strafe nach sich, da dies zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses ist, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen.

Wien, am 13. Juli 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018110170.L00

Im RIS seit

01.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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