TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/9 W136 2226263-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
DO 1994 §103 Abs2
DO 1994 §106 Abs1
DO 1994 §109 Abs2 Z2
DO 1994 §18 Abs1
DO 1994 §78 Abs3
VGW-DRG §11
VGW-DRG §12 Abs5
VGW-DRG §14
VGW-DRG §2
VGW-DRG §5
VwGG §30a
VwGG §38

Spruch

W136 2226263-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin als Vorsitzende und die Richter Mag. Mario DRAGONI und Mag. Thomas MARTH als Beisitzer über den Strafantrag des stellvertretenden Disziplinaranwaltes der Stadt Wien Mag. Roman FISCHER vom 06.12.2019, Zl. MDR-DI – 496235-2019, gegen XXXX , vertreten durch Rechts-anwalt Mag. Thomas MÖDLAGL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. XXXX ist schuldig, er hat dadurch, dass er

1.       im Verfahren XXXX betreffend die seit 10. Mai 2016 im zweiten Rechtsgang anhängige Beschwerde des XXXX in einer Angelegenheit nach dem FSG, den nach Ablauf der Entscheidungsfrist von sechs Monaten vom Beschwerdeführer am 22. November 2016 eingebrachten Fristsetzungsantrag, ZI. XXXX , erst am 01. März 2017 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt hat, und in weiterer Folge die verfahrensleitende Anordnung des Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2017 (Eingang: 13. März 2017), mit der eine Frist von drei Monaten gewährt wurde, sowie den unbedingten Erledigungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juli 2017 (Eingang: 10. August 2017), die Entscheidung innerhalb von acht Wochen nachzuholen, missachtet und bis 3. April 2019 keine Entscheidung erlassen hat,

2.       im Verfahren XXXX betreffend die seit 21. Juli 2016 anhängige Beschwerde des XXXX in dienstrechtlichen Angelegenheiten, den nach Ablauf der Entscheidungsfrist von sechs Monaten vom Beschwerdeführer am 23. März 2018 eingebrachten Fristsetzungsantrag, XXXX , erst am 02. Juli 2018 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt hat,

3.       im Verfahren XXXX betreffend die seit 03. August 2015 anhängige Beschwerde des XXXX in dienstrechtlichen Angelegenheiten, den nach Ablauf der Entscheidungsfrist von sechs Monaten vom Beschwerdeführer am 16. März 2016 eingebrachten Fristsetzungsantrag, ZI. XXXX , erst am 15. November 2016 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt hat, und in weiterer Folge die verfahrensleitende Anordnung des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. November 2016 (Eingang: 30. November 2016), mit der eine Frist von drei Monaten gewährt wurde und die mit Schreiben vom 01. März 2017 um weitere drei Monate verlängert wurde, sowie den unbedingten Erledigungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Juni 2017 (Eingang: 20. Juli 2017), die Entscheidung innerhalb von vier Wochen nachzuholen, missachtet und mit Erkenntnis vom 12. Jänner 2018 enderledigt und das Erkenntnis erst rund 14 Monate darauf, nämlich am 16. April 2019 an den Verwaltungsgerichtshof übermittelt hat,

4.       im Verfahren XXXX betreffend die seit 18. September 2015 anhängige Beschwerde des XXXX gegen die Abweisung eines Antrags betreffend Aufhebung/Verminderung der Bezugskürzung gemäß § 94 Abs. 4 DO 1994, den nach Ablauf der Entscheidungsfrist von sechs Wochen gemäß § 74c DO 1994 vom Beschwerdeführer am 11. Jänner 2018 eingebrachten Fristsetzungsantrag, ZI. XXXX , erst am 11. Jänner 2019 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt hat,

5.       im Verfahren XXXX betreffend die seit 02. September 2016 anhängige Beschwerde des XXXX in dienstrechtlichen Angelegenheiten, den nach Ablauf der Entscheidungsfrist von sechs Monaten vom Beschwerdeführer am 24. Mai 2018 eingebrachten Fristsetzungsantrag, ZI. XXXX , erst am 20. März 2019 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt hat, und

6.       im Verfahren XXXX betreffend die seit 26. August 2016 anhängige Beschwerde des XXXX in dienstrechtlichen Angelegenheiten, der Gerichtsabteilung XXXX zugewiesen am 16. November 2018, den nach Ablauf der Entscheidungsfrist von sechs Monaten vom Beschwerdeführer am 24. Mai 2018 eingebrachten Fristsetzungsantrag, ZI. XXXX , erst am 20. März 2019 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt hat,

es unterlassen, die ihm übertragenen Geschäfte unter Beachtung der bestehenden Rechtsvorschriften mit Sorgfalt zu besorgen und damit eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 18 Abs. 1 Wiener Dienstordnung 1994, LGBl. Nr. 56/1994 in der Fassung LGBl. Nr. 29/2020, begangen.

Daher wird gegen XXXX gemäß § 109 Abs. 2 Z 2 Wiener Dienstordnung 1994 die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe eines Ruhebezuges verhängt und diese Geldbuße gemäß § 78 Abs. 3 iVm § 108 Abs. 1 Wiener Dienstordnung 1994 unter Bestimmung einer Bewährungsfrist von einem Jahren bedingt nachgesehen.

II. Im Übrigen wird XXXX von dem im Strafantrag enthaltenen Anlastungen gemäß § 103 Abs. 2 Wiener Dienstordnung 1994 freigesprochen.

III. Gemäß § 106 Abs. 1 Dienstordnung 1994 hat XXXX (mit Ausnahme der ihm aus der Beiziehung seines Verteidigers erwachsenden Kosten) keine Kosten des Disziplinarverfahrens zu tragen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgegenstand:

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes als Disziplinargericht des Verwaltungsgerichtes XXXX über den im Spruch bezeichneten Strafantrag des stellvertretenden Disziplinaranwaltes der Stadt Wien (in Folge: Disziplinaranwalt) gegen XXXX (in Folge: Beschuldigter); diesem wird im Strafantrag vorgeworfen, in acht näher genannten, vom ihm als Richter des Verwaltungsgerichtes XXXX geführten Verfahren, eingebrachte Fristsetzungsanträge verspätet dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt und den vom Verwaltungsgerichtshof erteilten Erledigungsaufträgen nicht oder nicht in der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Frist nachgekommen zu sein.

Der Strafantrag wurde am 06.12.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Am 25.05.2019 wurde in dieser Sache eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über den zulässigen Strafantrag erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Präsident des Verwaltungsgerichts XXXX hat mit Schreiben vom 03.06.2019, einen Untersuchungskommissär zur vorläufigen Klarstellung des Sachverhaltes wegen des Verdachtes von näher dargestellten Dienstpflichtverletzungen durch den Beschuldigten bestellt.

Mit Schreiben vom 26.08.2019 übermittelte der Untersuchungskommissär der Disziplinaranwältin seinen Untersuchungsbericht. Mit Note vom 04.10.2019 wurde der Untersuchungskommissär ersucht, die Protokolle der Sitzungen des Geschäftsverteilungsausschusses zu übermitteln, in welchen die Überlastungsanzeigen des Beschuldigten behandelt wurden; diese wurden mit Note vom 24.10.2019 der Disziplinaranwältin vorgelegt.

Am 06.12.2019 wurde gegenständlicher Strafantrag des Disziplinaranwaltes dem Beschuldigten zur Stellungnahme übermittelt und dem Bundesverwaltungsgericht als Disziplinargericht vorgelegt.

1.2. Der Beschuldigte war zum inkriminierten Tatzeitpunkt Richter des Verwaltungsgerichtes XXXX . Ab 04.04.2019 befand sich der Beschuldigte durchgehend im Krankenstand. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes XXXX vom 09.06.2020 wurde der Beschuldigte mit Ablauf des 30.Juni 2020 gemäß § 15 Abs. 4 Z 3 VWG-DRG des Amtes enthoben und somit gemäß § 68a DO 1994 in den Ruhestand versetzt.

Dem Beschuldigte war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seine besoldungsrechtliche Stellung nicht bekannt, er gab an, glaublich € 3.000,- zu verdienen. Der Beschuldigte ist bisher disziplinarrechtlich unbescholten.

Der Beschuldigte hat keine Sorgepflichten, besitzt ein Haus und zwei Eigentumswohnungen und hat keine Schulden.

1.3. Der Beschuldigte hatte bereits 2012 und 2013 als Mitglied des UVS eine vergleichsweise hohe Zahl abgeschlossener Rechtssachen und Ende 2013 nur neun Rechtsfälle anhängig. Der Beschuldigte hatte trotzdem am Beginn seiner Tätigkeit als Verwaltungsrichter 2014 189 Rechtssachen („Überleitungsfällen“) des UVS zu bearbeiten. Im Jahr 2015 übernahm der Beschuldigte auch die Bearbeitung von Dienstrechtsagenden mit Senatszuständigkeit, welche mit einem überdurchschnittlich hohen administrativen Aufwand verbunden sind und bei denen ab Ende 2015 ein Massenverfahren zu führen war. Der Beschuldigte reagierte auf die steigende, für ihn subjektiv zu hohe Arbeitsbelastung, mit Ausdehnung seiner Arbeitszeit und Arbeitsintensität. Im Jahr 2018 erkrankte ein Kollege des Beschuldigten, weshalb er diesen über mehr als zwei Monate vertreten musste und dessen Dienstrechtsverfahren ihm schließlich zur Hälfte übertragen wurde. Etwa zu selben Zeit kam es in der für seine Gerichtsabteilung zuständigen Organisationseinheit zu kumulierten krankheitsbedingten Ausfällen, weshalb die Unterstützung durch nichtrichterliches Personal nicht mehr im erforderlichen Ausmaß vorhanden war. Aus diesen Gründen erodierte 2018 das Aktenmanagement und entglitt dem Beschuldigten schließlich.

Der Beschuldigte wies - ungeachtet seiner hohen Erledigungszahlen - den Dienstgeber wiederholt auf die Probleme bei der Bearbeitung der Dienstrechtsangelegenheiten, insbesondere den damit im Zusammenhang stehenden hohen Koordinierungs- und Organisationsbedarf hin, stellte schließlich zweimal eine Überlastungsanzeige und ersuchte um Beendigung seiner Zuständigkeit zur Bearbeitung von Dienstrechtsangelegenheiten. Der Dienstgeber reagierte zum Teil auf diese Anzeigen des Beschuldigten mit Entlastungsmaßnahmen, die sich jedoch als unzureichend erwiesen.

Trotz hohem Arbeitseinsatz war der Beschuldigte nicht in der Lage, alle Verfahren fristgerecht zu führen, was auf eine strukturelle Überlastung der Gerichtsabteilung zurückzuführen ist. Strukturelle Überlastung in diesem Zusammenhang bedeutet, dass die zugewiesenen Aufgaben trotz hohem Arbeitseinsatz in quantitativer Hinsicht nicht in jedem Fall zügig innerhalb der gesetzlich vorgesehen Fristen zu bewältigen sind.

Die Dienstbeurteilung des Beschuldigten vom 15.01.2018 lautet auf „ausgezeichnet“.

1.4. Der Beschuldigte hat hinsichtlich aller im Strafantrag angegeben Fakten ein Tatsachengeständnis abgegeben, gibt jedoch an, während seiner gesamten Tätigkeit als Richter überaus großen Fleiß an den Tag gelegt zu haben und stets bemüht gewesen zu sein, die ihm übertragenen Aufgaben bestmöglich zu erfüllen. Allerdings sei er bereits seit Jahren objektiv und subjektiv überlastet und daher nicht in der Lage gewesen, alle ihm übertragenen Aufgaben frist- bzw. zeitgerecht zu erledigen. Er habe tagtäglich entscheiden müssen, welche Aufgabe er als nächste erledige, und habe dies nach bestem Wissen und Gewissen getan. Im Übrigen sei auch sein schlechter Gesundheitszustand, der schließlich zu einem langen Krankenstand und seiner Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit geführt habe, dafür verantwortlich gewesen, wenn er etwas übersehen habe.

Festgestellt wird somit, dass der Beschuldigte, die ihm spruchgemäß angelasteten Handlungen und Unterlassungen gesetzt hat, wobei zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Spruch dieses Erkenntnisses verwiesen wird; weiters wird festgestellt, dass die im Spruch dargestellten Versäumnisse nicht die Folge einer Überlastung des Beschuldigten in dem Sinne waren, dass der Beschuldigte etwas übersehen hat, sondern auf dem Umstand beruhen, dass der Beschuldigte nicht erkannt hat, dass die im Spruch genannten Verfahren bzw. Verfahrensschritte jedenfalls vordringlich vor anderen zu bearbeiten gehabt hätte.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte bewusst eine verfehlte Prioritätensetzung im Sinne eines Ausweichens einzelner, bereits mit Verfristung behafteter Rechtssachen setzte.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu 1.1. bis 1.3.ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus dem Bericht des bestellten Untersuchungskommissärs XXXX vom 19.08.2019, VGW-DI-437/2019, und dem Strafantrag des stv. Disziplinaranwaltes vom 06.12.2019.

Den Ausführungen des bestellten Untersuchungskommissärs vom 19.08.2019, insbesondere auch zur strukturellen Überlastung der Gerichtsabteilung des Beschuldigten und den Gründen dafür wurde auch vom Disziplinaranwalt nicht entgegengetreten und ist nichts hervorgekommen, was an deren Richtigkeit Zweifel aufkommen lässt, daher sind diese der Entscheidung zu unterstellen.

2.2. Die Feststellungen zu 1.4. ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere der Stellungnahme des Beschuldigten vom 13.01.2020 zum Strafantrag und seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung, denen im Verfahren seitens des Disziplinaranwaltes auch nicht substantiiert entgegengetreten wurde.

Wenn der stv. Disziplinaranwalt vor dem Bundesverwaltungsgericht die bewusste Nichtvorlage der Fristsetzungsanträge und bewusste Missachtung von Erledigungsaufträgen des VwGH hevorhob, folgt das Bundesverwaltungsreicht dem nur insoweit, als es davon ausgeht, dass der Beschuldigte in dieser Hinsicht bewusst eine falsche Prioritätensetzung insofern hatte, als er nicht die Erledigung dieser Verfahren oder einzelner Verfahrensschritte gegenüber anderen, allenfalls ebenso dringenden oder verfristeten Verfahren vorzog. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass der Beschuldigte den genannten Verfahren bewusst weniger Aufmerksamkeit schenkte oder sonst deren Bearbeitung bewusst verzögerte. Auch seine Ausführungen gegenüber dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtes, wonach „Hinschicken“ bzw. „Vorlegen“ auch nicht die Lösung des Problems sei, sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes kein Hinweis auf ein absichtliches Liegenlassen, sondern nur Ausdruck, dass dadurch das Problem einer Überlastung nicht gelöst ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Die im gegenständlichen Verfahren anzuwendenden Bestimmungen lauten (auszugsweise) wie folgt:

§§ 2, 5, 11 Abs. 1 und Abs. 2, 14 Abs. 1 und 2 VGW-DRG:

„Öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis

§ 2. Mit Wirksamkeit der Ernennung zum Mitglied des Verwaltungsgerichts oder zur Landesrechtspflegerin oder zum Landesrechtspfleger ist jede Person, die nicht schon Beamtin oder Beamter des Dienststandes im Sinn des § 1 Abs. 3 der Dienstordnung 1994 - DO 1994, LGBl. Nr. 56, ist, unabhängig von den sonst vorgesehenen Anstellungserfordernissen der Dienstordnung 1994 zu unterstellen (Aufnahme in ein öffentlichrechtliches Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien).

