TE OGH 2020/6/29 2Ob123/19f

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Veröffentlicht am 29.06.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2017 verstorbenen K* S*, wegen Feststellung des Erbrechts (§ 160a zweiter Fall AußStrG) zwischen den Antragstellern 1. I* S*, vertreten durch Dr. Meinrad Einsle und andere Rechtsanwälte in Bregenz, und 2. P* S*, Einvernehmensanwalt Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwalt in Bregenz, über den Revisionsrekurs der Erstantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 9. Mai 2019, GZ 3 R 74/19h-98, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 11. Februar 2019, GZ 32 A 156/17t-93, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Erstantragstellerin ist schuldig, dem Zweitantragsteller die mit 2.206,44 EUR (darin enthalten 352,29 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der von der EuErbVO verwendeten Begriffe „Erbvertrag“ (Art 3 Abs 1 lit b) und „gemeinschaftliches Testament“ (Art 3 Abs 1 lit c) fehle.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs nicht zulässig. Denn eine erhebliche Rechtsfrage liegt trotz Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht vor, wenn das Gesetz (hier die EuErbVO) selbst eine eindeutige Regelung trifft (RS0042656) und (daher) wegen Fehlens jedes Auslegungszweifels („acte clair“) auch keine Vorlagepflicht nach Art 267 AEUV besteht (RS0082949; Lovrek in Fasching/Konecny³ § 502 ZPO Rz 58 f). Das trifft hier zu:

1. Der Erblasser, ein deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich, ist am 30. 8. 2017 verstorben, sodass die EuErbVO nach ihrem Art 83 Abs 1 Anwendung findet. Dass die Lösung des Falles demzufolge in den Art 22 ff EuErbVO zu suchen ist, entspricht der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung, sodass auf das intertemporale Recht der VO nicht weiter eingegangen werden muss.

2. Auch gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass der Erblasser und seine erste Ehefrau im Jahr 1973 an ihrem damaligen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland in einem gemeinschaftlichen Testament iSd § 2269 Abs 1 BGB, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten, bestimmten, dass nach dem Tod des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten, nämlich den Zweitantragsteller, fallen sollte („Berliner Testament“; vgl zB Musielak in MüKoBGB8 [2020] § 2269 Rn 11). Ebenso ist unstrittig, dass es sich dabei um wechselbezügliche Verfügungen der Ehegatten iSd § 2270 BGB handelte (vgl Musielak in MüKoBGB8 § 2270 Rn 12), bei denen das Recht zum Widerruf nach § 2271 Abs 2 BGB mangels Ausschlagung des Zugewendeten mit dem Tod des anderen Ehegatten erlosch, sodass ab diesem Zeitpunkt – weil die gesetzlich normierten Ausnahmen nicht in Betracht kommen – der Überlebende an die wechselbezügliche Verfügung gebunden war.

3. Die Erstantragstellerin steht jedoch auf dem Standpunkt, dass auf dieses Testament Art 24 („Verfügungen von Todes wegen außer Erbverträgen“) und nicht Art 25 EuErbVO („Erbverträge“) anzuwenden sei, sodass die Beseitigung der Bindungswirkung durch die vom Erblasser in einer letztwilligen Verfügung vom 12. 8. 2011 allein vorgenommene Wahl österreichischen Erbrechts möglich geworden und mit dem Zusatz vom 26. 1. 2014 auch tatsächlich zu ihren Gunsten bewirkt worden sei. Das Testament sei kein Erbvertrag iSd EuErbVO, weil der Zweitantragsteller daran nicht beteiligt gewesen, sondern nur Begünstigter sei. Seien aber Dritte begünstigt, liege schon definitionsgemäß kein Erbvertrag vor. Auch unterscheide die EuErbVO Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente voneinander, ein gemeinschaftliches Testament sei eben kein Erbvertrag.

4. Nach Art 3 Abs 1 lit d EuErbVO umfasst eine „Verfügung von Todes wegen“ sowohl ein Testament, ein gemeinschaftliches Testament als auch einen Erbvertrag. Diese Begriffe sind autonom auszulegen. Art 3 Abs 1 lit b EuErbVO definiert einen Erbvertrag als eine Vereinbarung, einschließlich einer Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente, die mit oder ohne Gegenleistung Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen begründet, ändert oder entzieht. Weiters definiert Art 3 Abs 1 lit c EuErbVO ein gemeinschaftliches Testament als ein von zwei oder mehr Personen in einer einzigen Urkunde errichtetes Testament.

5. Die Definition des gemeinschaftlichen Testaments stellt ihrem Wortlaut nach auf ein rein formales Kriterium ab, nämlich allein auf die Tatsache der letztwilligen Verfügung mehrerer Personen in einer einzigen Urkunde, wohingegen sich jene des Erbvertrags auf den Inhalt der Verfügung(en) bezieht. Beide Definitionen schließen einander daher – im Gegensatz zum Rechtsmittelvorbringen – schon aufgrund ihres insoweit eindeutigen Wortlauts keineswegs aus (so auch die herrschende Lehre: vgl Burandt/Schmuck in Burandt/Rojahn, Erbrecht3 [2019] Art 3 EuErbVO Rn 4; Dutta in MüKoBGB7 [2018] Art 3 EuErbVO Rn 6 und 8; Hertel in Rauscher, EuZPR/EuIPR V4 [2016] Art 3 EuErbVO Rn 17 f; Deixler-Hübner/Schauer in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO² Art 3 Rz 24; Pesendorfer in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 3 EuErbVO Rz 6), sondern können einander überschneiden. Eine „Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente“ (Art 3 Abs 1 lit b EuErbVO) kann zweifellos auch dann vorliegen, wenn diese Testamente in „einer einzigen Urkunde“ (Art 3 Abs 1 lit c EuErbVO) enthalten sind.

6. Auch schließt die Definition des Erbvertrags keineswegs aus, dass damit eine dritte, nicht an der Vereinbarung beteiligte Person begünstigt wird, ist doch die Frage der Begünstigung bzw des Begünstigten überhaupt nicht Teil der Umschreibung des Begriffs. Nach dem Wortlaut muss lediglich der spätere Erblasser oder müssen die späteren Erblasser, dessen oder deren Nachlass betroffen sein soll, an der Vereinbarung beteiligt sein.

7. Das ist hier der Fall. Die vormaligen Ehegatten haben einander zu Erben eingesetzt und den Zweitantragsteller zum Erben des überlebenden Ehegatten bestimmt. Damit waren sie an einer Vereinbarung beteiligt, mit der Rechte an ihren beiden Nachlässen begründet wurden, sodass zusätzlich zu den formalen Definitionsmerkmalen des gemeinschaftlichen Testaments auch die inhaltlichen des Erbvertrags nach Art 3 Abs 1 lit b EuErbVO erfüllt sind und die Verfügung daher Art 25 EuErbVO unterfällt.

Dies entspricht auch der herrschenden Lehre, wonach ein deutsches gemeinschaftliches Testament, das wechselbezügliche Verfügungen enthält (§§ 2270 f BGB), jedenfalls dann als „Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente“ und damit als Erbvertrag iSd Art 3 Abs 1 lit b und Art 25 EuErbVO zu qualifizieren ist, wenn es – wie hier – nach dem Tod eines der Ehegatten für den anderen verbindlich geworden ist (§ 2271 Abs 2 BGB; vgl Dutta in MüKoBGB7 Art 3 EuErbVO Rn 11; Lechner, Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente in der neuen EU-Erbrechtsverordnung, NJW 2013, 26; Bauer in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht [2016] Art 25 EuErbVO Rn 3; Döbereiner, Das internationale Erbrecht nach der EU-Erbrechtsverordnung [Teil II], MittBayNot 2013, 437 [438]; Deixler-Hübner/Schauer in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO² Art 3 Rz 16; Fischer-Czermak in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO Art 24 Rz 5 und Art 25 Rz 5; Hertel in Rauscher, EuZPR/EuIPR V4 Art 3 EuErbVO Rn 10; Leipold, Das Europäische Erbrecht [EuErbVO] und das deutsche gemeinschaftliche Testament, ZEV 2014, 139 [144]; Burandt/Schmuck in Burandt/Rojahn, Erbrecht3 Art 3 EuErbVO Rn 4).

8. Die eingangs in Punkt 2 wiedergegebenen Argumente der Erstantragstellerin beschränken sich auf die Behauptung einer gegenteiligen These, die schon im Wortlaut der Begriffsbestimmungen des Art 3 EuErbVO keine Deckung findet. Sie vermag in ihrem Rechtsmittel auch kein einziges Zitat aus dem zahlreich existierenden Schrifttum zu nennen, das ihre Ansicht stützen und die herrschende Auffassung, mit der die Lösung des Rekursgerichts übereinstimmt, in Frage stellen könnte. Dass aber im Fall der Anknüpfung nach Art 25 EuErbVO ein einseitiger Widerruf des wechselbezüglichen Testaments durch den Erblasser nicht wirksam erfolgen konnte, setzt auch die Erstantragstellerin in ihrem Revisionsrekurs voraus.

9. Infolge der schon ihrem Wortlaut nach klaren und eindeutigen Regelungen in der EuErbVO liegt daher keine Rechtsfrage des Unionsrechts vor, die einer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof bedürfte (RS0082949). Der Revisionsrekurs ist mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, ohne dass ein Vorabentscheidungsersuchen zu stellen ist.

10. In seinem (letzten) Testament vom 20. 8. 2014 wählte der Erblasser wirksam deutsches Recht. Da hier jedenfalls die Voraussetzungen des § 160a zweiter Fall AußStrG vorliegen, ist festzuhalten, dass die §§ 161 bis 163 AußStrG (nur) „entsprechend“ anzuwenden sind.

11. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 185 AußStrG. Da der Zweitantragsteller auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Da er seinen Sitz in Deutschland hat, ist lediglich die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer (19 %) zuzusprechen (RS0114955 [T12]).

Textnummer

E128447

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:E128447

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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