TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/23 W191 2133052-2

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Veröffentlicht am 23.09.2019
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Entscheidungsdatum

23.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W191 2133052-1/13E

W191 2133052-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen

1) den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2016, Zahl 1066515308-150436391, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.04.2019

2) den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2019, Zahl 1066515308-190764525 / BMI-BFA_NOE_AST_02

zu Recht:

Ad 1)

A)

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.07.2016 wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Ad 2)

A)

I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall Asylgesetz 2005 stattgegeben und werden diese ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend geändert, dass dem Antrag vom 27.05.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 13.07.2021 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 29.04.2015 irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und wurde im Zug von Budapest kommend in 1100 Wien, Hauptbahnhof, gemeinsam mit zwei weiteren Fremden aufgegriffen und mangels eines gültigen Aufenthaltstitels vorläufig festgenommen. Er stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden war.

1.2. In seiner Erstbefragung am 29.04.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes des PAZ (Polizeianhaltezentrum) Wien gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus Laghman, sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem und ledig. Als Geburtsdatum wurde nach den Altersangaben des BF der XXXX festgehalten. Er habe acht Jahre lang die Grundschule besucht, könne jedoch nicht lesen. Zu Hause würden sich noch seine Eltern und sein kleiner Bruder aufhalten.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Vater von ihm verlangt habe, dass er [von Kabul] nach Laghman in die Schule gehe und sich den Taliban anschließe. Da er dies nicht gewollt habe, habe er Afghanistan verlassen.

Der BF beschrieb seine Reise über Iran, Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn, die sein Onkel mütterlicherseits organisiert habe, recht detailliert.

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Erstaufnahmestelle (EAST) Ost in Traiskirchen, hatte zunächst Zweifel an dem vom BF angegebenen Alter, akzeptierte dieses aber offenbar nach einer eingeholten Handwurzelröntgenaufnahme vom 20.05.2015.

1.4. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom 15.01.2016, 7 Ps 5/16s - 2, wurde dem Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger die Obsorge für den damals minderjährigen BF übertragen.

1.5. Bei seiner Einvernahme am 17.05.2016 vor dem BFA, Regionaldirektion Niederösterreich in Traiskirchen, im Beisein seiner Vertreterin und eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, gab der BF im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei 15 Jahre alt, in der Provinz Laghman geboren und dann mit der Familie für zwei Jahre nach Pakistan übersiedelt. Zuletzt hätten sie neun oder zehn Jahre lang in Kabul gelebt. Sein Vater sei Taxifahrer. Mit seiner Familie habe er keinen Kontakt mehr, da er mit seinem Vater Probleme gehabt habe.

Sein Vater habe ihn fünf- bis sechsmal aufgefordert, zu den Taliban in Laghman zu gehen. Dies habe er den Taliban sicher versprochen.

Die Vertreterin des BF legte eine klinisch-psychologische Stellungnahme vom 13.05.2016 vor, wonach der BF an einer Posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 sowie an einer mittelgradigen depressiven Episode F32.1 leide. Die Bereitschaft des BF für die Inanspruchnahme einer dringend empfohlenen Psychotherapie sei zuletzt gestiegen.

Dem vorgelegten Sozialbericht vom 13.05.2016 zufolge war ebenfalls zu entnehmen, dass der BF große psychische Probleme hatte (Konzentrationsschwäche, Lethargie, Depressivität, deutlicher Gewichtsverlust, Schlafprobleme), zuletzt aber zunehmend Verbesserungen sowie enorme Fortschritte in Sprachverständnis und -äußerung zeigte.

1.6. In der Stellungnahme der Vertreterin des BF vom 30.06.2016, im Verwaltungsakt unchronologisch erst nach Bescheid und Beschwerde eingeordnet, wurden die für eine positive Entscheidung bezüglich des BF sprechenden Argumente noch einmal zusammengefasst dargelegt.

Besonderes Augenmerk wurde auf die psychische Erkrankung des BF gelegt.

1.7. Mit Bescheid vom 13.07.2016 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 29.04.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm in Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 13.07.2017.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Er sei "grundsätzlich gesund" und arbeitsfähig, leide jedoch an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Episode.

Sein Fluchtvorbringen habe der BF glaubhaft gemacht, dieses wurde jedoch in der rechtlichen Beurteilung als rein "private Auseinandersetzung" insbesondere aus persönlichen Motiven - und somit nicht als asylrelevante Verfolgung - bewertet.

Die Gewährung von subsidiärem Schutz begründete das BFA damit, dass der BF in Afghanistan zwar Familienangehörige habe, das Land aber wegen familiären Auseinandersetzungen mit seinem Vater verlassen habe. Da er in Afghanistan über keine guten familiären Netzwerke verfüge, wäre er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt.

1.8. Mit Schreiben der ihn damals vertretenden rechtsberatenden Hilfsorganisation vom 12.08.2016 brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem dieser Bescheid vom 13.07.2016 bezüglich Spruchpunkt I. (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" angefochten wurde.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen moniert, dass die den BF treffende Gefahr der Rekrutierung durch die Taliban - die vom BFA für glaubhaft bewertet worden sei - eine asylrelevante Verfolgung darstelle.

Überdies leide der BF an psychischen Erkrankungen und liege Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe vor.

Beantragt wurde unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

1.9. Laut Schreiben des Hofes SCHWECHATBACH vom 12.11.2016 nahm der BF dort seit Oktober 2016 das Angebot "tiergestützte Intervention (mit Pferd)" in Anspruch.

1.10. Mit Schreiben seines damaligen Vertreters vom 28.06.2017 stellte der BF den Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung, dem mit Bescheid des BFA vom 03.10.2017 bis 13.07.2019 entsprochen wurde.

1.11. Das BVwG führte bezüglich des angefochtenen Bescheides vom 13.07.2016 (betreffend § 3 AsylG - Asyl) am 01.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF persönlich im Beisein seiner nunmehrigen gewillkürten Vertreterin erschien.

In der Verhandlung gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Paschtu, ich spreche darüber hinaus auch Dari und etwas Englisch.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Paschtu.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Seit ca. einem Jahr habe ich Schmerzen im rechten Unterschenkel. Voriges Jahr habe ich dagegen Vitamin D Tabletten eingenommen, die mir mein Hausarzt verschrieben hat. Manchmal muss ich beim Gehen stehen bleiben und mich niedersetzen und warten, bis die Schmerzen nachlassen.

RI: Hatten Sie nicht psychische Probleme?

BF: Ja, ich habe dagegen ca. 20 Mal Gesprächstherapien bekommen, anfangs mit Dolmetscher, und habe auch Therapien in meiner Unterkunft im Wienerwald mit Klettern und Reiten gemacht. Heute geht es mir viel besser. Manchmal habe ich noch Einschlafprobleme, wenn ich an meine Familie denke. Auch gegen Schlafstörungen habe ich Tabletten eingenommen. Jetzt bin ich über 18 Jahre alt und habe keine Möglichkeiten mehr, leicht zu Medikamenten zu kommen.

[...]

Der BF hat bisher keine Bescheinigungsmittel für seine Identität und sein Fluchtvorbringen vorgelegt und legt auch heute keine vor.

Er hat mehrere Beweismittel bezüglich seiner Gesundheit und seiner Integration vorgelegt, auf die er verweist.

Heute legt er weiters vor:

Teilnahme- und Kursbestätigungen (Hilfe im Notfall, Basisbildung, Soziales, Werte- und Orientierungskurs), Zeugnis über die bestandene Pflichtschulabschlussprüfung vom 26.02.2019, die in Kopie zum Akt genommen werden.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

[...]

RI: Wann haben Sie Afghanistan verlassen?

BF: Im März 2015. Als ich klein war, waren wir auch zwei Jahre lang in Pakistan aufhältig.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Mein Onkel mütterlicherseits lebt in Kabul.

RI: Und ihre Mutter auch?

BF: Vielleicht, ich weiß es nicht. Seitdem ich nach Österreich gekommen bin, habe ich keinen Kontakt mehr mit meiner Mutter.

RI: Mit Ihrem Onkel schon?

BF: Ein- oder zweimal habe ich mit meinem Onkel kommuniziert, das letzte Mal war im Jahr 2015, dann habe ich seine Telefonnummer verloren.

RI: Woher wissen Sie dann, dass er in Kabul lebt?

BF: Genau weiß ich es nicht.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF: Ja.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und fließend auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Nein, ich habe mich letzte Woche von AMS Mödling zu AMS Wien umgemeldet. Ich habe ca. sechs Adressen bekommen und mich online beworben, aber noch keine Antworten bekommen. Ich würde z.B. gern als Verkäufer bei BILLA arbeiten.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Ich habe sechs Monate lang eine Kung-Fu Schule besucht.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Nein.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Ich habe die Wahrheit erzählt. Aufgrund meines vorgebrachten Fluchtvorbringens habe ich Afghanistan verlassen.

RI: Hat Ihre Familie jemals in Laghman gewohnt?

BF: Ja, in Laghman bin ich geboren.

RI: Wie lange waren Sie in Laghman?

BF: Ich war sehr klein, als wir in Laghman gelebt haben.

RI: War es so, dass Sie bis zu ca. Ihrem vierten oder fünften Lebensjahr in Laghman, dann zwei Jahre in Pakistan und dann in Kabul gelebt haben?

BF: Ja.

RI: Wieso würde dann Ihr Vater Sie aus Kabul nach Laghman zu den Taliban schicken wollen?

BF: Ich weiß es nicht. Vielleicht ist Laghman das Zentrum der Taliban.

RI: Ist Ihr Vater so ein Fan der Taliban?

BF: Ich weiß es nicht.

BFV [Vertreterin des BF]: Ist Ihr Vater streng religiös?

BF: Ja.

BFV: Hatte Ihr Vater jemals persönliche Kontakte mit den Taliban?

BF: Vielleicht, ich weiß es nicht.

BFV: Wollte Ihr Vater auch Ihren Bruder zu den Taliban schicken?

BF: Vielleicht, ich weiß es nicht, weil ich in Österreich bin. Andererseits, ich habe keinen Kontakt mit meiner Familie.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV verweist auf die Stellungnahme und die Beschwerde.

RI befragt BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht.

Weitere Beweisanträge: Keine. [...]"

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

1.12. Mit von der ihn vertretenden Hilfsorganisation unterstützt erstelltem Schreiben vom 27.05.2019 stellte der BF einen weiteren Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG (subsidiärer Schutz).

Mit ausgefülltem Formularvordruck des BFA vom 14.06.2019 stellte der BF diesen Antrag noch einmal.

1.13. Bei seiner Einvernahme am 28.06.2019 vor dem BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, Betreff: Einvernahme zur Prüfung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, wurde der BF zu seinen Lebensumständen in Österreich sowie zu seinen Kontakten nach Afghanistan befragt.

Der BF schilderte seinen Tagesablauf und seine Integrationsbemühungen in Österreich. Mit seiner Familie in Afghanistan habe er seit 2016 (mit seiner Mutter) keinen Kontakt mehr.

1.14. Mit Bescheid vom 01.08.2019 wurde der dem BF mit Bescheid vom 13.07.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde ihm die mit Bescheid vom 13.10.2017 erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen und in Spruchpunkt III. sein Antrag vom 27.05.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen.

In den Spruchpunkten III. - VI. wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Die Aufhebung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass der BF nun nicht mehr minderjährig sei und demnach keine besonders schutzbedürftige Person mehr sei. Zudem habe er in Österreich Bildung und Wissen dazugewonnen.

1.15. Gegen diesen Bescheid des BFA vom 01.08.2019 (Aberkennung von subsidiärem Schutz) erhob der BF mit Schreiben der ihn vertretenden rechtsberatenden Hilfsorganisation vom 12.08.2019 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge von "Verletzung von Verfahrensvorschriften" angefochten wurde.

In der Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Gründe, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den BF geführt haben, sich im Wesentlichen nicht geändert hätten. Die Voraussetzungen für die Aberkennung gemäß § 9 lägen sohin mangels wesentlicher Änderung der maßgeblichen Umstände nicht vor.

Der BF sei seit 2014 in Österreich aufhältig, sein Aufenthalt sei somit seit mehr als viereinhalb Jahren rechtmäßig gewesen. Er habe viele Kurse besucht und die Pflichtschule abgeschlossen. Er sei erst seit einigen Monaten volljährig, seitdem auf Arbeitssuche und habe sich bei einigen Firmen beworben. Er sei [strafgerichtlich] unbescholten.

Seine Kontakte zu seiner Familie in der Heimat seien nicht intensiv [Anmerkung: in seiner Einvernahme am 28.06.2019 - wie auch schon zuvor in seiner Einvernahme vor dem erkennenden Gericht in seiner Beschwerdeverhandlung betreffend § 3 AsylG am 01.04.2019 - hatte der BF angegeben, seit dem Jahr 2016 keinen Kontakt mehr gehabt zu haben].

Insgesamt erscheine der mit einer Außerlandesbringung seiner Person verbundene Eingriff in sein Privatleben unzulässig.

Vor allem aber sei eine allfällige Änderung der Rechtsprechung - etwa des VwGH - keine hinreichende Grundlage für die Durchbrechung des Grundsatzes der Rechtskraft und somit auch nicht dafür, eine Entscheidung einer Behörde oder eines Gerichts ohne hinreichenden Grund zu beseitigen und neu zu entscheiden.

1.16. Das BFA legte die Beschwerde gegen den Bescheid vom 01.08.2019 samt Verwaltungsakt vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 29.04.2015 und der Einvernahmen vor dem BFA am 17.05.2016 und 28.06.2019, die vom BF vorgelegten Belege bezüglich seiner Gesundheit und seiner Integration sowie die gegenständlichen Beschwerden vom 12.08.2016 und vom 12.08.2019, sowie in die Gerichtsakten des BVwG

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF in den erstbehördlichen Verfahren (Auszüge aus den jeweils aktuellen Länderinformationsblättern der Staatendokumentation des BFA)

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat und in der Provinz Laghman sowie zur medizinischen Versorgung (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 01.03.2019)

o Auszug aus "EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungsstrategien der Taliban" (Juli 2012, Seiten 42-44)

o einen Auszug aus Landinfo report Afghanistan: "Rekrutierung durch die Taliban", vom 29.06.2017 (Arbeitsübersetzung) sowie

o Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu Afghanistan:

"Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung" vom 05.04.2017

Der BF hat keine Beweismittel oder sonstige Belege für sein Vorbringen vorgelegt.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch etwas Dari.

3.1.2. Lebensumstände des BF in Afghanistan:

Der BF stammt aus der Provinz Laghman und zog als Kleinkind mit seiner Familie für zwei Jahre nach Pakistan. Zuletzt lebte er bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan mit seinen Eltern und seinem kleineren Bruder in der Stadt Kabul. Er besuchte dort acht Jahre lang die Schule. Sein Vater war als Taxilenker erwerbstätig.

Der BF verfügt in Afghanistan seit seiner Ausreise im Jahr 2015 kaum über familiäre oder sonstige soziale Kontakte oder Anknüpfungspunkte. Nach seinen Angaben hatte er zuletzt telefonischen Kontakt mit seiner Mutter im Jahr 2016.

3.1.3. Lebensumstände des BF in Österreich:

Der BF bemüht sich in Österreich ernsthaft um seine Integration. Er hat nach anfänglichen Lernproblemen aufgrund seiner schwierigen gesundheitlichen Situation den Pflichtschulabschluss geschafft, eine Polytechnische Schule besucht, ein Praktikum absolviert, diverse Kurse und Workshops besucht und ist derzeit beim AMS auf der Suche nach Arbeit.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Der von ihm vorgelegte Sozialbericht weist den BF als intelligenten, jungen introvertierten Mann aus.

3.1.4. Der BF leidet - wie schon das BFA im Bescheid vom 13.07.2016 festgestellt hat - an erheblichen gesundheitlichen Problemen. Er litt laut vorgelegter klinisch-psychologischer Stellungnahme an einer Posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 sowie an einer mittelgradigen depressiven Episode F32.1 und hatte laut vorgelegtem Sozialbericht psychische Probleme, die sich in Konzentrationsschwäche, Lethargie, Depressivität, deutlichem Gewichtsverlust und Schlafproblemen äußerten.

Der BF hat Hilfe für seine Probleme in Anspruch genommen (Medikamente, tiergestützte Intervention mit Pferd sowie Gesprächstherapie) und eine Verbesserung seiner gesundheitlichen Situation sowie deutliche Integrationserfolge (etwa Pflichtschulabschluss) verzeichnen können.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nicht politisch tätig und gehörte nicht einer politischen Partei an.

3.2.2. Der BF hat Afghanistan im Alter von ca. vierzehn Jahren aus angegebenen Problemen mit seinem Vater - einem streng religiösen Mann - verlassen, da ihn dieser zur Ausbildung für den Kampf zu den Taliban nach Laghman hätte schicken wollen.

Der BF hat dieses Vorbringen einer asylrelevanten Verfolgung - wegen der Gefahr der Rekrutierung durch die Taliban - nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

3.3. Zum subsidiären Schutz:

Dem BF wurde mit Bescheid des BFA vom 13.07.2016 rechtskräftig der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und mit Bescheid vom 13.10.2017 seine befristete Aufenthaltsberechtigung um weitere zwei Jahre verlängert.

Eine im Vergleich zum Bescheid vom 13.07.2016 eingetretene grundlegende und dauerhafte Änderung jener Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, liegt nicht vor.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

3.4.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 04.06.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.04.2018).

[...]

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.01.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 5

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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