...

Dienstrechtliche Sonderbestimmungen

§ 5. (1) Auf die Mitglieder des Verwaltungsgerichts sind die §§ 2a, 3, 6 bis 17a, 19 und 22, § 23 Abs. 2, § 24, § 25 Abs. 4 bis 7, §§ 26 bis 27, § 31 Abs. 5, § 33, § 37 Abs. 1 Z 1, § 38 Abs. 1, §§ 40 bis 42, 57 und 64 der Dienstordnung 1994 nicht anzuwenden.

(2) Die Bestimmungen der Abschnitte 7 und 8 der Dienstordnung 1994 gelten nur insoweit, als auf sie in diesem Gesetz ausdrücklich Bezug genommen wird.

(3) Soweit die Mitglieder nicht in Ausübung ihres richterlichen Amtes (§ 7 Abs. 2 VGWG) tätig sind, gilt auch § 20 DO 1994.

...

Disziplinargericht

§ 11. (1) Disziplinargericht ist das Bundesverwaltungsgericht, welches durch einen Senat entscheidet.

Disziplinarverfahren

§ 14. (1) Bei der Ahndung von Dienstpflichtverletzungen der Mitglieder des Verwaltungsgerichts gelten - soweit in den folgenden Absätzen nicht anderes bestimmt ist - §§ 76 bis 78, § 79 Abs. 1 bis 4, § 80, § 83 Abs. 1, § 87, § 90 Z 1 und 3 bis 5, § 91 Abs. 1 Z 1, § 91 Abs. 2, §§ 92 und 93, § 94 Abs. 4, 5, 7 und 8, § 95 Abs. 1, 2, 3a und 4, § 96, § 97a Z 2, §§ 99a und 100 bis 108 DO 1994 sinngemäß. Bezugnahmen in den im ersten Satz genannten Vorschriften auf die Disziplinarkommission oder einen ihrer Senate gelten als Bezugnahmen auf den Disziplinarausschuss und Bezugnahmen auf Beamtinnen und Beamte als Bezugnahmen auf die Mitglieder des Verwaltungsgerichts.

(2) Wird ein Verfahren gegen ein ehemaliges Mitglied des Verwaltungsgerichts (§ 11 Abs. 3) geführt, das sich im Ruhestand befindet, ist auch § 109 Abs. 1, 2 und 5 DO 1994 sinngemäß anzuwenden.

(3) ...“

§ 18 Abs. 1 (Wiener) Dienstordnung (DO 1994), lautet:

„Dienstpflichten

Allgemeine Dienstpflichten

§ 18. (1) Der Beamte hat die ihm übertragenen Geschäfte unter Beachtung der bestehenden Rechtsvorschriften mit Sorgfalt, Fleiß und Unparteilichkeit zu besorgen. Er hat sich hiebei von den Grundsätzen größtmöglicher Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen.“

§§ 30a, 38 und § 42a VwGG lauten (auszugsweise):

„§ 30a. (1) Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist oder wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, sind ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

(2) Revisionen, denen keiner der im Abs. 1 bezeichneten Umstände entgegensteht, bei denen jedoch die Vorschriften über die Form und den Inhalt (§§ 23, 24, 28, 29) nicht eingehalten wurden, sind zur Behebung der Mängel unter Setzung einer kurzen Frist zurückzustellen; die Versäumung dieser Frist gilt als Zurückziehung. Dem Revisionswerber steht es frei, einen neuen, dem Mängelbehebungsauftrag voll Rechnung tragenden Schriftsatz unter Wiedervorlage der zurückgestellten unverbesserten Revision einzubringen.

(3) (…..)

(8) Auf Fristsetzungsanträge sind die Abs. 1 und 2 sinngemäß anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat dem Verwaltungsgerichtshof den Fristsetzungsantrag unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

§ 38. (1) Ein Fristsetzungsantrag kann erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat.

(2) …

(4) Auf Fristsetzungsanträge sind die §§ 33 Abs. 1 und 34 Abs. 1, 2 und 3 sinngemäß anzuwenden. In allen sonstigen Fällen ist dem Verwaltungsgericht aufzutragen, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten das Erkenntnis oder den Beschluss zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie desselben dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn das Verwaltungsgericht das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Erlassung des Erkenntnisses oder Beschlusses unmöglich machen. Wird das Erkenntnis oder der Beschluss erlassen, so ist das Verfahren über den Fristsetzungsantrag einzustellen.

§ 42a. Ist das Verwaltungsgericht seiner Entscheidungspflicht nicht nachgekommen, so hat ihm der Verwaltungsgerichtshof aufzutragen, das Erkenntnis oder den Beschluss innerhalb einer von ihm festzusetzenden angemessenen Frist nachzuholen.“

3.2. Zum Schuldspruch

Aufgrund ihrer besonderen Aufgabe sind Richter eines Landesverwaltungsgerichtes gemäß Art. 87 iVm Art. 134 Abs. 5 B-VG, sowie § 7 VGWG in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden und haben für die unabhängige und unparteiliche Verwaltungsgerichtsbarkeit zu sorgen.

