TE Vwgh Beschluss 2020/6/10 Ra 2019/18/0143

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.06.2020
beobachten
merken

Index

E3L E19103000
E3L E19103010
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §11 Abs1
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3
32011L0095 Status-RL Art8 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, den Hofrat Dr. Sutter, die Hofrätin Dr.in Sembacher und den Hofrat Mag. Tolar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M K, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Schönauerstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 2019, W264 2166566-1/19E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 17. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, im Iran geboren und aufgewachsen zu sein. Er habe nie in Afghanistan gelebt und habe auch keine Angehörigen in Afghanistan.

2        Mit Bescheid vom 5. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Das BFA setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

4        Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass das BVwG gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen habe, weil es Länderberichte herangezogen habe, die erst nach der Verhandlung neu hervorgekommen und somit nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen seien. Des Weiteren stütze sich die Entscheidung auf die Niederschrift des BFA, welche in der mündlichen Verhandlung nicht verlesen worden sei. Auch hätte die Verhandlung fortgesetzt werden müssen. Zudem habe sich das BVwG bei der rechtlichen Beurteilung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit dem Revisionswerber, der im Iran geboren und aufgewachsen sei, eine Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar sei. Damit weiche das BVwG von der hg. Rechtsprechung zur Voraussetzung der Gewährung des subsidiären Schutzes sowie zum Zumutbarkeitskalkül ab. Dem Revisionswerber drohe eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK, zumal er nie in Afghanistan gelebt habe, sich dort auch keine Existenzgrundlage schaffen könne und über keine Bindungen zum Herkunftsstaat verfüge.

5        Die Revision erweist sich als nicht zulässig.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision nahezu wortident in den Revisionsgründen wiederfinden. Enthält eine Revision die Ausführungen zur Begründetheit der Revision (nahezu) wortident auch als Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision, dann wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Erfordernis der gesonderten Darlegung von im § 28 Abs. 3 VwGG geforderten Gründen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, nicht entsprochen (vgl. VwGH 28.3.2019, Ra 2019/14/0111, mwN; VwGH 18.5.2018, Ra 2018/01/0202).

10       Darüber hinaus wird mit dem Vorbringen eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt:

11       Zum Vorbringen, das Erkenntnis verstoße aufgrund der Verwertung aktualisierter Länderberichte einerseits und von in der Verhandlung nicht verlesenen Aktenteilen andererseits gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der mit einem Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz ein Verfahrensmangel behauptet wird, dessen Relevanz aufzuzeigen ist (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0547, mwN). Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist dabei in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2017/19/0431, mwN). Eine solche Relevanz wird in der vorliegenden Revision weder hinsichtlich der verwendeten Länderberichte noch hinsichtlich nicht verlesener Aktenteile dargelegt.

12       Auch vermag die Revision mit dem bloßen Hinweis auf die Verwendung von aktualisierten Länderberichten im angefochtenen Erkenntnis nicht darzulegen, inwiefern sich der maßgebliche entscheidungswesentliche Sachverhalt dermaßen geändert hat, dass eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung notwendig gewesen wäre. Damit wird jedoch die Relevanz auch dieses behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang nicht ausreichend dargetan (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2017/19/0431; VwGH 28.3.2019, Ra 2019/14/0111, mwN).

13       Insoweit sich die Revision gegen die Annahme der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative wendet, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten: Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0292, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241; VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN).

14       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, hindert allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0398; VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0398, Rn. 15, sowie VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).

15       Eine spezifische Vulnerabilität wird auch nicht alleine dadurch begründet, dass der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, jahrelang im Iran gelebt hat (vgl. VwGH 7.3.2018, Ra 2018/18/0103, mwN; VwGH 28.3.2019, Ra 2018/14/0067; VwGH 7.5.2019, Ra 2019/20/0144).

16       Allerdings weist das EASO, dessen Einschätzungen das Unionsrecht besondere Bedeutung beimisst, in den Country Guidance Afghanistan für Personen wie den Revisionswerber ein besonderes Profil auf, das sich von anderen männlichen Asylwerbern aus Afghanistan unterscheidet. Danach kann eine innerstaatliche Fluchtalternative für Antragsteller, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder dort sehr lange Zeit gelebt haben, nicht zumutbar sein, wenn die über kein unterstützendes Netzwerk verfügen, das ihnen dabei hilft, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Richtlinien verweisen darauf, dass bei der Prüfung der Zumutbarkeit der persönliche Hintergrund der betroffenen Person, insbesondere deren Selbständigkeit, die vorhandene Ausbildung und allfällige Berufserfahrungen, ins Kalkül gezogen werden müssen. Mit diesen Richtlinien hat sich das BVwG in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0225, mwN).

17       Das BVwG traf fallbezogen hinreichend aktuelle Länderfeststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif und Herat, berücksichtigte in seiner - wenn auch disloziert durchgeführten - Einzelfallbeurteilung die Vorgaben der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie der EASO-Richtlinien für Afghanistan (EASO Country Guidance: Afghanistan, June 2018) und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Dem angefochtenen Erkenntnis lagen fallbezogen die - unbestritten gebliebenen - Feststellungen zugrunde, dass es sich beim Revisionswerber um einen im Iran geborenen, alleinstehenden, gesunden, volljährigen, jungen Mann handelt, der über Schulbildung sowie Berufserfahrung als Landwirtschaftshelfer, Mechaniker sowie Schweißer verfügt. Der Revisionswerber spricht eine der Landessprachen und ist mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut. Auf der Basis dieses persönlichen Hintergrunds des Revisionswerbers und der getroffenen Länderfeststellungen zur Lage in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht gezogenen afghanischen Städten vermag die Revision nicht darzulegen, dass der Revisionswerber dort - auch unter Bedachtnahme auf die Prüfkriterien der EASO-Richtlinie - keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorfände.

18       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 10. Juni 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180143.L00

Im RIS seit

17.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten