TE OGH 2020/3/25 6Ob246/19y

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Veröffentlicht am 25.03.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH, *, vertreten durch Huber/Berchtold Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Ö*, 2. N*, beide *, vertreten durch Dr. Robert Lirsch und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 173.760 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2019, GZ 11 R 154/19a-55, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 24. Juni 2019, GZ 10 Cg 5/17w-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagten beauftragten am 28. 3. 2014 die Klägerin mit den baulichen Planungsleistungen, der Innenraumgestaltung und der Gartengestaltung einschließlich der örtlichen Bauaufsicht für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf einer Liegenschaft der Zweitbeklagten in K*. Im Rahmen der Planung äußerten die Beklagten zwar den Wunsch, bei der Herstellung des Hauses Nettobaukosten von 1,2 Mio EUR nicht zu überschreiten; eine fixe Vereinbarung, dass das Baukostenlimit von 1.221.000 EUR nicht überschritten werden dürfe, gab es jedoch nicht. Vor allem, als die Zweitbeklagte im Zuge der Planung gehobenere Ansprüche äußerte, wurden die Beklagten von Seiten der Klägerin darauf hingewiesen, dass sich ihre exklusiven Ausstattungs- und Sonderwünsche mit den Preisvorgaben nicht decken könnten. Die ursprünglich erstellten Kostenschätzungen der Klägerin (einschließlich der Inneneinrichtung) von 1.296.000 EUR netto hatten nicht auf Angeboten, sondern auf Erfahrungswerten der Klägerin basiert.

Im Zuge der Vertragsverhandlungen wurde weder von der Klägerin noch von den Beklagten angesprochen, dass das für die Leistungen der Klägerin vereinbarte Honorar ein Fixhonorar sein sollte, sondern dass sich das Honorar mit einem bestimmten Prozentsatz der Nettoherstellungskosten bemessen sollte, nämlich 9,3 % der Nettoherstellungskosten für Architektur inklusive Nebenkosten, 4,3 % der Nettoherstellungskosten für die örtliche Bauaufsicht einschließlich der Nebenkosten, 13,5 % der Nettoherstellungskosten für den Innenraum und 5,5 % für die örtliche Aufsicht der Durchführung, somit 14,44 % der Nettoherstellungskosten, welche die Klägerin auf 13,92 % abrundete. Die Streitteile gingen damals von geschätzten und durch keine Ausschreibungen bzw Angebote untermauerten Nettoherstellungskosten von 1.221.000 EUR aus, was ein Architektenhonorar der Klägerin – unter Gewährung eines Rabatts von 10.000 EUR – von 160.000 EUR netto betragen hätte. Die Streitteile trafen jedoch weder eine Vereinbarung, dass diese 160.000 EUR ein Fixhonorar sein sollten, das losgelöst von den tatsächlichen Nettoherstellungskosten gezahlt werden solle, noch dass die geschätzten Nettoherstellungskosten von 1.221.000 EUR keinesfalls überschritten werden dürften. Die Streitteile gingen vielmehr davon aus, dass sich das Honorar nach den tatsächlichen Nettoherstellungskosten bemessen sollte. Dipl.-Ing. C* von der Klägerin wies in diesem Zusammenhang in persönlichen Gesprächen, E-Mails und den Kostenverfolgungen stets daraufhin, dass sich aufgrund der Zusatz- und Sonderwünsche der Beklagten, die in den ursprünglichen Planungen und Ausschreibungen nicht enthalten gewesen waren, einerseits die Nettoherstellungskosten und andererseits dadurch auch das Honorar der Klägerin erhöhen würden.

Im Zuge der Ausführung des Bauvorhabens entwickelten sich aufgrund einer unberechtigten Honorarforderung der L* GmbH, die die Bauführerschaft innehatte, im Zuge deren 13. und 14. Teilrechnung, für die es keinen nachgewiesenen Leistungszuwachs gab, Differenzen zwischen den Beklagten und der Bauführerin, die mangels einer Einigung der Beteiligten darin mündete, dass die Bauführerin am 21. 11. 2016 die Bauführerschaft zurücklegte. Damit kam jeder weitere Baufortschritt am Haus der Beklagten zum Erliegen, es wurde nicht mehr weitergearbeitet. Infolgedessen konnten von der Klägerin auch keine weiteren Leistungen mehr erbracht werden. Dieser Zustand besteht bis heute. Ein Verfahren zwischen der Bauführerin und den Beklagten wegen des offenen Werklohns ist beim Landesgericht Korneuburg anhängig. Ein Vertragsrücktritt wurde bislang von der Bauführerin wirksam nicht erklärt, die Beklagten bestehen weiterhin auf die Erfüllung des Werkvertrags durch die Bauführerin.

Die Vorinstanzen verpflichteten übereinstimmend und unter Berücksichtigung einer Teilzahlung der Beklagten in Höhe von 120.000 EUR netto diese zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines weiteren Honorarbetrags in Höhe von 173.760 EUR brutto. Das von der Klägerin geltend gemachte Honorar sei im Hinblick auf die tatsächlichen Nettoherstellungskosten von 1,6 Mio EUR und die Zusatzwünsche der Beklagten angemessen und auch fällig, weil darin (lediglich) die bis zum Zurücklegen der Bauführerschaft durch die Bauführerin erbrachten Tätigkeiten der Klägerin berücksichtigt worden seien und eine Weiterführung der Tätigkeiten durch die Klägerin aufgrund des Baustillstands derzeit nicht mehr möglich sei. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügen die Beklagten zum einen die Nichterledigung ihrer in der Berufung erhobenen Beweisrüge und zum anderen die Nichterledigung ihrer Rüge der Verletzung der Begründungspflicht durch das Erstgericht.

1.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0043150) und herrschender Auffassung in der Literatur (A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 503 Rz 11; Neumayr in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKomm [2019] § 503 Rz 15; Lovrek in Fasching/Konecny IV/1³ [2019] § 503 Rz 70), dass ein Mangel des Berufungsverfahrens (unter anderem) dann gegeben ist, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweiswürdigungsrüge der Berufung nicht befasst hat.

Die außerordentliche Revision zeigt unter Punkt 3.1.1. auf rund sechs Seiten auf, welche erstgerichtlichen Feststellungen die Beklagten in ihrer Berufung bekämpft und welche Ersatzfeststellungen sie begehrt haben. Das Berufungsgericht führte hiezu aus, dass „eine Auseinandersetzung mit den hier angefochtenen Feststellungen aus rechtlichen Erwägungen unterbleiben [könne] (siehe unten ad 3.5.)“, wobei der genannte Punkt 3.5. wie folgt lautet: „Auch die vorliegende Rechtsrüge schlägt daher nicht durch, sodass der Berufung insgesamt kein Erfolg beschieden sein kann.“ In den Ausführungen zuvor (arg: daher) vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, das Erstgericht habe zu den von der Klägerin erbrachten Leistungen und zum „Bestreitungsvorbringen“ der Beklagten, wonach die Klägerin geschuldete Arbeiten teils überhaupt nicht, teils unvollständig, teils mangelhaft erbracht habe, umfangreiche Feststellungen getroffen. „Auf Basis dieser Konstatierungen [könne] die vorliegende Rechtssache abschließend beurteilt werden. Von den Beklagten ins Treffen geführte Feststellungsmängel [lägen] daher nicht vor.“

Damit hat das Berufungsgericht übersehen, dass die Beklagten positive Feststellungen zu von der Klägerin (angeblich) erbrachten Leistungen bekämpft und Ersatzfeststellungen dahin begehrt haben, dass bestimmte Leistungen von der Klägerin nicht erbracht worden (etwa Prüfung der Schlussrechnung der Bauführerin und anderer Rechnungen) bzw dass die Leistungen der Klägerin mangelhaft gewesen seien (etwa Freigabe von Zahlungen für Geräte, die tatsächlich nicht geliefert worden waren). Bei Richtigkeit der begehrten Ersatzfeststellungen würde sich aber die Frage der Fälligkeit des von der Klägerin begehrten Honorars, zumindest aber der Berechtigung dieser Honorarforderung der Höhe nach stellen.

Das Berufungsgericht wird sich deshalb bei seiner neuerlichen Entscheidung mit sämtlichen unter Punkt 3.1.1. der außerordentlichen Revision enthaltenen Beweisrügen inhaltlich auseinander zu setzen haben.

1.2. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung kann eine in zweiter Instanz verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden. Dies gilt allerdings (unter anderem) dann nicht, wenn sich das Berufungsgericht mit einem geltend gemachten Mangel zu Unrecht nicht befasst hat (RS0043144&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0043144); in diesem Fall ist das Berufungsverfahren selbst mangelhaft (RS0043086&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0043086).

Die außerordentliche Revision zeigt unter Punkt 3.1.2. auf rund sieben Seiten konkret auf, mit welchen erstinstanzlichen Behauptungen der Beklagten sich das Erstgericht nicht auseinandergesetzt habe und mit welchen Argumenten die Beklagten diesen Umstand als „Verletzung der Begründungspflicht“ in ihrer Berufung rügten. Das Berufungsgericht führte dazu aus, dass „die weiteren unter diesem Berufungsgrund [Mängelrüge] vorgetragenen Ausführungen der Rechtsrüge zuzuordnen [seien], weil die Beklagten damit inhaltlich Feststellungsmängel ins Treffen führ[t]en“. In Erledigung der Rechtsrüge wiederum meinte das Berufungsgericht, es bedürfe daher auch keiner Prüfung, welche konkreten, ursprünglich geschuldeten Leistungen ausgeblieben seien, zumal den Beklagten dafür nichts in Rechnung gestellt worden sei. In den Ausführungen zuvor (arg: daher) führte das Berufungsgericht aus, für die Beklagten sei aus § 1168 Abs 1 ABGB, § 27a KSchG nichts zu gewinnen, umfasse doch das von der Klägerin geforderte und vom Erstgericht zuerkannte Honorar lediglich Leistungen, die die Klägerin bis November 2016 (gemeint: Baueinstellung) erbracht habe.

Dabei hat das Berufungsgericht aber übersehen, dass sich die – von ihm nicht näher geprüften – Behauptungen der Beklagten auf Abrechnungsmängel insbesondere hinsichtlich der Zusatz- und Mehrleistungen bereits vor der Baueinstellung beziehen.

Zu berücksichtigen ist zwar, dass durch einen geltend gemachten Begründungsmangel die Überprüfung der angefochtenen zweitinstanzlichen Entscheidung keineswegs gehindert wird (vgl 3 Ob 250/06w). Allerdings ist im vorliegenden Fall beachtlich, dass die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten in ihrer Berufung auch konkrete Tatsachenbehauptungen enthalten, mit denen sich weder das Erstgericht noch das Berufungsgericht auseinandergesetzt haben; es geht also nicht bloß um die Beurteilung von Rechtsfragen, weshalb dem Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung hier nicht möglich ist. Das Berufungsgericht wird sich deshalb bei seiner neuerlichen Entscheidung mit sämtlichen unter Punkt 3.1.2. der außerordentlichen Revision enthaltenen Ausführungen inhaltlich auseinander zu setzen haben.

2. In ihrer Rechtsrüge bekämpfen die Beklagten zum einen die Auffassung der Vorinstanzen, die Klägerin habe keinen verbindlichen Kostenvoranschlag im Sinn des § 5 Abs 2 KSchG gelegt, und zum anderen die Auffassung, die Klägerin habe ihre in § 1170a ABGB wurzelnde Anzeigepflicht lückenlos erfüllt.

2.1. Nach § 5 Abs 2 KSchG gilt dann, wenn dem Vertrag ein Kostenvoranschlag des Unternehmers zugrunde gelegt wird, dessen Richtigkeit als gewährleistet, wenn nicht das Gegenteil ausdrücklich erklärt ist. Das Konsumentenschutzgesetz dreht damit zwar die Zweifelsregel des § 1170a ABGB zugunsten des Verbrauchers um. Die Bezeichnung als „vorläufige Auftragssumme“ genügt allerdings als ausdrücklicher und hinlänglich deutlicher Hinweis des Unternehmers, die Richtigkeit der Kostenschätzung nicht zu garantieren, und somit den Anforderungen des § 5 Abs 2 KSchG; die Richtigkeitsgarantie wird dadurch auf für den Verbraucher hinreichend verständliche Art ausgeschlossen (3 Ob 46/04t). 

Ob ein Kostenvoranschlag unter Garantie (§ 1170a Abs 1 ABGB), ein Kostenvoranschlag ohne Garantie (§ 1170a Abs 2 ABGB), eine bloße Schätzung („Schätzungsanschlag“), also ein summarischer Überschlag der voraussichtlichen Kosten, oder eine Pauschalpreisvereinbarung im Sinne der Vereinbarung eines nach oben begrenzten Gesamtpreises darstellt, ist eine Frage der Vertragsauslegung im Einzelfall (4 Ob 2150/96x).

Angesichts der in der außerordentlichen Revision nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen, wonach die Streitteile a) damals von geschätzten und durch keine Ausschreibungen bzw Angebote untermauerten Nettoherstellungskosten von 1.221.000 EUR ausgingen, was ein Architektenhonorar der Klägerin – unter Gewährung eines Rabatts von 10.000 EUR – von 160.000 EUR netto bedeutet hätte, b) jedoch weder eine Vereinbarung trafen, dass diese 160.000 EUR ein Fixhonorar sein sollten, das losgelöst von den tatsächlichen Nettoherstellungskosten gezahlt werden solle, noch dass die geschätzten Nettoherstellungskosten von 1.221.000 EUR keinesfalls überschritten werden dürften, und c) vielmehr davon ausgingen, dass sich das Honorar nach den tatsächlichen Nettoherstellungskosten bemessen sollte, wobei sich das Honorar wiederum mit einem bestimmten Prozentsatz der Nettoherstellungskosten bemessen sollte, muss im Sinn der Entscheidung 3 Ob 46/04t auch hier davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ausdrücklich und hinlänglich deutlich darauf hingewiesen hat, die Richtigkeit der Kostenschätzung nicht zu garantieren.

2.2. Aus § 1170a Abs 2 Satz 2 ABGB ergibt sich bei einer unvermeidlichen beträchtlichen Überschreitung eines Kostenvoranschlags ohne Gewährleistung eine Anzeigepflicht des Unternehmers. Dieser hat die voraussichtliche Höhe der Überschreitung nachvollziehbar und so präzise wie möglich anzugeben, damit der Besteller eine ausreichende Dispositionsgrundlage hat (M. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB5 [2017] § 1170a Rz 7).

Die Beklagten meinen nunmehr in ihrer außerordentlichen Revision, die Klägerin habe eine derartige Anzeige nicht erstattet. Sie übersehen damit allerdings die von ihnen ebenfalls nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen, wonach sie im Zusammenhang mit Zusatz- und Sonderwünschen von Seiten der Klägerin stets darauf hingewiesen wurden, dass sich einerseits die Nettoherstellungskosten und andererseits dadurch auch das Honorar der Klägerin erhöhen würden. Die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe lediglich auf die Erhöhung der Herstellungskosten, nicht aber auf eine damit verbundene Honorarsteigerung verwiesen, widerspricht somit den getroffenen Feststellungen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E128049

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E128049

Im RIS seit

14.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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