TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/17 G314 2200486-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.04.2020
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Entscheidungsdatum

17.04.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G314 2200486-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des ungarischen Staatsangehörigen XXXX, geboren amXXXX, vertreten durch die Rechtsanwältin Dr. Renate GARANTINI, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX06.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots A) beschlossen und B) zu Recht erkannt:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: "Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen."

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX03.2018 verhaftet und ab XXXX03.2018 in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde er zu einer 18-monatigen, teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20.03.2018 wurde der BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er kam dieser Aufforderung nach einer Fristerstreckung mit seiner Stellungnahme vom 22.05.2018 nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt. Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen Suchtgifthandels, dem Fehlen familiärer Bindungen in Österreich und dem Umstand, dass er sich lediglich während seiner Saisonbeschäftigung hier aufgehalten habe, begründet.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, mit der der BF primär die Behebung des angefochtenen Bescheids, in eventu die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots, - allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - anstrebt. Begründet wird dies zusammengefasst damit, dass ein schwerer Verfahrensfehler vorliege, weil er nicht persönlich einvernommen worden sei. Er sei nie einer illegalen Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe nicht Suchtgift von Deutschland nach Österreich gebracht. Die Beweiswürdigung der Behörde sei mangelhaft. Es sei nicht zulässig, allein aus der Begehung einer Straftat eine negative Zukunftsprognose abzuleiten. Bei ihm bestünde keine Wiederholungsgefahr. Seine näheren Lebensumstände, sein langjähriger, rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet, das im Strafverfahren abgelegte Geständnis und das positive Vollzugsverhalten seien nicht entsprechend berücksichtigt worden. Es liege auch eine Wiedereinstellungszusage seines bisherigen Arbeitgebers vor. Es gebe keine hinreichenden Gründe für die Annahme, dass von ihm eine tatsächliche, erhebliche und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe.

Der BF wurde am 02.07.2018 bedingt aus der Haft entlassen und am nächsten Tag nach Ungarn abgeschoben.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der am XXXX in der ungarischen Stadt XXXX geborene BF ist ungarischer Staatsangehöriger (Personalausweis AS 27). Er beherrscht die ungarische Sprache (Vollzugsinformation AS 67), spricht aber auch gut Deutsch (Stellungnahme AS 73 ff).

Der BF besuchte in Ungarn die Schule und machte eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Seine Lebensgefährtin und sein minderjähriger Sohn leben in Ungarn, ebenso seine Schwester. Er hat in Österreich keine Familienangehörigen, wohl aber Freunde und Bekannte (Stellungnahme AS 73 ff).

Der BF war im Bundesgebiet ab Mai 2005 mit saisonbedingten Unterbrechungen immer wieder als Arbeiter (zum Teil geringfügig) erwerbstätig, und zwar von 23.05. bis 11.09.2005, von 15.05. bis 31.08.2006, von 07.05. bis 23.10.2007, von 01.05. bis 10.11.2008, von 01.05. bis 08.11.2009, von 07.12.2009 bis 20.04.2010, von 07.05. bis 26.09.2010, von 18.10.2010 bis 30.04.2011, von 15.05. bis 26.09.2011, von 01.11.2011 bis 24.02.2012, von 01.03. bis 31.03.2012, von 28.09. bis 25.10.2012, von 01.07.2013 bis 30.09.2013, von 01.11.2013 bis 31.03.2014, von 13.05. bis 30.06.2014 (geringfügig), von 01.07.2014 bis 17.05.2015, von 15.06. bis 21.06.2015 (geringfügig), von 08.07. bis 12.07.2015 (geringfügig), von 01.08. bis 10.10.2015, von 01.11. bis 31.12.2015, von 07.01.2016 bis 04.03.2016, von 01.04. bis 29.05.2016, von 07.07. bis 09.07.2016, von 01.09. bis 04.09.2016, von 17.10.2016 bis 14.05.2017 und zuletzt von 12.09.2017 bis 25.03.2018. Zwischen 08.10. und 31.10.2011, zwischen 01.10. bis 31.10.2013, zwischen 06.04. und 30.06.2014, zwischen 18.05. und 31.07.2015 und zwischen 11.10. und 31.10.2015 bezog er Arbeitslosengeld (Versicherungsdatenauszug AS 89; Zwischenzeugnis AS 80). Während der Zeiten der saisonalen Beschäftigungslosigkeit hielt er sich bei seiner Familie in Ungarn auf, wo er im Ort XXXX wohnt (Stellungnahme AS 73 ff). Am 03.08.2007 und am 18.01.2010 wurde ihm jeweils eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt (IZR-Auszug).

Im österreichischen Bundesgebiet war der BF von Mai bis November 2008, von Dezember 2009 bis April 2010, von September bis November 2011 und von Februar bis März 2012 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Zwischen Mai und September 2005, zwischen Mai und August 2006, zwischen Mai und Oktober 2007, zwischen Mai und November 2009, zwischen Mai und September 2010, zwischen Oktober 2010 und Mai 2011, zwischen Mai und September 2011, zwischen November 2011 und Februar 2012, zwischen September 2012 und Juni 2013, zwischen November 2012 und März 2016 und zwischen Oktober 2016 und Juli 2018 bestanden jeweils Nebenwohnsitzmeldungen (ZMR-Auszug).

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde der BF wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, fünfter Fall sowie vierter Fall SMG (teils als Beteiligter nach § 12 StGB) ausgehend von einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei ein Strafteil von 12 Monaten bedingt (unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit) nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Jänner 2018 zumindest 16 g Cannabiskraut (Wirkstoff THCA und Delta-9-THC) aus Tschechien nach Österreich schmuggelte und es zwischen Jänner und Februar 2018 zwei Abnehmern überließ. Außerdem überließ er im Februar 2018 einem anderen Abnehmer zwei XTC-Tabletten (Wirkstoff MDMA) und verdeckten Ermittlern 4 XTC-Tabletten (teilweise als Beteiligter iSd § 12 StGB) sowie 1 g MDMA. Im Februar 2018 bot er verdeckten Ermittlern 3.000 XTC-Tabletten (gemeinsam mit einem Mittäter), 3.000 g Cannabiskraut und 50 g MDMA an. Letztlich schmuggelte er am 02.03.2018 gemeinsam mit einem Mittäter 2.000 XTC-Tabletten (als Beteiligter iSd § 12 StGB) von Deutschland nach Österreich und überließ sie verdeckten Ermittlern. Bei der Strafzumessung wurden die bisherige Unbescholtenheit, die geständige Verantwortung und die teilweise Sicherstellung des Suchtgifts als mildernd gewertet. Erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von drei Verbrechen und das vielfache Überschreiten der Mengengrenze aus. Es handelt sich um die erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung des BF (Strafregisterauszug; Strafurteil AS 59 ff).

Der BF verbüßte den unbedingten Strafteil in der Justizanstalt XXXX (Vollzugsinformation AS 67 f; ZMR-Auszug), wo er in der Anstaltsküche arbeitete (Stellungnahme AS 73 ff). Am 02.07.2018 wurde er unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen (Strafregisterauszug; Schreiben JA Wels AS 135).

Der BF ist gesund und arbeitsfähig (Stellungnahme AS 73 ff). Eine Einstellungszusage seines letzten Arbeitgebers für eine Beschäftigung als Kellner für die Zeit nach dem Strafvollzug liegt vor (Zwischenzeugnis AS 80).

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen.

Eine Kopie des Personalausweises des BF, aus dem auch sein Geburtsort hervorgeht, liegt vor. Ungarischkenntnisse sind angesichts seiner Herkunft und der in Ungarn absolvierten Ausbildung plausibel. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in Österreich, wo er als Kellner arbeitete, ist glaubhaft, dass er gut Deutsch spricht und hier einen Freundes- und Bekanntenkreis hat. Familiäre Bindungen im Inland werden vom BF weder in seiner Stellungnahme noch in der Beschwerde behauptet und lassen sich auch sonst den Verwaltungsakten nicht entnehmen.

Der BF schilderte seine Ausbildung und seine Familienverhältnisse in seiner Stellungnahme schlüssig und nachvollziehbar. Die Zeiten seiner Erwerbstätigkeit im Inland und des Arbeitslosengeldbezugs gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor; die Wohnsitzmeldungen werden anhand des Auszugs aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) festgestellt. Die dem BF ausgestellten Anmeldebescheinigungen sind im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert. Es ist glaubhaft, dass er sich in Ungarn bei seiner Familie aufhielt, wenn er nicht in Österreich erwerbstätig war. Damit in Einklang steht die in der Stellungnahme angegebene Wohnanschrift in Ungarn und der Umstand, dass ab 2012 in Österreich nur Nebenwohnsitzmeldungen bestanden, was indiziert, dass Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen woanders lag.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und dem Urteil des Landesgerichts XXXX. Der Beschwerdebehauptung, er habe nicht Suchtgift von Deutschland nach Österreich gebracht, ist entgegenzuhalten, dass er (gemeinsam mit einem anderen Täter) wegen der Einfuhr von XTC-Tabletten von Deutschland nach Österreich als Beteiligter nach § 12 StGB verurteilt wurde (siehe AS 62, Punkt 1.2 des Schuldspruchs) und sich in diesem Verfahren nicht darauf berufen kann, dass er die Tat, wegen der er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe.

Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig, zumal seine Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde. Die Feststellungen zum Strafvollzug werden anhand seiner Angaben in der Stellungnahme und der Vollzugsinformation getroffen, die zur bedingten Entlassung ergeben sich aus dem Strafregister und wurden von der Justizanstalt Wels in einem E-Mail an das BFA bestätigt.

Es liegen keine Beweisergebnisse für signifikante Erkrankungen des BF oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit vor. In seiner Stellungnahme bezeichnet er sich folgerichtig als gesund. Dies korrespondiert mit der vorgelegten Einstellungszusage seines langjährigen Arbeitgebers für die Zeit nach der Haftentlassung.

Es sind keine Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Zur in der Beschwerde behaupteten Verletzung des Parteiengehörs ist festzuhalten, dass allein der Umstand, dass der BF nicht persönlich vor dem BFA einvernommen wurde, das Parteiengehör nicht verletzt, wenn die Behörde dem Recht auf Parteiengehör auf andere geeignete Weise entspricht. Aufgrund der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme hatte der BF ausreichend Gelegenheit, im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme Stellung zu nehmen. Letztlich ist aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu äußern, von der Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen, zumal der angefochtene Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergibt (vgl. VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056).

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger (§ 2 Abs 4 Z 8 FPG) zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Bei Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen. Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs 1 FPG. § 53a Abs 1 NAG stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Auf dieser Grundlage darf nur bei Vorliegen von Gründen iSd § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden (vgl. zuletzt VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205). Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird gemäß § 53a Abs 2 Z 1 NAG von Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr nicht unterbrochen.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Der BF hielt sich ab 2005 immer wieder zu Erwerbszwecken in Österreich auf. Da er in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils weniger als sechs Monate im Jahr abwesend war, hat er gemäß § 53a Abs 1 iVm Abs 2 Z 1 NAG das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben. Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) anzuwenden. Da er sich im Jahr 2012 mehr als sechs Monate lang nicht im Bundesgebiet aufhielt, ist nicht von einem zehnjährigen kontinuierlichen Inlandsaufenthalt auszugehen ist. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG (nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich) ist nicht heranzuziehen, zumal der BF regelmäßig nach Ungarn zu seiner Kernfamilie zurückkehrte.

Aufgrund des arbeitsteilig ausgeführten, grenzüberschreitenden Handels mit großen Suchtgiftmengen, den der BF zu verantworten hat, geht von ihm eine so schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus, dass ein Aufenthaltsverbot gegen ihn notwendig ist, obwohl er das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht erworben hat, zumal § 28a SMG besonders qualifizierte Formen der Suchtgiftkriminalität erfasst (siehe VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155). Das persönliche Verhalten des BF stellt eine Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Gesundheit) berührt. Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249 sowie 01.04.2019, Ra 2018/19/0643). Aufgrund der gravierenden Delinquenz des BF und der daraus ableitbaren hohen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann für ihn trotz der langjährigen Erwerbstätigkeit im Inland und der Bereitschaft seines Arbeitgebers, ihn nach der Haft wieder zu beschäftigen, keine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Hier wurde der BF unmittelbar nach der Begehung der letzten Tat verhaftet und war danach bis Juli 2018 in Haft. Die seither verstrichene Zeit reicht noch nicht aus, um einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihm ausgehende Gefahr annehmen zu können.

Der BF hat kein Familienleben in Österreich und hält sich seit seiner Abschiebung im Juli 2018 nicht mehr im Inland auf. Da er hier erwerbstätig war, Sozialkontakte geknüpft hat und einen Arbeitsplatz in Aussicht hatte, greift das Aufenthaltsverbot in sein Privatleben ein. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privatleben des BF verhältnismäßig ist. Aufgrund der Suchtgiftkriminalität besteht ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Der BF kann die Kontakte zu in Österreich lebenden Freunden und Bekannten auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs, die aufgrund der Nähe seines Wohnorts zur österreichischen Grenze einfach möglich sind, pflegen. Es ist ihm zumutbar, eine Erwerbstätigkeit außerhalb Österreichs aufzunehmen. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.

Da der BF zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt wurde, sich im Strafverfahren geständig verantwortete, sodass der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft wurde, und eine vorzeitige bedingte Entlassung erfolgte, ist (auch unter Berücksichtigung der offenen Probezeit) ein dreijähriges Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Dadurch wird auch der erhöhten spezialpräventiven Wirkung des Erstvollzugs und seinem langjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt Rechnung getragen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher in diesem Sinn abzuändern.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Angesichts der schwerwiegenden Suchtgiftdelinquenz des BF, der unmittelbar nach seiner letzten Tat, die noch nicht lange zurückliegt, festgenommen wurde und danach mehrere Monate lang in Haft war, ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise nach der Enthaftung im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich war. Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden. Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte für einen Wegfall der durch seinen grenzüberschreitenden, arbeitsteilig durchgeführten Suchtgifthandel indizierten Gefährlichkeit.

Es liegen auch keine Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG vor, zumal der BF regelmäßig zu seiner in Ungarn lebenden Familie zurückkehrte, sodass es ihm zumutbar war, den Verfahrensausgang dort abzuwarten. Die Beschwerde ist daher in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall geringfügiges Verschulden Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen Unbescholtenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2200486.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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