TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/22 97/20/0151

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Veröffentlicht am 22.01.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
25/02 Strafvollzug;

Norm

StVG §120 Abs1;
StVG §48 Abs1;
StVG §48 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des OR in G, vertreten durch Dr. Ronald Klimscha, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Enge 31, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 4. März 1997, Zl. 424.179/36-V.6/97, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit des Strafvollzuges, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Justiz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizanstalt G eine Freiheitsstrafe, deren voraussichtliches Ende (unter Berücksichtigung der Amnestie 1995) der 1. April 2005 ist. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom 25. Juli 1995 wurde der Beschwerdeführer zur Lehrabschlußprüfung im Lehrberuf Kraftfahrzeugtechniker ausnahmsweise zugelassen. Ihm wurden in weiterer Folge von seiten der Justizanstalt G Prüfungsunterlagen und Lehrbehelfe zur Verfügung gestellt und ihm mitgeteilt, daß das für die Prüfung erforderliche praktische Fachwissen mangels technischer Einrichtungen in der hauseigenen KFZ-Werkstätte in der Justizanstalt G nicht vermittelt werden könne. Auch ein Freigang zur Absolvierung des theoretischen Vorbereitungskurses am Wirtschaftsförderungsinstitut des Landes Oberösterreich komme für ihn ebensowenig in Frage wie eine Fortsetzung des Strafvollzuges in einer Anstalt, die eine interne Ausbildungsmöglichkeit biete.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an die belangte Behörde, die diese gemäß §§ 48, 120 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz - StVG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückwies. Sie begründete dies im wesentlichen damit, die Beschwerde richte sich gegen die Nichtermöglichung einer Lehrabschlußprüfung, betreffe daher nicht den die Person des Strafgefangenen betreffenden Vollzug in einem Bereich, auf dessen Gestaltung diesem ein subjektives Recht eingeräumt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, und legte die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber unter gleichzeitiger Abstandnahme von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG erwogen:

Gemäß § 48 Abs. 1 StVG in der Fassung BGBl. Nr. 624/1994, sind Strafgefangene, die keinen Beruf erlernt haben oder im erlernten Beruf nicht beschäftigt werden können, in einem ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und womöglich ihren Neigungen entsprechenden Beruf auszubilden, wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Strafvollzugsortsänderung (§ 10) mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten innerhalb der Strafzeit möglich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. dürfen Lehrgänge zur Berufsausbildung und -fortbildung auch in der zur Verrichtung von Arbeiten bestimmten Zeit abgehalten werden. An solchen Lehrgängen außerhalb einer Anstalt teilzunehmen, darf nur Strafgefangenen gestattet werden, von denen ein Mißbrauch nicht zu befürchten ist.

Die entscheidende Frage ist jene nach der Auslegung des Begriffes "ihre Rechte" im § 120 Abs. 1 StVG. § 120 Abs. 1 erster Satz leg. cit. lautet nämlich:

"Die Strafgefangenen können sich gegen jede ihre Rechte betreffende Entscheidung oder Anordnung und über jedes ihre Rechte betreffende Verhalten der Strafvollzugsbediensteten beschweren."

Auslegungsbedürftig ist somit der Begriff der "Rechte" der Strafgefangenen, im konkreten Fall das subjektive öffentliche Recht auf Berufsausbildung oder Fortbildung. Eine ausdrückliche Klarstellung enthält lediglich § 120 Abs. 1 zweiter Satz StVG, wonach sich die Strafgefangenen über die Art der ärztlichen Behandlung nur nach § 122 StVG beschweren können, sie also diesbezüglich keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch haben, sondern lediglich auf die Ausübung des Aufsichtsrechtes verwiesen werden.

Für die Annahme eines subjektiven Rechtes spricht die in der Zwischenzeit verfestigte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Ableitung solcher Rechte aus Vorschriften, die der Behörde auch und gerade im Interesse der betroffenen Personen bestimmte Pflichten auferlegen (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 14. Oktober 1976, Slg. Nr. 9151/A, vom 13. Mai 1980, Slg. Nr. 10.129/A, vom 19. März 1991, Slg. Nr. 13.411/A, und vom 24. Jänner 1994, Slg. Nr. 13.985/A; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 6. Auflage, Rz 119).

§ 48 Abs. 1 erster Satz StVG enthält eine an die Strafvollzugsbehörden gerichtete Anordnung, Strafgefangene, die keinen Beruf erlernt haben oder im erlernten Beruf nicht beschäftigt werden können, in einem ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und womöglich auch ihren Neigungen entsprechenden Beruf auszubilden, wenn und soweit dies ... mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten innerhalb der Strafzeit möglich ist. Die Frage ist nun, ob dieser Norm des objektiven Rechtes ein subjektiver Rechtsanspruch des Strafgefangenen korrespondiert, die in Rede stehende Berufsausbildung oder Berufsfortbildung zu erhalten. Ausgangspunkt bei dieser Überlegung hat das jedenfalls gegebene faktische Interesse des Strafgefangenen an der in Rede stehenden Ausbildung zu sein. Die Frage, ob nun dieses faktische Interesse zu der entsprechenden Norm des objektiven Rechtes in einer Situation bloßer Reflexwirkung steht oder zu einem subjektiv-öffentlichen Recht verdichtet erscheint, wird nach Rechtsprechung und Lehre dann, wenn sich im Gesetz auch keine bestimmte sprachliche Wendung über die Qualifikation dieses Interesses findet, nach einer Zweifelsregel gelöst. Im hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 1976, Slg. Nr. 9151/A, hat der Verwaltungsgerichtshof (zum Verhältnis Auskunftspflicht - Auskunftsrecht) ausgeführt:

"Hat eine Person ein Interesse an der Erfüllung einer Pflicht, ein Interesse, das für die gesetzliche Festlegung der verpflichtenden Norm maßgebend war, so streitet im demokratischen Rechtsstaat eine Vermutung für ihre Befugnis zur Rechtsverfolgung ... Der Verwaltungsgerichtshof hält eine solche Vermutung auch dann für gegeben, wenn dem Gesetz eine Qualifikation des Interesses nicht zu entnehmen ist."

Ob die Rechtsordnung dem einzelnen eine Berechtigung gewährt bzw. ein subjektives Recht einräumt, ist durch Auslegung der betreffenden Rechtsvorschriften festzustellen. Unter Berücksichtigung des im B-VG verankerten Rechtsstaatsprinzipes ist im Zweifel davon auszugehen, daß eine Norm des objektiven Rechtes auch ein subjektives Recht gewährt (vgl. dazu Walter-Mayer, a.a.O.).

Der Verwaltungsgerichtshof hat im vorliegenden Fall aber noch zu prüfen, ob die vorgenannte Prämisse, nämlich daß ein Zweifelsfall vorliegt, überhaupt zutrifft. Wendungen im Gesetz wie "nach Maßgabe der Möglichkeiten" oder "nach Maßgabe der budgetären Vorsorgen" könnten nämlich als ein Indiz dafür gesehen werden, daß der Gesetzgeber eben keine subjektiv-öffentlichen Rechte, keine verfolgbaren Rechtsansprüche, einräumen wollte.

Es ist daher entscheidend, daß der letzte Halbsatz des § 48 Abs. 1 erster Satz StVG nicht in dem Sinne auszulegen ist, daß durch die Verweisung auf die gegebenen Möglichkeiten jeglicher Rechtsanspruch ausgeschlossen werden sollte. Der erwähnte letzte Halbsatz lautet:

"... wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der Möglichkeiten einer Strafvollzugsortsänderung (§ 10) mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten innerhalb der Strafzeit möglich ist."

Dieser Satz stellt auf die im Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden Möglichkeiten in den in Betracht kommenden Anstalten, etwa auf bestimmte Einrichtungen, darunter auch von Lehrgängen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1991, Zl. 90/18/0171), ab.

Behauptet nun ein Strafgefangener, daß ihm mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten eine Ausbildung oder Fortbildung gewährt werden könne, dann kann ihm nicht entgegengehalten werden, der Gesetzgeber habe ihm deswegen kein subjektives öffentliches Recht eingeräumt, weil dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden könne, er hätte dem Strafgefangenen einen Rechtsanspruch auf Einrichtung und Führung beliebiger Ausbildungs- und Fortbildungslehrgänge und -kurse einräumen wollen. Dies hat er ohne jeden Zweifel durch die vorliegende Norm nicht getan; der Gesetzgeber hat vielmehr das Ausbildungsgebot des § 48 Abs. 1 StVG davon abhängig

gemacht, daß ("wenn und soweit") "dies ... mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten ... möglich

ist". Der Hinweis auf die Möglichkeiten der Einrichtungen der konkreten Anstalten läßt somit keine Deutung zu, daß damit in zweifelsfreier Weise die Einräumung eines subjektiven Rechtsanspruches des Strafgefangenen auf Berufsausbildung und Berufsfortbildung generell ausgeschlossen werden sollte. Ob dem Strafgefangenen durch § 48 Abs. 1 und 2 iVm § 120 Abs. 1 StVG nun tatsächlich subjektiv-öffentliche Rechte eingeräumt wurden, ist somit nach der ersterwähnten Zweifelsregel zu lösen. Ihre Anwendung führt zur Bejahung eines solchen Rechtsanspruches (vgl. hiezu auch das zu § 10 StVG ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0750).

Aus diesen Erwägungen erweist sich die Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß dem Beschwerdeführer mangels eines Rechtes im Sinne des § 120 Abs. 1 StVG keine Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde nach dieser Gesetzesstelle zugekommen sei, als verfehlt. An der Rechtswidrigkeit des verfehlten Zurückweisungsbescheides vermag es auch nichts zu ändern, wenn sich die Behörde in ihrer Gegenschrift mit Gründen auseinandersetzt, die in einer Sacherledigung über die nach § 120 StVG erhobene Beschwerde allenfalls zu einer Abweisung derselben geführt hätten.

Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997200151.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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