TE OGH 2020/5/25 1Ob41/20s

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Veröffentlicht am 25.05.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. des mj E***** B*****, geboren am ***** 2011, und 2. des mj P***** B*****, geboren am ***** 2009, über den Revisionsrekurs des Vaters S***** R*****, vertreten durch Dr. Alois Zehetner, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 15. Oktober 2019, GZ 23 R 406/19g-98, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Amstetten vom 13. September 2019, GZ 1 Pu 318/11h-91, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Mehrbegehrens der Kinder in Rechtskraft erwachsen sind, werden in ihrem stattgebenden Teil

1. dahin abgeändert, dass sie als Teilbeschluss lauten:

„S***** R*****, ist in Abänderung der bisherigen Unterhaltsbemessung (mit Beschluss vom 7. 11. 2016, 1 Pu 318/11h-44) schuldig,

a) seinem Sohn P*****

für die Zeit vom 1. 8. 2017 bis 30. 9. 2018 zusätzlich zum bisherigen Unterhaltsbeitrag von 180 EUR einen weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrag von 80 EUR, sohin einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 260 EUR

b) seinem Sohn E*****

für die Zeit vom 1. 8. 2017 bis 30. 9. 2018 zusätzlich zum bisherigen Unterhaltsbeitrag von 160 EUR einen weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrag von 100 EUR, sohin einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 260 EUR

binnen 14 Tagen zu zahlen.“

2. im Übrigen (hinsichtlich des Antrags auf Unterhaltserhöhung der Söhne von 1. 10. 2018 bis 31. 7. 2019 in der Höhe von monatlich weiteren 80 EUR für P***** bzw 100 EUR für E***** und für den Zeitraum ab 1. 8. 2019 bis auf weiteres von monatlich 115 EUR für P***** bzw 90 EUR für E*****) aufgehoben. Die Rechtssache wird insofern an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Zuletzt wurde die Geldunterhaltsverpflichtung des Vaters für seine im Haushalt ihrer Mutter lebenden Söhne mit Beschluss des Erstgerichts vom 7. 11. 2016, herabgesetzt und der Vater ab 1. 8. 2015 zur Zahlung eines Betrags von monatlich 180 EUR für P***** und von 160 EUR für E***** verpflichtet. Die Unterhaltsherabsetzung erfolgte wegen der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch den Vater mit 1. 1. 2015. Diesem Beschluss legte das Erstgericht eine Bemessungsgrundlage von 1.110 EUR zugrunde.

Mit ihren nunmehrigen Anträgen begehrten die Kinder die Festsetzung der Geldunterhaltspflicht ihres Vaters mit jeweils 337 EUR monatlich ab 1. 8. 2017. Es sei davon auszugehen, dass dem Vater ein monatliches Durchschnittseinkommen von rund 2.000 EUR zur Verfügung stehe. Dazu legten sie diverse Steuerbescheide eines (deutschen) Finanzamts vor und führten aus, es sei nicht ein steuerlich ermitteltes Einkommen zugrunde zu legen, weil nicht anzunehmen sei, dass sich der Lebenszuschnitt des Vaters, der vor Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit ein Jahreseinkommen von rund 35.000 EUR erzielt habe, so verringert habe, dass er mit einem derart geringen Einkommen, wie es sich aus den Steuerbescheiden ergebe, das Auslangen finden könne.

Der Vater wendete ein, dass sich seine Einkommensverhältnisse keinesfalls verbessert hätten. Der von ihm mehrfach unternommene Versuch, als selbstständiger Verkäufer von Kraftfahrzeugen seinen Unterhalt zu verdienen, sei ihm auch nicht vorwerfbar; aus dieser Tätigkeit könne er kein höheres als das der letzten Unterhaltsbemessung zugrunde gelegte Einkommen erzielen.

Das Erstgericht setzte die Geldunterhaltspflicht des Vaters neu fest und verpflichtete diesen, seinem Sohn P***** für die Zeit vom 1. 8. 2017 bis 31. 7. 2019 monatlich 260 EUR und ab dem 1. 8. 2019 bis auf weiteres monatlich einen Unterhaltsbetrag von 295 EUR und seinem Sohn E***** für die Zeit vom 1. 8. 2017 bis 31. 7. 2019 einen Unterhaltsbetrag von 260 EUR monatlich und ab 1. 8. 2019 bis auf weiteres einen solchen von 250 EUR monatlich zu zahlen. In tatsächlicher Hinsicht gelangte es zum Ergebnis, dass der Vater Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt. Aus der von einem Sachverständigen beurteilten Einnahmen-/ Ausgabenrechnungen für die Jahre 2016 bis Oktober 2018 errechne sich ein negatives durchschnittliches Einkommen, wobei sich die vom Vater in dieser Zeit getätigten Privatentnahmen auf durchschnittlich monatlich 1.011 EUR belaufen. Aus den im Akt erliegenden Angaben des Vaters zu der von ihm beantragten Verfahrenshilfe sowie dem Gutachten könne zudem auf ein zusätzliches Einkommen des Vaters aus unselbständiger Tätigkeit geschlossen werden, wobei insoweit ein Betrag von 540 EUR monatlich durchaus nachvollziehbar sei. Auch sei die Annahme eines Einkommens aus Privatentnahmen und unselbständiger Tätigkeit von gesamt 1.551 EUR monatlich vom Vater, der dazu keine Urkunden vorgelegt habe, nicht bestritten worden. Das „festgestellte Anspannungseinkommen“ von 1.551 EUR legte es seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde. Der Vater betreibe sein Unternehmen nunmehr seit 1. 1. 2015, wobei es ihm in dieser Zeit durchaus gelungen sein müsste, ein Einkommen zu erzielen, wie es der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt werde. Aus dem Akteninhalt ergebe sich auch eine nebenberufliche unselbständige Tätigkeit des Vaters, sodass von einem Einkommen in der Höhe von 1.551 EUR monatlich ab dem 1. 8. 2017 ausgegangen werden könne. Auch habe der Vater keine Unterlagen vorgelegt, sodass die Anspannung auf dieses Einkommen durchaus gerechtfertigt erscheine.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Vater bestreite gar nicht, dass er neben den Einkünften aus seiner selbstständigen Tätigkeit zumindest zeitweise auch Einkünfte aus unselbstständigen Beschäftigungsverhältnissen bezogen habe. Dazu habe er in seinem Verfahrenshilfeantrag vom 20. 3. 2018 und dem angeschlossenen Vermögensbekenntnis vom 12. 3. 2018 selbst Arbeitslosengeldbezüge in Höhe von 1.020 EUR monatlich zusätzlich zu den Einkünften als selbstständig Erwerbstätiger angegeben. Wegen des Aufenthalts und der Beschäftigung des Vaters in Deutschland sei es dem Erstgericht nicht möglich gewesen, Auskünfte über das Arbeitsmarktservice oder Sozialversicherungsträger im Sinn des § 102 AußStrG einzuholen, sodass die gewählte Vorgangsweise einer Aufforderung an dessen Vertreter zur Übermittlung von Unterlagen über dessen Einkünfte aus unselbstständigen Beschäftigungen ab 1. 1. 2016, widrigenfalls ein Einkommen von 1.551 EUR der Neufestsetzung zugrunde gelegt werde, nicht zu beanstanden sei. Dem Vater sei zwar beizupflichten, dass die Erbringung eines „Negativbeweises“ dahin, dass er keine zusätzlichen Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit bezogen habe, nicht möglich sei. Nach dem Akteninhalt sei aber davon auszugehen, dass es ab 1. 8. 2017 neben den (mit Gutachten ermittelten) gewerblichen Einkünften auch solche aus unselbstständigen Beschäftigungen bzw Leistungen des „Arbeitsmarktservices“ gegeben habe. Seine Einvernahme sei nicht beantragt worden.

Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht über Antrag nach § 63 AußStrG für zulässig. Zwar sei unter bestimmten Voraussetzungen eine Schätzung des Einkommens nach freier Beweiswürdigung möglich, doch fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob damit auch eine Beweislastumkehr derart vereinbar sei, dass sich der Unterhaltspflichtige von zusätzlichen Einkünften „freibeweisen“ müsse.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Kindern beantwortete Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts einer Korrektur bedarf; er ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch teilweise berechtigt.

