TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/16 L518 1431293-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.05.2019
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Entscheidungsdatum

16.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §17 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55 Abs1a

Spruch

L518 1431293-3/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Armenien, vertreten durch VMÖ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A.I.)

Die Beschwerde wird gem. § 28 Abs. 1 VwGVG BGBL I 33/2013 idgF, § 68 Abs. 1 AVG 1991, BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, §§ 57, 10 AsylG 2005 BGBl I 100/2005 idgF iVm 9 BFA-VG BGBl I Nr. 87/2012 idgF sowie §§ 52, 46 und 55 FPG 2005 BGBl I 100/2005 idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III zu lauten hat:

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise.

Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid war die aufschiebende Wirkung nach § 17 Abs. 1 BFA-VG nicht zuzuerkennen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Armenien, vertreten durch VMÖ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A.II.) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als "bP" bzw. "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger von Armenien, brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise am 18.07.2012 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Zusammengefasst brachte die bP im ersten Verfahren vor, dass sie bei einer Schlägerei in einem Restaurant dem Opfer zu Hilfe kommen wollte. Dabei sei sie auch selbst geschlagen worden. Das Opfer sei infolge der Schlägerei seinen Verletzungen erlegen. Die bP habe daraufhin bei der Polizei Angaben über die Täter gemacht, worauf sie diese zu einer Falschaussage genötigt und mit dem Umbringen bedroht habe, falls die bP ihre Aussage nicht zurücknehme.

I.2. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.11.2012, Zl. 12 09.129, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien verfügt (Spruchpunkt III.).

I.3. Die gegen diesen Bescheid von der bP fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14.3.2013, Zl. E13 431.293-1/2012-4E, gem. §§ 3,8 und 10 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:

"Die bP hat Daten und Fakten dargelegt, welche im Internet leicht zu recherchieren seien. Soweit die bP durch Nachfragen angehalten wurde, die behauptete Verwicklung in die Rauferei darzulegen, schilderte sie ihre persönliche Betroffenheit nicht lebensnah und plausibel.

Der bP ist es auch nicht gelungen, die behauptete Nötigung zu einer Falschaussage durch die Polizei stimmig und glaubhaft darzulegen, zumal in Ansehung der notorischen Kenntnisse die Täter vor Ort verhaftet wurden, die Polizei und der Lokalbesitzer die vollständige Aufklärung des Vorfalles zusagten und der Vorfall durch internationale Medien verfolgt und verbreitet wurde. Die Verdächtigen wurden festgenommen und der armenischen Gerichtsbarkeit übergeben. Weshalb die bP zu einer Falschaussage durch die Polizei angehalten worden sein sollte, vermochte sie nicht plausibel darzulegen.

Auch die Inhaftierung vermochte die bP nicht glaubhaft zu schildern. Exemplarisch sei erwähnt, dass sie nicht in der Lage war, den Tag, an welchem sich der Vorfall ereignet haben soll, zu benennen. Auch die Angaben zur Uhrzeit stehen nicht mit den im Internet öffentlich zugängigen Quellen in Einklang. So soll sich der Vorfall laut bP zwischen 20.00 und 21.00 Uhr ereignet haben, während etwa in Wikipedia und anderen im Internet abrufbaren Artikeln von 23.000 Uhr die Rede ist.

Es ist nicht plausibel, wenn die bP behauptete, dass sie festgenommen, im Polizeirevier festgehalten und geschlagen worden sei, folglich jedoch die Frage, warum sie gerade nach 2 1/2 Tagen freigelassen wurde, damit beantwortete, dass die Polizei Personen freilassen müsse, wenn sie keine Beweise habe. Es ist nicht plausibel, dass sich die Polizei zwar hinsichtlich Festnahme und Misshandlung über die gesetzlichen Bestimmungen hinwegsetzt, sich aber umgekehrt hinsichtlich der Festhaltedauer mangels Beweisen an die gesetzlichen Bestimmungen hält, dann aber die bP einige Male zu Hause gesucht haben soll. Zur Begründung der Festnahme gab die bP nur lapidar an, dass sie einfach festgehalten worden sei. Eine Festnahme wurde im Rahmen der Erstbefragung gar nicht erwähnt.

Wenn die bP wenig konkret und ohne nähere Darlegung der Umstände angab, dass auch ihre Familie bedroht worden sei, vermag das ihre Glaubwürdigkeit nicht zu untermauern, zumal sie diesen Umstand im Rahmen der Erstbefragung nicht erwähnte und somit ihr Vorbringen steigerte. Darüber hinaus wurde nicht dargelegt, wie die Familie konkret bedroht worden sein soll. Erst im Rahmen der Beschwerdeschrift wurde ausgeführt, dass man der Familie gedroht habe, sie zu verprügeln, ohne allerdings objektivierbare Beweismittel vorzulegen.

Die Verfolgung der bP sei auch insofern nicht glaubhaft, als sie mit ihrem eigenen, ihr offenbar problemlos ausgestellten Reisepass ausgereist ist."

I.4. Die bP stellte am 20.9.2013 einen zweiten Antrag auf internationalem Schutz. Dazu wurde sie erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen.

Die bP brachte zum zweiten Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen vor, dass es sich um eine Weiterführung ihrer damaligen Gründe nur mit dem Unterschied handle, dass sie nach ihrer Rückkehr zu Hause sowohl telefonisch als auch persönlich bedroht worden sei, dass man ihr oder ihrer Familie etwas antun würde.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde gab die bP im Wesentlichen an, dass die Fluchtgründe aus dem ersten Verfahren aufrecht seien. Sie sei nach ihrer Rückkehr nach Armenien nicht direkt belästigt oder bedroht worden, weil sie nicht zu Hause gewesen sei. Die Familie sei wegen der bP bedroht worden.

I.5. Mit Bescheid der belangten Behörde (idF bB) vom 28.10.2013, Zl. 1313.601-EAST Ost wurde der Antrag der bP gemäß § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 idgF (AVG) zurückgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG wurde die bP aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen (Spruchpunkt II).

