Entscheidungsdatum
18.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W272 2122189-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 25.01.2019, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG stattgegeben. Die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 07.01.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 05.02.2021 erteilt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 25.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG).
1.2. Am Tag der Antragstellung wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zunächst zu seinen persönlichen Verhältnissen angab, dass er in Daikundi geboren sei. Er spreche Farsi, könne weder schreiben noch lesen und gehöre der Volksgruppe der Hazara an und habe moslemischen Glauben (Schiit). Sein Vater, seine Mutter, und drei Schwestern würden im Iran leben. Als Fluchtgrund gab er an, dass er vor fünf Jahren, wegen des Krieges in Afghanistan, gemeinsam mit seiner Familie in den Iran geflohen sei. Nachdem er seine Aufenthaltsbewilligung im Iran verloren habe, habe er beschlossen nach Europa zu gehen. In Afghanistan habe er niemanden mehr, deshalb sei er nach Europa geflohen. Außerdem sei es in Afghanistan sehr unsicher und könnte er getötet werden. In Europa sei es sicher.
1.3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23.01.2016 schilderte der Beschwerdeführer, dass er aufgrund des Krieges in den Iran ausgereist sei, wo er sieben Jahre gemeinsam mit seiner Familie bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt habe. Befragt, ob er in Afghanistan Probleme aufgrund seiner Volkszugehörigkeit, Religion oder Staatsangehörigkeit gehabt hätte, verneinte er. Er hätte den Iran verlassen, um in Österreich zu lernen und zu studieren und weil ihn die Polizei im Iran abschieben hätte wollen. Er könne nicht zurück nach Afghanistan, da die Lage dort sehr schlecht und es für Hazara unsicher sei. Er hätte dort niemanden und könne dort auch nicht zur Schule gehen.
1.4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.02.2017 (Spruchpunkt III.) erteilt.
Begründend wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Moslem sei. Das BFA stellte fest, dass keine individuelle Verfolgung in Afghanistan glaubhaft hätte gemacht werden können. Des Weiteren kam die Behörde aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes zu dem Schluss, dass im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegeben seien. Dabei stellte die Behörde fest, dass sich der BF bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr in Afghanistan aufgehalten haben und danach mit seinen Eltern in den Iran gereist sei, wo er die letzten sieben Jahre verbracht habe. In Afghanistan habe er keine Angehörigen und habe er im Iran zwei Jahre die Schule besucht und als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seine Kernfamilie leben nach wie vor in der Stadt Qom und stehe er mit seiner Familie im regelmäßigen Kontakt. Der BF sei zu keiner Zeit in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat aufhältig. Er sei körperlich nicht eingeschränkt. Er sei uneingeschränkt arbeitsfähig und bestehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt betreffend die Person des BF kein Behandlungsbedarf wegen einer lebensbedrohenden Krankheit. Zur Situation im Falle seiner Rückkehr wurde ausgeführt, dass ein Abschiebehindernis vorliege, fußend auf dem fehlenden sozialen Netzwerk in seinem Heimatland Afghanistan in Verbindung mit den getroffenen Feststellungen zu seiner Person. Beweiswürdigend folgerte die Behörde, dass es sich beim BF zwar um einen erwerbsfähigen Mann handle, bei dem eine grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, jedoch habe sich aus den herkunftsbezogenen Informationen ergeben, dass die Lage in Afghanistan insgesamt betrachtet als angespannt bezeichnet werden könne. Auch wären keine Hinweise hervorgekommen, wonach von einer innerstaatlichen Schutzalternative ausgegangen werden könne, da der BF laut eigener Angaben keine Verwandtschaft in Afghanistan habe. Ebenso müsse berücksichtigt werden, dass er die letzten sieben Jahren im Iran aufhältig gewesen sei und dort sein Lebensmittelpunkt sei. Somit gebe es für den BF weder familiäre, soziale noch wirtschaftliche Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Aufgrund dieses Fehlens eines unterstützenden sozialen bzw. familiären Netzwerkes in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif stehe ihm folglich keine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung. Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des konkreten Falles könne daher nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr Gefahr laufe würden, einer Bedrohung seines Lebens oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd Art. 2 und 3 EMRK unterworfen zu werden. Festgestellt wurde daher, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr womöglich in eine aussichtlose Situation geraten würde. Eine Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG sei daher nicht auszuschließen.
5. In der gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aus Angst vor Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit verlassen hätte. Er sei Hazara, Schiit und sei die letzten sieben Jahre vor seiner Ausreise nach Europa im Iran gewesen. Er hätte keine Angehörigen in Afghanistan. Überdies gehöre er zu den Männern im wehrfähigen Alter. Seine Mutter hätte Angst vor einer Zwangsrekrutierung ihres Sohnes gehabt, da er sich zur Wehr setzen würde und dies zur Misshandlung, Folter oder Tötung seiner Person führen würde. Er sei gegen die Denkweise, Wertevorstellungen und Handlungen der Taliban. Er könne in Afghanistan nicht in die Schule gehen und sich nicht weiterbilden. Würde er sich weiterbilden, so würde es mit großer Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Konsequenzen für ihn haben, da es die Taliban gezielt auf Schulen abgesehen hätten.
6. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.09.2016 wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. mit Erkenntnis vom 15.05.2017, rechtskräftig am 23.05.2017, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
7. Am 02.12.2016 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ein. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.02.2019 erteilt.
2. Gegenständliches Verfahren:
2.1. Am 07.01.2019 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht einen weiteren Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ein.
2.2. In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 24.01.2019 erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftliche einvernommen.
2.3. Mit gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA; in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) vom 25.01.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes vom 05.02.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag vom 07.01.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass gemäß § 52 Absatz 9 FPG seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ferner wurde unter Spruchpunkt VI. ausgesprochen, dass die gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
In diesem Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger Afghanistans sei und der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitisch moslemischen Glauben habe. Er sei in Afghanistan in der Provinz Daikundi geboren worden und habe einen Teil seines Lebens mit seiner Familie im Iran verbracht. Er habe im Iran zwei Jahre lang eine afghanische Schule besucht und fünf Jahre Berufserfahrung in der Natursteinverarbeitung. Er habe eine Berufsausbildung sowie Berufserfahrung als Schneider, sowie aus seiner Tätigkeit in der Gastronomie hier in Österreich. Er leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er sprechen Dari, Farsi und ein wenig Deutsch. Zudem verfüge er im Iran und in Afghanistan über familiäre Anknüpfungspunkte und sei er mit den Gebräuchen und Gepflogenheiten der afghanischen Kultur vertraut. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur Situation im Falle einer Rückkehr folgerte die Behörde, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden. Seine subjektive Lage habe sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als dem Beschwerdeführer der subsidiäre Schutz gewährt worden sei, geändert. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in Afghanistan habe er nicht glaubhaft machen können. In seinem Fall bestehe eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative und könnte er seinen Lebensunterhalt in Mazar-e-Sharif oder Herat bestreiten und würde ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Zum Privat- und Familienleben wurde ausgeführt, dass er keine zum dauerhaften Aufenthalt berechtigten Verwandten in Österreich habe. Er gehe derzeit einer erwerbsmäßigen Arbeit nach und spreche mäßig Deutsch. Zudem sei er illegal ins Bundesgebiet eingereist. In der Bescheidbegründung führte die Behörde zu den persönlichen Feststellungen aus, dass sich diese sowie die Tatsache, dass er lesen und schreiben könne, sich aus seinen unwiderlegten und diesbezüglich durchaus plausiblen Angaben ergeben hätten. Zudem sei nachvollziehbar, dass er eine Berufsausbildung sowie Berufserfahrung als Schneider habe, den er von seiner Mutter gelernt habe und auch in Österreich aufgrund seiner Kenntnisse in der Lage sei, diesen Beruf auszuüben. Zudem solle er im Iran im Bereich der Natursteinverarbeitung in einer Fabrik gearbeitet haben. Diese Tätigkeit hätte er fünf Jahre lang ausgeübt. Neben seiner Berufserfahrung aus Afghanistan und dem Iran habe er seine Kenntnisse mit seiner Tätigkeit in Österreich ebenso massiv erweitert. Er habe selbst ausgeführt, dass er nun so viel Berufserfahrung hätte, dass das Finden von Arbeit in Afghanistan kein Problem mehr darstellen würde (EV-Protokoll vom 24.01.2019 Seite 4). Betrachte man in diesem Zusammenhang auch noch das vom Beschwerdeführer vorgelegte Arbeitszwischenzeugnis, bestünden an seinen Ausführungen kein Zweifel mehr. Aufgrund der in diesem Zeugnis bestätigten Fähigkeiten, müsse er in jedem Land der Welt in der Lage sein, Beschäftigung zu finden. Somit müsste dies auch in Afghanistan möglich sein. Er habe glaubhaft darstellen können, dass er ledig sei und keine Kinder habe. Die dahingehende erhebliche Änderung seit der letzten Entscheidung, dass der Beschwerdeführer auch über Verwandte in Afghanistan verfüge, habe sich im Zuge der Einvernahme am 24.01.2019 ergeben. Plötzlich solle er Verwandte in Mazar-e-Sharif haben. Es würde sich dabei um zwei Tanten väterlicherseits handeln. Nachdem er bei seinen Tanten ganz offensichtlich nicht der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe, müsse davon ausgegangen werden, dass nach wie vor Kontakt bestehe und wenn nicht durch den Beschwerdeführer persönlich, dieser durch seine Mutter problemlos herstellbar sein müsste. Damit habe er direkt in der Stadt Mazar-e-Sharif Verwandte, welche ihn im Falle der Rückkehr mit Unterkunft und bei der Suche nach Beschäftigung unterstützen würden. Nachdem seine Tanten auch verheiratet seien, hätte er dort auch männliche Anknüpfungspunkte, auf welche er sich abstützen könnte. Gepaart mit der finanziellen Unterstützung durch die Verwandten im Ausland, müsse ein Neustart in Afghanistan problemlos möglich sein. Neben den familiären Anknüpfungspunkten habe er auch noch soziale Kontakte über Facebook gegründet, über welche er Informationen aus seinem Heimatland lukrieren solle. Auch auf diese Kontakte könnte er bei der Rückkehr zurückgreifen und hätte damit ein weiteres nützliches Netzwerk. Zudem sei der Beschwerdeführer volljährig, gesund, arbeitsfähig und könnte er seinen Erfahrungsschatz mit der Reise und dem Aufenthalt in Österreich massiv erweitern. Er habe laufend Bildungsmaßnahmen in Österreich in Anspruch genommen und das Sozialsystem genutzt. Dies werde ihm bei der Eingliederung nützlich sein und eine ausweglose Situation im Falle der Rückreise müsse aus diesen Gründen ausgeschlossen werden. Begründend wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund der lokalen Sicherheitslage sowohl in seine Herkunftsprovinz zurückkehren könne, und auch etwa in den Provinzen Herat und Mazar-e-Sharif über eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative verfüge. Die Sicherheitslage in Herat und Mazar-e-Sharif sei grundsätzlich stabil und sicherheitsrelevante Vorfälle in den Städten würden sich hauptsächlich auf "high profile" Institutionen bzw. gegen "high-profile" Personen richten. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass ein Neustart in Herat oder Mazar-e-Sharif jenen Rückkehrern, die über familiäre oder soziale Netzwerke in Afghanistan oder direkt in Herat oder Mazar-e-Sharif verfügen, logischer Weise einfacher falle, als jenen ohne solches Netzwerk. Es sei jedoch nicht davon auszugehen, dass es einem volljährigen, gesunden jungen Mann, welcher Schulbildung und Berufserfahrung habe, unmöglich sei in seinem Heimatland einen Neustart zu schaffen. Seine Familie könnte ihn im Falle der Rückkehr nach Herat oder Mazar-e-Sharif mit finanziellen Mitteln unterstützen. Zudem habe er in Mazar-e-Sharif auch noch familiäre Anknüpfungspunkte. Zu den weiteren Spruchpunkten wurde unter anderem festgestellt, dass eine Abwägung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers mit jenen der Öffentlichkeit gegen den Beschwerdeführer und Zugunsten der Öffentlichkeit ausfalle, zumal er wie bereits ausführlich dargestellt, keinerlei Bindungen an Österreich habe.
2.4. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, beim Bundesverwaltungsgericht ein. Zusammengefasst wurde vorgebacht, dass die Behörde es unterlassen habe, die Lage zum Zeitpunkt der letztmaligen Verlängerung zu vergleichen. Eine Verbesserung der Situation in Afghanistan sei weder hinsichtlich der allgemeinen Situation noch betreffend die wirtschaftliche oder Sicherheitslage eingetreten. Auch habe sich hinsichtlich des sozialen und familiären Netzes des Beschwerdeführers bzw. des Fehlens eines solchen nichts geändert. Die Aberkennung des subsidiären Schutzes sei in keiner Wiese nachvollziehbar, zumal es sich beim BF um eine Person handle, die keine zumutbare Existenz in Afghanistan zu führen in der Lage wäre, wie auch schon das Bundesamt festgestellt habe. Im vorliegenden Fall können nicht davon gesprochen werden, dass sich der Kenntnisstand der Behörde in irgendeiner Weise verändert hätte, lediglich divergiere die Interpretation der vorliegenden behördlichen Kenntnisse zu jenen im vorherigen Verlängerungsbescheid. So habe es verabsäumt aufzuzeigen, worin die wesentliche Änderung im Konkreten bestehe. Auch die aufgenommene Niederschrift vor dem BFA zeige auf, dass in der Person des BF keine wesentlichen Änderungen eingetreten seien, auch nicht die Lebensumstände seiner Familie, diese würden nach wie vor im Iran leben. Bis auf Deutschkurse habe er keine besonderen Qualifikationen erworben. Der BF habe keinerlei familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan. In Österreich sei er seit vier Jahren aufhältig, spreche bereits sehr gut Deutsch und sei selbsterhaltungsfähig. Insgesamt sei die Frage der Zulässigkeit der Aberkennung des subsidiären Schutzes, einer Rückehrentscheidung, der Zulässigkeit einer Abschiebung keiner adäquaten Beurteilung, insbesondere keiner aktuellen Beurteilung, unterzogen worden.
2.5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.11.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
2.6. Im Zuge des Vor- und gegenständlichen Verfahrens brachte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen in Vorlage:
* Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs am 14.10.2016;
* ÖSD-Zertifikat B1 vom 09.08.2017;
* Arbeitszwischenzeugnis vom 17.01.2018;
* Arbeitsvertrag vom 04.06.2018;
* Lohn/Gehaltsabrechnungen von Juni bis Dezember 2018;
* Arbeitsvertrag im Gastronomiebereich beginnend mit 09.11.2019 bis 22.12.2019
2.7. Im Rahmen des Parteiengehörs vom 20.11.2019 wurde dem BF die aktuelle Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019 sowie weitere Berichte betreffend die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere Herat und Mazar-Sharif, übermittelt.
2.8. Mit Schreiben vom 29.11.2019 wies die Vertretung des BF darauf hin, dass die Länderberichte eindeutigen aufzeigen würden, dass von einer Verbesserung der Sicherheitslage in Afghanistan nicht ausgegangen werden könne.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan am XXXX geboren, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist ledig, hat keine Obsorgeverpflichtungen, ist gesund und arbeitsfähig. Seine Muttersprache ist Dari. Der BF stammt aus der Provinz Daikundi. Der BF ist im Alter von vierzehn Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran verzogen, wo er sieben Jahre gemeinsam mit seiner Familie in Qom, Iran lebte; seither war der Beschwerdeführer nicht mehr in Afghanistan aufhältig. Der Beschwerdeführer hat im Iran eine zweijährige Schulbildung erhalten; und hat fünf Jahre lang als Hilfsarbeiter gearbeitet. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Die Mutter des Beschwerdeführers sowie seine drei Schwestern leben in der Stadt Qom im Iran, es besteht regelmäßiger Kontakt. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. In Afghanistan leben zwei Tanten des BF, es besteht weder Kontakt noch ist dem BF der konkrete Aufenthaltsort seiner Verwandten bekannt. Der BF verfügt in Afghanistan nicht über ein familiäres Netz oder soziale Anknüpfungspunkte, welche den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr unterstützen würde. Die Kernfamilie des Beschwerdeführers lebten sowohl zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten als auch zum Zeitpunkt der Aberkennung des Schutzstatus im Iran.
Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland.
Der BF war zunächst, nach illegaler Einreise in das österreichische Staatsgebiet und Antragsstellung auf internationalen Schutz am 25.08.2015, als Asylwerber in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer, war daher zum Zeitpunkt des Bescheides vom 05.02.2016 als auch zur Zeit des Verlängerungsbescheides vom 19.12.2016 bereits 21 Jahre alt und somit volljährig. Nach Zustellung des Bescheides vom 05.02.2016 war er als subsidiär Schutzberechtigter aufhältig und erhielt zunächst eine bis 05.02.2017 eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Ursächlich dafür war zum einen die insgesamt als angespannt zu bezeichnende Lage in Afghanistan sowie der Umstand, dass der BF seit sieben Jahren im Iran aufhältig gewesen sei, wo er seinen Lebensmittelpunkt habe, weshalb der BF über keine familiären, sozialen noch wirtschaftliche Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge und wurde aufgrund des Fehlens eines unterstützenden sozialen bzw. fehlenden Netzwerkes in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative ausgeschlossen. Zu seiner Kernfamilie, welche sich in Qom aufhalte, pflege er regelmäßigen Kontakt. In den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat habe er noch nie gewohnt. Er sei körperlich nicht eingeschränkt, sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Im Fall des Beschwerdeführers liege aufgrund des Fehlens eines sozialen Netzwerkes im Herkunftsstaat sowie aufgrund seiner individuellen Umstände ein Abschiebehindernis vor.
Eine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status als Asylberechtigter wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.05.2017 hinsichtlich der Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen und erwuchs am 23.05.2017 in Rechtskraft.
Der Beschwerdeführer brachte fristgerecht am 02.12.2016 einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ein, woraufhin seine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.02.2019 verlängert wurde.
Ein Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes wurde am 07.01.2019 gestellt und dieser mit dem gegenständlichen Bescheid abgewiesen und der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt.
In Österreich ist der Beschwerdeführer unbescholten. Er ist unselbstständig erwerbstätig und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Er besuchte Deutschkurse und nahm an einem Werte- und Orientierungskurs teil und war. Während seines Aufenthaltes war der Beschwerdeführer teilweise erwerbstätig.
Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz Daikundi sowie in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2016 nicht wesentlich und nachhaltig verändert haben.
Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz Daikundi sowie in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Verlängerung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2016 nicht verändert haben.
1.2. Zum Herkunftsstaat:
Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt.
Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).
Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).
Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).
Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))
Bild kann nicht dargestellt werden
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit
29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:
Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))
2016
2017
2018
2019
Jänner
2111
2203
2588
2118
Februar
2225
2062
2377
1809
März
2157
2533
2626
2168
April
2310
2441
2894
2326
Mai
2734
2508
2802
2394
Juni
2345
2245
2164
2386
Juli
2398
2804
2554
2794
August
2829
2850
2234
2443
September
2493
2548
2389
-
Oktober
2607
2725
2682
-
November
2348
2488
2086
-
Dezember
2281
2459
2097
-
insgesamt
28.838
29.866
29.493
18.438
Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o. D.))
Bild kann nicht dargestellt werden
Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folg