TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/13 W271 2120202-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2019
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Entscheidungsdatum

13.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §15b
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W271 2120202-3/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH, Wolfeggstraße 1, 6900 Bregenz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West (EASt-West), vom 27.06.2019, Zl. 820825705-190037402-2, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.08.2019, zu Recht:

A)

Spruchpunkt VIII. (Einreiseverbot) des angefochtenen Bescheids wird behoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erster Antrag auf internationalen Schutz

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsbürger und Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet erstmals am 07.08.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am XXXX gab der Beschwerdeführer an, dass er im Herkunftsstaat verheiratet sei und zwei Töchter habe. Bis 2006 habe der Beschwerdeführer in Kabul eine Universität besucht.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 12.08.2011 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus. Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Diese Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 13.12.2011 zugestellt.

2. Ausreise in die Schweiz

Nach Zustellung der Entscheidung des Bundesasylamts reiste der BF illegal in die Schweiz ein und begehrte Asyl. Der BF wurde nach abweisender Entscheidung nach Österreich rücküberführt.

3. Zweiter Antrag auf internationalen Schutz

Nach erfolgter Rückübernahme stellte der Beschwerdeführer am 04.07.2012 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 12.08.2012 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 24.09.2012, Zl. B1 421.106-2/2012/3E, gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ab.

4. Dritter Antrag auf internationalen Schutz

Der Beschwerdeführer stellte am 23.09.2013 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 16.06.2015, Zl. 820825705/1722551, gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 03.09.2015 zu W202 1421106-3 ab.

5. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.01.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.08.2018, W218 2120202-1, zugestellt am 03.08.2018, ab.

6. Planung der freiwilligen Rückkehr

Am XXXX meldete sich der BF zur freiwilligen Rückkehr an.

7. Vierter Antrag auf internationalen Schutz - Zurückweisung und Behebung

Am 11.01.2019 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Am 31.01.2019 stellte er zudem einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 08.02.2019, Zl. 820825705-190037402, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurück und den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen ab. Das Bundesamt erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung für zulässig, räumte ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise ein, verhängte ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren gegen ihn und trug ihm auf, in einem gesonderten Quartier Unterkunft zu nehmen.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte mit seiner Entscheidung vom 20.05.2019, W168 2120202-2, die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Im Übrigen gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt und behob den angefochtenen Bescheid gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG iVm § 68

AVG.

8. Vierter Antrag auf internationalen Schutz - Abweisung und gegenständliche Beschwerde

Nach neuerlicher Einvernahme des Beschwerdeführers und Einführung aktualisierter Länderberichte ins Verfahren wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 27.06.2019, Zl. 820825705-190037402-2, den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 11.01.2019 ab. Das Bundesamt erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung für zulässig, räumte ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise ein, verhängte ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren gegen ihn und trug ihm auf, in einem gesonderten Quartier Unterkunft zu nehmen. Das BFA erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die dem Bundesverwaltungsgericht am 01.08.2019 vorgelegt wurde.

Am 09.08.2019 fand in der Angelegenheit eine mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Grunddaten

Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX alias XXXX . Er stammt aus XXXX .

Der BF ist afghanischer Staatsbürger, gehört der usbekischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Er spricht gut Dari, mittelgut Usbekisch sowie ein wenig Paschtu und Deutsch. Er kann Dari lesen und schreiben. Dabei handelt es sich um eine Landessprache in Afghanistan.

Der BF lebte bis zu seiner Ausreise im Jahr 2009 in Afghanistan und wurde bis dahin von seiner Familie versorgt. Er reiste legal mit seinem Reisepass und Visum in den Iran ein. Im Zuge der Weiterreise verbrachte er einige Zeit in Griechenland, wo er davon lebte, sich Geld von seiner Familie schicken zu lassen; die Lage in Griechenland empfand er als "miserabel". Der BF entledigte sich im Iran seines Passes und warf seine Tazkira auf Anraten des Schleppers in der Türkei weg.

Familie und Kontakte

Der BF ist mit XXXX (im Jahr 2011 war diese 22 Jahre alt), verheiratet. Der BF hat mit ihr zwei Töchter (im Jahr 2011 4,5 und 6 Jahre alt). Die Frau und Kinder des BF leben beim reichen Schwiegervater des BF in XXXX . Sie werden von diesem und der Familie des BF versorgt, sodass dieser sich keine Sorgen um sie machen muss. Außerdem arbeitet die Frau des BF als Lehrerin. Die Schulferien verbrachte sie beim Vater des BF.

Bis jedenfalls Mitte 2015 pflegte er über Facebook Kontakt zum Bruder seiner Frau, mit dem er gut befreundet ist; dieser lebt in Kabul (Einvernahmeprotokoll vom XXXX, AS 1395 ff). Dieser Schwager des BF ist auch mit der Schwester des BF verheiratet (Verhandlungsprotokoll, S. 8). Immer wieder hatte der BF auch Kontakt zu anderen Familienmitgliedern in Afghanistan und auch in Kabul, wie etwa seinem Halbbruder oder seinem Cousin (Verhandlungsprotokoll vom 02.05.2018, W218 2120202-1, Seiten 8 f). Er pflegte auch Kontakt zu einem Cousin im Iran (AS 1397) und zu einem Freund in der Herkunftsregion, dessen Telefonnummer der BF hatte (AS 1161). Der BF brach den Kontakt zu Teilen seiner Familie ab, weil er diese nicht weiter über seine wahren Lebensumstände belügen möchte (Verhandlungsprotokoll, S. 8). Es wäre für den BF jedoch, zB über Facebook, wie schon bisher, möglich, wieder Kontakt zu seiner Familie herzustellen.

In Afghanistan leben außerdem noch die Eltern des BF ( XXXX XXXX ) und weitere Familienmitglieder, wie zB die zahlreichen (Halb-)Geschwister des BF (AS 114; drei Brüder und zehn Schwestern;

insgesamt 25 Geschwister und Halbgeschwister laut Verhandlungsprotokoll, S. 8). Der BF verfügt väterlicherseits und mütterlicherseits über mehrere Onkel und Tanten sowie deren Kinder;

er kennt auch die Brüder und Schwestern der Zweitfrau seines Vaters. Der BF kennt zudem zahlreiche Personen aus seinem Herkunftsgebiet.

Die Familie des BF lebt überwiegend in der Herkunftsprovinz des BF. Eine Tante des BF lebt in Kabul; diese Tante hat Kinder. Einer der Söhne dieser Tante ist der beste Freund des BF (Verhandlungsprotokoll, S. 29).

Der Vater des BF ist ein wohlhabender Mann und verfügt über Grundstücke (10 Jirib), die er verwalten lässt, wovon er lebt.

Ausbildung und Berufserfahrung

Der BF besuchte in XXXX für 12 Jahre die Grundschule und in Kabul für etwa zwei Jahre die Universität für Pädagogik und die Sprache Dari.

Der BF verfügt über Berufserfahrung: Im Iran hat er u.a. als Installateur und Zimmermann bzw. als Hausmeister gearbeitet (Einvernahmeprotokoll vom XXXX, AS 1399; Verhandlungsprotokoll, S. 10).

In Österreich hat er z.B. für neun Monate im Lager in Traiskirchen gearbeitet und übernahm in einem Asylheim während seines Aufenthalts dort für etwa vier Jahre die Aufgabe des Hausmeisters, wofür er ein wenig Geld erhielt (Schreiben der Caritas, 29.05.2015, AS 1385; Einvernahmeprotokoll vom XXXX, AS 1394; Einvernahmeprotokoll, 29.01.2019, AS 147). Er war auch seit Ende 2014 regelmäßig über das Projekt "Nachbarschaftshilfe" beschäftigt (Schreiben der Caritas, 12.01.2016, AS 1661) und arbeitet regelmäßig für 27 h im Monat (Verhandlungsprotokoll vom 02.05.2018, W218 2120202-1, Seite 6). Er hat diese Tätigkeiten über Jahre hinweg zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber ausgeübt (AS 45). Zwischen Jänner 2015 und Juli 2018 leistete er insgesamt XXXX Stunden an Remunerantentätigkeiten wie "interne Tätigkeiten", "Integrationstätigkeiten", "Nachbarschaftshilfe", "Gemeindeeinsätze" (AS 517).

Gesundheit

Der BF leidet an Gastritis, Migräne, an wiederkehrenden depressiven Episoden und einer Anpassungsstörung. Die Magenprobleme hatte er bereits vor seiner Einreise, seit ca. 2012 leidet er an Migräne und die psychischen Probleme zeigen sich seit etwa 2013. Zum Spannungsabbau setzt er manchmal selbstverletzende Handlungen wie Schnitte am Unterarm. Suizid lehnt der BF aus religiösen Gründen ab. Infolge einer Überdosis von Medikamenten wurde er von XXXX bis XXXX stationär im Krankenhaus wegen des Verdachts auf Selbst- und Fremdgefährdung (angenommener Suizidversuch) aufgenommen und danach mit "mittiger und nicht psychotischer" Stimmung entlassen; Hinweise auf eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung lagen zum Entlassungszeitpunkt nicht vor. Auslöser dieses Schubs waren multiple Belastungsfaktoren in seinem Umfeld (familiär und psychosozial), insbesondere sein wenige Tage davor erfolgter Umzug in eine andere Asylunterkunft (AS 93). Grund für die psychische Problematik ist regelmäßig auch das anhängige Asylverfahren bzw. die unsichere Aufenthaltssituation (AS 1407; AS 83 ff, AS 111, AS 115). Der BF besuchte seit Herbst 2015 regelmäßig psychosoziale Entlastungsgespräche bei der Fachstelle FEBO (AS 107); den Psychosozialen Dienst nahm er bis Ende 2018 alle zwei bis drei Monate in Anspruch, einmal in der Woche besuchte er bis dahin die Psychotherapie (Verhandlungsprotokoll, S. 11). Seit der BF Anfang 2019 für etwa ein halbes Jahr nach XXXX übersiedelt ist, besuchte er den Arzt nur mehr sporadisch (Verhandlungsprotokoll, S. 11 f).

Der BF wird von seinen "Paten" wieder als stabil beschrieben (AS 116; Beilage ./D zu OZ 5); eine vertraute soziale Umgebung tut dem BF gut.

Derzeit ist beim BF keine klinisch relevante psychiatrische Erkrankung feststellbar (AS 239), auch wenn seine Belastungsfähigkeit wegen eines Stimmungstiefs allgemein reduziert ist (AS 83) bzw. der BF eine Antriebsstörung und Ängste wegen des Asylverfahrens bzw. einer möglichen Abschiebung hat, welche die vorhandene Depression verschlechtern können.

Der BF nimmt gegen seine Beschwerden Medikamente. Die benötigten Medikamente bzw. die darin enthaltenen Wirkstoffe oder auch Ersatzwirkstoffe sind in Afghanistan erhältlich. Die benötigte Behandlung von medizinischen Leiden und insbesondere psychischen Erkrankungen ist in Afghanistan möglich.

Der BF leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und ist durch seine Beschwerden nicht maßgeblich im täglichen Leben oder seiner Arbeits- oder Selbsterhaltungsfähigkeit eingeschränkt:

Er kann und will arbeiten; es ist ihm auch möglich für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Auch das soziale Umfeld des BF in Österreich ist davon überzeugt, dass er zu 100% selbsterhaltungsfähig ist. Der BF arbeitete bisher regelmäßig, pflegt soziale Kontakte, ist sozial und gesellig. Er kocht gut; gerne auch für größere Runden. Er kann und will weiterhin arbeiten. Nichtstun quält ihn, Arbeit baut ihn auf. Arbeit macht den BF "glücklich"; die Hoffnung auf Arbeit und darauf, sich selbstständig versorgen zu können, lässt den BF "aufblühen" (Beilage ./C zu OZ 5).

Der BF zeigte sich als gründlich und zuverlässig sowie als schneller Arbeiter. In XXXX stand er jeden Morgen um 04:30 Uhr auf und putzte die Bäder, wofür er Lob und eine kleine finanzielle Zuwendung bekam (vgl. AS 519 und Beilage ./C zu OZ 5). Es ist ihm ein Bedürfnis, statt zu Hause zu sitzen, sinnvolle Tätigkeiten auszuüben. Dazu gehören seine landschaftspflegerischen Tätigkeiten wie das Erbauen von Waldwegen und die Bewirtschaftung des Gartens des befreundeten Ehepaares (AS 519).

Der BF geht seine beruflichen Tätigkeiten intelligent an, ist wach und sieht die Dinge, die gemacht gehören. Dazu arbeitet er deutlich besser als der Durchschnitt, ist fähig, effektiv und vorausschauend. Er übernimmt gerne Verantwortung und ist hilfreich, wo es geht. Der BF hat etwa auch selbstständig eine Landschaftsreinigung bzw. Flurreinigung organisiert.

1.2. Zum Leben in Österreich

Der unbescholtene BF befindet sich seit 2011 in Österreich. Sein Aufenthalt beruhte einzig auf seinen - letztlich unbegründeten - Asylanträgen.

Der BF wohnt derzeit in einem Heim der Caritas in XXXX . Auch davor wohnte er in Heimen der Caritas bzw. des BMI bzw. im Lager Traiskirchen.

Der BF nimmt seit jedenfalls 2013 Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber in Österreich in Anspruch. Der BF verdiente durch seine berufliche Tätigkeit einen kleinen Betrag dazu.

Der BF verfügt in Österreich und Europa nicht über familiäre Kontakte.

Der BF verfügt über mehrere freundschaftliche Sozialkontakte in Österreich. Einige seiner Sozialkontakte haben ihm Empfehlungsschreiben ausgestellt, in denen sein freundliches, höfliches, verlässliches, fleißiges sowie engagiertes Wesen und insbesondere seine kulinarische Begabung und seine Integrationsbemühungen hervorgehoben werden. Ein österreichisches Ehepaar XXXX (kurz: " XXXX ") stellte dem BF eine notariell beglaubigte Patenschaftserklärung aus (AS 69), die nicht an Bedingungen geknüpft ist, welche der BF erfüllen müsste. Das Ehepaar XXXX möchte sich darüber hinaus dazu verpflichten, sämtliche Leistungen der Grundversorgung zu übernehmen (Empfehlungsschreiben, Beilage ./D zu OZ 5). Der BF pflegt mit dem Ehepaar XXXX seit zwei bis drei Jahren eine freundschaftliche Beziehung und ist häufig ihnen zum Essen zu Gast. Das Ehepaar lässt den BF auch manchmal bei sich übernachten und ließ den BF während eines Urlaubs bereits drei Wochen bei sich wohnen; er kümmerte sich um das Haus und die Haustiere. Gemeinsam mit diesem Ehepaar begeht der BF auch Feste wie Weihnachten (AS 521). Das Ehepaar XXXX unterstützt den BF mit Naturalien und auch finanziell und wird ihn in seiner weiteren Lebensführung auf jeder Ebene unterstützen.

Für den BF wurde eine "Unterschriftenaktion für das Bleiberecht in Österreich" gestartet, wo Sozialkontakte des BF sich für einen weiteren Verbleib des BF in Österreich aussprechen. Er legte Listen mit Unterschriften seiner Unterstützer vor.

Der BF besuchte in Österreich einen Deutschkurs und erhielt bzw. erhält privaten Deutschunterricht; letzteres zum Teil im Tausch gegen Freundschaftsdienste. Die im XXXX absolvierte Prüfung für die Ausstellung eines Deutsch A2-Zertifikats bestand er nicht. In keinem der Teilbereiche Hören/Lesen, Schreiben und Sprechen erlangte er ausreichend viele Punkte. Im Teilbereich "Schreiben" erlangte er nicht einen Punkt. Im Teilbereich "Werte- und Orientierungswissen" erreichte er im Zuge dieser Prüfung mit 29 von 45 möglichen Punkten ein "Bestanden" (AS 589). Insgesamt reichten seine Leistungen jedoch nicht für die Verleihung eines A2-Zertifikats aus. Ein Deutsch A1-Zertifikat hat er verloren. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG verstand der BF ohne Dolmetscher auch bei einfach formulierten, wiederholten und umformulierten Fragen mehrmals nur einzelne Worte, nicht aber den Inhalt der Frage. In manchen Fällen verstand er die gestellten Fragen gar nicht. Er antwortete auf die gestellten Fragen mit einzelnen Worten oder in einfachen Wortgruppen, wobei er trotz einiger Fehler versuchte, den Sinn des Gesagten zu transportieren.

Der BF besucht derzeit (15.07.-22.08.2019) einen Deutsch A2-Vormittagskurs. Dieser wird ihm vom Ehepaar XXXX finanziert.

Der BF stand immer wieder als Koch für Veranstaltungen mit seinen Sozialkontakten zur Verfügung. Der BF verfügt über eine Einstellungszusage in einem afghanischen Restaurant als Kochgehilfe und würde monatlich EUR XXXX brutto verdienen (Einstellungsazusage 28.07.2019). Auch davor bewarb sich der BF bereits für die Saisonarbeit in einem Restaurant; die Stelle konnte er mangels Genehmigung vom Arbeitsamt jedoch nicht antreten (AS 515).

Unmoralische Angebote, z.B. von verheirateten Frauen, lehnt der BF aus moralischen Gründen ab.

1.3. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Ausreise und Aufenthalt: Der BF befindet sich nach illegaler Einreise seit 2011 in Österreich, lediglich unterbrochen von einem etwa zweimonatigen Aufenthalt in der Schweiz, nachdem sein erster Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wurde.

Aufrechte Rückkehrentscheidung: Gegenüber dem BF besteht eine aufrechte Rückkehrentscheidung (Bescheid des BFA vom 05.01.2016, bestätigt durch BVwG 02.08.2018 W218 2120202-1; Rechtskraft ist am 03.08.2018 eingetreten).

Geplante freiwillige Rückkehr: Am XXXX meldete der BF sich zur freiwilligen Rückkehr mit der Zieldestination XXXX an. Er beantragte eine finanzielle Starthilfe und Reisekosten, was ihm am XXXX bestätigt wurde. Medizinische Versorgung beantragte er nicht.

Gesondert vermerkt wurde: "Klient möchte keine finanzielle Unterstützung!!" (AS 235 ff).

Bisherige Asylanträge und wesentliche Begründung: Seit seiner Einreise stellte er vier Anträge auf internationalen Schutz (07.08.2011, 04.07.2012, 23.09.2013, 11.01.2019) und einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Diesen Anträgen war durchwegs kein Erfolg beschieden.

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Den ersten Antrag auf internationalen Schutz (07.08.2011) begründete der BF damit, dass sein Vater vor vielen Jahren einen Kommandanten der damaligen Regierung angegriffen habe, wodurch dessen Frau und Bruder umgekommen seien. Der Sohn dieses Kommandanten habe 2006/2007 einen Onkel des BF und Leibwächter getötet. Der BF und ein Cousin hätten einige Tage später auf den Kommandanten geschossen, der dadurch verletzt worden sei. Aus Angst vor dessen Auftraggeber (einem Funktionär der Regierung) habe der BF Afghanistan verlassen. Danach habe er ein Jahr und acht Monate im Iran verbracht. Dieser Antrag wurde abgewiesen.

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Im Zuge des Verfahrens betreffend den zweiten Antrag auf internationalen Schutz (05.07.2012) führte der BF aus, die alten Fluchtgründe würden nicht stimmen. Er führte aus, vielen Leuten im Iran und in Afghanistan Geld zu schulden und aus diesem Grund Angst zu haben, getötet zu werden. Als Fluchtgrund nannte er auch familiäre Probleme: Er habe seit ca. 2007/2008 Probleme mit seinem Vater, einem Dschihadisten, der ihn enterbt und ihm vorgeworfen habe, ein Ungläubiger geworden zu sein, weswegen ihm auch von dieser Seite der Tod drohe. Der BF sei zudem seit einigen Monaten von seiner Frau getrennt. Auch sei er zu Hause von einer radikalen Gruppierung aufgefordert worden, in den Dschihad zu ziehen. Dieser Antrag wurde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

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Im Verfahren betreffend den dritten Antrag auf internationalen Schutz (25.09.2013) gab der BF an, früher unwahre Angaben gemacht zu haben, um Asyl zu erlangen. Den dritten Antrag begründete er im Wesentlichen damit, wegen seines Aufenthalts in Europa und - wenn auch nur unterstellter - Weltansichten Probleme von Seiten der Gesellschaft zu bekommen. Zudem würden dort Taliban und Paschtunen leben; er gehöre zur Minderheit der Usbeken. Er habe auch Angst vor seinem religiösen Vater. Dieser Antrag wurde ebenfalls wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

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Den vierten Antrag begründete er nunmehr im Wesentlichen damit, dass die Verurteilung eines ehemaligen Asylheimkollegen im XXXX wegen XXXX dessen Gefährlichkeit dokumentiere. Dem BF werde die "Schuld" daran gegeben, dass diese Person ins Blickfeld der Ermittlungen geraten sei. Ein Verwandter des Verurteilten hätte ein Foto des BF nach Afghanistan zu einer dort tätigen radikalen Gruppierung weitergeleitet, weswegen der BF eine Rückkehr nicht überleben würde. Außerdem sei seine Integration weit fortgeschritten; die Sicherheitslage habe sich verschlechtert; er leide an einem schlechten Gesundheitszustand und ihm drohe seitens des Vaters eine Gefahr, weil dieser ein radikaler Jihadist sei (Erstbefragung am 11.01.2019, AS 26) bzw. weil er zum radikalen Jihadisten geworden sei (Beschwerde vom 30.07.2019, Seite 3, AS 849).

Der BF ist persönlich nicht glaubwürdig: Der BF hat selbst angegeben, unwahre Angaben gemacht zu haben, um in Österreich internationalen Schutz zu erlangen. Tatsächlich brachte er über die verschiedenen Befragungen hinweg teils völlig Unterschiedliches vor. Er machte im Verlauf der Verfahren zudem unterschiedliche und widersprüchliche Angaben zu Themen, die seine Ausreisegründe nicht unmittelbar betrafen, etwa zu seiner Biographie, zu seinem Geburtsdatum, zum Kontakt mit Verwandten oder seiner Aufenthaltsdauer im Iran.

Familiäre Themen: Der BF hat und hatte keine Probleme mit seiner Familie oder seinem Vater. Seitens der Familie und des Vaters des BF droht ihm kein Eingriff in seine Integrität.

Lebensstil und Werthaltung des BF: Der BF beteiligt sich aktiv am sozialen Leben, geht in Österreich nicht in die Moschee, er geht gelegentlich aus und konsumiert dabei Alkohol. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils, seiner Werthaltung oder seines Aufenthalts in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre. Es kann nicht festgestellt werden, dass Rückkehrer aus Europa aufgrund dieser Tatsache in Afghanistan generell der Gefahr der physischen oder psychischen Gewalt ausgesetzt wären.

Sicherheitslage: Die Sicherheitslage ist nicht überall in Afghanistan derart, dass die bloße Anwesenheit dort einen Eingriff in die Integrität des BF mit sich bringt. Auch im Herkunftsdistrikt des BF ist eine derartige Lage nicht feststellbar.

Gesundheit: Es kann nicht festgestellt werden, dass der Zustand des BF sich im Fall einer Rückkehr lebensbedrohlich oder dauerhaft verschlechtern würde oder er mangels Behandlungsmöglichkeiten in eine lebensbedrohliche oder menschenunwürdige Situation geraten würde. Es ließ sich auch nicht feststellen, dass gegenüber dem BF die benötigte medizinische Versorgung gezielt oder systematisch verweigert wird.

Verhältnis des BF zu jenen Personen in Österreich, deren Kontakte für den BF in Afghanistan problematisch sein sollen:

Der BF geriet am XXXX mit einem Mitbewohner des damals bewohnten Asylheims, XXXX (in Folge: " XXXX "), streitweise und unter Verwendung von Verbalinjurien aneinander. Der BF wurde zu diesem Vorfall von der Polizei einvernommen (AS 59). Auch XXXX wurde am 14.02.2016 zu diesem Vorfall einvernommen. Der Vorfall führte nicht zu einer Verurteilung von XXXX ; vielmehr wurde das Verfahren wegen des Verdachts auf Vorliegen XXXX bereits am XXXX gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt, "weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung besteht".

Dieser aktenkundige Vorfall zwischen BF und XXXX war auch kein Anlass für weitere Ermittlungen, die schließlich in einer Verurteilung des XXXX wegen XXXX durch das LG XXXX , bestätigt durch die XXXX , mündeten. Anlass für die Ermittlungen, welche die genannte Verurteilung zur Folge hatten, waren vielmehr die freimütigen Aussagen des XXXX selbst. Dieser hat in seinem Asylverfahren sowohl bei der Erstbefragung im XXXX als auch in der Befragung vor dem BFA im XXXX angegeben, XXXX . Diese Gruppierung wird in Österreich als XXXX und behielt diese Ansicht auch nach seiner Verurteilung noch bei. Der BF taucht im bezughabenden Strafakt des XXXX nicht namentlich auf; auch im Asylverfahren des XXXX sprach dieser den BF nicht initiativ an und war sich eines allfälligen Konfliktes mit dem Gesetz nicht bewusst. Der BF war weder Grund noch Anlass für die Verurteilung des XXXX und hatte mit dem Prozess nichts zu tun (AS 228; OZ 6). In seinem Asylverfahren bringt der XXXX u.a. vor, Angst vor den Taliban zu haben, weil diese ( XXXX seien; er gab auch an, dass XXXX in Afghanistan nicht "so" mächtig sind.

Das erstinstanzliche Urteil gegen XXXX wurde XXXX erlassen; der OGH wies eine dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde im XXXX zurück, das OLG wies am XXXX die Strafberufung ab. XXXX befindet sich seit XXXX in Untersuchungshaft und seit XXXX im Vollzug.

Der BF hatte am XXXX über Facebook eine unfreundliche Konversation mit einer Person, die den Namen des Neffen des XXXX , XXXX (aktenkundig als XXXX ; kurz: " XXXX "), trägt. Nach der Konversation wurde der BF blockiert. Ein Kontakt mit dieser Person ist über Facebook daher nicht mehr möglich (AS 143 f).

Der BF ist mit einem Vertrauten des XXXX namens XXXX (kurz: " XXXX ") befreundet. XXXX besucht den XXXX im Gefängnis und gibt ihm Informationen, wie z.B. Fotos (AS 144; 229 f).

Der BF hat von XXXX seit 2016 weder etwas gehört, noch hat er ihn gesehen (AS 143). Gerüchte über ein mögliches Problem in Afghanistan kennt der BF nur vom Hörensagen (AS 144 f). Der BF wurde persönlich nicht konkret bedroht (AS 146). Er hat persönlich keine gegen ihn gerichteten Drohungen gesehen oder erlebt (AS 145). Er hat auch persönlich niemanden konkret gegenüber Behörden beschuldigt (AS 232).

Dem BF droht wegen seiner Erlebnisse mit XXXX und XXXX keine Gefahr in Afghanistan; Bilder des BF wurden nicht weitergegeben.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, weder vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe noch aus Gründen seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen). Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen; dies sind auch keine Gründe, die ihn an einer Rückkehr hindern.

1.4. Zur Situation im Fall der Rückkehr

Der BF verfügt über zahlreiche Angehörige und Sozialkontakte in Afghanistan (konkret auch in seiner Herkunftsregion), zum Teil auch in Kabul. Eine Kontaktaufnahme ist möglich. Die finanziell gutgestellte Familie kann den BF unterstützen. Das Ehepaar XXXX , das für den BF eine alle Kosten deckende Patenschaftserklärung abgegeben hat, wird dem BF auch in Afghanistan eine Unterstützung zukommen lassen. Außerdem besteht für Rückkehrer die Möglichkeit, eine staatliche Reintegrationsunterstützung in Anspruch zu nehmen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsdistrikt kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung insbesondere in den Städten Kabul oder Mazar-e Sharif, drohte dem Beschwerdeführer kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Dem BF drohen weder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, noch Tod noch Folter. Die bloße Anwesenheit in Afghanistan, konkret in Kabul oder Mazar-e Sharif würde ihn in keine lebensbedrohliche Situation bringen. Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, grundlegende medizinische Versorgung, Bildungsmöglichkeiten und Arbeit nicht erfüllen zu können und deswegen oder aus sonst einem in seiner Person gelegenen Grund in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Wohnraum- und Versorgungslage in den genannten Städten ist angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in einer der Städte kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen, einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Kabul oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5. Situation im Herkunftsstaat

Den folgenden Feststellungen liegen - soweit nicht gesonderte Quellen angeführt sind - die Informationen des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019 - im Folgenden kurz: "LIB") zu Grunde.

1.5.1. Aktuelle Entwicklungen

Zwischen den Taliban und afghanischen Politikern finden derzeit Friedensgespräche statt; Ziel ist ein Friedensschluss (LIB, KI vom 04.06.2019).

1.5.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten.

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung.

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.

1.5.3. Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED. Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017).

Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an:

Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u. a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für

1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opferwurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten. Ungefähr 24% der zivilen Opfer, werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen.

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten.

In den erste Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren. Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant. Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (LIB 26.03.2019, S. 63).

Im ersten Quartal 2019 fanden Anschläge in Kabul mit zahlreichen Todesopfern statt (LIB 26.03.2019, S. 12, 25, 27). Im ersten Quartal 2019 fanden Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban statt (LIB 26.03.2019, S. 13, 23).

1.5.4. Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

1.5.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (LIB 26.03.2019, S. 72).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde (LIB 26.03.2019, S. 72).

1.5.5.1. Hezb-e-Islami

Während des Kampfes gegen sowjetische Truppen und während des afghanischen Bürgerkriegs war die Hezb-e Islami ein mächtiger und gefürchteter Akteur. Heute werden sie als "erschöpfte" aufständische Gruppe angesehen, die eine nur geringe militärische Bedrohung für die afghanische Regierung, das westliche Militär oder ihre Rivalen, die Taliban, darstellen. Heute liegt die Stärke der Gruppierung in ihrem politischen Flügel, der in der afghanischen Regierung an Einfluss gewonnen hat. (ACCORD Anfragebeantwortung zur Politischen Bedeutung der Hezb-e Islami, a-9419-1).

Ein bedeutender Anführer von Aufständischen ist Gulbuddin Hekmatyar, der die Hezb-e-Islami-Gulbuddin (HIG) anführt. Die HIG ist gegenwärtig ideologisch und politisch mit den Taliban verbündet, auch wenn es gelegentlich zu Konfrontationen mit Mitgliedern der Taliban in den Gebieten, in denen die HIG am aktivsten ist (nördlich und östlich von Kabul gelegene Provinzen), gekommen ist. Dem CRS zufolge wird die HIG weithin nicht als wichtiger Faktor auf dem Kampffeld Afghanistan erachtet und hat sich bislang hauptsächlich auf öffentlichkeitswirksame Angriffe ("high-profile attacks") fokussiert; auf dem Schlachtfeld ist die Gruppierung so gut wie gar nicht mehr präsent. (ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan:

Überblick über die Sicherheitslage, abrufbar unter:

https://www.ecoi.net/de/dokument/2013553.html)

2016 unterzeichnete die bewaffnete Gruppe Hezb-e Islami ein Friedensabkommen mit der Regierung, und für die Aktivitäten der Gruppierung in den letzten 14 Jahren wurde eine Begnadigung vorgeschlagen. Es wird jedoch berichtet, dass einige Kämpfer der Gruppierung sich geweigert haben, ihre Waffen niederzulegen, weil sie Vergeltungsmaßnahmen befürchten. Einige Gruppenmitglieder sind in bestimmten Regionen Afghanistans immer noch im Einsatz. (EASO-Leitlinien, S. 52)

1.5.5.2. Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen.

Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Zwangsrekrutierung

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden. (vgl. UNHCR-Richtlinien, Punkt III.A.3.a.)

Da die Taliban auf zahlreiche Freiwillige zurückgreifen können, kommt es jedoch nur in besonderen Fällen zu Rekrutierungen durch Zwang (EASO-Leitlinien 2019, Seiten 53 f).

XXXX 1.5.6. Grundversorgung und Wirtschaft

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig.

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (siehe auch UNHCR RL 2018, Seite 19 und 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Februar 2018, Seite 29-31)

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Februar 2018, Seite 29-31).

1.5.6.1. Nahrungsmittelsicherheit

Sozioökonomische Schlüsselindikatoren

44,6% der Afghanischen Bevölkerung (ca. 13 Millionen) leben in schwerer bis moderater Lebensmittelunsicherheit; 2011 waren es noch 30,1%. Ein Anstieg wurde in allen Bevölkerungsgruppen beobachtet, wobei der stärkste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu beobachten war. Während der Aussaat im Winter (Dezember 2017 bis Februar 2018) kam es zu einer längeren Trochenheitsperiode. UNOCA ist dr Ansicht, dass die Trockenperiode 2018 etwa zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung betroffen hat. Die Lebensmittelsicherheit in Kabul und Mazar-e Sharif wurde im Dezember 2018 vom "Famine Early Warning System" (FEWS) als "stressed" bezeichnet. (vgl. EASO-Country Guiadance Afghanistan June 2019; in Folge kurz: "EASO-Leitlinien", S. 132 unter Verweis auf den Bericht "Sozioökonomische Schlüsselindikatoren" aus 2019)

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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