Zu der für Richter nach dem Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) geltenden, mit § 18 Abs. 1 DO 1994 vergleichbaren Bestimmung des § 57 Abs. 1 RStDG, wonach diese sich voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, sich fortzubilden, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen und die ihnen übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen haben, wurde im Zusammenhang mit deren disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit wie folgt judiziert:

„Gegenstand des Dienststrafrechts sind nur jene Verletzungen des materiellen Rechts oder der Verfahrensbestimmungen, die mit Rücksicht auf Art und Schwere der Verfehlung aus general- und spezialpräventiven Gründen einer dienststrafrechtlichen Ahndung bedürfen. Eine Gesetzesverletzung, die nur auf entschuldbarer Fahrlässigkeit oder einer bloß fallweisen Unkenntnis einer Rechtsvorschrift beruht, macht somit nicht disziplinär verantwortlich, wohl aber eine bewusste oder wiederholt grob fahrlässige Rechtsverletzung. Fehler bei der Rechtsanwendung sind auch dann disziplinär zu ahnden, wenn sie so schwer wiegen, dass das Vertrauen in die Gesetzestreue der Justiz in Frage steht, und dem Richter zugleich ein gravierender Schuldvorwurf zu machen ist. Unter diesen Gesichtspunkten kann etwa die missbräuchliche Ausübung richterlichen Ermessens, das bewusste Abweichen von bewährten Rechtsgrundsätzen oder eine wiederholt grob fahrlässige Missachtung gesetzlicher Bestimmungen eine Amtspflichtverletzung im Sinn der §§ 57 Abs 1, 101 Abs 1 RStDG begründen. In jenen Fällen, in denen das Gesetz dem Richter eine Ermessensentscheidung aufträgt, kann eine disziplinär strafbare Amtspflichtverletzung im Allgemeinen nur bei missbräuchlicher Ausübung richterlichen Ermessens in Frage kommen (OLG Innsbruck, 27.08.2018 114 Ds 3/17s).

Wenn auch im allgemeinen eine Fehlbeurteilung des Richters in der Frage der Vordringlichkeit der Bearbeitung seiner ihm angefallenen Akten nicht disziplinär zu ahnden ist, ist das bewußte Ausweichen vor der Bearbeitung eines schon überlang anhängigen und dadurch vordringlich gewordenen Aktes disziplinär und unter Umständen als Dienstvergehen zu qualifizieren (OGH, 10.06.1974 Ds 4/73). Ähnlich; nur: Wenn auch im allgemeinen eine Fehlbeurteilung des Richters in der Frage der Vordringlichkeit der Bearbeitung seiner ihm angefallenen Akten nicht disziplinär zu ahnden ist (OGH, 17.05.1978 Ds 6/78).

Vor dem Hintergrund dieser Judikatur ist zunächst festzuhalten, dass die dem Beschuldigten angelasteten Verfehlungen der verzögerten Vorlage von Fristsetzungsanträgen an den Verwaltungsgerichtshof sowie der Nichterfüllung von Erledigungsaufträgen des Verwaltungsgerichtshofes bei einer (strukturellen) Überlastung des Richters nur dann einer disziplinären Würdigung zu unterziehen sein werden, wenn diesem eine qualifizierte Fehlbeurteilung bei der Vordringlichkeit der Bearbeitung der ihm zugewiesenen Verfahren oder einzelner Verfahrensschritte anzulasten ist. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist dies im Gegenstand der Fall.

Den Regelungen im Zusammenhang mit dem Säumnisschutz vor allem im verwaltungs(gerichtlichen) Verfahren kommt als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips besondere Bedeutung zu (vgl. Theo Öhlinger: Untätigkeit von Gerichten und Verwaltungsbehörden und Rechtsstaatsprinzip). So hat auch der Verwaltungsgerichtshof in mit RS zu Fr 2017/03/0009 vom 24.01.2018 ausgeführt, dass der Auftrag gemäß § 38 Abs. 4 VwGG das VwG verpflichtet innerhalb der darin bestimmten Frist das Erkenntnis oder den Beschluss zu erlassen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass es für eine weitere Antragstellung nach einem nach den §§ 38 und 42a VwGG ausgeschöpften Verfahren an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, selbst wenn das Verwaltungsgericht das Erkenntnis in der gesetzten Frist immer noch nicht nachgeholt hat, allerdings zu beachten ist, dass die Missachtung der vom VwGH gemäß § 42a VwGG gesetzten Frist amtshaftungs-, disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann (vgl. VwGH vom XXXX Fr 2017/09/0009).

Im den im Spruch angeführten Fällen hat der Beschuldigte die Vorlage der eingelangten Fristsetzungsanträge an den Verwaltungsgerichtshof erst jeweils nach mehreren Monaten veranlasst. Im Hinblick darauf, dass wie oben ausgeführt, dem Säumnisschutz eine besondere Bedeutung zukommt, erweist sich diese vom Beschuldigten gewählte Vorgehensweise als verfehlt und stellt eine Pflichtverletzung dar. Vor dem Bundesverwaltungsgericht vermochte der Beschuldigte auch keine Begründung dafür anzugeben, warum er seiner Verpflichtung zur Vorlage eines Fristsetzungsantrages nicht unverzüglich nachkam, zumal diese Veranlassung in der Regel keinen großen Arbeitsaufwand darstellt.

Weiters hat der Beschuldigte in den beiden in Spruchpunkt I.1. und I.3. genannten Fällen die Erledigungsaufträge des Verwaltungsgerichtshofes nach den §§ 38 Abs. 4 und 42a VwGG entweder gar nicht (Spruchpunkt I.1.) oder mit mehr als halbjähriger Verspätung (Spruchpunkt I.3.) erlassen. Auch hier konnte der Beschuldigte keine nachvollziehbare Begründung angeben, warum er den entsprechenden Aufträgen nicht nachkam. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht wie angeführt davon ausgeht, dass der Beschuldigte die Nichterledigung bzw. verspätete Erledigung deswegen nicht vornahm, weil er andere, ihm wesentlicher erscheinende Rechtssachen erledigte, ist ihm auch in diesen beiden Fällen eine verfehlte Prioritätensetzung anzulasten. Denn diese Rechtssachen wären jedenfalls prioritär zu erledigen gewesen, selbst unter Inkaufnahme, dass andere Rechtssachen allenfalls später in Bearbeitung genommen werden und dort ebenfalls Verfristungen eintreten. Denn gerade in der unter Spruchpunkt I.1. genannten Rechtssache, die der Beschuldigte bis zu seinem Krankenstand über mehrere Jahre überhaupt keiner Erledigung zugeführt hat, kommt sein Verhalten im Ergebnis einer Rechtsverweigerung gleich. Im Übrigen ist in diesen beiden Fällen auch zu beachten, dass die angelasteten Versäumnisse der Nichtbefolgung der Erledigungsaufträge bereits Ende 2016 (Spruchpunkt I.3) bzw. im Jahr 2017 (Spruchpunkt I.1.) eintraten, somit zu einem Zeitpunkt, als das Aktenmanagement des Beschuldigten noch nicht erodiert oder zusammengebrochen war, weshalb auch nicht anzunehmen ist, dass der Beschuldigte die noch offenen Rechtssachen einfach übersehen hat.

Mit seinem glaubwürdigen Vorbringen, dass er unter Anspannung seiner Arbeitsleistung bemüht gewesen sei, alle Aufgaben zu erledigen, macht der Beschuldigte im Ergebnis einen Rechtsirrtum geltend, weil er nicht erkannt hat, dass jene Aufgaben, deren Versäumnis ihm nunmehr als Pflichtverletzung angelastet wird, vordringlich vor anderen zu behandeln gewesen wären. Ein derartiger Irrtum ist dem Beschuldigten allerdings anzulasten, weil er als erfahrener Verwaltungsrichter hätte erkennen müssen, dass Fristsetzungsanträge grundsätzlich ohne Verzug vorzulegen sind und Rechtssachen, in denen ein Erledigungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist, vorrangig zu bearbeiten sind.

3.3. Zum Freispruch

Im Strafantrag des stv. Disziplinaranwaltes wurde dem Beschuldigten auch zur Last gelegt, er habe

A)       im Verfahren XXXX nach Vorlage des am 26. April 2018 eingebrachten Fristsetzungsantrages, XXXX, die verfahrensleitende Anordnung des Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Juli 2018, mit der eine Frist von zwei Monaten gewährt wurde, sowie den unbedingten Erledigungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Oktober 2018, die Entscheidung innerhalb von acht Wochen nachzuholen, missachtet und bis 3. April 2019 keine Entscheidung erlassen hat und den am 20. Februar 2019 eingebrachten zweiten Fristsetzungsantrag, nicht vorgelegt,

B)       in der in Spruchpunkt I.2. dieses Erkenntnisses genannten Rechtssache die verfahrensleitende Anordnung des Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Juli 2018 mit der eine Frist von drei Monaten gewährt wurde, sowie den unbedingten Erledigungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofs vom 15. November 2018 die Entscheidung innerhalb von drei Monaten nachzuholen, missachtet und bis 3. April 2019 keine Entscheidung erlassen,

C)       in der in Spruchpunkt I.4. dieses Erkenntnisses genannten Rechtssache trotz verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Februar 2019 (Eingang 20.02.2019) mit der eine Frist von drei Monaten gewährt wurde, bis 3. April 2019 keine Ermittlungsschritte gesetzt, und

D)       im am 16. November 2018 zugewiesenen Verfahren XXXX , bereits am 09. Oktober 2018 eingebrachten Fristsetzungsantrag, erst am 10. Jänner 2019, somit rund zwei Monate nach Zuweisung, dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt und bis zur Vorlage des Fristsetzungsantrags auch in der Beschwerdesache keine Ermittlungsschritte gesetzt.

Diese Anlastungen stellen jedoch aus folgenden Gründen keine Pflichtverletzungen dar:

Zu A und B: Wie bereits oben Punkt II.1.3. festgestellt wurde, erodierte aus den dort genannten Gründen (Überlastung, Personalausfälle) das Aktenmanagement in der Gerichtsabteilung des Beschuldigten und entglitt diesen im Jahr 2018. Insoweit dem Beschuldigten in diesem Zeitraum die Nichterledigung von Erledigungsaufträgen des Verwaltungsgerichtshofes nach Fristsetzungsaufträgen angelastet wird, ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte, der weiterhin großen Arbeitseinsatz an den Tag legte, die Vordringlichkeit der Erledigung dieser Rechtssachen übersehen hat, was ihm angesichts seiner (angezeigten) Überlastung nicht vorwerfbar ist. Auch die Nichtvorlage eines zweiten Fristsetzungsantrages in derselben Rechtssache stellt keine Pflichtverletzung dar, sondern wäre dieser zurückzuweisen gewesen. Dies hat der Beschuldigte infolge Überlastung oder aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit offenkundig ebenfalls übersehen, wurde ihm jedoch ohnehin nicht zur Last gelegt.

