TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/4 G304 2165643-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2020
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Entscheidungsdatum

04.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G304 2165643-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 20.02.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) auf internationalen Schutz vom 12.12.2018 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen, festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt II.), ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), und gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 dem BF aufgetragen, ab 12.12.2018 in einem bestimmten, näher angeführten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt V.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 15.03.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist irakischer Staatsangehöriger und wurde in Bagdad geboren.

1.2. Er stellte im Bundesgebiet am 10.07.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 27.06.2017 sowohl hinsichtlich des Status des Asyl- als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Gleichzeitig wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen.

Die Rückkehrentscheidung ist mit mündlicher Verkündung des Erkenntnisses in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG mit 05.07.2018 in Rechtskraft erwachsen.

Nach erneuter Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte der BF am 12.12.2018 seinen zweiten, nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge dessen gab der BF an, Mitte August 2018 mit einem Reisezug durch Deutschland durchgereist zu sein und sich von August 2018 bis 12.12.2018 (demnach bis zur Wiedereinreise und Folgeasylantragstellung in Österreich) in Belgien aufgehalten zu haben. Als Beweis für seine vorgebrachte Reise nach Belgien bzw. seinen Aufenthalt dort liegt ein "Laissez-Passer" bzw. ein entsprechender Meldenachweis vor.

Der vom BF am 12.12.2018 in Österreich gestellte Folgeantrag wurde mit Spruchpunkt I. des im Spruch angeführten Bescheides des BFA wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Der BF hat vor dem BFA gegenüber seinen Angaben im vorherigen, bereits rechtskräftig beendeten Asylverfahren neu vorgebracht, im Irak beim Militär gewesen zu sein und aufgrund seiner militärischen Vergangenheit schiitische Milizangehörige zu fürchten. Aus Angst vor einer Abschiebung habe er sich nicht früher davon zu berichten getraut, sei ihm doch gesagt worden, jeder Militärangehöriger werde abgeschoben. Der BF sei gebürtiger Palästinenser, sein Vater sei Sunnit und seine Mutter Schiitin. Religion spiele für ihn keine Rolle, da er jedoch Sunnit sei, werde er von der schiitischen Miliz bedroht. (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 27.12.2018, S. 2).

Festgestellt wird, dass der BF auch im Zuge seines vorherigen Asylverfahrens auf seine palästinensischen Wurzeln Bezug genommen hat.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergaben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

3.2. Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist, das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

3.3. Am 12.12.2018 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Spruchpunkt I. des im Spruch angeführten Bescheides des BFA vom 20.02.2019 gemäß § 68 Abs. 1. AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals zu überprüfen (Hinweis EB E 26.4.1995, 92/07/0197, VwSlg 14248 A/1995); die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens auf Grund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen. Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (VwGH 08.05.2008, Zl. 2004/06/0227).

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstückes des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10).

In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern auf Grund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, so hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrunde liegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, da diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11.;K17.).

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleich bleibender Sach- und Rechtslage stützen durfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhaltes nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. z.B. VwSlg. 5642A, VwGH 28.11.1968, 23.05.1995, 94/04/0081; zu Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagaegen auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99701/0321).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993; 91/04/0205; 26.04.1994; 93/08/0212; 30.1.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072) Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen.

Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an deneine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556; 26.07.2005, 2005/20/0343, mwN). Nimmt man daher eine positive Entscheidungsprognose an, dh. könnten die behaupteten neuen Tatsachen - gemessen an der dem Bescheid der Erstinstanz im Erstverfahren zu Grunde liegenden Rechtsanschauung - zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse (gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Urkunden) einzubeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. VwGH 19.7.2001, 99/20/0418; 16.02.2006, 2006/19/0380; 29.11.2005, 2005/20/0365; 22.11.2005, 2005/01/0626).

Das Bundesamt hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers oder mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen sein ließe, entgegen der Behauptung der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; 24.2.2000, 99/20/0173; 19.7.2001, 99/20/0418; 21.11.2002, 2002/20/0315; vgl. auch VwGH 9.9.1999, 97/21/0913, 4.5.2000, 98/20/0578; 4.5.2000, 99/20/0193; 7.6.2000, 99/01/0321; 21.9.2000, 98/20/0564; 20.3.2003, 99/20/0480; 4.11.2004, 2002/20/0391; vgl. auch 19.10.2004, 2001/03/0329; 31.3.2005, 20030/20/0468;, 30.6.2005, 2005/20/0365; 25.4.2007, 20040/20/0100; 17.9.2008, 2008/23/0684; 19.2.2009, 2008/01/0344).

3.4. Im gegenständlichen Fall berief sich der BF im Zuge seiner verfahrensgegenständlichen Asylantragstellung am 12.12.2018 auf dieselben Fluchtgründe wie im vorherigen Verfahren, und auf "weitere Gründe". Diesbezüglich brachte er vor:

"Ich möchte noch angeben, dass mich die Milizen im Irak gezwungen haben, Leute zu töten. Meinen Militärausweis haben mir unbekannte Personen in der Türkei gestohlen. (...)."(Niederschrift über Erstbefragung des BF, S. 4)."

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 27.12.2018 gab der BF an, im Zuge seiner Asylantragstellung aus Angst nicht alles erzählt zu haben. Er sei "Unteroffizier mit drei Streifen" gewesen, und habe Angst gehabt, davon zu erzählen, weil man ihm gesagt habe, jeder Militärangehöriger werde abgeschoben. Er werde wegen seiner militärischen Vergangenheit verfolgt und sein Leben sei in großer Gefahr. Der BF sei gebürtiger Palästinenser - väterlicherseits sei er Sunnit, mütterlicherseits Schiit. Religion spiele für ihn keine Rolle, da er jedoch Sunnit sei, werde er von der schiitischen Miliz bedroht. (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 27.12.2018, S. 2)

Nach Vorhalt, sein erster Antrag auf internationalen Schutz sei bereits rechtskräftig abgewiesen worden, gab der BF an, es sei für ihn unmöglich, in den Irak zurückzukehren, und für ihn sehr wichtig, internationalen Schutz zu bekommen. Befragt, ob sich seit seinem Aufenthalt in Österreich neue Fluchtgründe ergeben haben oder sich seine Fluchtgründe seit seinem ersten Verfahren geändert haben, brachte der BF vor:

"Meinen Hauptgrund warum ich bedroht wurde habe ich bis jetzt nicht erzählt. Ich bin heute bereit dazu und möchte bekanntgeben was die genauen Gründe sind warum ich mit dem Tode bedroht wurde." (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 27.12.2018, S. 3)."

Nach Aufforderung, seine Fluchtgründe zu schildern, gab der BF an, von 2007 bis 2014 Berufsoffizier gewesen und von schiitischen Milizangehörigen zur Kooperation aufgefordert und mit dem Tod bedroht worden zu sein. Er hätte zusammen mit ihnen sunnitische Familien töten sollen. Sie hätten alles in seinem Geschäft zusammengeschlagen, auch den BF, woraufhin dieser geflüchtet sei. (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 27.12.2018, S. 3, 4).

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 29.01.2019 legte der BF Fotos zum Beweis dafür vor, dass er im Irak beim Militär gewesen sei (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 23.01.2019, S. 3; AS 213f, 221). Der BF gab an, seine Schwester habe ihm die Fotos geschickt.

Befragt, warum er sein Vorbringen, dass er beim Militär gewesen sei, nicht bereits im Vorverfahren in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG erwähnt habe, gab der BF an:

"Ich hatte Angst. Ich hatte die Befürchtung, wenn ich die Wahrheit sage, dass ich sofort in den Irak zurückgeschickt werde. Meine Mitbewohner und Asylwerber meinten, ich soll nicht gleich die ganze Wahrheit sagen, jetzt werde ich aber die komplette Wahrheit sagen. Mein Leben ist in Gefahr." (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 23.01.2019, S. 3).

Befragt, ob seine Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG richtig, vollständig und wahrheitsgetreu gewesen seien, gab der BF an:

"Ja, aber sie ist nicht komplett die Einvernahme. Ich habe nicht gesagt, dass ich Soldat war und die Miliz mich bedroht und geschlagen hat. Als die Miliz meinte, Sie wollen mir das Geschäft wegnehmen, war das alles nur Druckmittel, dass ich für sie arbeite." (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 23.01.2019, S. 6).

Der BF gab an, Angst zu haben, von der "Mahdi-Armee Miliz" getötet zu werden. (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 23.01.2019, S. 6).

Nachdem gegen Schluss der Einvernahme des BF vor dem BFA am 23.01.2019 dem anwesenden Rechtsberater des BF von der ARGE Rechtsberatung die Möglichkeit eingeräumt worden war, Fragen anzuregen oder eine Stellungnahme abzugeben, gab dieser an, dass

"Der AW in nachvollziehbarer Weise sowohl seine Fluchtgründe, als auch seine privaten Anknüpfungspunkte in der EU geschildert hat. Der AW hat leider einen Fehler gemacht und im Vorverfahren seine militärische Karriere nicht erwähnt. Nach dem vom AW Vorgebrachten liegt aus Sicht der RB daher ein verfolgungsrelevanter Sachverhalt vor (Desertion), es wird daher vorgebracht, das Verfahren zu einer inhaltlichen Prüfung zuzulassen."

(Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 23.01.2019, S. 8).

Mit Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides vom 20.02.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 12.12.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Die belangte Behörde führte aus, "die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen."

Der BF habe bereits im Vorverfahren Gelegenheit gehabt, seine nunmehr vorgebrachten Fluchtgründe bzw. dass er im Jahr 2014 geschlagen worden sei, vorzubringen, habe dies jedoch unterlassen. Er habe seine Aussage zudem auf keine Beweise stützen und keine nachvollziehbaren Gründe für sein bisheriges Verschweigen dieser Gründe glaubhaft machen können. Die neu vorgebrachten Fluchtgründe seien nicht glaubhaft. Selbst bei Wahrunterstellung der von ihm genannten Bedrohung sei auf das Neuerungsverbot verwiesen.

Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass gemäß dem mit "Vorbringen in der Beschwerde" betitelten § 20 Abs. 1 Z. 4 BFA-VG in einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden dürfen, wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen. Gemäß § 20 Abs. 2 BFA-VG muss über die Zulässigkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweise nicht entschieden werden, wenn diese für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht maßgeblich sind.

Im gegenständlichen Fall brachte der BF zwar nicht in einer Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA, jedoch im Zuge seiner Folgeasylantragstellung vom 12.12.2018 neue Fluchtgründe vor, zu deren Vorbringen er, wie er vor dem BFA angab, aus Angst früher nicht in der Lage war.

Die belangte Behörde hat im Zuge der Begründung des Bescheides völlig Außer Acht gelassen, dass der BF in seinem nunmehrigen Asylverfahren vor dem BFA vorgebracht hat, aus Angst bislang nicht von seinen nunmehr vorgebrachten Fluchtgründen berichtet zu haben. Der BF gab vor dem BFA an, er sei "Unteroffizier mit drei Streifen" gewesen, und habe Angst gehabt, davon zu erzählen, weil man ihm gesagt habe, jeder Militärangehöriger werde abgeschoben. Er werde wegen seiner militärischen Vergangenheit verfolgt und sein Leben sei in großer Gefahr. Der BF sei gebürtiger Palästinenser - väterlicherseits sei er Sunnit, mütterlicherseits Schiit. Religion spiele für ihn keine Rolle, da er jedoch Sunnit sei, werde er von der schiitischen Miliz bedroht. (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 27.12.2018, S. 2).

Er gab dann etwas später in seiner Einvernahme an:

"Ich hatte Angst. Ich hatte die Befürchtung, wenn ich die Wahrheit sage, dass ich sofort in den Irak zurückgeschickt werde. Meine Mitbewohner und Asylwerber meinten, ich soll nicht gleich die ganze Wahrheit sagen, jetzt werde ich aber die komplette Wahrheit sagen. Mein Leben ist in Gefahr." (Niederschrift über Einvernahme des BF vor BFA am 23.01.2019, S. 3).

Der BF brachte im Folgeantragsverfahren vor dem BFA vor, sich vor der Mahdi-Miliz, deren Angehörige ihn zur Kooperation aufgefordert und ihn, sollte er eine Zusammenarbeit mit ihnen verweigern, mit dem Tod bedroht hätten, zu fürchten.

Dass sich, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgehalten hat, der BF hinsichtlich seines neuen Fluchtvorbringens auf keine Beweise gestützt hat, stimmt nicht, hat der BF doch im Zuge seiner Einvernahme vor dem BFA am 23.01.2019 Fotos bzw. Unterlagen zum Beweis dafür vorgelegt, dass er beim Militär gewesen sei, und zwar ein Foto, das offenbar den BF mit einer zweiten Person in Militäruniform zeigen soll (AS 221), und offenbar eine Kopie eines Militärausweises mit der großteils kopierten und zum kleinen Teil auf der Kopie abgeschnittenen Aufschrift "Iraqi Ministry Of Defen(...)" und den weiteren Angaben darauf "RANK: PVT" und "ISSUED DATE: 2008-08-11" (AS 213f).

Die Begründung für die zurückweisende Entscheidung der belangten Behörde war kurzgehalten. Das neue Fluchtvorbringen wurde ohne nähere Auseinandersetzung damit für unglaubwürdig befunden. Die neu vorgelegten Beweismittel blieben gänzlich unberücksichtigt.

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem nicht von vornherein abwegigen neuen Fluchtvorbringen des BF in Zusammenhang mit seiner militärischen Vergangenheit, wozu er bisher laut seinen Angaben vor dem BFA aus Angst vor einer Abschiebung nicht in der Lage war, den vor dem BFA am 23.01.2019 vorgelegten Beweismitteln und seinen vorgebrachten palästinensischen Wurzeln und seiner gemischtethnischen Abstammung, sei doch laut seinen Angaben vor dem BFA am 27.12.2018 seine Mutter Schiit und sein Vater Sunnit, wäre vor dem Hintergrund entsprechender aktueller Länderberichte, darunter auch zu seiner Rückkehrsituation, erforderlich gewesen, um auf eine dem BF bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrechtlich relevante Verfolgungsgefahr wegen eines ihm von schiitischen Milizangehörigen unterstellten Verrats bzw. einer ihm von ihnen unterstellten oppositionellen Gesinnung oder Art. 3 EMRK-widrige Behandlung wegen Desertion schließen oder eine solche ausschließen zu können.

Es war daher, weil die Zurückweisung des Folgeantrages auf internationalen Schutz vom 12.12.2018 durch das BFA nicht zu Recht erfolgt ist, der Beschwerde stattzugeben und Spruchpunkt I. mit der Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz und der aus den an Spruchpunkt I. angeschlossenen Spruchpunkten II. bis V. bestehende übrige Bescheid zu beheben.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da im gegenständlichen Fall bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung entschiedene Sache Folgeantrag Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2165643.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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