I.6. Die Ergebnisse der vom Asylgerichtshof im Herkunftsstaat der bP veranlassten Erhebungen - welche die Angaben der bP entgegenstanden - wurden den Verfahrensparteien mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 18.12.2013 im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und diese zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen 14 Tagen eingeladen.

Die bP führte mit Schreiben vom 7.1.2014 aus, dass sie das Ergebnis der Beweisaufnahme mit Bedauern zur Kenntnis nehme und eine Deutschkursbesuchsbestätigung A2 vorlege.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 21.01.2014 wurde die Beschwerde gemäß §§ 68 Abs. 1 AVG 1991, BGBl. I Nr. 51/1991 idgF abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Festgehalten wurde unter anderem:

Das Verfahren hinsichtlich des ersten Antrages der bP wurde bereits mit Entscheidung vom 14.3.2013 rechtskräftig negativ abgeschlossen und wurde das Vorbringen als unglaubwürdig erachtet.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Würdigung der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren vollinhaltlich an, dass die bP nunmehr keinen Sachverhalt vorgebracht hat, welcher die Führung eines neuerlichen inhaltlichen Asylverfahrens erforderlich machen würde.

Der bP war es auch mit der bloß apodiktisch in der Beschwerde aufgestellten und in keiner Weise konkretisierten Behauptung, dass das Verfahren mangelhaft und die Beweiswürdigung unrichtig sei, nicht möglich, dem Bescheid der belangten Behörde substantiiert entgegenzutreten. Vor allem zeigen der Akteninhalt bzw. die Protokolle der Einvernahmen, dass die belangte Behörde bemüht war, den Sachverhalt zu ermitteln und die wesentlichen Elemente zu erfragen.

"Wenn im Beschwerdeverfahren behauptet wird, dass hinsichtlich des nunmehrigen Vorbringens, ein neuer - § 68 AVG nicht zugänglicher - Sachverhalt vorliege, vermag das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsmeinung nicht zu teilen, da die Gefährdung wiederum auf das bereits erstattete und als unglaubwürdig erachtete Vorbringen gestützt wurde bzw. letztlich darauf zurückzuführen ist, und damit diesbezüglich ein Fortwirken des im ersten Asylverfahrens vorgetragenen Sachverhaltes behauptet wird. Die bP hat im Übrigen bereits im ersten Asylverfahren behauptet, dass auch ihr Familie bedroht würde (s. auch Beweiswürdigung im Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14.3.2013, S 34f). Dazu kommt, dass sie sich im ggst. Verfahren zwischen Erstbefragung und niederschriftlicher Einvernahme insofern widerspricht, als sie bei der Erstbefragung angab, dass die Änderung des Sachverhaltes darin bestehe, dass sie zu Hause persönlich als auch telefonisch bedroht wurde (AS 15), während sie gegenüber dem BAA angab, dass sie nicht direkt belästigt oder bedroht wurde, weil sie nicht zu Hause war (AS 35). Das Bundesverwaltungsgericht kann daher ebenso wie die belangte Behörde keine wie auch immer geartete Änderung des Sachverhaltes gegenüber dem ersten Asylverfahren erkennen.

Dazu kommt, dass sich die von der bP vorgelegte Zeugenladung im Rahmen der Überprüfung im Herkunftsstaat der bP als Fälschung herausstellte, was von der bP im Rahmen des Parteiengehörs letztlich "mit Bedauern" zur Kenntnis genommen wurde. Im Übrigen ergaben Erhebungen in anderen Asylverfahren betreffend den von der bP angesprochenen Vorfall im Restaurant XXXX , dass es gegen die Verantwortlichen zu Gerichtsverfahren gekommen ist und keine Hinweise darauf bekannt sind, dass Zeugen unter Druck gesetzt wurden oder unter Zwang stünden. Der Vollständiigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass es laut aktuellen Länderberichten in Armenien auch ein Zeugenschutzprogramm gibt."

I.7. Am 25.03.2014 stellte die bP den im Akt erliegenden Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG.

I.8. Am 10.10.2014 stellte die bP gegenständlichen dritten Asylantrag.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP erstbefragt Folgendes vor:

Ich kann auf keinen Fall nach Armenien zurückkehren. Ich habe dort Probleme. Vor ca. zwei Wochen habe ich von meinen Eltern in Armenien eine SMS bekommen, dass sie von unbekannten Nummern immer wieder Anrufe bekommen. Die Anrufer wollen meinen Aufenthaltsort wissen. Vor ca. 10 Tagen habe ich mit meinen Eltern telefoniert und am Telefon erzählten sie mir auch, dass sie telefonisch wegen mir ständig belästigt werden. Aus diesem Grund geht es mir psychisch sehr schlecht. Ich kann nachts nicht schlafen und bin sehr nervös. Ich habe auch ständige Kopfschmerzen. Die Anrufe bei meinem Eltern sind so weit gegangen, dass meine Mutter vor ca. 1 1/2 Monaten nach einem solchen Anruf mit der Rettung in das Krankenhaus eingeliefert werden musste. Meinen Eltern wurde nämlich telefonisch gedroht. Meine beiden noch in Armenien lebenden Brüder haben auch Angst und müssen manchmal bei Freunden und Verwandten übernachten. Sie haben Angst, die Wohnung in Armenien zu verlassen.

Vor einem Organwalter der belangten Behörde wiederholte die bP am 19.06.2017 neuerlich niederschriftlich einvernommen im Wesentlichen das Vorbringen. Befragt wie es gesundheitlich ginge führte die bP aus, dass es ihr sehr gut ginge.

Konkret zum Fluchtgrund gab die bP an:

F: Können Sie mir sagen, warum Sie erneut einen Asylantrag stellen? Nennen Sie Ihre konkreten individuellen Folgegründe dafür?

A: Im Juni 2012 wurde ich von mächtigen politischen einflussreichen Menschen gesucht und werde als Zeuge eines Überfalls auf einen Freund, der seinen Verletzungen erlag, mit dem Tode bedroht. Meine Eltern und Geschwister sind auch auf Flucht.

Als ehemaliger Abgeordneter im armenischen Parlament war XXXX einer der mächtigsten Politiker des Landes. Heute ist er der Vorsitzende der Fußballföderation und verkörpert ein stark vernetzte Organisation für Erpressung und Unterdrückung. Es liegen sehr viele Videos im Internet als Beweis, dass bei verschiedenen politisch motivierte Morde die in Armenien die in den letzten Jahren passierte, er die Finger drinnen hat. Er hat und würde heute noch Menschen in seinem Auftrag ermorden lassen. Er schickte bereits unter seiner Einflussnahme die Miliz zu meiner elterlichen Wohnung. Diese mißhandelten meine Mutter und schlugen auf meinen Vater ein. Seit damals habe ich weder zu meinen Eltern noch zu meinen Brüdern Kontakt und ich weiß nicht was mit ihnen bisher geschah. Ich werde als Zeuge eines Mordes, der von seinen Bodyguards verübt wurde, aufgefordert vor Gericht auszusagen. Von ihm persönlich kamen die Androhungen sollte ich meine Zeugenaussage wahrmachen, werden sie mich töten. Der Tote war mein Freund.

F: Haben Sie noch weitere Folgegründe?

A: Nein.

F: Wie oft wurden Ihre Eltern seit Ihrer Wiedereinreise in Österreich bedroht?

A: Das kann ich nicht sagen. Aber einige Male sind sie bei den Eltern gewesen. Die Mutter haben sie an den Haaren gezogen, den Vater haben sie geschlagen. Auch meine beiden Brüder wurden von unbekannten Schlägern bedroht und zusammengeschlagen.

F: Warum sind Ihre Eltern und Brüder nicht aus Armenien geflohen?

A: Es kann durchaus sein, dass sie derzeit nicht mehr in Armenien sind. Ich habe keine Informationen über sie.

F: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr nach Armenien?

A: Nach Jerewan kann ich auf keinen Fall zurückkehren. Ich weiß aus sicheren Quellen, dass mich die Leute des XXXX mich suchen und mich liquidieren werden.

Am 25.11.2015 sowie 19.06.2017 wurde eine Urkundenvorlage erstattet.

Vorgelegt wurde im Verfahren:

* Bestätigung über Vollmacht

* Militärausweis und weitere Militärunterlagen

* Diplom A2 Deutschkurs

* Einstellungszusage Fa. XXXX aus dem Jahr 2015

* Arbeitsvorvertrag FA XXXX GmbH vom Oktober 2015

* Fachpsychotherapeutischer Befund vom 06.08.2014 sowie vom 03.11.2015

* Einstellungszusage Fa XXXX vom Mai 2017

* Einstellungszusage XXXX Station vom Mai 2017

I.8. Der dritte, gegenständliche Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 idgF (AVG) zurückgewiesen (Spruchpunkt I).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich weder in der Sach- noch in der Rechtslage eine wesentliche Änderung im Vergleich zu jenem Erkenntnis ergab, in dem inhaltlich über den Antrag entschieden wurde.

Die Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltsrechts lägen nicht vor und insbesondere stelle eine Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der bP dar.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen.

Konkret wurde auszugsweise festgehalten:

"Ihre persönliche Glaubwürdigkeit wird dadurch erschüttert, als dass Sie vor dem gegenständlichen Asylverfahren bereits zwei Asylverfahren betrieben haben und es Ihnen dabei weder vor dem ehemaligen Bundesasylamt noch vor dem ehemaligen Asylgerichtshof, noch vor dem Bundesverwaltungsgericht gelungen ist als glaubwürdig in Erscheinung zu treten. Ihnen mangelt es an jeglicher Glaubwürdigkeit.

Auf der Grundlage mangelnder Glaubwürdigkeit haben Sie den gegenständlichen Asylantrag bloß damit begründet, dass Sie sich erneut darauf bezogen, dass Sie im Jahr 2012 von einer mächtigen Persönlichkeit verfolgt wurden. Denselben Sachverhalt brachten Sie schon beim ersten und zweiten Asylverfahren vor.

In Anbetracht der obigen Ausführungen handelt es sich dabei um keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe die sich nach rechtskräftigem Abschluss von vorangegangenen Asylverfahren zugetragen haben!"

...

"Während der Einvernahme beim BFA am 19.06.2017, gaben Sie die gleichen Fluchtgründe an, wie bereits bei Ihren vorherigen Asylverfahren. Sie haben keine neuen asylrelevanten Fluchtgründe vorgebracht, noch sind seit der rechtskräftigen Entscheidung über Ihren zweiten Antrag auf internationalen Schutz neue Tatsachen entstanden die für eine Erteilung von internationalem Schutz oder subsidiären Schutz sprechen würden."

I.9. Gegen den gegenständlichen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben und wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Ausführungen vorgebracht, dass der bekämpfte Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie unrichtiger Beweiswürdigung aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten werde.

Die Behörde hätte den Ermittlungspflichten nicht entsprochen und würde aus den Länderberichten die vorhandene Korruption hervorgehen. Zudem erfülle die bP die Kriterien für die Verleihung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen.

Vorgelegt wurden:

* Vorvertrag Fa XXXX vom Jänner 2014

* Deutschkursbestätigung A2

* Bestätigung Rotes Kreuz aus dem Jahr 2014

* Deutschkursbesuchsbestätigung B1 aus dem Jahr 2014

* Blutspendeausweis

* Ankündigung Project und Facility Management vom Mai 2017

I.10. Die Beschwerdevorlage langte am 18.09.2017 beim BVwG in der Außenstelle Linz ein.

I.11. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 25.03.2019 wurde der bP Gelegenheit gegeben, Änderungen hinsichtlich des Privat- und Familienlebens bekannt zu geben und eine Stellungnahme zu den übermittelten Länderfeststellungen abzugeben.

