TE Bvwg Beschluss 2019/6/28 L504 2213498-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

28.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §14
VwGVG §15
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L504 2213498-1/10E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. Engel über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. ungeklärt, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.01.2019, Zl XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 25.07.2018 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich um einen erwachsenen Mann, welcher seinen Angaben nach in Beirut, Libanon, geboren wurde. Die bP ist nach Ausführungen des Bundesamtes staatenloser Palästinenser, Angehöriger der Volksgruppe der Araber mit muslimischer Religionszugehörigkeit sunnitischer Ausrichtung.

Als Ausreisegrund und Begründung für gegenständlichen Antrag brachte die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen vor, dass sie 2007 ihren Arbeitgeber, den XXXX , mit seiner Sekretärin beim Geschlechtsverkehr überrascht habe, weswegen sie im Dezember 2007 inhaftiert und gefoltert worden wäre. Am 29.06.2009 sei sie aus der Haft entlassen worden.

Mit Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Asylgesetz abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 Asylgesetz wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Palästinensischen Gebiete - Westbank festgestellt (Spruchpunkt IV). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI).

Dem Fluchtvorbringen mangle es an einem zeitlichen Zusammenhang. Eine besondere Bedrohungssituation im Falle einer Rückkehr könne nicht festgestellt werden.

Dagegen wurde von der bP innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Mit gegenständlicher Beschwerdevorentscheidung wurde vom Bundesamt spruchgemäß im Wesentlichen gleich entschieden.

Durch die gewillkürte Vertretung wurde ein Vorlageantrag eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

1. Feststellungen:

Das BFA hat in der angefochtenen Beschwerdevorentscheidung durch den Umstand, dass sie die Prognoseentscheidung, ob die bP im Falle der Rückkehr entscheidungsrelevante Gefährdung zu erwarten hätte, auf Berichte zum Herkunftsstaat stützte, die im Wesentlichen aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 stammen, den maßgeblichen Sachverhalt nicht ermittelt. Diese waren zum Entscheidungszeitpunkt 15.01.2019 nicht geeignet eine Beurteilung und Prognoseentscheidung für den Fall der gedachten Rückkehr in den Herkunftsstaat zu treffen.

Weiters hat das BFA in der angefochtenen Entscheidung keine hinreichenden Ermittlungen und Feststellungen im Hinblick auf die tatsächliche Staatsangehörigkeit bzw. den richtigen Herkunftsstaat unterlassen und ergibt sich dieser Sachverhalt auch nicht aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes.

2. Beweiswürdigung:

Der für die Zurückweisung relevante Sachverhalt ergibt sich aus der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückverweisung

§ 28 VwGVG

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

(6) [....]

(7) [....]

(8) [....]

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Ergänzend zu obigen Ausführungen ist aber auch die jüngste Judikatur des EuGH zu erwähnen, der in seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 sich ua. mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (anstelle der Behörde) - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität bzw. Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen.

Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Der EuGH führte weiter aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin zu interpretieren sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der "Unabhängigkeit", die der Aufgabe des Richters innewohnt, nämlich zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der "Unparteilichkeit" in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben.

Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht in ihren sich daraus ergebenden Grundsätzen zu der Rolle des Verwaltungsgerichtes im Verhältnis zu jener der ermittelnden Behörde jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.

Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese demnach jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise, iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar iS obiger, vom EuGH aufgezeigter Grundsätze verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.

Fallbezogen ergibt sich Folgendes:

Das Bundesamt stellte hinsichtlich der beschwerdeführenden Partei fest, dass dieser staatenloser Palästinenser ist, prüfte im Verfahren zum Antrag auf internationalen Schutz die Palästinensischen Gebiete - Westbank als Herkunftsstaat, traf zu diesem Staat Feststellungen auf Basis einer Berichtslage von 2012 bis Anfang 2016 und prüfte eine Gefährdung im Falle der Rückkehr.

Die bP legte im Rahmen des Verfahrens einen palästinensischen Reisepass und einen jordanischen Reisepass, ausgestellt 2014 in Amman, vor. Im jordanischen Reisepass befindet sich ein Visum für die Vereinigten Staaten von Amerika für die Dauer von 5 Jahren, ausgestellt am 14.10.2015 von der amerikanischen Botschaft in Jerusalem, sowie ein Visum für Thailand, gültig vom 10.01.2018 bis 09.04.2018, ausgestellt von der thailändischen Botschaft in Amman. In beiden Visa ist die Nationalität mit "Jordanien" angegeben. Die belangte Behörde hat die bP zwar hinsichtlich des amerikanischen Visums und der darin angeführten Staatsangehörigkeit "Jordanien" befragt, sich aber mit der Antwort "Wenn ich ein echter Jordanier wäre, hätte ich nicht das Visum von Palästina bekommen, sondern von Jordanien", zufrieden gegeben. Gerade die Einreise- und Einwanderungsbestimmungen der USA gelten weltweit als besonders streng und hat USA selbst den "Staat Palästina" nicht anerkannt.

Ohne weitere Ermittlungen hinsichtlich Staatsangehörigkeit durchzuführen, stellte die belangte Behörde die Staatenlosigkeit und die palästinensischen Gebiete - Westbank als Herkunftsstaat fest. Immerhin ist in der Niederschrift der Erstbefragung eine jordanische Staatsangehörigkeit festgehalten und hat die bP diese Niederschrift nach Rückübersetzung auch so unterfertigt. Dazu korrespondierend finden sich im Aktenvermerk der LPD vom 25.07.2018 unter der "Sachverhaltsdarstellung" anlässlich der Identitätsfeststellung bei der Einreise folgende Angaben die die bP dort gegenüber einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemacht haben soll: "Ich kann nicht in den Amman zurück, da ich dort persönliche Probleme habe und ich mich nicht frei bewegen kann". Folgt man diesen Angaben, so hat sie Verfolgung in Jordanien behauptet. Erst rund 3 Monate später hat die bP behauptet, dass sie diese Staatsangehörigkeit nicht besitze und "nichts mit Jordanien zu tun habe". Dieser Aktenvermerk der LPD wurde jedoch von der Behörde nicht beachtet und nicht versucht dies aufzuklären.

Die Behörde, die zu Beginn des Verfahrens noch von der jordanischen Staatsangehörigkeit ausgegangen ist, hat auf Grund der späteren persönlichen Angaben der bP, welche von ihr nicht durch Bescheinigungsmittel erhellt oder durch behördliche Ermittlungen aufgeklärt wurden, diese jedoch verworfen. Konkret wird im Rahmen der Beweiswürdigung dazu nur ausgeführt, dass es auf Grund "notorischen Wissens" nachvollziehbar erscheint, dass der bP als staatenlosen Palästinenser Reisedokumente von Jordanien ausgestellt wurden, sie jedoch nicht Staatsangehöriger Jordaniens sei.

Dem kann das BVwG so nicht beipflichten bzw. ist auf Grund der Aktenlage nicht nachvollziehbar.

Gegenständlich ergibt sich, dass der jordanische Reisepass in Amman für 5 Jahre ausgestellt wurde. Aus der auf der Homepage der Staatendokumentation des Bundesamtes ersichtlichen Anfragebeantwortung zu Jordanien: "Status eines palästinensischen Vaters in Jordanien, gebürtig aus Gaza, vormals Aufenthaltstitel in Syrien; Staatsbürgerschaft der Kinder [a-10455]", werden auch Ausführungen zu verschiedenen Reisepässen / Rechten /Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsrechten für Palästinenser gemacht, ohne dass man daraus - ohne weitere Ermittlungen - jedoch schon hinreichend gesicherte Erkenntnisse für diesen Fall aus aktueller Sicht gewinnen könnte.

Zusammenfassend ergibt sich daraus insbesondere, dass es für (staatenlose) Palästinenser bis zu 5 verschiedene Aufenthaltstitel mit verschiedenen Rechten gibt. Jordanien kann für staatenlose Palästinenser auch jordanische Reisepässe ausstellen, die nur für Reisezwecke gelten, ohne dass diese aber dadurch alle die einem Staatsbürger zukommenden Rechte haben würden. Schon dadurch ergeben sich die vielfältigen Varianten und die notwendige Prüfung im Einzelfall, unter welche Kategorie ein Palästinenser mit jordanischem Reisepass fällt und welche Rechte ihm dadurch zukommen bzw. ob diese Rechte im Wesentlichen dem eines jord. Staatsbürger gleichzuhalten sind.

Einem Bericht des in Beirut und Amman ansässigen Think Tanks Al Quds Center for Political Studies (in der zitierten Anfragebeantwortung) zufolge, gebe es drei Kategorien von Palästinensern in Jordanien:

* Zum einen gebe es Jordanier palästinensischer Abstammung, die über einen fünf Jahre gültigen Reisepass und eine "nationale Identitätsnummer" verfügen würden.

* Die zweite Kategorie seien Palästinenser aus dem Westjordanland, die ein fünf Jahre gültiges Reisedokument "ohne nationale Identifikationsnummer" besitzen würden; der Besitzer eines solchen Reisdokuments gelte nicht als jordanischer Staatsbürger und verfüge zudem über eine grüne Karte für den Grenzübergang ins Westjordanland.

* Die dritte Kategorie bestehe aus Gaza-Palästinensern, die ein Reisedokument mit einer Gültigkeit von zwei Jahren ausgestellt bekommen würden, das ihnen den Zugang zu den Dienstleistungen für Staatsbürger verwehre [...].

Im konkreten Fall wurde der jordanische Reisepass für 5 Jahre ausgestellt. Ob die bP über eine nationale Identifikationsnummer verfügt - demnach könnte sie verm. auch jordanische Staatsangehörige mit allen Rechten eines Staatsbürgers von Jordanien sein, wobei dies aus der Anfragebeantwortung auch nicht ganz gesichert und klar hervorgeht - ist aus dem Akteninhalt und der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ersichtlich. Die bP hat dies behauptet, nachvollziehbar ist dies jedoch auf Grund der Aktenlage nicht. Es ist aber ein ganz wesentlicher Umstand.

Im konkreten Fall fällt auch auf, dass das USA Visum (gültig bis 06.10.2020) über die Gültigkeit des beim Bundesamt vorgelegten Reisepasses (gültig bis 29.01.2019) hinaus gereicht. Nach internationalen Gepflogenheiten wäre dies dann nachvollziehbar, wenn die bP noch über einen aktuelleren jordanischen Reisepass verfügt, der den länger dauernden Zeitraum des USA Visums im älteren Reisepass abdeckt. Ein solcher Fall ist etwa genau bei seiner Ehegattin gegeben, die - im Gegensatz zur bP - auch den jüngeren jord. Reisepass vorlegte, der den restlichen Zeitraum des USA Visums mitabdeckt.

Das Bundesamt hat zum Thema Staatsangehörigkeit keinerlei nachvollziehbare Ermittlungen getätigt. Insbesondere hat sie es unterlassen darzustellen, weshalb im konkreten Fall nicht von einer jordanischen Staatsbürgerschaft auszugehen ist, obwohl die Indizien anhand der vorgelegten Reisepässe durchaus dafür sprechen könnten.

Gerade bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates handelt es sich zweifellos um eine zentrale Frage im Asylverfahren (vgl. etwa VwGH 16.04.2009, 2008/19/0706; 20.02.2009, 2007/19/0535), welche grundsätzlich von der Behörde zu klären ist, da ansonsten im Fall der Klärung des Herkunftsstaates durch das Bundesverwaltungsgericht das gesamte sich an die Feststellung knüpfende Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert würde. Das Gesetz erlaubt es zwar grundsätzlich nicht, personenbezogene Daten eines Asylwerbers an den Verfolgerstaat zu übermitteln (vgl. § 33 Abs. 4 BFA-VG 2014; zu den Ausnahmen vgl. § 33 Abs. 5 BFA-VG 2014). Dieser dem Datenschutz dienenden Bestimmung liegt erkennbar der Gedanke zugrunde, dass der potentielle Verfolgerstaat über das Schutzansuchen des Betroffenen nicht informiert werden soll, und zwar nicht zuletzt deshalb, um eine Gefährdung von im Herkunftsstaat verbliebenen Personen, die dem Asylwerber nahestehen oder mit seiner Flucht in Zusammenhang gebracht werden können, zu verhindern. Der VwGH hat dementsprechend erkannt, dass es den Asylinstanzen nicht frei steht, sich durch fallbezogene Anfragen an Behörden des Heimatstaates vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen des Asylwerbers zu überzeugen (vgl. etwa VwGH vom 10. Juni 1987, 86/01/0277, vom 30. September 1987, 87/01/0165, vom 24. Jänner 1990, 89/01/0446, und vom 27. Jänner 2000, 99/20/0488). Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei Jordanien - folgt man den späteren Angaben - jedoch nicht um den Verfolgerstaat und sind daher im Umkehrschluss Ermittlungen als geeignet, erlaubt und zweckdienlich im Sinn von § 46 AVG anzusehen.

Entfalten im gegenständlichen Fall die ersten, in einem Aktenvermerk festgehaltenen Angaben zu ihrem Fluchtgrund Entscheidungsrelevanz und widerspricht die bP derartige Angaben gemacht zu haben, so wäre nach der stRsp bei widersprechenden Angaben eine zeugenschaftliche Einvernahme des Organes des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorzunehmen und danach könnte die Behörde nachvollziehbar beurteilen, welchen Angaben sie mehr Glauben schenkt.

Des weiteren stützte das Bundesamt seine Entscheidung zur Beurteilung, ob die bP in den palästinensischen Gebieten - Westbank im Falle einer Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung bzw. refoulementrelevante Gefährdung zu gegenwärtigen hätten, im Wesentlichen auf Berichte die aus den Jahren 2014 bis 2016 stammen. Die vom BFA verwendeten Berichte sind zwar geeignet grds. die Lage zum Ausreisezeitpunkt einzuschätzen, nicht jedoch zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung im Falle einer Rückkehr zum Entscheidungszeitpunkt 15.01.2019.

Im gegenständlichen Fall wurde durch die Verwendung von als veraltet geltenden Berichten zum Herkunftsstaat sowie durch unterlassene Ermittlungen im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit somit der maßgebliche Sachverhalt dermaßen qualifiziert mangelhaft ermittelt, dass von einem gänzlichen Ausbleiben der zur Entscheidungsfindung notwendigen Ermittlungen über weite Strecken iSd Erk. d. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 gesprochen werden muss. Das BVwG hätte hier nicht bloß Ergänzungen dazu vorzunehmen, sondern wäre vielmehr die erste Instanz die diese vollinhaltlich vornimmt und kann erst nach dieser eine Beweiswürdigung und Beurteilung der Rechtsfrage stattfinden. Das ho. Gericht hätte iSd Urteils des EuGH vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 somit in einem wesentlichen Teil des Ermittlungsverfahrens "an die Stelle" der zuständigen belangten Behörde zu treten, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts vorzulegen.

Trotz der Einrichtung von Außenstellen des BVwG ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des BVwG und des BFA eine Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG im Sinne des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist bzw. zu keiner wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens führt. So ergäbe sich etwa für das BVwG nach der nunmehr stRsp des VwGH auch im Falle der Einbringung neuer Berichte durch das Verwaltungsgericht zur Wahrung des Parteiengehörs hier grds. die Verpflichtung eine Verhandlung durchzuführen, dies zudem in einem Mehrparteienverfahren. Schon daraus ergibt sich ein wesentlicher Mehraufwand gegenüber einem Verfahren vor dem Bundesamt in einem Einparteienverfahren, in dem die schriftliche Stellungnahmemöglichkeit zur Wahrung des Parteiengehörs zu Länderberichten grds. alleine genügt. Das Bundesamt verfügt auch hinsichtlich der Anzahl von Entscheidern über wesentlich höhere personelle Ressourcen als das BVwG.

Dem Bundesamt ist als Spezialbehörde bekannt, dass zwingend auch aktuelle Berichte zur Beurteilung der Rückkehrsituation im Herkunftsstaat heranzuziehen sind und hätte die Behörde auch die Möglichkeit gehabt, diesen offenkundigen groben Mangel in der erlassenen Beschwerdevorentscheidung zu beheben. Davon machte sie jedoch keinen Gebrauch, sondern legte der Beschwerdevorentscheidung wiederum die veralteten Länderberichte zu Grunde, wodurch die Absicht der Delegation dieser zentralen Aufgabe an das BVwG in diesem Punkt auch auf der Hand liegt.

Wie die vorherigen Ausführungen zeigen, wurde der maßgebliche Sachverhalt vom BFA nicht festgestellt. Dieser ist weder dem gegenständlich angefochtenen Bescheid, der Beschwerdevorentscheidung, noch dem vorliegenden Akteninhalt zu entnehmen. Das BFA hat dadurch, dass wesentliche Punkte nicht ausreichend berücksichtigt wurden, essentielle Ermittlungen unterlassen, weswegen im gegenständlichen Fall entsprechend der Rechtsprechung des VwGH zu § 28 Abs. 3 VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) davon auszugehen ist, dass genau solch gravierende Ermittlungslücken vorliegen, die zur Zurückweisung an die Verwaltungsbehörde (BFA) berechtigen, zumal das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilt werden kann, ohne sich mit dem gesamten entscheidungsrelevanten Sachverhalt auseinandergesetzt zu haben.

Da im gegenständlichen Fall das den Kern des Vorbringens betreffende Ermittlungsverfahren vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre, käme dies einer Delegation des Verfahrens an das BVwG gleich. Es liegt auch nicht auf der Hand, dass die Ermittlungen und Entscheidung in der Sache durch das Bundesverwaltungsgericht rascher durchgeführt werden könnten oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären.

Das BFA hat somit die aufgezeigten Mängel zu beheben bzw. den maßgeblichen Sachverhalt in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festzustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Sache gemäß § 28 Abs 3 VwGVG an das BFA zurückzuverweisen.

Entfall einer Verhandlung

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, worunter nach hL auch eine Kassation des Bescheides subsumiert werden kann (vlg. Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 22 zu §67d).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung hinsichtlich § 28 Abs 3 VwGVG von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer diesbezüglichen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Beschwerdevorentscheidung Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Herkunftsstaat Kassation mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung staatenlos Staatsangehörigkeit Vorlageantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2213498.1.00

Im RIS seit

30.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten