TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/21 96/12/0346

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Veröffentlicht am 21.01.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

AVG §52 Abs1;
AVG §52;
BDG 1979 §14 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde der C in K, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in Wien I, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 4. Oktober 1996, Zl. 3932/4-III/96, betreffend Ruhestandsversetzung nach § 14 BDG 1979, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1942 geborene Beschwerdeführerin steht als Fachoberinspektorin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Ihre Dienststelle ist ein Bezirksgericht, bei welchem sie als Kanzleileiterin in Außerstreitsachen und Rechnungsführerin in Verwendung steht.

Mit Schreiben vom 16. Jänner 1996 (bei ihrer Dienststelle am selben Tag eingelangt) beantragte sie ihre Versetzung in den Ruhestand gemäß § 14 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979, und begründete dies mit ihrem schlechten gesundheitlichen Zustand. Dabei machte sie (nebst anderen Beschwerden) geltend, durch die jahrelange Überbelastung in ihrer Tätigkeit bei Gericht infolge ständiger Personalnot sei auch ihr nervlicher Zustand äußerst labil. Dies mache sich durch Schlafstörungen und Schweißausbrüche bemerkbar. Durch die ständige Arbeitsüberlastung sei es auch zu Bluthochdruck gekommen.

Der Präsident des übergeordneten Oberlandesgerichtes veranlaßte eine Untersuchung der Beschwerdeführerin durch die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (kurz: PVAnG). Den Akten ist zu entnehmen, daß der PVAnG hiezu auch eine Beschreibung des Arbeitsplatzes der Beschwerdeführerin übermittelt wurde. In einem Erhebungsbogen bezeichnete die Beschwerdeführerin ihre Leiden folgendermaßen:

"Wirbelsäulenprobleme im Schulter- u. Nackenbereich mit Ausstrahlung bis in die Fingerspitzen der rechten Hand, verbunden mit ständigen Schmerzen. Bluthochdruck durch Streß und nervliche Überbelastung, sowie Überlastungsdepressionen, Adenome an der Schilddrüse verbunden mit Herz- u. Atembeschwerden."

Im Bereich der PVA wurden ärztliche Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, eines Facharztes für Orthopädie und eines Facharztes für Inneres Medizin eingeholt.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie gelangte zu folgender Diagnose: "Reaktive depressive Befindlichkeitsstörung. Cervikalsyndrom ohne radiculäre Ausfälle.", und zu folgender ärztlichen Beurteilung: "Die Patientin leidet an einer reaktiven depressiven Befindlichkeitsstörung bei schlechtem Klima am Arbeitsplatz und erheblicher berufl. Belastung." Nach dem Leistungskalkül sind unter anderem Tätigkeiten "ohne Berücksichtigung des Berufes" unter überdurchschnittlichem Zeitdruck zumutbar (es handelt sich um eine formularmäßige Rubrik, in welcher die entsprechenden Kästchen angekreuzt sind).

Die daraufhin eingeholte Stellungnahme des Chefarztes der PVAnG vom 26. Juni 1996 weist folgenden Gesundheitszustand aus:

"Halswirbelsäulenschmerzsyndrom auf degenerativer Basis ohne akute Wurzelreizzeichen. Abnützungserscheinungen der Schultergelenke sowie der angrenzenden Weichteile mit bewegungsabhängigen Beschwerden. Beginnender Aufbrauch der Kniegelenke bei erhaltener Funktion und Beweglichkeit. Spreizfuß und Hallux valgus beidseits. Sonst im wesentlichen altersentsprechend aufgebrauchter Stütz- und Bewegungsapparat mit insgesamt ausreichender Funktion. Reaktive depressive Befindlichkeitsstörung ohne wesentlichen Krankheitswert. Sonst neurologisch-psychiatrisch regelrecht.

Schwankender Blutdruckhochdruck ohne Herz-Kreislaufausgleichsstörung. Kleiner Schilddrüsenknoten, gutartig, ohne Funktionsstörung. Leichte Beinkrampfadern beidseits ohne Stauungs- oder Entzündungszeichen. Sonst bis auf mäßige Übergewichtigkeit altersentsprechender Internbefund."

Im Leistungskalkül heißt es ebenfalls, daß körperliche Tätigkeiten unter überdurchschnittlichem Zeitdruck zumutbar seien (auch hier handelt es sich um eine formularartige Rubrik, in welcher verschiedene Kästchen angekreuzt sind).

Der Beschwerdeführerin wurde im Verwaltungsverfahren zu diesen Untersuchungsergebnissen Parteiengehör gewährt; sie äußerte sich mit Schreiben vom 28. August 1996 dahin, daß sie ihren Antrag aufrecht halte: ihr nervlicher Zustand sei sehr schlecht, sodaß sie sich nur mit Tabletten aufrecht halten könne. Sie sei den nervlichen Belastungen und dem Streß am Arbeitsplatz nicht mehr gewachsen, sodaß sie nur mehr mit Schlaftabletten schlafen könne. In einem kurzen Gespräch könne auch ein Gutachter kein vollkommenes Bild über den nervlichen Zustand eines Patienten erhalten. Sie habe auf ihre anderen Krankheiten in ihrem Antrag verwiesen. Sie könne ihre Arbeit nicht mehr zufriedenstellend verrichten und fühle sich ausgelaugt und verbraucht. In ihrem Alter sei ihr auch die Umstellung auf die Computertätigkeit sehr schwer gefallen und sie habe teilweise noch immer Probleme. Sie befinde sich nach wie vor in ärztlicher Behandlung.

Hierauf hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des chefärztlichen Gutachtens und nach Beschreibung des Arbeitsplatzes der Beschwerdeführerin aus, das für das Aufgabengebiet der Beschwerdeführerin als Kanzleileiterin und Rechnungsführerin erforderliche Leistungskalkül, insbesondere ein mittelschweres bis verantwortungsvolles geistiges Leistungsvermögen bei leichter bis teilweiser mittlerer körperlicher Beanspruchung, bei Arbeiten in geschlossenen Räumen unter durchschnittlichem Zeitdruck, auch auf einem bildschirmunterstützten Arbeitsplatz, sei ihr durch die erhobenen medizinischen Befunde und Beurteilungen, insbesondere durch die chefärztliche Stellungnahme hinreichend attestiert.

Nach Wiedergabe der Bestimmung des § 14 Abs. 1 BDG 1979 führte die belangte Behörde weiter aus, unter Dienstunfähigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle könne nicht die Unfähigkeit zu jeglicher Art von Dienstverrichtungen, sondern (nur) die Unfähigkeit des Beamten verstanden werden, seine ihm aufgrund seiner dienstrechtlichen Stellung zukommenden Aufgaben ordnungsgemäß zu vollziehen. Nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen stehe fest, daß die Beschwerdeführerin aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes - insbesondere in Anbetracht ihres geistigen Leistungsvermögens, der Zumutbarkeit einer sogar verantwortungsvollen Tätigkeit unter überdurchschnittlichem Zeitdruck, auch auf einem bildschirmunterstützten Arbeitsplatz - in der Lage sei, ihren Dienst ordnungsgemäß zu versehen, und somit dienstfähig sei. Da die von der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 28. August 1996 geschilderten Beschwerden keinen neuen Aspekt hinsichtlich der vorliegenden ärztlichen Beurteilung darstellten, sei von der Einholung einer weiteren gutachtlichen Äußerung abgesehen worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 14 Abs. 1 BDG 1979 ist der Beamte von Amts wegen oder auf seinen Antrag in den Ruhestand zu versetzen, wenn er dauernd dienstunfähig ist. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung ist der Beamte dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen und ihm im Wirkungsbereich seiner Dienstbehörde kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben er nach seiner körperlichen und geistigen Verfassung zu erfüllen imstande ist und der ihm mit Rücksicht auf seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.

Die Beschwerdeführerin macht unter anderem geltend, daß die eingeholten Gutachten zur abschließenden Beurteilung der zu lösenden Rechtsfrage nicht ausreichten. Damit ist sie im Recht:

Zunächst ist festzuhalten, daß es rechtswidrig war, im Beschwerdefall die PVAnG selbst um Begutachtung zu ersuchen; hiezu kann, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1997, Zl. 96/12/0242, verwiesen werden. Der Umstand, daß diese Vorgangsweise aufgrund eines Ministerratsbeschlusses (vom 1. August 1995) erfolgte, wie dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen ist, vermag daran nichts zu ändern.

Ein Sachverständigengutachten muß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund besteht in der Angabe der tatsächlichen Grundlagen, auf denen das Gutachten aufbaut, unter anderem, wie sie beschafft wurden. Mit anderen Worten: Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlußfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteils (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsache, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen beschafft wurden, erkennen läßt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrundelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht. Der Sachverständige muß also, damit eine Schlüssigkeitsprüfung seines Gutachtens vorgenommen werden kann, auch darlegen, auf welchem Weg er zu seinen Schlußfolgerungen gekommen ist. Sind andere Gutachten oder Befunde Bestandteile des Sachverständigengutachtens geworden, so müssen sie insoweit den eben dargestellten Anforderungen entsprechen, die an ein Sachverständigengutachten zu stellen sind (siehe dazu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1997, Zl. 96/12/0307, unter Hinweis auf Vorjudikatur).

Der Beschwerdeführerin ist beizutreten, daß das neurologisch-psychiatrische Gutachten, das im Verwaltungsverfahren eingeholt wurde, nicht verläßlich erkennen läßt, ob der Sachverständige (auch) das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrem Antrag vom 16. Jänner 1996 hinsichtlich ihrer behaupteten psychischen Beschwerden (labiler nervlicher Zustand, Schlafstörungen und Schweißausbrüche), das sie in ihrer Stellungnahme vom 28. August 1996 aufrecht erhalten hat, berücksichtigt hat; jedenfalls fehlt eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen. Gleiches gilt für das Gutachten des Chefarztes.

Da somit das Verwaltungsverfahren mangelhaft geblieben ist und ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Amtssachverständiger Person Verneinung Amtssachverständiger der Behörde beigegeben Amtssachverständiger der Behörde zur Verfügung stehend Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996120346.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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