TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/19 W187 1436876-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.02.2020
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Entscheidungsdatum

19.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W187 1436876-2/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., II., IV., V., VI. und VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird dem Antrag vom 12.4.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwei Jahren erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom XXXX , XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs 1 AsylG 2005 erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamts erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof. Die Beschwerde und der dazugehörige Akt wurden dem Asylgerichtshof durch das Bundesasylamt zur Entscheidung vorgelegt und langten am XXXX beim Asylgerichtshof ein.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , XXXX , wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerde hingegen stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum XXXX erteilt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem Erkenntnis vom XXXX fest, dass der Beschwerdeführer lediglich seine frühe Kindheit in Afghanistan in Herat (Stadt) verbracht habe. Im Jahr XXXX sei die Familie aus Anlass einer schweren Erkrankung des Bruders des Beschwerdeführers in den Iran gezogen. Dort habe der Beschwerdeführer keine Schule besucht und ab seinem sechsten Lebensjahr in der Tischlerei seines Cousins gearbeitet. Der Vater des Beschwerdeführers sei seit dem Jahr XXXX verschollen, die Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern würden nach wie vor im Iran leben. Der Beschwerdeführer habe auch Kontakt zu zwei Onkel mütterlicherseits, die in Herat leben würden. Afghanistan sei von einem bewaffneten Konflikt betroffen, die Sicherheitslage sei nicht vorhersehbar, die Zivilbevölkerung trage die Hauptlast des Konflikts. Die Regierungsgewalt Afghanistans werde als besonders schwach wahrgenommen, es bestehe ein hohes Maß an Korruption. Die Provinz Herat gelte seit der Absetzung der Taliban durch die amerikanisch geführten Kräfte als relativ friedlich. Dennoch hätten sich die Vorfälle in der Provinz Herat im Vergleich zum Vorjahr um 103 Prozent erhöht, es würden regelmäßig sicherheitsrelevante Vorfälle registriert werden. Weltweit würden die meisten Flüchtlinge aus Afghanistan stammen. Binnenvertriebene würden in Ballungszentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif strömen. Kabul habe keine Kapazitäten für die Aufnahme neu Hinzuziehender, es könnten keine grundlegenden Dienstleistungen in Kabul zur Verfügung gestellt werden. In Afghanistan gebe es so gut wie keine soziale Unterstützung und soziale Sicherheit in Form von Unterstützungsleistungen der Behörden für benachteiligte Familien oder Einzelpersonen. Es seien die Familie, die Großfamilie und ein erweitertes soziales Netzwerk, die für eine Absicherung sorgen würden.

In der Beweiswürdigung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es sei nicht erwiesen, dass der Beschwerdeführer über Familienmitglieder verfüge, auf deren Unterstützung er im Rahmen einer Wiedereingliederung in das Leben in Herat in Afghanistan vertrauen könne. Der Umstand, dass die Mutter im Iran berufstätig sei, lege nahe, dass sie von ihren Brüdern (den Onkeln mütterlicherseits) nicht finanziell unterstützt werde. Es sei glaubhaft, dass sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan von seinen beiden Onkeln mütterlicherseits keine zuverlässige finanzielle Unterstützung erwarten könne. Dass die Mutter über ausreichende finanzielle Mittel verfüge, um den Beschwerdeführer zu unterstützen, habe nicht festgestellt werden können.

In der rechtlichen Beurteilung dieses Erkenntnisses begründete das Bundesverwaltungsgericht die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wie folgt:

"[...] Im Fall des Beschwerdeführers liegt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK relevante Gefährdungslage bezogen auf ganz Afghanistan vor: Aufgrund der schwachen Behördenstruktur, fehlender Ressourcen und der schlechten Sicherheitslage ist aktuell keine Schutzfähigkeit des afghanischen Staates gegeben. Der Beschwerdeführer wäre im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan einer (nicht auf einen Konventionsgrund beruhenden) Bedrohungssituation ausgesetzt, die infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden könnte.

Der Beschwerdeführer zählt zwar zur Bevölkerungsgruppe der jungen gesunden Männer, die in Afghanistan aktuell noch am ehesten in der Lage wäre, Arbeit zu finden und sich wieder einzugliedern. Aufgrund seiner langjährigen Praxis als Hilfskraft in der Tischlerei seines Cousins verfügt er überdies über gewisse Berufserfahrung, was isoliert betrachtet dafür sprechen würde, dass der Beschwerdeführer in der Lage wäre, sich im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan wieder einzugliedern.

Gleichzeitig ist aber zu berücksichtigen, dass die aktuelle Sicherheitslage gerade in der Provinz Herat, in der die beiden Brüder Verwandte haben, prekär ist. Anschläge und bewaffnete Auseinandersetzungen, denen regelmäßig auch Zivilisten zum Opfer fallen, ereignen sich derzeit in einem Ausmaß, dass die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung überschreitet.

Weiters ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer seit seiner frühen Kindheit nicht mehr in Afghanistan gelebt hat und dass er weder in Afghanistan noch im Iran eine Schule besuchen konnte was seine Chancen, sich in Afghanistan wiedereinzugliedern erschweren würde.

Wie oben ausgeführt wurde, wohnt die Kernfamilie des Beschwerdeführers nicht in Afghanistan. Was seine beiden in Herat wohnhaften Onkel mütterlicherseits betrifft, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese bereit bzw. in Lage wären, den Beschwerdeführer im Rahmen einer Wiedereingliederung finanziell zu unterstützen. Das Fehlen einer derartigen finanziellen Unterstützung würde für den Beschwerdeführer aber mit maßgebender Wahrscheinlichkeit existenzbedrohende Folgen haben.

In Kabul verfügt der Beschwerdeführer über kein familiäres Netzwerk, das er zum Zweck einer Hilfestellung bei einer Wiedereingliederung in Kabul in Anspruch nehmen könnte. Wie sich aus den angegebenen Länderberichten ergibt, sind in Afghanistan beheimatete Behörden und Organisationen aktuell nicht in der Lage, Neuankömmlingen zuverlässig Hilfestellungen zur Erlangung der wesentlichen Elemente einer neuen Lebensgrundlage zu geben. Die im angefochtenen Bescheid behauptete Möglichkeit, sich an die Polizei und Armee oder an Hilfsorganisationen zu wenden und sich so eine Lebensgrundlage aufzubauen, ist vor diesem Hintergrund nicht als gegeben anzunehmen.

Die jüngsten Berichte über eine wachsende Zahl von Rückkehrern aus Pakistan, die nicht etwa freiwillig nach Afghanistan zurückkehren, sondern aus Angst vor in Pakistan drohender Verhaftung und Deportation, vor Anschlägen, Diskriminierungen und Vertreibungen unterstreichen diese Beurteilung.

Im vorliegenden Fall muss daher davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgebender Wahrscheinlichkeit jedenfalls in eine wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würde. Der Beschwerdeführer wäre im Fall seiner Rückführung nach Afghanistan daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der realen Gefahr ausgesetzt, in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK verletzt zu werden. Ein Ausschlussgrund für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ist nicht gegeben. [...]"

Weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde erhoben gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Das Erkenntnis vom XXXX ist daher rechtskräftig.

5. Am XXXX langten bei der belangten Behörde polizeiliche Unterlagen hinsichtlich eines versuchten Einbruchdiebstahls am XXXX , darunter eine Beschuldigtenvernehmung des Beschwerdeführers, ein Amtsvermerk der Polizeiinspektion XXXX und ein polizeilicher Abschluss-Bericht, ein. Den übermittelten Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer beschuldigt wird, am XXXX gemeinsam mit drei weiteren namentlich bekannten Personen und zwei unbekannten Tätern einen versuchten Einbruchdiebstahl begangen zu haben. Sämtliche vernommenen Beschuldigten leugneten die Tat und zeigten sich nicht geständig.

6. Mit Schreiben vom XXXX , bei der belangten Behörde eingelangt am

XXXX , stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs 4 AsylG. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab diesem Antrag mit Bescheid vom XXXX statt und erteilte dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum XXXX .

7. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schreiben vom XXXX die Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs 4 AsylG.

8. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom XXXX mit, dass beabsichtigt sei, ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, da die Gründe, die zur Zuerkennung geführt hätten, nicht mehr gegeben seien. In einem wurden dem Beschwerdeführer Länderberichte zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Afghanistan übermittelt. Der Beschwerdeführer werde zur Wahrung des Parteiengehörs eingeladen, binnen zwei Wochen zur Lage in Afghanistan sowie zu seiner aktuellen Situation in Österreich Stellung zu nehmen, wobei das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ihm dazu mehrere Fragen stellte.