1.1 Die Unterhaltsbemessung hat sich an den im § 231 Abs 1 ABGB genannten Faktoren, also vor allem neben den Bedürfnissen des Kindes an der Leistungsfähigkeit des zur Zahlung von Geldunterhalt verpflichteten Elternteils zu orientieren (4 Ob 85/14z). Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage selbstständiger Einzelunternehmer ist in der Regel das Durchschnittseinkommen der drei letzten vorangegangenen Wirtschaftsjahre heranzuziehen (RS0053251).

1.2 Nach § 102 Abs 1 AußStrG haben Personen, deren Einkommen oder Vermögen für die Entscheidung über den gesetzlichen Unterhalt zwischen in gerader Linie verwandten Personen von Belang ist, dem Gericht hierüber Auskunft zu geben und die Überprüfung von deren Richtigkeit zu ermöglichen.

1.3 Bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage trifft den Unterhaltsschuldner eine Mitwirkungspflicht (RS0047430 [T4], RS0047432 [T2; T7]). Fällt ihm eine Verletzung dieser Pflicht zur Last, kann sein Einkommen nach freier Würdigung geschätzt werden (RS0047432).

2. Das Erstgericht folgte inhaltlich den Ergebnissen eines eingeholten Sachverständigengutachtens und stellte auf dieser Grundlage das Einkommen des Vaters aus selbständiger Tätigkeit in den Jahren 2016 bis 2018 fest. Dabei ging es von Privatentnahmen des Vaters von durchschnittlich 1.011 EUR pro Monat aus. Dagegen wendet sich der Vater nicht, sondern bemängelt, dass die Vorinstanzen neben diesem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit der Bemessungsgrundlage für die Ermittlung seiner Geldunterhaltspflicht auch ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit zugrunde legten und damit insgesamt von einem Einkommen in der Höhe von 1.551 EUR monatlich ab dem 1. 8. 2017 ausgingen. Es sei ihm nicht möglich einen „Negativbeweis“ in Bezug auf zusätzliche Leistungen aus unselbständiger Beschäftigung oder seitens des „Arbeitsmarktservices“ zu erbringen.

3.1 Bereits das Rekursgericht hat darauf hingewiesen, dass sich aus dem Akteninhalt Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Vater neben seiner selbständigen Tätigkeit als KFZ-Verkäufer jedenfalls bis 20. 9. 2017 auch einer unselbständigen Tätigkeit nachgegangen ist. Hinweise dazu finden sich bereits in einem Schreiben der (deutschen) Rechtsvertreter des Vaters vom 4. 10. 2017, das die Kinder ihrem Antrag auf Neufestsetzung des Unterhalts anschlossen. Darin ist festgehalten, dass sein Anstellungsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung vom 20. 9. 2017 beendet worden ist. Korrespondierend dazu findet sich in seinem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 12. 3. 2018 neben Angaben zu seiner selbständigen Tätigkeit in Punkt II 2.6 (sonstiges monatliches Einkommen [zB Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe, Sozialhilfe, sonstige Zuschüsse]) auch der Hinweis, dass er im Zeitraum Oktober 2017 bis September 2018 monatlich 1.200 EUR von einem deutschen Arbeitsamt bezogen hat.

3.2 Der Aufforderung des Erstgerichts zur Übermittlung von Unterlagen über Einkünfte aus unselbstständigen Beschäftigungen ab 1. 1. 2016 ist der Vater nicht nachgekommen. Aus der von ihm selbst bekanntgegeben Auflösung seines Anstellungsverhältnisses mit 20. 9. 2017 lässt sich unschwer der Schluss ziehen, dass er – was den vom Antrag erfassten Zeitraum anlangt – jedenfalls im August 2017 noch ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit erzielt hat. Dass dieses zumindest die Höhe des nach seinen eigenen Angaben von Oktober 2017 bis September 2018 bezogenen Arbeitslosengelds erreichte, liegt auf der Hand. Insoweit kann auch keine Rede davon sein, dass die Vorinstanzen ihm einen nicht erbringbaren „Negativbeweis“ aufgebürdet hätten.

4. Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht zu beanstanden sind, soweit sie der Unterhaltsbemessung für die Zeit vom 1. 8. 2017 bis 30. 9. 2018 neben dem Einkommen des Vaters aus selbständiger Tätigkeit auch ein solches aus einer unselbständigen Beschäftigung bzw den Bezug von Arbeitslosengeld zugrunde legten. Dass sie bei der Festsetzung der Höhe der Bemessungsgrundlage das ihnen eingeräumte Ermessen überschritten hätten (vgl dazu allgemein RS0007104), ist schon aufgrund der Angaben des Vaters nicht zu erkennen. Auf die vom Rekursgericht als Neuerung qualifizierte Behauptung einer weiteren Sorgepflicht kommt er in seinem Rechtsmittel nicht mehr zurück. Für den Zeitraum bis 30. 9. 2018 sind die Entscheidungen der Vorinstanzen daher mit Teilbeschluss zu bestätigen.

5. Zum Zeitraum ab 1. 10. 2018:

5.1 Bei der Unterhaltsbemessung für die Zukunft ist immer maßgebend, ob das in der Vergangenheit erzielte Einkommen darauf schließen lässt, dass der Unterhaltspflichtige auch weiterhin ein Einkommen in ähnlicher Höhe erzielen werde (4 Ob 102/99z; 4 Ob 194/11z je mwN).

5.2 Für den vorliegenden Fall lässt sich daraus ableiten, dass die Annahme einer höheren Bemessungsgrundlage als es dem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit entspricht zur Ermittlung der Geldunterhaltspflicht des Vaters nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Schluss gezogen werden könnte, dass er neben seiner selbständigen Tätigkeit auch nach dem 30. 9. 2018 entweder ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit oder sonst ein Einkommen im Sinn des oben wiedergegebenen Punktes II 2.6 des Formulars zur Bewilligung der Verfahrenshilfe bezogen hat und auch in Zukunft beziehen wird. Dafür bieten aber weder die Feststellungen des Erstgerichts noch der Akteninhalt ausreichende Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Die Angabe des Bezugs von Arbeitslosengeld bis zu einem bestimmten Termin, deutet darauf hin, dass danach kein Anspruch auf Bezug eines solchen Einkommens bestand. Auch der Schluss, dass der Vater nach diesem Zeitpunkt eine anderere Art von Unterstützung bezogen hat, oder sonst neben seiner selbständigen Tätigkeit (wieder) einer unselbständigen Beschäftigung nachgegangen ist, ist keineswegs zwingend.

5.3 Eine Schätzung des Einkommens des Unterhaltsschuldners nach freier Würdigung (dazu RS0047432 [T7]) kommt erst dann in Betracht, wenn ihm eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage zur Last gelegt werden kann. Das setzt aber voraus, dass nach der Aktenlage ausreichend konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein von für die Bemessungsgrundlage relevanten Umständen, wie hier eine unselbständige Tätigkeit des Vaters oder die Berechtigung zum Bezug von sonstigen Einkommen im Sinn des oben angeführten Punktes II 2.6 vorliegen. Das ist hier entgegen der Auffassung des Rekursgerichts nicht der Fall. Dessen Annahme, der Vater habe ab 1. 8. 2017 neben den (mit Gutachten ermittelten) gewerblichen Einkünften auch solche aus unselbstständigen Beschäftigungen bzw Leistungen des Arbeitsamts erzielt, ist für den Zeitraum nach dem 30. 9. 2018 vielmehr durch die Aktenlage nicht gedeckt. Auch die Kinder haben kein solches Einkommen des Vaters zum Anlass genommen, eine Erhöhung des Geldunterhalts zu begehren, sondern ihrem Antrag die Annahme zugrunde gelegt, der Vater erziele zumindest ein gleich hohes Einkommen wie vor Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit.

5.4 Das Erstgericht hat keine positive Feststellung zu einer unselbständigen Tätigkeit des Vaters oder sonstigem Einkommen getroffen. Seiner Entscheidung kann mit der für eine abschließende Beurteilung erforderlichen Klarheit auch nicht entnommen werden, ob es für den Zeitraum ab 1. 10. 2018 eine solche Tätigkeit des Vaters zugrundelegte und die Höhe des daraus erzielten Einkommens mangels Mitwirkung des Vaters schätzte oder eine „Anspannung“ des Vaters vornehmen wollte („Anspannungseinkommen“), weil er keiner Tätigkeit nachgeht, die ihm ein adäquates Einkommen ermöglicht.

5.5 Für das weitere Verfahren werden daher folgende Grundsätze zu beachten sein:

Auch im Bereich des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens außer Streitsachen (§ 16 Abs 1 AußStrG) sind subjektive Behauptungs- und Beweislastregeln jedenfalls dann heranzuziehen, wenn über vermögensrechtliche (also auch unterhaltsrechtliche) Ansprüche, in denen sich die Parteien in verschiedenen Rollen gegenüberstehen, zu entscheiden ist. Wenn das Erstgericht nach Ausschöpfung aller vorhandenen Beweismittel (allenfalls auch der amtswegigen Einvernahme des Vaters) nicht in der Lage ist, eine ausreichende Tatsachengrundlage zu gewinnen, gelten daher die allgemeinen Beweislastregeln (Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB4 Ia § 231 Rz 526). Demnach hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen, somit der Unterhaltsberechtigte das gestiegene Einkommen bzw die erhöhte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu behaupten und zu beweisen (RS0006348 [T4]) Soweit sich im fortgesetzten Verfahren daher nicht erweisen lassen sollte, dass der Vater seit 1. 10. 2018 neben seiner selbständigen Tätigkeit einer unselbständigen Beschäftigung nachgeht oder sonst Anspruch auf einem dem Einkommen vergleichbaren Bezug hat, ginge dieser Umstand zu Lasten der antragstellenden Kinder, die eine höhere Leistungsfähigkeit des Vaters behaupten, als es nach dem bisher gesicherten Kenntnisstand der Fall ist. Die Schätzung eines solchen Einkommens nach freiem Ermessen verbietet sich in einem solchen Fall.

Zwar darf sich ein unselbständig Erwerbstätiger grundsätzlich nur dann selbständig machen, – anstatt eine unselbständige Beschäftigung fortzusetzen oder neu aufzunehmen –, wenn er damit rechnen kann, nach einer gewissen Anlaufphase als Unternehmer ein zumindest gleich hohes Einkommen wie zuvor zu erzielen. Stellt sich heraus, dass mit solchen Einkünften in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, so muss der Schuldner entweder eine zumutbare Nebenbeschäftigung annehmen oder wieder unselbständig tätig werden (RS0047686 [T10]), weil er alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Geldunterhaltsverpflichtung nachkommen zu können. Der Unterhaltsschuldner muss alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einsetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (RS0047686). Ob das Erstgericht den Vater in diesem Sinn auf ein tatsächlich nicht erzieltes Einkommen anspannen wollte, kann allein aus der vom Erstgericht verwendeten Formulierung „Anspannungseinkommen“ nicht gesichert angenommen werden, zumal jede Auseinandersetzung dazu fehlt, ob ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zuließe, überhaupt zugemutet werden kann (RS0047686; vgl auch RS0047337 [T1]). Sollte eine Anspannung des Vaters in Betracht gezogen werden, wäre daher auch zu prüfen und festzustellen, welches sein Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit von monatlich 1.011 EUR übersteigendes Einkommen der Vater bei pflichtgemäßem Engagement und Einsatz seiner persönlichen Fähigkeiten zu erzielen imstande wäre.

6. Dem Revisionsrekurs ist daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags teilweise Folge zu geben. Das Erstgericht wird den Unterhaltserhöhungsantrag für die Zeit ab 1. 10. 2018 neuerlich zu beurteilen und dabei klarzustellen haben, ob es die Geldunterhaltspflicht des Vaters schätzt, weil dieser neben seinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit auch noch anderes Einkommen erzielt, aber seiner Mitwirkungspflicht zur Feststellung seiner Höhe nicht nachkommt, ober aber unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes bemisst.

Textnummer

E128557

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00041.20S.0525.000

Im RIS seit

16.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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