Zu C: Die Anlastung, dass der Beschuldigte innerhalb der letzten fünf Wochen vor Beginn seines Krankenstandes in einem Verfahren nach einer Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erledigung nach § 38 Abs. 4 VwGG keine Ermittlungsschritte gesetzt hat, stellt keine Pflichtverletzung dar, zumal überhaupt nicht feststeht, ob solche überhaupt zu tätigen waren.

Zu D: Schließlich ist es dem zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits überlasteten Beschuldigten auch nicht als Pflichtverletzung anzulasten, wenn er in einem von einem Kollegen Ende des Jahres 2018 übernommenen Verfahren einen bereits vorher eingegangenen Fristsetzungsantrag erst acht Wochen nach Aktenübernahme dem Verwaltungsgerichtshof vorlegt. Wenn nämlich einem bereits überlasteten Richter zusätzliche Akte einer anderen Gerichtsabteilung übertragen werden, kann nicht erwartet werden, dass sich dieser unverzüglich deren Bearbeitung widmet und musste der Beschuldigte auch nicht davon ausgehen, dass in einem übernommenen Verfahren bereits ein Fristsetzungsantrag eingegangen ist. In diesem Fall hat der Beschuldigte den Fristsetzungsantrag offenkundig vorgelegt, sobald er sich der Bearbeitung des Aktes widmen konnte. Eine verfehlte Prioritätensetzung ist im in diesem Fall daher nicht anzulasten.

3.4. Zur Festsetzung der Disziplinarstrafe:

3.4.1. Die relevanten Bestimmungen der DO 1994 lauten:

„Disziplinarstrafen

§ 76. (1) Disziplinarstrafen sind:

1.       der Verweis,

2.       die Geldbuße bis zum 1,5fachen des Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage,

3.       die Geldstrafe bis zum 7fachen des Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage,

4.       die Entlassung.

(2) In den Fällen des Abs. 1 Z 2 und 3 ist die verhängte Strafe in einem Vielfachen des Monatsbezuges (auf Zehntel genau) nach den in § 77 festgelegten Grundsätzen zu bemessen. Bei der Berechnung der betragsmäßigen Höhe der Geldbuße oder Geldstrafe ist von dem Monatsbezug auszugehen, der der besoldungsrechtlichen Stellung entspricht, die der Beamte im Zeitpunkt der mündlichen Verkündung des Disziplinarerkenntnisses durch die Disziplinarkommission, im Fall einer Disziplinarverfügung im Zeitpunkt der Ausfertigung derselben, erreicht hat.

Strafbemessung

§ 77. (1) Maßgebend für die Höhe der Strafe ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist insbesondere Rücksicht zu nehmen

1.       inwieweit das Vertrauen des Dienstgebers in die Person des Beamten durch die Dienstpflichtverletzung beeinträchtigt wurde,

2.       inwieweit die beabsichtigte Strafe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten,

3.       sinngemäß auf die gemäß §§ 32 bis 35 StGB, für die Strafbemessung maßgebenden Gründe.

(2) Hat ein Beamter durch eine Tat oder durch mehrere selbständige Taten mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen und wird über diese Dienstpflichtverletzungen gleichzeitig erkannt, ist nur eine Strafe zu verhängen. Diese Strafe ist nach der schwersten Dienstpflichtverletzung zu bemessen, wobei die weiteren Dienstpflichtverletzungen als Erschwerungsgrund zu werten sind.

(3) Hat sich der Beamte einer derart schweren Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstgeber oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben so grundlegend zerstört ist, dass er für eine Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung untragbar ist, ist ohne Rücksichtnahme auf die in Abs. 1 Z 2 und 3 genannten Strafbemessungsgründe jedenfalls die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen, es sei denn, die Tat ist auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte.

(…)

Bedingte Strafnachsicht

§ 78. (1) Wenn anzunehmen ist, dass die bloße Androhung der Vollziehung der Strafe genügen wird, um den Beamten von weiteren Dienstpflichtverletzungen abzuhalten und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung von Dienstpflichtverletzungen durch andere entgegenzuwirken, kann die Disziplinarbehörde unter Bestimmung einer Bewährungsfrist von einem bis zu drei Jahren eine Disziplinarstrafe gemäß § 76 Abs. 1 Z 2 und 3 ganz oder teilweise bedingt nachsehen, wenn über den Beamten bisher keine solche Strafe im Ausmaß von mehr als einem halben Monatsbezug verhängt wurde. § 108 Abs. 5 ist anzuwenden.

(2) Bei Anwendung des Abs. 1 ist insbesondere auf die Art der Dienstpflichtverletzung, die Person des Beamten, den Grad seines Verschuldens und auf sein dienstliches Verhalten Bedacht zu nehmen.

