Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine Familie afghanischer Staatsangehöriger; mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Gesundheitszustand eines FamilienmitgliedsSpruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Die Erkenntnisse werden insoweit aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.728,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige der Volksgruppe der Tadschiken schiitischen Glaubens aus der Provinz Herat. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 8. März 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit ihr verheiratete Zweitbeschwerdeführer am 8. Jänner 2015 und der Drittbeschwerdeführer, bei dem es sich um ein (im Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges) gemeinsames Kind der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers handelt, am 5. Februar 2015.
2. Die Anträge der Beschwerdeführer wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheiden jeweils vom 17. Oktober 2017 ab, erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen jeweils nicht, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte jeweils die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest und setzte jeweils eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer am 14. November 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
3. Mit Schreiben vom 19. September 2019 suchte das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der vom Zweitbeschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Befunde und Krankenhausberichte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Erstellung eines Gutachtens zum Zwecke der Feststellung an, ob der Zweitbeschwerdeführer an "vaskulärer Demenz, Beeinträchtigung sämtlicher Gedächtnisfunktionen mit Merkfähigkeitsstörung, Vergesslichkeit, Verlust zeitl. und örtl. Orientierung, nächtliche Verwirrtheitsepisoden mit Weglauftendenzen, Betreuung durch Angehörige, wobei [er] auch für kurze Zeit nicht alleine gelassen werden kann" oder "an einer sonstigen lebensbedrohlichen Erkrankung" leide.
Am 13. November 2019 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass die ersuchte Gutachtenerstellung nicht möglich sei, ua da das Verfahren nicht mehr beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig sei.
4. Die gegen die Bescheide vom 17. Oktober 2017 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Entscheidungen vom 12. bzw vom 19. November 2019 ab, wobei es feststellte, dass "[w]eder die BF1[…] noch der BF2 […] an lebensbedrohlichen Krankheiten [leiden] und […] diese daher jeweils erwerbsfähig [sind]." Des Weiteren stellte es fest, dass "[d]ie beiden BF […] ohne besondere Vulnerabilität [sind]".
5. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Gegenschrift erstattet.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
Auf die Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. November 2019 hin, wonach die vom Bundesverwaltungsgericht ersuchte Gutachtenerstellung nicht möglich sei, hat das Bundesverwaltungsgericht ohne Einholung eines fachärztlichen Gutachtens die angefochtenen Entscheidungen getroffen, wobei festgestellt wird, dass (auch) der Zweitbeschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leide, mithin erwerbsfähig sei und keine besonderen Vulnerabilitäten aufweise.
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das Bundesverwaltungsgericht zur Einholung eines fachärztlichen Gutachtens verpflichtet ist, wenn der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Herkunftsstaat nicht eindeutig geklärt ist (vgl zB VfGH 30.6.2016, E381/2016 ua; 11.6.2019, E137/2019). Dies gilt umso mehr, wenn das Bundesverwaltungsgericht – wie offenbar im vorliegenden Fall – von der Notwendigkeit der Einholung eines solchen Gutachtens überzeugt ist. Aus diesem Grund hat das Bundesverwaltungsgericht die angefochtenen Entscheidungen mit Willkür belastet; der Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend die Erstbeschwerdeführerin sowie den im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Drittbeschwerdeführer (vgl §2 Abs1 Z22 AsylG 2005) durch (vgl zB VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.9.2019, E1979/2019 ua).
4. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die Erkenntnisse sind daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 327,-, Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40
sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 720,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E4523.2019Zuletzt aktualisiert am
12.05.2020