Innerhalb der gewährten Frist bzw. bis dato langte keine Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1.1. Feststellungen zur Person

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den in Punkt I dargelegten Ausführungen.

Bei der beschwerdeführenden Partei handelt es sich um einen im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörigen Armenier, welcher aus einem überwiegend von Armeniern bewohnten Gebiet stammt und sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennt. Sie besuchte 10 Jahre die Schule in Armenien und war dort Berufssportler. Darüber hinaus hat sie als Maler gearbeitet.

Die beschwerdeführende Partei ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage. Es war ihr bereits vor der Ausreise möglich, in Armenien für den Lebensunterhalt zu sorgen. In Armenien leben darüber hinaus die Eltern und zwei Brüder der bP.

Die bP hat keine familiären oder relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die privaten Anknüpfungspunkte ergaben sich aus der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet und der damit typischer Weise entstehenden sozialen Kontakte. Die bP ist lediglich Mitglied in einem Gewichtheberclub. Sie hat freiwillig beim Roten Kreuz im Jahr 2014 mitgearbeitet. Es liegen Einstellungszusagen und Unterstützungsschreiben vor.

Die bP reiste rechtswidrig und schlepperunterstützt in Österreich ein. Von Juli 2012 bis März 2013 war sie in Österreich aufhältig. Danach war sie für ca. 6 Monate in Armenien. Seit dem Folgeantrag im September 2013 ist sie durchgehend in Österreich aufhältig. Sie lebte von der Grundversorgung, ist nicht selbsterhaltungsfähig, noch keiner Arbeit nachgegangen und hat die A2 Prüfung abgelegt.

Die Identität der bP steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Armenien

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf schon die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus den nunmehr aktuellen Länderfeststellungen geht hervor, dass in Armenien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen ist. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Auch ist davon auszugehen, dass in Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden. Festzustellen ist weiters, dass Armenien mit 14.02.2018 als sicherer Herkunftsstaat in die Herkunftsstaaten- VO aufgenommen wurde und sich die allgemeine Lage seit der ersten inhaltlichen Entscheidung bzw. auch erstinstanzlichen Entscheidung damit in wesentlichen Punkten verbessert hat, da notorisch bekannter Weise eine Vielzahl von Kriterien erfüllt sein müssen, um in diese Liste aufgenommen zu werden.

Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hat etwas über 3 Millionen Einwohner (2016). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 26.9.2018).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik. Die Verfassung von 2005 wurde zuletzt durch Referendum vom 6.12.2015 weitreichend geändert. Die Verfassungsreform sieht einen Übergang vom derzeitigen semi-präsidentiellen System zu einer parlamentarischen Demokratie vor. Diese Änderung wurde mit 63 % der Stimmen gebilligt. Das Ein-Kammer-Parlament (Nationalversammlung) hat nun 105 Mitglieder (zuvor 131) und wird alle fünf Jahre gewählt (AA 3.2018a).

Oppositionsführer Nikol Pashinyan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 8.5.2018). Paschinyan versprach vor der Abstimmung einen entschlossenen Kampf gegen Korruption und politische Verfolgung (WZ 8.5.2018).

Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Pashinyan unter dem Namen "Mein Schritt" erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei "Blühendes Armenien" (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei "Leuchtendes Armenien" unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Pashinyan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.2018a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/-/203090#content_0, Zugriff 16.10.2018

* ARMENPRESS - Armenian News Agency (10.12.2018): My Step - 70.44%, Prosperous Armenia - 8.27%, Bright Armenia - 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html, Zugriff 10.12.2018

* BBC News (8.5.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 16.10.2018

* CIA - Central Intelligence Agency (26.9.2018): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 16.10.2018

* EN - EurasiaNet.org (3.4.2017): Armenia: Voters Opt for More of the Same, http://www.eurasianet.org/node/83066, Zugriff 16.10.2018

* OSCE/ODIHR - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true, Zugriff 10.12.2018

* RFE/RL - Radio Free Europe/ Radiohttps://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html, Zugriff 10.12.2018

* WZ - Wiener Zeitung (8.5.2018): Oppositionsführer Paschinian wird Regierungschef, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/963598_Oppositionsfuehrer-Paschinian-wird-Regierungschef.html, Zugriff 16.10.2018

Sicherheitslage

Hinsichtlich Bergkarabach - das sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan beansprucht wird - besteht die Gefahr erneuter Feindseligkeiten aufgrund des Scheiterns der Vermittlungsbemühungen, der zunehmenden Militarisierung und häufiger Verletzungen des Waffenstillstands. Im Oktober 2017 trafen sich die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans unter der Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe, einer von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geleiteten Vermittlungsgruppe, in Genf und begannen eine Reihe von Gesprächen über eine mögliche Lösung des Konflikts. In den letzten Jahren haben Artilleriebeschüsse und kleinere Gefechte zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen Hunderte von Toten gefordert. Anfang April 2016 gab es die heftigsten Kämpfe seit 1994. (CFR 15.10.2018). Im Jahr 2017 gab es mehrere Verletzungen des Waffenstillstands entlang der Konfliktlinie zwischen den gegnerischen Streitkräften und anderswo an der zwischenstaatlichen Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien, die zu einer Reihe von Todesfällen und Verletzten führten (gov.uk 16.10.2018; vgl. CFR 15.10.2018).

Der Konflikt um die aserbaidschanische Region Bergkarabach sowie sieben angrenzende aserbaidschanische Provinzen bleibt ungelöst. Die Konfliktgebiete sind teilweise stark vermint. Entlang der Konfliktlinie und entlang der armenisch-aserbaidschanischen Staatsgrenze kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen mit Toten und Verletzten. Die Spannungen nehmen periodisch zu. Die Grenzübergänge ins aserbaidschanische Kerngebiet sind geschlossen (EDA 16.10.2018).

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan vereinbarten bei ihrem ersten Treffen am Rande des Gipfels der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, der am 27. und 28. September 2018 in Duschanbe stattfand, mehrere Schritte zum Abbau der Spannungen zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Streitkräften, wie z.B. die Installierung einer direkten "operativen" Kommunikationslinie zwischen den beiden Seiten und die Fortsetzung der diplomatischen Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts (Eurasianet 1.10.2018).

Quellen:

* CFR - Council on Foreign Relations (15.10.2018): Nagorno-Karabakh Conflict, https://www.cfr.org/interactives/global-conflict-tracker#!/conflict/nagorno-karabakh-conflict, Zugriff 16.10.2018

* EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (16.10.2018): Reisehinweise für Armenien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/armenien/reisehinweise-armenien.html, Zugriff 16.10.2018

* Eurasianet (1.10.2018): Aliyev and Pashinyan hold first talks, agree on tension-reducing measures, https://eurasianet.org/aliyev-and-pashinyan-hold-first-talks-agree-on-tension-reducing-measures, Zugriff 16.10.2018

* UK Gov (16.10.2018): Foreign travel advice, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/armenia, Zugriff 16.10.201

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte: die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wird weiterhin durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert, auch wenn durch Gesetzesänderungen im Rahmen der "Judicial Reforms Strategy 2012-2016" gewisse Fortschritte, insbesondere bei der richterlichen Unabhängigkeit, zu verzeichnen sind. Die neue Verfassung hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Einige Beamte in leitenden Funktionen der Justiz haben keine juristische Ausbildung. Verfahrensgrundrechte wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - soll in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet sein. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es hingegen insoweit Fortschritte, als die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 17.4.2018).

Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 1.2018).

Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Das Kassationsgericht nimmt eine dominante Stellung ein. Es diktiert den Ausgang aller wichtigen Fälle der niederen Gerichtsbarkeit. Diese Kontrolle seitens des Kassationsgerichts bleibt das dominante Problem, das die Unabhängigkeit der Justiz beeinflusst. Richter unterliegen weiterhin politischem Druck von allen Ebenen der Exekutive, speziell seitens der Rechtsvollzugsorgane. Richter haben keine lebenslange Amtszeit, wodurch sie der Kündigung ausgesetzt sind und keine wirksamen Rechtsmittel besitzen. Vormalige Entlassungen von Richtern wegen ihrer unabhängigen Entscheidungen haben immer noch eine einschüchternde Wirkung auf die Justiz als Ganzes. Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber der Justiz fehlt weitgehend die Unabhängigkeit, um dieses Recht durchzusetzen. Das Gesetz sieht die Unschuldsvermutung vor, aber Verdächtigen wird dieses Recht in der Regel nicht zugestanden. Während der Gerichtsverhandlungen informieren die Behörden die Angeklagten ausführlich über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen und das Gesetz verlangt, dass bei Bedarf fremdsprachige Dolmetscher für nicht-armenisch Sprechende zur Verfügung gestellt werden (USDOS 20.4.2018).

Obwohl die Bürger Zugang zu Gerichten haben, um Klagen auf Schadenersatz wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen einzureichen, werden die Gerichte weithin als korrupt wahrgenommen. Die Bürger haben auch die Möglichkeit, vor dem Verfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten anzufechten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzen. Nach Ansicht von Juristen halten sich die Gerichte der unteren Instanzen nicht an die Präzedenzfälle des Kassationsgerichts, des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder des Verfassungsgerichts. Während zivil- und verwaltungsrechtliche Gerichtsverfahren zwar mit einem höheren Maß an Unabhängigkeit geführt werden, besteht bei Strafverfahren ein Mangel an Unabhängigkeit, wodurch es zu einer allgemeinen Diskreditierung des Justizsystems kommt (USDOS 20.4.2018).

Der Machtmissbrauch unter armenischen Beamten ist nach wie vor grassierend und unkontrolliert. Ein solcher Missbrauch manifestiert sich zum Teil in der Verankerung von Korruption in staatlichen Institutionen. In den letzten zwei Jahren gab es jedoch mehrere Fälle von Verhaftungen und Strafverfolgung von Beamten und sogar Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden wegen korruptionsbezogener Verbrechen und Machtmissbrauch, was einen Trend bestätigt, der zumindest darauf abzielt, die Schwere und Anzahl der flagranteren Amtsmissbräuche zu begrenzen und zu verringern (BS 2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018; Armenia Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427376/488336_en.pdf, Zugriff 16.10.2018

* FH - Freedom House Ä(1.2018): Freedom in the World 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442337.html, Zugriff 16.10.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 16.10.2018

Sicherheitsbehörden

Die Polizei und der Nationale Sicherheitsdienst (NSD) sind direkt der Regierung unterstellt. Ein Innenministerium gibt es nicht. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt: So ist für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen. Hin und wieder treten aber Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 17.4.2018).

Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Richter verweigern der Polizei ebenso selten einen Haftbefehl, wie sie kaum das Verhalten der Polizei während der Arrestzeit überprüfen. Laut einigen Beobachtern setzt die Polizei überlange Untersuchungshaft als Mittel ein, um die Angeklagten dazu zu bringen, ihre Schuld einzugestehen oder selbstbelastende Beweise vorzubringen (USDOS 20.4.2018).

Die Rechenschaftspflicht der Polizei angesichts des übermäßigen Einsatzes von Gewalt gegen weitgehend friedliche Demonstranten, die im Juli 2016 in Jerewan gegen die Regierung demonstrierten, war begrenzt, als Hunderte von Personen verletzt und willkürlich verhaftet wurden. Dutzende von Demonstranten wurden wegen angeblicher Verletzung der öffentlichen Ordnung und anderer Straftaten strafrechtlich verfolgt. Die strafrechtliche Untersuchung von Vorwürfen des Machtmissbrauchs durch Polizeibeamte führte zu keiner Strafanzeige (AI 22.2.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424997.html Zugriff 16.10.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 16.10.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Armenien ist Signatarstaat des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Anwendung von Folter ist nach Art. 26 der Verfassung verboten. Das armenische Strafgesetzbuch wurde mittlerweile um eine Definition und die Kriminalisierung von Folter ergänzt (in Übereinstimmung mit der UN-Konvention gegen Folter). Allerdings fehlen bisher weitere Ergänzungen des Strafgesetzbuches, um Folter vorzubeugen und Straflosigkeit zu verhindern. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systematisch Folter praktiziert wird. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 17.4.2018).

Menschenrechtsorganisationen berichten aber immer wieder glaubwürdig von Fällen, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll, etwa um Geständnisse zu erhalten. Betroffene beschweren sich nur selten, weil sie Repressalien befürchten (AA 17.4.2018, vgl. USDOS 20.4.2018). Misshandlungen finden auf Polizeistationen statt, die im Gegensatz zu Gefängnissen und Polizeigefängnissen nicht der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten gab es keine ausreichenden verfahrensrechtlichen Garantien gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie z.B. den Zugang zu einem Anwalt durch die zur Polizei als Zeugen geladenen Personen sowie die Unzulässigkeit von Beweisen, die durch Gewalt- oder Verfahrensverletzungen gewonnen wurden. Nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern führen Ermittlungen wegen mutmaßlicher polizeilicher Misshandlungen kaum zu strafrechtlichen Sanktionen gegen Strafverfolgungsbeamte. Menschenrechtsanwälte verwiesen auf voreingenommene Justiz- und Ermittlungspraktiken in Folterfällen und auf die Praxis, Ermittlungen über mögliche falsche Anschuldigungen einzuleiten, wenn ein Opfer von Folter den Missbrauch anzeigt (USDOS 20.4.2018).

Das Anti-Folter-Ausschuss der Vereinten Nationen (CAT) zeigte sich weiterhin besorgt ob der Berichte, dass erzwungene Geständnisse in der Praxis immer noch als Beweismittel vor Gericht verwendet werden, und wegen der Vorwürfe hinsichtlich der Folter- und Misshandlung durch Organe der Strafverfolgung, der Mängel bei der wirksamen Untersuchung und Verfolgung diesbezüglicher Beschwerden, insbesondere durch den Sonderermittlungsdienst, sowie die Diskrepanz zwischen der Anzahl der aufgezeichneten Beschwerden über Folter und der besonders geringen Anzahl der daraus resultierenden Untersuchungen und Verfolgungen (CAT 26.1.2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* CAT - UN Committee Against Torture (26.1.2017): Concluding observations on the fourth periodic report of Armenia [CAT/C/ARM/CO/4], https://www.ecoi.net/en/file/local/1151639/1930_1485421506_g1701892.pdf, Zugriff 8.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 8.11.2018

Korruption

Zu den gravierenden Demokratiedefiziten kommt die grassierende Korruption, vor allem im staatlichen Gesundheitswesen, der öffentlichen Verwaltung und der Gerichtsbarkeit. Die Korruption wird, neben dem Oligarchentum, als größtes Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung und den Aufbau einer Zivilgesellschaft Armeniens gesehen. Zwar entspricht die Gesetzgebung zur Bekämpfung der Korruption im Wesentlichen internationalen Standards; zuletzt wurde im Juni 2017 ein "Anti-Korruption"-Gesetzespaket verabschiedet. Ein wachsendes Bewusstsein ist festzustellen, aber es mangelt an der konsequenten Umsetzung (AA 17.4.2018).

Es gab zahlreiche Medienberichte über systemische Regierungskorruption in Bereichen wie Bauwesen, öffentliche Verwaltung, Justiz, Beschaffungspraktiken und Bereitstellung von Zuschüssen durch den Staat (einschließlich der Präsidialverwaltung), Gesundheitswesen, Steuern, Strafverfolgung, Bildung und Militär. Vorwürfe gab es auch wegen Veruntreuung staatlicher Gelder, der Beteiligung von Regierungsbeamten an fragwürdigen Geschäftsaktivitäten sowie von Steuer- und Zollprivilegien für regierungsnahe Unternehmen (USDOS 20.4.2018).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2017 belegte Armenien den Rang 107 von 180 Staaten (2016: Platz 113 von 176) und erhielt einen Wert von 35 auf einer Skala von 100 [100 ist der beste, 0 der schlechteste Wert] bezüglich der Korruption im öffentlichen Sektor (TI 2017).

Ein Bericht der armenischen Generalstaatsanwaltschaft besagt, dass die Zahl der von den Strafverfolgungsbehörden des Landes in der ersten Jahreshälfte 2018 eingeleiteten Korruptionsuntersuchungen mehr als doppelt so hoch ist wie in der ersten Jahreshälfte 2017. Im ersten Halbjahr 2018 wurden 786 Verfahren eingeleitet, von denen 579 zu Strafverfahren führten. Die Zunahme wird auf eine stärkere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Strafverfolgungsbehörden und die größere Rolle der Gesellschaft bei der Meldung von Korruptionsfällen zurückgeführt (Hetq 7.9.2018).

Ministerpräsident Pashinyan, für dessen Regierung die Korruptionsbekämpfung ein hochrangiges Ziel darstellt, berichtete im Juli 2018, dass innerhalb zweier Monate bereits 20,6 Milliarden Armenische Dram (36,8 Millionen Euro) an Geldern aus Steuerhinterziehungen sichergestellt wurden. Betroffen waren 73 Unternehmen, denen Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. Die Summe bezog sich ausschließlich auf die Steuerschuld (Haypress 13.7.2018, vgl. JAMnews 24.7.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* Haypress (13.7.2018): Armenien: Paschinjans Regierung holt 42 Mio. Dollar an Steuerhinterziehung zurück, https://haypressnews.wordpress.com/2018/07/13/armenien-paschinjans-regierung-holt-42-mio-dollar-an-steuerhinterziehung-zurueck/, Zugriff 9.11.2018

* JAMnews (24.7.2018): Armenia's fight against corruption: a JAMnews series on the first steps of the new Armenia, https://jam-news.net/armenias-fight-against-corruption-a-jamnews-series-on-the-first-steps-of-new-armenia/, Zugriff 9.11.2018

* Hetq (7.9.2018): Armenia: Criminal Investigations of Corruption More than Double, https://hetq.am/en/article/92788, Zugriff 9.11.2018

* TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/country/ARM, Zugriff 9.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 9.11.2018

NGOs und Menschrechtsaktvisten

Der NGO-Sektor ist zwar konsolidiert und recht gut entwickelt, jedoch von der breiteren Gesellschaft losgelöst. Eine völlig neue Entwicklung ist der Aufstieg des zivilen Aktivismus einer neuen Art: fallbezogen, weitgehend spontan, meist von Jugendlichen betrieben und von sozialen Medien angetrieben. Der Einfluss der Zivilgesellschaft wird im Allgemeinen dadurch eingeschränkt, dass es dem Staat nicht gelingt, sie in einen konstruktiven Dialog einzubinden oder ihr eine Rolle in der öffentlichen Debatte oder bei der Formulierung von Politik einzuräumen. Sowohl bei der Anzahl als auch bei der Tätigkeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen wurden weitere Fortschritte erzielt, wobei eine größere Bandbreite von zivilen und nicht-staatlichen Organisationen (NGOs), die sich mit einem breiten Spektrum von Themen befassen, vertreten ist (BS 2018).

Die armenische Zivilgesellschaft ist frei von übermäßigen finanziellen und administrativen Beschränkungen, denen Pendants in vielen post-sowjetischen Staaten ausgesetzt sind. Trotz dieses positiven regionalen Ansehens sind die zivilgesellschaftlichen Organisationen eher schwach in ihrer Fähigkeit, die Politik über formale Kanäle zu beeinflussen. Die größten Herausforderungen für NGOs sind schwache Kapazitäten und finanzielle Nachhaltigkeit. Inländische Organisationen sind stark von ausländischen Zuwendungen abhängig, obwohl viele von ihnen eine Diversifizierung der Finanzierungsquellen anstreben. Nach eingehenden Konsultationen mit der Zivilgesellschaft verabschiedete die Nationalversammlung Ende 2016 ein neues Gesetz über NGOs und änderte mehrere Rechtsvorschriften über öffentliche Organisationen und Stiftungen. Unter anderem erleichterte die Gesetzgebung die Registrierungsprozesse und Möglichkeit unternehmerischer Aktivitäten zu entfalten, was der Zivilgesellschaft helfen dürfte, ihre finanzielle Nachhaltigkeit zu verbessern (FH 11.4.2018).

Quellen:

* BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018; Armenia Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427376/488336_en.pdf, Zugriff 9.11.2018

* FH - Freedom House (11.4.2018): Nations in Transit 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1429159.html, Zugriff 9.11.2018

Ombudsperson

Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte "Ombudsperson für Menschenrechte" muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen (AA 17.4.2018). Die Ombudsperson bietet Personen Schutz, deren Menschenrechte und Freiheiten von staatlichen oder lokalen Behörden verletzt wurden. Auf breiterer Ebene schützt und fördert die Ombudsperson die Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Einzelpersonen (und juristischen Personen), indem sie die Menschenrechtssituation im Land beobachtet, individuelle Beschwerden bearbeitet und sich an der Verbesserung des nationalen Rechtsrahmens im Einklang mit international anerkannten Menschenrechtsstandards beteiligt. 2015 wurde das Mandat der Ombudsperson auf den Privatsektor ausgedehnt und ein neues Verfassungsgesetz über Ombudsperson im Einklang mit den Verfassungsänderungen ausgearbeitet. Nach dem neuen Gesetz ist die Ombudsperson für private Unternehmen im Bereich Gesundheit, Bildung und Kultur zuständig. Mit der Umsetzung des neuen Gesetzes im September 2016 ist die Ombudsperson direkt in den Prozess der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen eingebunden und verfügt über einen ständigen Vertreter in der Nationalversammlung (ENNHRI 19.12.2017).

Mit den im März 2017 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen wurde der Zuständigkeitsbereich des Büros der Bürgerbeauftragten erweitert. Es kann Gesetzesvorschläge einbringen, Rechtsvorschriften aus Menschenrechtssicht überprüfen, förmliche Gutachten durchführen und Empfehlungen zu Rechts- und Rechtsvollzugsmängeln abgeben. Experten zufolge reichten jedoch der Grad der Ermächtigung und die Ressourcen des Büros der Ombudsperson nicht aus, um das neue Mandat des Büros umzusetzen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* ENNHRI - European Network of National Human Rights Institutions (19.12.2017): The Human Rights Defender of the Republic of Armenia, http://ennhri.org/The-Human-Rights-Defender-of-the-Republic-of-Armenia, Zugriff 9.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 9.11.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und -freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt. Presse und Menschenrechtsorganisationen berichten allerdings nachvollziehbar von Fällen willkürlicher Festnahmen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Angehörige der Sicherheitsbehörden in Einzelfällen ihre Machtposition in privaten Streitigkeiten ausnutzen (AA 17.4.2018).

Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierung; mangelnde Unabhängigkeit der Justiz; fehlende faire Gerichtsverfahren; Gewalt gegen Journalisten; Einmischung in die Freiheit der Medien, wobei die staatliche Justizbehörde zur Bestrafung kritischer Inhalte herangezogen wurde; physisches Einschreiten von Sicherheitskräften bei Versammlungen; Beschränkungen der politischen Partizipation; systemische Regierungskorruption; mangelnder Schutz von Mitgliedern sexueller Minderheiten und schlimmste Formen der Kinderarbeit, wobei die Regierung nur minimale Anstrengungen zur Abhilfe unternimmt. Die Regierung führt nur flüchtige Untersuchungen zu Berichten über Missbrauch durch Beamte durch. Strafverfolgungsbeamte machen sich oft ungestraft Vergehen schuldig, manchmal auf direkte Anweisung von Vorgesetzten (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 15.11.2018

Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung schützt die Freiheit der Meinung, Information, Medien und anderer Informationsmittel (AA 17.4.2018, vgl. USDOS 20.4.2018). Es gibt offiziell keine Zensur. Kritik an der Regierung und ihren Vertretern wird generell mit Ausnahme einiger Tabuthemen (u. a. Stellung der Frau in der Gesellschaft, Schutz der sexuellen Minderheiten vor Verfolgung und Diskriminierung, der Bergkarabach-Konflikt, Misshandlung von Rekruten in den Streitkräften) geduldet. Viele Journalistinnen und Journalisten neigen zur Selbstzensur. Üble Nachrede und Verleumdung werden nach einer Gesetzesänderung nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Betroffenen steht stattdessen der zivilrechtliche Klageweg offen. Die Zahl der zivilrechtlichen Klagen gegen Medien und Journalisten hat in der Folge stark zugenommen, und es ergingen eine Reihe unverhältnismäßig hoher Geldstrafen (AA 17.4.2018).

Die Regierung versucht, die Medien für eine positive oder unkritische Berichterstattung zu beeinflussen. Rundfunk- und viele auflagenstarke Printmedien äußern sich im Allgemeinen positiv gegenüber ihren Eigentümern oder Werbetreibenden - einer Mischung aus Regierungsbeamten und wohlhabenden Geschäftsleuten. Währenddessen sind Print- und Online-Outlets eher kritisch (USDOS 20.4.2018, vgl. FH 11.4.2018). Es gab mehrere Fälle von Gewalt gegen Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über Wahlen und andere lokale Entwicklungen (USDOS 20.4.2018). Das Internet bleibt weitgehend außerhalb der Kontrolle der Behörden und dient als alternative und immer beliebtere Informationsquelle sowie als einflussreiches Instrument der Politik. Allerdings zeigten sich 2017 beunruhigende Anzeichen für eine Manipulation der Online-Informationslandschaft des Landes (FH 11.4.2018).

Die Printmedien sind vielfältig und polarisiert, der investigative Journalismus floriert online, aber der Pluralismus hinkt in den Rundfunkmedien hinterher. Gesetzesinitiativen, die das Recht auf Zugang zu Informationen einschränken und die Transparenz öffentlicher Einrichtungen verringern, geben Anlass zur Sorge. Im Jahr 2017 wurden mindestens 30 Verleumdungsklagen gegen den Gründer der Website Sut.am in Zusammenhang mit der Berichterstattung über angeblichen Wahlbetrug eingereicht. Bei körperlichen Angriffen auf Journalisten herrscht weitgehend Straffreiheit. Armenien fiel 2018 um einen Rang in der Länderwertung auf Platz 80 von 180 Staaten zurück (RWB 2018).

Der OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Harlem Désir, begrüßte anlässlich eines Treffens mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Armeniens, Nikol Pashinyan, Ende Oktober 2018 die von den Behörden geäußerte Zusage, die Medienfreiheit als Eckpfeiler der Demokratie zu stärken. Désir forderte die Behörden auf, der Sicherheit von Journalisten Vorrang einzuräumen und gegen Bedrohungen und Einschüchterungen vorzugehen, denen Medienvertreter ausgesetzt sein könnten. Er betonte, wie wichtig Maßnahmen sind, um den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen weiter zu erleichtern, und Reformen, die die Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht der öffentlich-rechtlichen Medien und der Nationalen Kommission für Fernsehen und Radio gewährleisten (OSCE 25.10.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* FH - Freedom House (11.4.2018): Nations in Transit 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1429159.html, Zugriff 15.11.2018

* OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (25.10.2018): OSCE media freedom representative meets Acting Prime Minister of Armenia, encourages authorities to undertake reforms to bolster media freedom, https://www.osce.org/representative-on-freedom-of-media/400943, Zugriff 15.11.2018

* RWB - Reporters without Borders (2018): Armenia - mixed success, https://rsf.org/en/armenia, Zugriff 15.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 15.11.2018

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Versammlungsfreiheit

Die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit ist in der Praxis durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz eingeschränkt. Auch geht die Polizei weiterhin gelegentlich unangemessen hart gegen Demonstranten vor (AA 17.4.2018, vgl. USDOS 20.4.2018). Vertreter der Opposition haben teilweise mit Einschränkungen zu kämpfen. Die Interpretation des Gesetzes über die Versammlungsfreiheit erscheint mitunter willkürlich. Andererseits werden auch spontane Demonstrationen geduldet ( AA 17.4.2018).

Bei zahlreichen beobachteten Versammlungen war die Zahl der Polizisten überproportional, auch jener in Zivil. Während der Versammlungen vom 16. bis 23. April 2018 wurden zahlreiche Vorfälle mit unverhältnismäßigem Gewaltanwendung beobachtet. Eine große Zahl von Demonstranten, die gewaltsam zu den Polizeidienststellen gebracht wurden, wurde dort unter Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen und Verfahrensregeln festgehalten, während die Rechtsvertreter in ihrem Handeln behindert wurden. Nach dem 23. April jedoch gab es keine nennenswerten polizeilichen Eingriffe bei Demonstrationen. Darüber hinaus wurden ab dem Zeitpunkt zahlreiche Strafverfahren wegen Machtmissbrauchs durch Polizisten wegen Gewaltanwendung eingeleitet (HCA 2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (17.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

* HCA - Helsinki Committee of Armenia (2018): Monitoring Of Freedom Of Peaceful Assemblies (July 2017-June 2018, http://armhels.com/wp-content/uploads/2018/08/Peaceful_assemblies_monitoring_2017-2018_English.pdf, Zugriff 16.11.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 16.11.2018

Vereinigungsfreiheit

Die Vereinigungsfreiheit hat Verfassungsrang. Die Gesetzgebung entspricht im Wesentlichen internationalen Standard

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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