(3) Die Bewährungsfrist beginnt mit Eintritt der Rechtskraft des Disziplinarerkenntnisses (der Disziplinarverfügung). Ihr Ende ist von der Disziplinarbehörde so festzusetzen, dass die Bewährungsfrist nicht die für die ausgesprochene Strafe in Betracht kommende Tilgungsfrist (§ 108 Abs. 1) überschreitet.

(4) ….

Tilgung der Disziplinarstrafe

§ 108. (1) Die wegen einer Dienstpflichtverletzung verhängten Strafen des Verweises, der Geldbuße und der Geldstrafe, die beiden letztgenannten Strafen jedoch nur, wenn sie auf keine höhere Strafe als einen Monatsbezug lauten, gelten nach Ablauf von einem Jahr, die sonstigen Disziplinarstrafen nach Ablauf von drei Jahren nach Rechtskraft des Disziplinarerkenntnisses (der Disziplinarverfügung) als getilgt. (…)

3.4.2. Grundsätzlich ist für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung maßgebend.

Zur Strafbemessung ist einleitend auszuführen, dass das Fehlverhalten des Beschuldigten im Kernbereich seiner dienstlichen Aufgaben erfolgte, weshalb ihm grundsätzlich ein gewisses, nicht gänzlich unerhebliches, Gewicht zukommt; ein Verweis kommt daher nicht in Betracht. Andererseits ist die gegenständliche Dienstpflichtverletzung unter Bedachtnahme auf die Umstände nicht einmal im Ansatz eine so schwerwiegende, dass das Vertrauen des Dienstgebers oder der Öffentlichkeit erschüttert würde. Denn abgesehen von den angelasteten Pflichtverletzungen hat der Beschuldigte eine ausgezeichnete Dienstverrichtung gezeigt, was ihm auch mit der letzten Dienstbeurteilung vom Jänner 2018 bescheinigt wurde. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die vom Beschuldigten angezeigte und deshalb bekannte Überlastung seiner Gerichtsabteilung, deren Ursache nicht vom Beschuldigten zu verantworten ist, nicht zuletzt einen erheblichen Grund für seine Fehlleistung darstellt, da bekanntermaßen bei Arbeiten unter ständiger hoher Belastung, bei vorgegebenen, zum Teil nicht einhaltbaren Fristen, die Fehleranfälligkeit stressbedingt steigt. Im Übrigen ist auch davon auszugehen, dass der Beschuldigte, auch wenn er zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen nicht im Krankenstand war, bereits gesundheitlich erheblich beeinträchtigt war, denn er hat glaubhaft angegeben, dass die Beschwerden, die letztlich zu seiner Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit geführt haben, bereits seit längerem bestehen. Den Ausführungen der Disziplinaranwaltschaft, wonach es sich bei der Pflichtverletzung des Beschuldigten um ein bewusstes Ausweichen von seinen Aufgaben mit dem Zweck der Verfahrensverzögerung handelt, wird hingegen nicht gefolgt, weil es dafür, außer der der bloßen Behauptung, keinen wie immer gearteten Hinweis gibt. Vielmehr ist, wie oben bereits ausgeführt, davon auszugehen, dass der Beschuldigte einem (vorwerfbaren) Irrtum über die Vordringlichkeit bestimmter Erledigungen erlegen ist. Die vom Disziplinaranwalt geforderte Geldstrafe erscheint daher aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht tat- und schuldangemessen. Vielmehr handelt es sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts um eine solche Dienstpflichtverletzung, bei der mit einer Geldbuße das Auslangen zu finden ist.

Zwar hat der Beschuldigte aufgrund desselben Irrtums mehrere Pflichtverletzungen begangen, diese sind jedoch im Vergleich der sonst von ihm fehlerfrei verrichteten Dienste als quantitativ geringfügig zu betrachten. Sein Tatsachengeständnis war nicht als mildernd zu werten, jedoch seine bisherige Unbescholtenheit sowie die bisherige ausgezeichnete Dienstverrichtung.

Daher ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes eine Geldbuße von einem Monatsgehalt unter Berücksichtigung der Erschwernis- und Milderungsgründe tat- und schuldangemessen.

Im vorliegenden Fall kann das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 78 Abs. 1 DO 1994 die Strafe bedingt nachsehen. Der Beschuldigte wurde zwischenzeitlich in den Ruhestand versetzt, sodass spezialpräventiv kein Strafbedürfnis besteht. Nach der Art der Pflichtverletzung erscheint nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die Klarstellung der Rechtslage ausreichend, sodass generalpräventiven Erfordernissen auch durch die Verhängung der ausgesprochenen Strafe ausreichend Rechnung getragen wird. Daher kann die Strafe unter Setzung einer Probezeit von einem Jahr bedingt nachgesehen werden.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer derartigen Dienstpflichtverletzung eines Verwaltungsrichters vorzufinden ist.

Schlagworte

Disziplinaranwalt Disziplinaranwalt - Abweisung Disziplinaranwalt - Stattgebung Disziplinarbeschuldigter Disziplinargericht Disziplinarstrafe Disziplinarverfahren Freispruch Fristsetzungsantrag Geldbuße Revision zulässig Richter Richter des Ruhestandes schuldangemessene Strafe Strafantrag Strafbemessung Teilfreisprüche Vorlagefrist Vorlagepflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W136.2226263.1.00

Im RIS seit

30.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten