RS Vfgh 2020/6/23 E555/2020

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Veröffentlicht am 23.06.2020
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Index

32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StGG Art2
FinStrG §53, §54, §89, §152
EMRK Art6
EMRK Art13
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht mangels Qualifikation der Enunziation über eine Beschlagnahme als Bescheid durch das Bundesfinanzgericht; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch eine Bestimmung des FinanzstrafG betreffend den Übergang eines zunächst in verwaltungsbehördlicher Zuständigkeit geführten Finanzstrafverfahrens in ein gerichtliches Strafverfahren; kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Gebot eines effektiven Rechtsschutzes auf Grund der Beschwerdemöglichkeit auch für sonstige Betroffene einer Beschlagnahme, die nicht Inhaber der in Beschlag genommenen Gegenstände sind und denen der Beschlagnahmebescheid nicht zugestellt worden ist

Rechtssatz

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 53 Abs 8 FinStrG im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz:

§53 Abs8 FinStrG zielt darauf ab, dass der für die Verwirklichung des Finanzvergehens maßgebende Sachverhalt in einem solchen Ausmaß durch die Finanzstrafbehörde ermittelt wird, dass eine Unzuständigkeitsentscheidung des Gerichtes gemäß §54 Abs5 FinStrG vermieden wird. Damit ist nicht nur der Prozessökonomie gedient, sondern die Regelung beugt auch einer rechtskräftigen Unzuständigkeitsentscheidung des Gerichtes vor. Diese hätte zur Konsequenz, dass die Finanzstrafbehörde endgültig zuständig wäre und eine neuerliche Befassung des Gerichtes trotz Hervorkommens gegenteiliger Tatsachen nicht möglich wäre. Dementsprechend steht es der Finanzbehörde nicht frei, Ermittlungen hinsichtlich Finanzvergehen zu führen, die von Gerichten zu ahnden sind. Die Finanzstrafbehörde hat vielmehr, sobald sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Unzuständigkeitsentscheidung des Gerichtes gemäß §54 Abs5 FinStrG auszuschließen vermag, nach §54 FinStrG vorzugehen. Diese Bestimmung regelt den Übergang eines zunächst in verwaltungsbehördlicher Zuständigkeit geführten Finanzstrafverfahrens in ein gerichtliches Strafverfahren. Vor diesem Hintergrund begegnet die Regelung des §53 Abs8 FinStrG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §89 Abs1, Abs3 lita und Abs5 FinStrG:

Ein dem rechtsstaatlichen Prinzip innewohnender Gesichtspunkt besteht insbesondere auch darin, dass die unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Maß an Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen. Im Finanzstrafverfahren finden die Grundsätze des Art6 sowie Art13 EMRK Anwendung. Art6 EMRK gebietet ua, dass der Einzelne seine Rechte effektiv vertreten können muss. Denselben Gedanken des "effektiven Rechtsschutzes" bringt auch Art13 EMRK zum Ausdruck, der eine "wirksame Beschwerde" verlangt.

Da Bescheide gemäß §89 Abs1 FinStrG bzw §89 Abs5 FinStrG nicht nur in subjektive Rechte des zur Verschwiegenheit Verpflichteten, sondern auch in (Verteidigungs-)Rechte des Beschuldigten des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens und darüber hinaus auch in Rechte des Eigentümers der beschlagnahmten Sachen einzugreifen vermögen, ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, diesen Personen eine effektive Rechtschutzmöglichkeit einzuräumen.

Weder der Wortlaut des §89 Abs1 FinStrG noch die Formulierung des §89 Abs5 FinStrG stehen einer solchen (verfassungskonformen) Auslegung entgegen. Da neben dem Inhaber bzw dem zur Verschwiegenheit Verpflichteten auch der Beschuldigte des Finanzstrafverfahrens und der Eigentümer Betroffene einer Beschlagnahme sein können, können auch diese gegen den Bescheid ein Rechtsmittel ergreifen.

Weder gleichheitsrechtliche noch rechtsstaatliche Bedenken gegen §152 FinStrG:

§152 FinStrG regelt den zur Verfügung stehenden Rechtsschutz gegen alle sonstigen im Finanzstrafverfahren ergehenden Bescheide sowie gegen die Ausübung unmittelbarer finanzstrafbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Zur Erhebung der Beschwerde ist im Wesentlichen derjenige berechtigt, an den der angefochtene Bescheid "ergangen" ist oder der behauptet, durch die Ausübung unmittelbarer finanzstrafbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

Da alle Betroffenen gegen die Beschlagnahmebescheide gemäß §89 Abs1 FinStrG bzw §89 Abs5 FinStrG in verfassungskonformer Auslegung im Rahmen eines verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens ein Rechtsmittel ergreifen können, kann der VfGH keine Gründe erkennen, welche die Verfassungskonformität des §152 FinStrG in Frage stellen würden.

Hinsichtlich des Vergleiches, den die beschwerdeführende Partei zur Strafprozeßordnung 1975 anstellt, ist auf die Rechtsprechung des VfGH hinzuweisen, wonach ebenso wie zwischen dem allgemeinen gerichtlichen Strafrecht und dem finanzgerichtlichen Verfahren sowie zwischen dem allgemeinen verwaltungsbehördlichen und dem finanzbehördlichen Strafverfahren auch innerhalb des finanzstrafrechtlichen Systems wesentliche Unterschiede zwischen dem gerichtlichen und dem verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren bestehen, die im Allgemeinen verschiedenartige Regelungen einer Frage sachlich zu rechtfertigen vermögen.

Selbst wenn der vorliegende Fall derart gelagert wäre, dass hier ein Vergleich des verwaltungsbehördlichen mit dem gerichtlichen Finanzstrafverfahren, in dem Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 anwendbar sind, angezeigt wäre, kann darin keine unsachliche Differenzierung erkannt werden: Auch im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren steht eine Rechtsschutzmöglichkeit iZm Beschlagnahmebescheiden iSd §89 Abs1 FinStrG bzw §89 Abs5 FinStrG nach §152 FinStrG offen.

Verletzung im Gleichheitsrecht auf Grund Vollzugsfehler des Bundesfinanzgerichts:

Die Auffassung des Bundesfinanzgerichtes, dass die Enunziation des Vorsitzenden des Spruchsenates keine Bescheidqualität aufweise, weil die Erledigung weder gegenüber dem Bilanzbuchhalter und steuerlichen Vertreter der beschwerdeführenden Partei noch gegenüber der beschwerdeführenden Partei rechtswirksam geworden sei, ist offenkundig unzutreffend: Im zweiten Spruchpunkt der in Rede stehenden Erledigung wird der Bilanzbuchhalter als Bescheidadressat, an den unbestrittenermaßen die Erledigung zugestellt wurde, ausdrücklich namentlich genannt. Daraus und auch aus der Begründung der Erledigung wird insgesamt deutlich, dass die Erledigung des Vorsitzenden des Spruchsenates vom 12.07.2019 den Bilanzbuchhalter als (Bescheid-)Adressaten hat und damit diesem gegenüber rechtswirksam ergangen ist.

Kommt einer Erledigung Bescheidqualität zu und besteht für eine Person, welcher der Bescheid nicht zugestellt wurde, die Möglichkeit, durch den Bescheid in der Rechtssphäre verletzt zu sein, ist diese Person grundsätzlich beschwerdeberechtigt. Da der beschwerdeführenden Partei die Beschuldigtenstellung im gegen sie geführten Finanzstrafverfahren zukommt, ist sie potentiell Betroffene des rechtswirksam erlassenen Beschlagnahmebescheides. Aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus Art6 und Art13 EMRK ergibt sich, dass der beschwerdeführenden Partei eine effektive Rechtsschutzmöglichkeit einzuräumen ist, selbst wenn ihr der Bescheid des Vorsitzenden des Spruchsenates vom 12.07.2019 nicht zugestellt worden ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Verwaltungsstrafrecht, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Beschlagnahme, Beschwerderecht, Rechtsstaatsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E555.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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