9. Am XXXX langte die Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein, in der er ausführte, er halte sich seit sechs Jahren durchgehend in Österreich auf und lebe mit seinem Bruder zusammen. Er arbeite Vollzeit als Abwäscher und es bestünden keine gesundheitlichen Probleme. Er versehe sehr gut Deutsch, könne jedoch keine Deutschkursbestätigungen vorlegen.

10. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , zugestellt am

XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis vom XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die mit Erkenntnis vom XXXX erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs 4 AsylG entzogen (Spruchpunk II.). Der Antrag des Beschwerdeführers vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt IV.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt V) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 Z 1 AsylG aufgrund dessen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden, abzuerkennen gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX lediglich aufgrund fehlender sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsprovinz und der damaligen schlechten Sicherheitslage zuerkannt worden. Diese Gründe seien nicht mehr gegeben, da die Provinzen Kabul und Herat als sicher gelten würden. Des Weiteren würden sich viele Familienangehörige des Beschwerdeführers im Iran befinden und könnten ihm finanzielle Unterstützung gewähren. Der Beschwerdeführer könne zudem gemeinsam mit seinem (derzeit ebenfalls) in Österreich lebenden Bruder in Afghanistan Fuß fassen.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

11. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens.

12. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde zur Entscheidung vorgelegt.

13. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

14. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. In einem wurde die Abweisung der Beschwerde beantragt und um Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls ersucht.

15. Am XXXX langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ein.

16. Zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelte das Bundesverwaltungsgericht diese Stellungnahme mit Schreiben vom XXXX der belangten Behörde und gab dieser die Möglichkeit, sich dazu bis zur mündlichen Verhandlung zu äußern.

17. Am XXXX langte eine Stellungnahme der belangten Behörde zu den Länderberichten ein.

18. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes zu seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja (auf Deutsch).

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein (auf Deutsch).

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussagen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie nochmals Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: XXXX ist das Geburtsdatum. Ich bin in " XXXX " (phonetisch), in der Provinz Herat geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Farsi, Dari und Deutsch. Farsi und Dari ist die gleiche Sprache. In allen drei Sprachen kann ich weder lesen, noch schreiben.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin schiitischer Moslem. Ich bin ledig. Ich gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan und im Iran aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Seit meiner Geburt bis zu meinem XXXX Lebensjahr habe ich in Herat, in meinem Geburtsort, gelebt. Danach bin ich gemeinsam mit meiner Familie in den Iran nach XXXX gezogen.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan und im Iran gewohnt?

Beschwerdeführer: In Afghanistan haben wir in einem gemieteten Haus gewohnt. Im Iran haben wir auch in einem gemieteten Haus gelebt.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan und im Iran gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: In Afghanistan war ich noch ein kleines Kind. Erst ab dem 7. Lebensjahr konnte man "einen Kurs" besuchen. Im Iran durfte ich nichts machen. Ich durfte keinen Kurs besuchen. Im Iran hatten wir illegal gelebt. Wir hatten keine Karte gehabt. Dort hatten wir überhaupt keine Rechte. Wir konnten weder ein Haus unter unserem Namen haben, noch ein Fahrzeug, oder einen Kurs besuchen.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Überhaupt keine Schulausbildung habe ich genossen.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten derzeit?

Beschwerdeführer: Meine Familie lebt weiterhin in XXXX in einem angemieteten Haus. Die Situation für die afghanischen Flüchtlinge hat sich im Iran sehr verschlechtert.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Einmal in der Woche oder alle zwei Wochen einmal rufe ich meine Familie an.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: In Afghanistan habe ich niemanden. Ich hatte einen Onkel mütterlicherseits. Dieser ist auch mittlerweile in den Iran gezogen.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: In Österreich geht es mir Gott sei Dank gut. Ich arbeite in einem Restaurant. Ich gehe in die Arbeit und ich komme nach Hause. Etwas Besonderes mache ich nicht.

Richter: Machen Sie eine Ausbildung in Österreich? Sei es Sprache oder Schule?

Beschwerdeführer: Ich war im Iran Tischler und zwar Tischlermeister. Ich habe 12 Jahre dort in diesem Bereich gearbeitet und in Österreich angekommen, wollte ich in diesem Beruf weiterarbeiten. Mir wurde aber gesagt, dass ich zunächst die Sprache und schreiben und lesen lernen muss. Ich habe darauf gesagt, dass ich das Lesen und Schreiben nicht lernen kann. Ich wäre aber bereit, ein ganzes Jahr bei einem Tischlermeister unbezahlt arbeiten und danach mündlich eine Prüfung abzulegen. Wenn ich die mündliche Prüfung geschafft habe, werde ich in diesem Beruf arbeiten, wenn nicht, dann nicht. Mir wurde aber gesagt, dass ich schreiben lernen müsse, weil ich die Maße schreiben soll. Sie haben gemeint, ich soll schreiben und lesen können. Daraus wurde dann nichts. Ich habe dann in etwas weniger als 2 Jahren in einem chinesischen Restaurant als Küchenhilfe gearbeitet. Derzeit arbeite ich in einem österreichischen Restaurant und ich wasche dort Geschirr ab. Das Restaurant heißt XXXX .

Der Beschwerdeführer legt eine Lohnabrechnung mit Stand XXXX vor.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe keine österreichischen Freunde. Dort, wo ich arbeite, sind andere aus Albanien und Rumänien.

Der Beschwerdeführer legt seinen Arbeitsvertrag mit der XXXX vor. Sein Arbeitsort ist das Gasthaus XXXX . Das Arbeitsverhältnis ist unbefristet.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Ich bin einmal mit dem Fahrrad, als die Ampel für mich Rot war, gefahren und dann hatte ich mit der Polizei zu tun gehabt, ansonsten nichts. Ich hatte eine hohe Strafe zahlen müssen. Deswegen habe ich mich dagegen beschwert. Ich habe 205 Euro für diese Tat zahlen müssen. Normalerweise müsste man 35 Euro zahlen.

Richter: Was war mit dem Vorfall mit dem Einbruch?

Beschwerdeführer: Das war, glaube ich, im Jahr XXXX . Ich war Richtung Bahnhof in XXXX unterwegs. Mein Freund war vom Bahnhof in meine Richtung unterwegs. Bei der Ampel habe ich ihm gesagt, dass er dort stehenbleiben soll, weil ich mit ihm etwas besprechen möchte. Als die Ampel für mich grün wurde, habe ich die Straße überquert und bin zu meinem Freund gegangen. Da ist die Polizei gekommen und hat uns, alle vier, darunter auch meinen Bruder, in die Polizeidienststelle mitgenommen. Sie haben uns vorgeworfen, dass wir eingebrochen hätten und der Grund, warum sie uns mitgenommen haben, war, Informationen, die die Täter beschrieben haben. Auf Grund der Beschreibung der Täter haben sie uns mitgenommen. Sie haben die ganze Nacht und am nächsten Tag uns dazu befragt. Wir haben selbstverständlich keinen Einbruch begangen. Am Ende ist die Behörde zum Ergebnis gekommen, dass wir nicht die Personen waren, die diese Tat begangen haben. Die Polizisten haben uns gesagt, dass wir von ihnen einen Brief erhalten werden, dass wir unschuldig seien. Wir haben auch so einen Brief dann erhalten.

Richter: Leben Sie noch mit Ihrem Bruder zusammen?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Eine besondere Bedrohung für mich gibt es nicht. Die allgemeine Sicherheitslage ist schlecht. Es gibt auch ethnische Konflikte. Darüber hinaus gibt es Taliban und jetzt noch schlimmer die Daesh. Auch die Paschtunen, Tadschiken und Hazara schlagen einander.

Richter: Sind Sie religiös? Besuchen Sie eine Moschee?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe für Ihre Beschwerde!

Beschwerdeführer: Ich bin ca. seit über XXXX Jahren in Österreich. Ich habe hier einen subsidiären Schutz erhalten und das ist mir wieder aberkannt worden. Ich habe nichts Gesetzeswidriges gemacht. Was in meiner Beschwerde steht, darüber bin ich nicht am Laufenden.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: In Afghanistan gibt es ethnische Konflikte. Ich mag nicht nach Afghanistan zurückkehren. Es gibt dort keine Sicherheit. Außerdem habe ich auch dort niemanden. Meine Familie ist nicht dort.

Beschwerdeführervertreter: Wie lange arbeiten Sie schon?

Beschwerdeführer: Seitdem ich einen subsidiären Schutz erhalten habe und eine Arbeitserlaubnis habe, habe ich gearbeitet. Das macht insgesamt etwas weniger als drei Jahre aus.

Beschwerdeführervertreter: Waren Sie seit Erhalt des subsidiären Schutzes von staatlichen Leistungen abhängig?

Beschwerdeführer: Als ich beim chinesischen Restaurant gearbeitet habe, hat er mich als Teilzeit, als geringfügig Beschäftigten angemeldet gehabt. Ich habe mich mit den Gesetzen nicht ausgekannt. Außerdem bin ich auch Analphabet. In dieser Zeit habe ich auch staatliche Unterstützung erhalten. Einmal wurde der subsidiäre Schutz verspätet verlängert. Deshalb hat mich ein Restaurant gekündigt.

Beschwerdeführervertreter: Haben Sie die Fragen des Richters auch ohne Dolmetscher verstanden?

Beschwerdeführer: 50-60% habe ich verstanden.

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

19. Am XXXX übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht in Nachreichung zur Beschwerde einen Abschluss-Bericht des Stadtpolizeikommandos Graz, wonach der der sexuellen Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen zum Nachteil eines Praktikanten verdächtigt wird. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer beschuldigt wird, im Zeitraum zwischen XXXX und XXXX einen Praktikanten im Lokal " XXXX " gegen dessen Willen im Hüft- und Leistenbereich berührt zu haben. Der Beschwerdeführer bekannte sich nicht schuldig.

20. Der Beschwerdeführer übermittelte mit Schriftsatz vom XXXX weitere Integrationsunterlagen.

21. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben vom 29.1.2020 das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 zur Stellungnahme. Keine der Verfahrensparteien nahm innerhalb der dazu gesetzten Frist von zwei Wochen ab Zustellung Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist volljährig und afghanischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht nicht fest. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Weiter spricht er Farsi und Deutsch. Er kann diese Sprachen weder lesen noch schreiben. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX in Afghanistan geboren und lebte dort bis zu seinem XXXX Lebensjahr mit seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern in einem Miethaus. Im Alter von XXXX Jahren zog der Beschwerdeführer mit seiner Familie in den Iran und lebte dort bis zu seiner Ausreise Richtung Europa in einem angemieteten Haus in XXXX . Der Beschwerdeführer lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan oder im Iran. Der Beschwerdeführer besuchte keine Schule und arbeitete im Iran ab seinem sechsten Lebensjahr illegal als Tischler.

Der Vater des Beschwerdeführers ist seit dem Jahr XXXX verschollen und unbekannten Aufenthalts. Seine Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern leben nach wie vor im Iran in XXXX in einem angemieteten Haus. Die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers sind berufstätig und kommen für den Unterhalt der Familie auf. Die Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers sind zwischenzeitlich ebenfalls in den Iran gezogen und halten sich dort auf. Dass die Kernfamilie oder entfernte Verwandte des Beschwerdeführers in der Lage wären, den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan vom Iran aus finanziell zu unterstützen, konnte nicht festgestellt werden. In Afghanistan leben weder (entfernte) Verwandte noch sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Er verfügt in Afghanistan über kein soziales oder familiäres Netzwerk.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste im XXXX gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder, XXXX , geboren am XXXX , in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX seinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Tragende Gründe für die Gewährung des subsidiären Schutzes waren die seinerzeitige prekäre Sicherheitslage in Afghanistan und das Fehlen eines sozialen unterstützungsfähigen Netzwerkes.

Der Beschwerdeführer besuchte nach seiner Einreise im Schuljahr XXXX die polytechnische Schule XXXX vom XXXX bis zum XXXX . Ab XXXX war der Beschwerdeführer abgesehen von kurzen Unterbrechungen beinahe durchgehend berufstätig. Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und arbeitete zuletzt als Abwäscher bei der XXXX in XXXX . Derzeit ist der Beschwerdeführer nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat zwar keine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen abgelegt, spricht jedoch bereits gut Deutsch. Er hat soziale Kontakte in Österreich geknüpft.

Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , hält sich ebenfalls in Österreich auf. Ihm wurde mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt. Der Bruder des Beschwerdeführers erhob dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei das Beschwerdeverfahren noch anhängig ist. Der Beschwerdeführer lebt mit seinem jüngeren Bruder gemeinsam in einer Wohnung in XXXX .

In Österreich leben - abgesehen von seinem Bruder XXXX - keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

1.3 Zur Änderung der Umstände seit der Gewährung von subsidiärem Schutz

Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , mit welchem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist es weder zu einer nachhaltigen maßgeblichen Änderung seiner subjektiven bzw persönlichen Situation noch zu einer Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan gekommen. Die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes Erkenntnis vom XXXX geführt haben, haben sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten insgesamt nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw verbessert.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.4.1.2 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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