TE Vwgh Erkenntnis 2020/6/23 Ro 2020/11/0003

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Veröffentlicht am 23.06.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
24/01 Strafgesetzbuch
90/02 Führerscheingesetz

Norm

FSG 1997 §24 Abs1 Z1
FSG 1997 §3 Abs1 Z2
FSG 1997 §7 Abs3 Z8
StGB §202
StGB §206
StGB §207
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich, Polizeikommissariat Wels, in 4600 Wels, Dragonerstraße 29, gegen das am 30. Oktober 2019 verkündete und am selben Tag schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, LVwG-651525/5/MZ, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (mitbeteiligte Partei: R F in W, vertreten durch Dr. Franz Dorninger, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Ringstraße 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Wels vom 16. Jänner 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen zahlreicher von 2010 bis 2018 begangener Delikte nach den §§ 105 (Nötigung), 202 (Geschlechtliche Nötigung), 206 (Schwerer sexueller Mißbrauch von Unmündigen), 207 (Sexueller Mißbrauch von Unmündigen), 207a (Pornographische Darstellungen Minderjähriger), 208 (Sittliche Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren) und 208a (Anbahnung von Sexualkontakten zu Unmündigen) StGB unter Anwendung des § 28 StGB gemäß § 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. In den Entscheidungsgründen heißt es dazu (auszugsweise):

„Der Angeklagte führte mit diversen Personen, die zur Tatzeit das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, Online-Chats durch, wobei er sich selbst als Jugendlicher ausgab. Dabei forderte er diese Personen auf (und bestimmte sie daher dazu), pornographische Darstellungen von sich selbst anzufertigen. Dabei handelte es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen, die seiner sexuellen Erregung dienten ... Diese Lichtbilder oder Videos waren so ausgeführt bzw. war es der Wille des Angeklagten, dass die Minderjährigen diese Videos und Lichtbilder so anfertigen, dass der jeweilige Beobachter den Eindruck gewinnt, er sei selbst Augenzeuge der der Darstellung zugrundeliegenden Handlung gewesen. Wenn die Minderjährigen diese Fotos oder Videos anfertigten, ließ sich der Angeklagte diese Aufnahmen übermitteln und speicherte sie auf seinen Datenträgern ab. ... Für den Fall der Nichtübermittlung drohte er damit, dass er die zuvor erhaltenen Licht- und/oder Videoaufnahmen (Nacktbilder) veröffentlichen werde. ... [Dies, um die Minderjährigen] durch diese gefährliche Drohung dazu zu bewegen - sie somit dazu zu nötigen -, bei einem Videochat mit ihm geschlechtliche Handlungen durchzuführen, worauf es dem Angeklagten auch ankam. ... Darüber hinaus verleitete der Angeklagte [mehrere] Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen an sich selbst vorzunehmen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen. ... [Bei der Strafbemessung] muss insbesondere die Vielzahl der Taten und der Umstand berücksichtigt werden, dass der Angeklagte über 1000 (!!!) Vergehen beging.“

2        Mit Bescheid vom 6. August 2019 entzog die Revisionswerberin (die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) dem Mitbeteiligten die Lenkberechtigung für 36 Monate ab Zustellung des Bescheides und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.

3        Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, behob den angefochtenen Bescheid und stellte das Verfahren ein. Gleichzeitig sprach es gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision zulässig sei.

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe sämtliche Straftaten ausschließlich über das Internet begangen. Beim Autofahren sei die Begehung gleichartiger strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung auszuschließen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte, während er ein Kfz steuere, eine entsprechende Internetnutzung vornehme und derartige Delikte begehe. Lebensfremd sei es, anzunehmen, dass der Mitbeteiligte „die erhöhte Mobilität nutzen könnte, um etwa ein Internetcafe oder ein öffentliches WLAN oä zur Tatbegehung anzufahren, da Delikte wie die in Rede stehenden wohl kaum im öffentlich zugänglichen Raum gesetzt werden“. Der Fall ähnle dem dem hg. Erkenntnis vom 26. April 2018, Ro 2018/11/0004, zugrundeliegenden, in dem der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen habe, dass Übertretungen des § 207a StGB keine bestimmte Tatsache darstellten. Die ordentliche Revision sei zulässig, da Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu Fällen, in denen in § 7 Abs. 3 Z 8 FSG genannte Tatbestände ausschließlich im Rahmen der Internetnutzung und damit völlig losgelöst von der Frage der mit einer Lenkberechtigung verbundenen Mobilität verwirklicht worden seien, nicht vorliege und das Verwaltungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung durch das Lenken von Kraftfahrzeugen wesentlich erleichtert würden, abweiche.

4        Dagegen richtet sich die vorliegende (ordentliche) Amtsrevision, zu der das Verwaltungsgericht die Verfahrensakten vorgelegt hat. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

5        Die Revision stützt sich zur Zulässigkeit im Wesentlichen auf die hg. Judikatur (Hinweis auf VwGH 20.2.2001, 2000/11/0281, mwN), nach der es unmaßgeblich sei, ob die Taten im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges begangen worden seien, weil die Straftaten typischerweise durch das Lenken von Kraftfahrzeugen wesentlich erleichtert würden.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

7        Die im Revisionsfall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten auszugsweise:

„Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

1.   ...

2.   verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7.

(1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1.   ...

2.   sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

(2) ...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

8.   eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gemäß den §§ 201 bis 207 oder 217 StGB begangen hat;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1.   die Lenkberechtigung zu entziehen ...“

8        Die Revision ist aus dem in ihr genannten Grund zulässig und begründet.

9        Angesichts der vom Mitbeteiligten begangenen Taten war die belangte Behörde, jedenfalls soweit die Tatbestände der §§ 202, 206 und 207 StGB erfüllt waren, zu Recht davon ausgegangen, dass eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 8 FSG vorliegt.

10       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen hat, ist es nicht maßgeblich, ob die in § 7 Abs. 3 Z 8 (vormals § 7 Abs. 4 Z 2) FSG genannten strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges begangen werden, weil derartige Straftaten typischerweise durch die Verwendung von Kraftfahrzeugen wesentlich erleichtert werden (vgl. VwGH 20.2.2001, 2000/11/0281; 28.6.2001, 2001/11/0153 und 2001/11/0173; 30.9.2002, 2002/11/0158, jeweils mwN).

11       Das Argument des Verwaltungsgerichts, der Mitbeteiligte habe sämtliche Straftaten ausschließlich über das Internet begangen und es sei nicht davon auszugehen, dass er beim Benutzen seines Kfz strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung über das Internet begehen werde, ist von vornherein verfehlt. Für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 1 Z 2 FSG kommt es nicht auf bestimmte Umstände oder gar Örtlichkeiten der Begehung (z.B. Internet) der in dieser Bestimmung angesprochenen schweren strafbaren Handlungen an, sondern ausschließlich darauf, ob aufgrund einer bestimmten Tatsache (und deren Wertung) anzunehmen ist, der Betreffende werde sich solcher schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen, deren Begehung - objektiv betrachtet - durch die Verwendung eines Kfz erleichtert wird. Dass das bei den im Revisionsfall begangenen schweren Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung der Fall ist, ergibt sich aus der oben zitierten hg. Rechtsprechung.

12       Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ähnelt der Revisionsfall auch nicht dem dem hg. Erkenntnis vom 26. April 2018, Ro 2018/11/0004, zugrundeliegenden. Von diesem unterscheidet er sich schon dadurch, dass der Mitbeteiligte nicht nur strafbare Handlungen nach § 207a StGB, sondern auch nach den von § 7 Abs. 3 Z 8 FSG ausdrücklich umfassten §§ 202, 206 und 207 StGB begangen hat.

13       Im zitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass Übertretungen des § 207a StGB keine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG darstellen, und dazu folgendes ausgeführt:

„24      Ungeachtet des demonstrativen Charakters der Aufzählung der strafbaren Handlungen in § 7 Abs. 3 FSG, die jedenfalls eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG bilden, muss nach den bisherigen Darlegungen aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber seit der Stammfassung des FSG den damals bereits bekannten und durch zahlreiche Novellen ‚verschärften‘ § 207a StGB nicht in die Aufzählung von strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung in die Z 8 aufgenommen hat, gefolgert werden, dass er die von § 207a StGB erfassten strafbaren Handlungen - zumindest in Bezug auf die hier einzig maßgebliche Verkehrszuverlässigkeit - als den aufgezählten nicht vergleichbar schwerwiegend angesehen hat (vgl. in diesem Zusammenhang VwGH 26.2.2002, 2001/11/0379, und 14.9.2004, 2004/11/0134, wo ausgeführt wurde, dass der Gesetzgeber mit der Nichtaufnahme des § 107 StGB in die demonstrative Aufzählung des § 7 Abs. 3 FSG zu erkennen gegeben hat, dass im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit derartigen Delikten nicht der gleiche Stellenwert zukommt wie der vorsätzlichen Körperverletzung).“

14       Der Verwaltungsgerichtshof legte dar, warum trotz des bloß demonstrativen Charakters der Aufzählung in § 7 Abs. 3 FSG nicht angenommen werden kann, dass § 7 Abs. 3 Z 8 FSG auch strafbare Handlungen nach dem dort nicht genannten § 207a StGB umfasst.

15       Hingegen zielt die Argumentation des Verwaltungsgerichts im Revisionsfall darauf ab, ausdrücklich von § 7 Abs. 3 Z 8 FSG umfasste und vom Mitbeteiligten begangene strafbare Handlungen nach den §§ 202, 206 und 207 StGB im Hinblick auf die Verkehrszuverlässigkeit als unmaßgeblich zu betrachten, weil dies auf § 207a StGB zutrifft. Damit verkennt das Verwaltungsgericht die Rechtslage.

16       Das Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17       Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG.

Wien, am 23. Juni 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020110003.J00

Im RIS seit

22.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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