TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/10 W226 2226164-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2019
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Entscheidungsdatum

10.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §33 Abs1 Z3
AsylG 2005 §33 Abs5
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W226 2226164-1/3E

W226 2226158-1/3E

W226 2226152-1/3E

W226 2226163-1/3E

W226 2226154-1/3E

W226 2226166-1/3E

W226 2226155-1/3E

W226 2226159-1/3E

W226 2226149-1/3E

W226 2226148-1/3E

W226 2226167-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , 6.) XXXX , geb. XXXX , 7.) XXXX , geb. XXXX , 8.) XXXX , geb. XXXX , 9.) XXXX , geb, XXXX , 10.) XXXX , geb XXXX , 11.) XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.11.2019, Zl. 1.) 1252056704-191158097, 2.) 1252057004-191164356,

3.) 1252056900-191164445, 4.) 1252056410-191164399, 5.) 1252056301-191164415, 6.) 1252056203-191164330, 7.) 1252056508-191164429, 8.) 1252056105-191164385, 9.) 1252056606-191158976, 10.) 1252056007-191158747, 11.) 1252055903-191158725, zu Recht:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8 und 57 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 Z 3 und 4 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge BF1), eine Staatsangehörige der Ukraine, stellte sich am 12.11.2019 der Einreisekontrolle am Flughafen Schwechat und wies sich mit einem Reisepass der Ukraine aus. In der Folge stellte die BF1 für sich und die mj. Kinder BF2-BF11 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Gleichzeitig stellten zwei volljährige Söhne der BF1 (W226 2226147-1 und W226 2226151-1) sowie eine weitere volljährige Tochter der BF1 (W226 2226160-1) - letztere auch für 3 eigene Kinder- jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. In ihrer Erstbefragung am 13.11.2019 durch Organe der Bundespolizei des Stadtpolizeikommandos Schwechat Flughafen gab die BF1 im Beisein eines Dolmetschers für Russisch im Wesentlichen Folgendes an:

Sie stamme aus der ukrainischen Stadt XXXX , spreche die ukrainische und dir russische Sprache und gehöre von der Religion her den Zeugen Jehovas an. In der Ukraine würden noch eine weitere Tochter und eine Schwester leben, sie selbst habe das Sorgerecht für die mitgereisten Kinder, von deren Vater sei sie geschieden. Nach Österreich sei sie deshalb gekommen, weil Österreich ein sicheres Land sei. Sie seien am 12.11.2019 mit dem Autobus von zu Hause in die ukrainische Hauptstadt Kiew zum Flughafen gefahren und seien anschließend von Kiew nach Wien geflogen, wo sie einen Asylantrag gestellt hätten.

Zum Fluchtgrund führte die BF1 aus, dass ihr Mann sie im Jahr 2008 verlassen habe, seit dem Jahr 2017 seien sie geschieden. Die Ukraine haben sie wegen der Kinder verlassen. Sobald diese das Haus verlassen würden, seien sie in der Ukraine in Gefahr. In der Ukraine würde es keine Gesetze geben, die Polizei kümmere sich nicht um die Bewohner. Eine Tochter und ein Enkel seien bereits mit einem Messer überfallen worden, von der Polizei sei keine Hilfe zu erwarten. Zudem würden die beiden älteren Söhne immer wieder Einberufungen zum Militär bekommen, diese würden aber nicht zum Militär wollen, da sie Zeugen Jehovas seien. Täglich würden Leichen vor dem Friedhof ausgeladen werden, 150 Kilometer von der Wohnung entfernt würde immer noch gekämpft werden. Zudem seien die Zustände in den Spitälern sehr schlecht, genauso wie die medizinische Versorgung. Für den Fall der Rückkehr in die Heimat befürchte sie, dass sie Angst um das Leben der Kinder haben müsste, diese hätten in der Ukraine keine Zukunft. Sie selbst habe immer Stress, solange die Kinder nicht zu Hause sind.

1.3. Am 20.11.2019 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der BF1 im Zulassungsverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Erstaufnahmestelle Flughafen im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache.

Die BF1 führt dabei aus, dass sie Medikamente für Depressionen verschrieben bekommen habe, auch ein weiteres Medikament für den Blutdruck und ein weiteres für Herzbeschwerden. An den Depressionen leide sie seit 10 Jahren und an den Herzbeschwerden seit 5 Jahren. Auf die Frage, wie die Beschwerden in der Ukraine behandelt worden seien, vermeinte die BF1, dass sie eigentlich hätte stationär behandelt werden sollen, und zwar zweimal im Jahr für jeweils einen Monat, aber da sie Kinder habe, sei das nicht möglich gewesen. Deshalb bekomme sie die Behandlungen in der Ukraine zu Hause. Sie habe Herzklappenbeschwerden, sei diesbezüglich auch im "Zentrum für Herzkranke" in der Ukraine untersucht worden. Die diesbezüglichen Befunde würden sich alle in der Ukraine befinden. Auch wegen Depressionen und der Herzbeschwerden sei ihr in der Ukraine etwas verschrieben worden, sie habe sich dann die Medikamente besorgt.

Zu den Kindern führte die BF1 aus, dass BF11 behindert sei, BF5 habe zudem Herzbeschwerden. BF11 nehme diesbezüglich keine Medikamente, BF5 werde in der Ukraine zweimal im Jahr untersucht und dann bekomme er bei Bedarf eine Behandlung. BF11 habe eine psychische Erkrankung, sie leide an Autismus. Wegen dieser Probleme bekomme sie in der Ukraine keinen Kindergartenplatz und es gebe keine Förderung für BF11 in der Ukraine. Die Behinderung sei bei BF11 im Alter von vier Jahren festgestellt worden, sie nehme diesbezüglich aber keine Medikamente ein. Bei der Feststellung der Behinderung seien 31 Tage lang Untersuchungen gemacht worden, es seien damals für BF11 schwere Medikamente verschrieben worden, diese hätte BF11 auch eingenommen, aber es habe keinen positiven Erfolg gegeben, deshalb hätten sie aufgehört, die Medikamente zu verabreichen. BF5 habe ebenfalls Medikamente bekommen.

Sie habe keine Möglichkeit gehabt, BF11 in einem Rehabilitationszentrum unterzubringen, sie habe sich diesbezüglich wirklich bemüht, aber in der Ukraine sei nur ein Platz in einem Behinderteninternat angeboten worden, wo BF11 ihrer Meinung nach sterben würde. Dort seien die Zustände sehr schlecht. BF1 wolle aber, dass BF11 gefördert werde und sich weiterentwickle. Es sei immer begründet worden, dass BF11 unfähig sei, etwas zu lernen und daher habe es keinen Sinn, Maßnahmen zu treffen. BF5 nehme derzeit keinerlei Medikamente ein.

Zum Fluchtgrund befragt, führte BF1 aus, dass sie deshalb nach Österreich mit ihren Kindern gekommen sei, weil "der soziale Schutz hier in Österreich am besten ist, das ist mein Hauptgrund". Insgesamt hätten sie für die Reise ca. 1.000,-- EURO bezahlt. Der Exmann, der auch der Vater der Kinder sei, lebe unverändert in der Ukraine in der Heimatstadt. Bei der Scheidung hätten sie das vorhandene Geschäft geteilt, deshalb zahle der Kindesvater derzeit keinen Kindesunterhalt, sie hätten gemeinsam einen Parkplatz besessen, der nunmehr vom Exgatten betrieben werde. Sie habe dem Exmann eine Vollmacht ausgestellt und dieser betreibe derzeit das Geschäft.

Zur Religion führte BF1 aus, dass sie als Atheistin geboren sei, im Jahre 2012 sei sie bei den Zeugen Jehovas getauft worden. Nur sie selbst sei getauft worden, aber die Kinder würden die Versammlungen besuchen. Sie habe noch ihre Schwester, eine Nichte, die zwei Kinder der Nichte und eine eigene Tochter und deren Sohn in der Ukraine, auch die Tochter und deren Sohn würden in der Heimatstadt von BF1 leben. Auf die Frage, warum die Tochter und der Enkel in der Ukraine verblieben seien, vermeinte die BF1, dass diese Tochter bereits verheiratet sei, es sei deren Entscheidung gewesen, in der Ukraine zu bleiben.

Sie selbst sei Einzelunternehmerin von diesem genannten Parkplatz gewesen, die Kinder hätten natürlich die Schule besucht und auch Sport betrieben. Persönliche Probleme mit den Behörden des Heimatlandes habe BF1 nie gehabt, sie sei auch niemals politisch tätig gewesen und habe niemals einer politischen Partei angehört.

Auf Aufforderung, nunmehr detailliert die Fluchtgründe zu schildern, führte BF1 aus wie folgt: "Ich verstehe, dass es kein eigentlicher Grund nach dem Asyl ist. Ich möchte jedoch erwähnen, dass die Kriminalität in der Ukraine sehr hoch ist."

Diesbezüglich führte BF1 aus, dass eine Tochter und ein Enkelsohn bereits einmal überfallen worden seien, ein mit einem Messer bewaffneter Mann habe sie angegriffen und das Handy aus dem Rucksack der Tochter gestohlen. Sie habe dann die Polizei rechtzeitig holen können, die Polizei habe die Kinder einen Monat lang zu Zwecken der Identität des Mannes vorgeladen, aber dieser Mann sei nie gefasst worden. Seitens der Polizei sei nicht geholfen worden und der Rucksack der Tochter sei auch nicht zurückgegeben worden, dieser Rucksack sei von der Polizei beschlagnahmt worden.

Als weiteren Grund schilderte die BF1, dass BF7 einmal in der Schule Gewalt ausgesetzt gewesen sei, er sei vom Großvater eines anderen Schülers geschlagen worden. Einer ihrer volljährigen Söhne sei zudem vor neun Jahren auf der Straße geschlagen und mit Füßen getreten worden.

Es habe auch Bedrohungen seitens der Nachbarn gegeben. Ein Nachbar habe gemeint, dass er einen Enkelsohn am Baum erhängen werde, das habe sie vor ca. einem Jahr auch bei der Polizei angezeigt. Ein weiteres Kind sei in der ersten Klasse Volksschule Mobbing ausgesetzt gewesen, diesbezüglich hätten sie schon die Schule gewechselt. Sie hätten auch mit dem Schuldirektor gesprochen und auch mit Psychologen, es sei dann gesagt worden, dass dieses Kind vom Charakter her ein Opfer sei und es darum zu diesen Übergriffen komme.

Zum Vorfall betreffend BF7 ergänzte BF1, dass dieser mit einem anderen Schulkind gestritten habe und der Großvater habe das gesehen und dann BF7 geschlagen. Alles was BF1 diesbezüglich erreicht habe, sei gewesen, dass der diensthabende Schulmitarbeiter entlassen worden sei. Zudem hätten die Polizisten nur ein Gespräch mit dem Großvater des anderen Schulkindes geführt, das sei vor einem Jahr gewesen. Früher sei sie wegen der vielen Kinder eine "heldenhafte Mutter" in der Ukraine gewesen, aber dieser Status würde ihr keine Rechte geben und auch das Leben nicht erleichtern. Im letzten Jahr hätte es keine weiteren Vorfälle mehr gegeben, aber die Kinder seien in der Schule einem psychologischen Druck ausgesetzt. Sie seien alle in derselben Schule und würden seitens der Mitschüler und Lehrer ausgespottet werden. Wegen der Religionszugehörigkeit habe sie selbst keine Probleme gehabt. Einzelfälle würde es aber überall geben.

Zuletzt führte BF1 aus, dass auf dem Parkplatz, den sie betreibe, Renovierungsarbeiten durchgeführt worden seien, deshalb sei der Parkplatz sechs Monate lang ohne Strom gewesen. Es sei sechs Monate lang nicht möglich gewesen, das Problem zu beheben, deshalb habe sie Mitarbeiter kündigen müssen und hätten die Kinder ausgeholfen.

Im Juli 2019 sei zudem im Wohnhaus die Überprüfung von Gasgeräten durchgeführt worden, dabei habe sie keine Unterlagen für die eigene Gasheizung vorlegen können und sei aus diesem Grund das Gas abgedreht worden. Deshalb habe sie kein Warmwasser gehabt und auch keine Heizung. Sie habe wegen des Gases schon bei den Behörden vorgesprochen, bei den Behörden sei gesagt worden, dass sie an der ganzen Situation selbst schuld sei und sie müsse das Ganze in Ordnung bringen, einen Entwurf für die Heizungsanlage im Haus bei der zuständigen Behörde einreichen. Das allein hätte schon 1.500,-- EURO gekostet, sie habe sogar die Regierungshotline in Kiew angerufen und die Sache vorgetragen. Dort sei gesagt worden, dass das Vorgehen der Behörden in der Heimatstadt legitim sei. Ihrer Meinung nach würde das Gesetz aber solche Aktionen für die Dauer der Heizzeit verbieten, es würde viele Leute geben, die dieses Problem mit den Gasgeräten haben, zuvor hätte sie aber nie diesbezüglich Probleme gehabt. Die Kinder hätten keine sonstigen Gründe.

Nach Vorhalt maßgeblicher Feststellungen zur Lage in der Ukraine führte die BF1 noch aus, dass gemäß einem "UNO-Bericht" Menschenrechtsverletzungen verbreitet seien. Was würde aus den Kindern werden, wenn es selbst in der Ukraine etwas passiert? Sie werde überall in der Ukraine als Schnorrerin angesehen.

Auf Frage des Rechtsberaters führte BF1 aus, dass sie die ganzen medizinischen Behandlungen gezahlt habe, der Parkplatz sei gepachtet, würde ihr etwas passieren, dann wäre das Grundstück verloren. In der Ukraine bekomme sie zu wenig Unterstützung, nämlich nur 80,-- EURO Pension und zusätzlich 100,-- EURO für das behinderte Kind.

1.4. Das Büro des Hohen Flüchtlingskommissärs der Vereinten Nationen in Österreich (UNHCR) teilte mit Schreiben vom 25.11.2019 mit, dass die Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG erteilt werde, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit den im Spruch angeführten Bescheiden, zugestellt durch persönliche Übernahme am 25.11.2019, den Antrag der BF auf internationalen Schutz vom 12.11.2019 gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte den BF auch keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zur Person der BF und zur Lage im Herkunftsstaat. Die Identität der BF stehe fest.

Die vorgebrachten Beweggründe für das Verlassen des Herkunftsstaates würden keine Asylrelevanz aufweisen und seien keine konkret gegen die BF gerichteten Verfolgungshandlung geltend gemacht worden. Die belangte Behörde verwies auf soziale und familiäre Bezugspunkte, Angehörige der BF1, etwa der Vater der Kinder und eine weitere Tochter von BF1, würden noch in der Ukraine leben. Nach allgemeinen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat verwies die belangte Behörde darauf, dass BF1 nur allgemeine Befürchtungen wegen Kriminalität und wegen Krankheiten und allenfalls Belästigungen der Kinder in der Schule getätigt habe. Die BF1 habe angegeben, wegen Depressionen und wegen Herzbeschwerden in der Ukraine medizinisch versorgt worden zu sein, es hätten sich keine sonstigen Hinweise auf das Vorliegen dringend behandlungsbedürftiger Krankheiten ergeben. BF1 habe selbst in Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme zu Protokoll gegeben, dass es "keinen eigentlichen Grund auf Asyl" geben würde. Den getätigten Ausführungen sei zu entnehmen, dass es sich keineswegs um eine spontane Flucht, sondern um eine genauestens und über längere Zeit geplante Ausreise der Familie mit insgesamt 17 Personen aus der Ukraine gehandelt habe. Die anfänglich vorgebrachten Probleme als Zeuge Jehovas habe BF1 bei der Befragung vor dem BFA nicht mehr ins Treffen geführt. Der Umstand, dass die BF legal problemlos ausreisen konnten, würde darauf hindeuten, dass sie keine Bedenken gehabt hätten, sich bei der Ausreise der möglichen Passkontrolle zu stellen. Die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas habe für BF1 noch nie zu persönlichen Nachteilen geführt. Das habe BF1 nicht behauptet, gehe auch aus den Feststellungen zur Lage der Zeugen Jehovas und den zahlreichen Internetquellen vor. Die BF1 und ihre Kinder würden an keiner akuten oder chronischen Erkrankung leiden, die nicht auch in der Ukraine behandelbar wären. BF1 habe ganz klar in Verbindung mit diversen Arztbriefen und Befunden zu verstehen gegeben, dass die BF auch bisher bereits medizinisch Behandlung in der Ukraine in Anspruch genommen hätten. Zwar sei erkennbar, dass die allgemeine Lage in der Ukraine für die BF belastend sei, eine individuelle Verfolgung oder ein asylrelevantes Vorbringen sei jedoch nicht behauptet worden. Die Heimatstadt sei zudem 150 Kilometer von der Ostukraine entfernt, die BF seien niemals in Kampfhandlungen involviert gewesen und sei solches auch gar nicht behauptet worden. Die BF1 sei eine berufstätige Frau mit einem eigenen Einzelunternehmen (Parkplatzvermietung), es gebe keine Hinweise darauf, dass es BF1 unmöglich wäre, der Berufstätigkeit weiter nachzugehen, zumal auch die volljährigen Kinder im Familienbetrieb mitgearbeitet und unterstützt hätten. Aus den Länderfeststellungen würde hervorgehen, dass BF1 weiterhin Zahlungen des Staates für die Kinder erhalten würde.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass BF1 gar keine Verfolgungshandlungen behauptet habe, weshalb § 33 Abs. 1 Z. 3 AsylG verwirklicht sei. Zudem sei § 33 Abs. 1 Z. 4 AsylG erfüllt, da die BF Staatsangehörige der Ukraine seien, somit aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen. Spruchpunkt II. wurde dahingehend begründet, dass nicht davon auszugehen sei, dass die BF bei einer Rückkehr in die Ukraine in eine massive wirtschaftliche Notlage geraten würden und sei kein begründeter Hinweis hervorgekommen, aus welchem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wäre. Auch die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung scheitere bereits am Umstand, dass sich die BF noch gar nicht im Bundesgebiet aufhalten und sei im Flughafenverfahren über eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß § 33 Abs. 5 AsylG nicht abzusprechen. Daher komme eine Prüfung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG und damit verbunden die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht.

1.6. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, wobei im Wesentlichen auf den Verfahrensgang verwiesen wird. Die BF1 sei alleinerziehende Mutter von 10 minderjährigen Kindern, die teilweise körperlich bzw. gesundheitlich beeinträchtigt seien. Dies würde die Situation aller BF unzumutbar machen, da "jegliche staatliche Hilfe verweigert wurde". Zudem sei der Krieg in der Ukraine ausgebrochen und es sei immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen. Die Polizei helfe den BF nicht, obwohl diese bereits mehrmals in Probleme verwickelt gewesen seien. Als Mitglieder der Zeugen Jehovas würden die BF ohnehin immer wieder aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit diskriminiert werden.

Diesbezüglich wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass BF1 nicht im Stande sei, alleine in der Ukraine zu leben, da ihnen keine geeignete Unterstützung offenstehe. BF1 sei deshalb nicht im Stande, für alle Kinder adäquat zu sorgen. Das hätte die Behörde berücksichtigen müssen. BF1 habe auch vorgebracht, dass es für BF11 keine geeigneten Einrichtungen gegeben habe, die der Erkrankung gerecht würden. Diesbezüglich seien keine geeigneten Ermittlungen durchgeführt worden. BF11 habe einen erhöhten Betreuungsbedarf und bedürfe einer angemessenen Behandlung. BF11 sei auf die Pflege der Mutter angewiesen und brauche laufend Beaufsichtigung, was BF1 nicht alleine bewältigen könne. Unter Hinweis auf die UN-Kinderrechtskonvention wurde somit die Möglichkeit der Rückkehr von BF11 in Frage gestellt, auch BF5 leide an Herzproblemen. Dieser würde leicht aggressiv werden und habe daher Probleme, einen geeigneten Kindergartenplatz oder eine Betreuungsstelle zu bekommen. BF1 sei damit überfordert, weshalb auch aus diesem Grund eine Rückkehr nicht möglich sei. Das Haus, in dem die BF leben, sei marode und nicht geeignet, dort zu leben. Es würde absolut nicht dem Kindeswohl entsprechen, dass die BF dorthin abgeschoben würden. Der Vater der Kinder zahle keine Alimente, auch dies hätte die Behörde berücksichtigen müssen. Manchen der Kinder drohe später eine zwangsweise Einberufung, dies sei aber mit dem Glauben nicht vereinbar. Dies stelle klar einen Asylgrund dar, "zumal die Kinder später dann die Religion nicht frei ausüben dürften".

Darüber hinaus sei die Sicherheitslage sehr schlecht, die Kriminalität sehr hoch und habe sich die Behörde nicht mit der Lage alleinstehender, kranker Frauen, die viele Kinder haben und selber krank sind, auseinandergesetzt.

Betreffend die Situation die Zeugen Jehovas wurde auf einen Bericht verwiesen, wonach der Oberste Gerichtshof der von Russland kontrollierten Volksrepublik Donezk im September 2019 einen Antrag der dortigen Generalstaatsanwaltschaft bestätigt hätte, die Zeugen Jehovas als extremistische Organisation zu verbieten. Zur Ukraine selbst wurde auf Berichte verwiesen, dass die Zeugen Jehovas von drei Fällen von Körperverletzungen im Laufe des Jahres 2018 berichten würden. Die belangte Behörde hätte sich mit der medizinischen Situation von BF1 auseinandersetzen müssen, denn BF1 sei es nicht möglich, entsprechende Unterlagen aus der Ukraine vorzulegen. Hätte die Behörde das gemacht, dass die Erkrankung von BF1 eine Behandlung erfordere, hätte sie erkannt, dass eine Rückkehr deshalb nicht möglich sei. Auch aufgrund der prekären Sicherheitslage in der Ukraine könne den BF eine Rückkehr dorthin nicht zugemutet werden. Diese seien allesamt als besonders vulnerabel abzusehen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat über die fristgerechten Beschwerden wie folgt erwogen:

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsaktes des BFA, beinhaltend die Erstbefragung der BF1 am 13.11.2019 und der Einvernahme vor dem BFA am 20.11.2019, die Zustimmung des UNHCR zur Abweisung des Antrages vom 25.11.2019 sowie die Beschwerde vom 02.12.2019;

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine).

Die BF1 hat keinerlei Beweismittel oder sonstige Belege für ihr Vorbringen (außer medizinische Befunde) vorgelegt.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die unter Punkt 2. erwähnten Beweismittel.

3.1. Zur Person der BF:

3.1.1. Die BF führen die im Spruch genannten Namen, sie sind Staatsangehörige der Ukraine. BF1 nimmt als einzig getauftes Familienmitglied an Versammlungen der Zeugen Jehovas teil. Die BF1 lebte zuletzt mit ihrer Familie in ihrer Heimatstadt und war im eigenen Betrieb (Parkplatz) erwerbstätig. BF1 ist arbeitsfähig, hat bis zur Ausreise einen Parkplatz in der Heimatstadt betrieben, in welchen auch mehrere Kinder mitgearbeitet haben und welcher derzeit vom Kindesvater betrieben wird.

3.1.2. Die BF1 ist nach eigenen Angaben in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme in ihrem Herkunftsstaat.

Die BF reisten am 12.11.2019 auf den Luftweg von Kiew kommend am Flughafen Schwechat ein und stellten dort am gleichen Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

3.1.3. Die BF haben im Verfahren vor dem BFA eine ihnen drohende Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat nicht behauptet und als Grund für die Ausreise angegeben, wegen der besseren Lebensumstände und wegen gefühlter Benachteiligungen in der Ukraine in Österreich sein zu wollen. Es haben sich auch sonst im Verfahren vor dem BFA keine Hinweise darauf ergeben, dass die BF im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wären.

Die Beurteilung seitens des BFA, dass die Ausreise aus wirtschaftlichen/medizinischen Gründen erfolgte und Verfolgungshandlungen weder behauptet wurden, noch sonst hervorgekommen sind, ist - wie auch die Stellungnahme des UNHCR, dass die Antragstellung als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne - zutreffend.

3.1.4. Die BF1 hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr im Falle der Verbringung in den Herkunftsstaat aufgrund ihrer individuellen Situation (Lebensumstände wie soziales Netz und Familie, Gesundheit und anderes mehr) im Zusammenhang mit der Lage in der Herkunftsregion ein reales Risiko einer Verletzung des Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), droht, und ist dies auch nicht von Amts wegen hervorgekommen.

Die BF1 ist im erwerbsfähigen Alter, sie hat bis zuletzt im eigenen Betrieb (Parkraumbewirtschaftung) gearbeitet. Sie verfügt durch Familie und Freunde über Anknüpfungspunkte in der Ukraine. Dass der allgemeine Gesundheitszustand der BF in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt wäre, somit schwerste Krankheitsbilder vorliegen würden, die eine in der Ukraine nicht mögliche Heilbehandlung erfordern, wurde im Verfahren nicht substantiiert behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonstwie bekannt geworden.

Es ist daher anzunehmen, dass die BF im Herkunftsstaat in der Lage sein werden, sich weiterhin ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen, zumal BF1 weiter über ihre Pension und ihr Einkommen verfügt. Darüber hinaus kann die BF1 eine Unterstützung durch ihren Kindesvater erwarten, da die BF1 angegeben hat, dass dieser sein eigenes Unternehmen betreibt und derzeit auch den Parkplatz bewirtschaftet und kein Grund vorgebracht wurde, warum diese Unterstützung des in der gleichen Stadt aufhältigen Exmanns seinen eigenen Kindern gegenüber nicht zu erwarten sei.

3.1.5. Es besteht kein reales Risiko, dass die BF im Herkunftsstaat einer dem 6. oder 13. Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitenden Behandlung unterworfen würden und hat dies BF1 auch nicht behauptet.

3.2. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

3.2.1. Zur allgemeinen Lage in der Ukraine (Auszug aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA):

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des BF:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.08.2019 (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 29.8.2019 ist die ukrainische Oberste Rada zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Die Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Diener des Volkes, hatte bei der Wahl mehr als 250 der insgesamt 450 Sitze gewonnen (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Sechs Fraktionen wurden gebildet: Diener des Volkes mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform "Für das Leben" mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion "Für die Zukunft" mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019).

Für die neue Regierung stimmten 281 Parlamentarier. Neuer Premierminister ist der 35-jährige Jurist Olexij Hontscharuk (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Zum neuen Ministerkabinett gehören:

Vizepremierminister für europäische und euroatlantische Integration Dmytro Kuleba

Vizepremierminister und Minister für IT-Transformation Mychailo Fedorow

Minister des Ministerkabinetts Dmytro Dubilet

Außenminister Wadym Prystaiko

Verteidigungsminister Andrij Sahorodnjuk

Innenminister Arsen Awakow (Bereits in der Vorgängerregierung tätig)

Minister für Wirtschaftsentwicklung, Handel und Landwirtschaft Tymofij Mylowanow

Justizminister Denys Maljuska

Finanzministerin Oxana Markarowa (Bereits in der Vorgängerregierung tätig)

Minister für Energiewirtschaft und Kohleindustrie Olexij Orschel

Minister für Infrastruktur Wladyslaw Kryklij

Ministerin für Entwicklung von Gemeinden und Territorien Olena Babak

Ministerin für Bildung und Wissenschaft Hanna Nowosad

Gesundheitsministerin Zorjana Skalezka

Minister für Kultur, Jugend und Sport Wolodymyr Borodjanskyj

Ministerin für Sozialpolitik Julia Sokolowska

Ministerin für Angelegenheiten von Veteranen, vorläufig besetzen Gebieten und Binnenflüchtlingen

Oxana Koljada

(Ukrinform 30.8.2019)

Zu den unmittelbaren Vorhaben der neuen Regierung zählen nun wirtschaftspolitische Maßnahmen, die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität (eine weithin geforderte Maßnahme zur

Korruptionsbekämpfung, welche allerdings eine Zweidrittelmehrheit verlangt), die Schaffung einer Möglichkeit zur Absetzung des Präsidenten und ein Gesetz zum Whistleblowing in Korruptionsangelegenheiten (RFE/RL 30.8.2019).

Quellen:

-

DS - Der Standard (29.8.2019): Ukrainischer Präsident bekommt sein Wunschkabinett,

https://www.derstandard.at/story/2000107945934/selenskyj-nominiert-ukrainischen-premier-undmehrere-minister, Zugriff 30.8.2019

-

KP - Kyiv Post (29.8.2019): Ukraine's new parliament sworn in, Dmytro Razumkov becomes speaker, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/ukraines-new-parliament-sworn-in.html?cnreloaded=1, Zugriff 30.8.2019

-

RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (30.8.2019): Ukraine's Zelenskiy Inducts Politically

Untested Government,

https://www.rferl.org/a/ukraine-zelenskiy-new-government-honcharuk/ 30137220.html, Zugriff 30.8.2019

-

Ukrinform (30.8.2019): Parlament billigt neue Regierung, https://www.ukrinform.de/rubric-polytics/

2769759-parlament-billigt-neue-regierung.html, Zugriff 30.8.2019

KI vom 23.07.2019 (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Die Partei "Sluha Narodu" (Diener des Volkes) von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die ukrainische Parlamentswahl vom 21.07.19 gewonnen. Noch liegt das amtliche Endergebnis nicht vor, aber nach Auszählung von etwa 70% der Stimmen steht fest, dass die Partei auf rund 42,7% kommt. Es folgen die russlandfreundliche Oppositionsplattform mit etwa 13%, die Partei "Europäische Solidarität" des früheren Präsidenten Petro Poroschenko mit etwa 8,4%, die Vaterlandspartei der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 7,4% und die Partei "Holos"

(Stimme) des Rocksängers Swiatoslaw Wakartschuk mit 6,2%. Dies sind die fünf Parteien, die die

5%-Hürde überwinden konnten. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (BAMF

22.7.2019, DS 22.7.2019).

Zusammen mit den gewonnenen Sitzen aus den Direktwahlkreisen kommt Selenskyjs Partei auf knapp 250 der insgesamt 450 Sitze im Parlament. Das gute Ergebnis über die Parteiliste war vorausgesagt worden, jedoch überrascht der Gewinn von mehr als 120 Direktmandaten , da die Kandidaten durchwegs Polit-Neulinge sind und über keinerlei Erfahrung im Parlament verfügen. Die enorme Wählerzustimmung für Selenskyjs Partei bedeutet, dass das erste Mal in der Ukraine eine politische Kraft die absolute Mehrheit der Sitze in der Rada erreicht hat. Damit entfallen die komplizierten Koalitionsverhandlungen, mit denen im Vorfeld der Wahl viele Experten gerechnet hatten. Offenbar wurde auch Selenskyj selbst davon überrascht, denn noch am Wahlabend hatte er Wakartschuks "Holos", auch diese eine erst vor kurzem gegründete Partei mit ausschließlich politisch unerfahrenen Kandidaten und radikaler Antikorruptions-Agenda, Koalitionsverhandlungen angeboten. Dies dürfte nun unnötig geworden sein (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Quellen:

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (22.7.2019): Briefing Notes, per E-Mail

-

DS - Der Standard (22.7.2019): Diener des Volkes werden Kiew regieren,

https://www.derstandard.at/story/2000106566433/diener-des-volkes-werden-kiew-regieren, Zugriff 23.7.2019

2. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman.

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach

Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

In der Rada sind derzeit folgende Fraktionen und Gruppen vertreten:

Partei

Sitze

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

135

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

38

Selbsthilfe (Samopomitsch)

25

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

21

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

60

(AA 20.5.2019)

Nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und

Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats- und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlich an den Führungsfiguren (AA 22.2.2019).

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch

Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL

23.5.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA

27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-022019.pdf, Zugriff 18.3.2019

-AA - Auswärtiges Amt (20.5.2019): Ukraine, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukraine/201830, Zugriff 27.5.2019

-

CNN - Cable News Network (21.4.2019): Political newcomer Volodymyr Zelensky celebratesvictory in Ukraine's presidential elections, https://edition.cnn.com/2019/04/21/europe/ukraineelection-results-intl/index.html, Zugriff 24.4.2019

-

DS - Der Standard (21.4.2019): Politikneuling Selenski wird neuer Präsident der Ukraine, https:// derstandard.at/2000101828722/Politik-Neuling-Selenski-bei-Praesidenten-Stichwahl-in-derUkraine-vorn, Zugriff 24.4.2019

-

FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine,

https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019

-

KP - Kyiv Post (22.4.2019): Election watchdog Opora: Presidential election free and

fair,https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/election-watchdog-opora-presidential-election-free-andfair.html, Zugriff 24.4.2019

-

Stern (23.4.2019): Ihor Kolomojskyj, der milliardenschwere Strippenzieher hinter der SensationSelenskyj, https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine--ihor-kolomojskyj--der-strippenzieher-hinterder-sensation-selenskyj-8678850.html, Zugriff 24.4.2019

-

UA - Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail

-

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (23.5.2019): Zelenskiy's Decree On DisbandingUkrainian Parliament Enters Into Force, https://www.rferl.org/a/zelenskiy-s-decree-on-disbandingukrainian-parliament-enters-into-force/29958190.html, Zugriff 27.5.2019

3. Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den

Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert,

Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten

"Sonderstatusgesetzes" bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten.

(AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, "das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen". In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in derUkraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-022019.pdf, Zugriff 18.3.2019

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj,https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer-

16157482.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0, Zugriff 26.4.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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