TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/8 I419 2161412-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.11.2019
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Entscheidungsdatum

08.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §17 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2161412-2/3E

I419 2219541-2/3E

I419 2192282-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, StA. AFGHANISTAN, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.10.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen,

dass der Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wird nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, StA. TUNESIEN, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.10.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen,

dass der Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wird nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, StA. TUNESIEN, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.10.2019, Zl. 1XXXX, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben. Die Spruchpunkte VII

und VIII des Bescheids werden ersatzlos aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III der angefochtenen Entscheidung lautet wie folgt:

"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wird nicht erteilt."

und Spruchpunkt V des bekämpften Bescheides zu lauten hat:

"Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wird festgestellt, dass Ihre Abschiebung nach Tunesien gemäß § 46 Abs. 1 und 4 FPG zulässig ist.".

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer, künftig als BF und entsprechend der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als BF1, BF2 und BF3 bezeichnet, sind eine Familie.

BF1 und BF2 sind Eltern des 2018 in Österreich geborenen BF3. BF1, der Vater, ist Staatsangehöriger Afghanistans, BF2 und BF3 sind solche Tunesiens.

2. Ihre Anträge auf internationalen Schutz wurden betreffend die Status von Asyl- und von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, was dieses Gericht am 29.01.2019 (BF1 zu W109 2160563-1, BF2 zu I403 2192282-1) und 18.06.2019 (BF3 zu I415 2219541-1) bestätigte.

BF1 habe nicht glaubhaft machen können, dass er in Afghanistan mit dem Tode bedroht worden ist, weil er nicht bereit war, für die Taliban zu spionieren. Ihm sei die Fortsetzung seines Familienlebens mit Ehefrau und Sohn in Tunesien möglich und zumutbar. Es habe nicht festgestellt werden können, dass BF2 in Tunesien für den Fall einer Rückkehr einer Verfolgung durch ihren eigenen Vater ausgesetzt wäre. Zudem wäre, wenn man davon ausginge, dass sie tatsächlich von ihrem Vater bedroht würde, staatlicher Schutz gegeben.

Die Behandlung einer Beschwerde von BF1 an den VfGH hat dieser abgelehnt (11.06.2019, E 831/2019-8). Die Revision von BF1 wies der VwGH zurück (24.09.2019, Ra 2019/20/0420-7).

3. Am 06.08.2019 stellten die BF Folgeanträge (BF2 auch für BF3), welche das BFA mit den bekämpften Bescheiden betreffend die genannten Status wegen entschiedener Sache zurückwies (jeweils Spruchpunkte I und II). Unter einem hat das BFA den BF keine Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylG" erteilt (Spruchpunkte III), Rückkehrentscheidungen wider sie erlassen (Spruchpunkte IV) sowie festgestellt, dass ihre Abschiebung zulässig sei, und zwar für BF1 und BF3 nach Afghanistan sowie für BF2 nach Tunesien (Spruchpunkte V), wobei keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkte VI).

Zugleich verhängte das BFA über die BF jeweils ein zweijähriges Einreiseverbot (Spruchpunkte VII) und führte im jeweiligen Spruchpunkt VIII (im Bescheid von BF2 als "VIII. I." bezeichnet) aus, den BF sei jeweils aufgetragen worden, ab 06.08.2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.

4. Beschwerdehalber wird dagegen vorgebracht, BF2 sei mit BF1 verheiratet und wieder schwanger. Würde BF1 nach Afghanistan abgeschoben, die anderen BF hingegen nach Tunesien, wäre das Kindeswohl von BF3 und sohin Art. 8 EMRK verletzt. Außerdem sei BF2 mit einer Abschiebung als alleinstehende Frau mit zwei minderjährigen Kindern und wegen der seinerzeitigen vorehelichen Beziehung Verfolgung ausgesetzt.

Sie hätte mangels familiärer Unterstützung nicht die Möglichkeit, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen oder sich und den Kindern eine Existenzgrundlage aufzubauen, und würde bei einer Rückkehr schutzlos in eine existenzbedrohende Lage geraten.

Beantragt wurde, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Das BFA hat BF1 und BF2 mit Verfahrensanordnungen vom 06.08.2019 aufgetragen, ab 09.08.2019 in dem in den Spruchpunkten VIII der bekämpften Bescheide bezeichneten Quartier durchgehend Unterkunft zu nehmen (BF1: AS 35, BF2: AS 33), nicht aber BF3.

Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern und der Beschwerdeführerin

BF1 und BF2 sind Sunniten und strafrechtlich unbescholten. Sie sind seit 07.05.2018 nach islamischem Recht und seit 12.01.2019 standesamtlich verheiratet. Die Beziehung begann Ende 2017.

BF1 spricht seine Muttersprache Dari, Patshtu, Englisch und fließend Deutsch. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, wurde in Logar geboren, stammt aus Kabul und hat dort bis zu seiner Ausreise mit seiner Mutter, zwei Brüdern sowie Onkeln und Tanten gelebt. Seine Mutter lebt weiterhin dort, zwei Brüder jedenfalls im Herkunftsstaat. Er hat selten mit ihnen Kontakt, da es ihnen an Internetanbindung fehlt.

Er hat ein soziales Netzwerk in Kabul, dort zwölf Jahre Grundschule und Gymnasium besucht und dieses abgeschlossen. Ferner hat er einen Elektrotechnikkurs absolviert und Berufserfahrung als Techniker für Klimaanlagen gesammelt.

Er ist Ende 20, gesund und arbeitsfähig. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wird er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten, zumindest nicht in einer Großstadt Afghanistans, wie z. B. Kabul, wo er den Großteil seines Lebens gelebt hat und noch immer seine Mutter hat, oder auch in Herat oder Mazar-e Sharif.

BF1 befindet sich seit rund vier Jahren im Bundesgebiet. Er bezog regelmäßig Leistungen der Grundversorgung, womit er seinen Lebensunterhalt bestritt, und war in Österreich nicht berufstätig.

Er hat einige Kurse absolviert, sich freiwillig für die Caritas engagiert sowie dort gearbeitet und besuchte ab dem 02.05.2018 einen Lehrgang für einen Pflichtschulabschluss. Andere Fremde begleitet er als Dolmetsch ins Krankenhaus. Er hat österreichische Freunde, mit denen er fallweise ausgeht.

BF2 stammt aus Tunis, hat in Tunesien eine Ausbildung zur Kindergärtnerin absolviert und diesen Beruf bis April 2017 ausgeübt. Gelegentlich wurde sie von ihrer Mutter finanziell unterstützt. BF2 spricht Arabisch, Deutsch auf A1-Niveau und nach eigenen Angaben mittelmäßig Französisch. Ihre Identität steht fest.

Ihre Familie, außer den BF, insbesondere ihre Eltern sowie ihre Schwester, lebt in Tunesien. Vater und Mutter der Beschwerdeführerin sind geschiedenen und leben getrennt. Ihre Schwester wohnt - ebenso wie vor ihrer Ausreise BF2 - bei ihrer Mutter. Der Vater arbeitet bei einem Reinigungsmittelerzeuger, die Mutter im Unterrichtsministerium. Die Beschwerdeführerin steht mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in Kontakt.

Die BF leben gemeinsam in einer Flüchtlingsunterkunft. Das Familienleben kann in Tunesien fortgesetzt werden.

Ansonsten hat BF2 in Österreich keine maßgeblichen privaten sowie keine familiären Anknüpfungspunkte. Ihre Beziehung zu einem Österreicher, den sie im August 2016 über das Internet kennengelernt und der ihren Flug nach Österreich organisiert und eine Verpflichtungserklärung ausgestellt hatte, endete Anfang August 2017 nach einem zweiwöchigen Aufenthalt hier.

BF2 hat einige Kurse absolviert und sich freiwillig für die Caritas engagiert, ist strafrechtlich unbescholten und bestreitet ihren Lebensunterhalt über die Grundversorgung.

Sie litt in der Schwangerschaft mit BF3 an schwangerschaftsbedingten gesundheitlichen Komplikationen, konkret an einem Nierenstau. Darüber hinaus leidet sie wie bereits im Erstverfahren an Schlaflosigkeit und Ängsten, wogegen der psychosoziale Dienst ihr damals ein Entspannungstraining empfahl. Eine über die Zeit des Mutterschutzes hinausgehende Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit war nicht gegeben. Derzeit ist sie neuerlich schwanger, weshalb sie nach eigenen Angaben auch ein Medikament abgesetzt hat, wobei der errechnete Termin der Niederkunft in der zweiten Februarhälfte 2020 liegt. Das genannte Medikament dient der Behandlung von depressiven Erkrankungen und von Schlafstörungen. Eine Frauenärztin hat ihr ein Nahrungsergänzungsmittel für Schwangerschaft und Stillzeit sowie Tabletten gegen Übelkeit verschrieben, die bei Reisekrankheit Verwendung finden.

BF3 ist gesund, hat ein schützenswertes Familienleben und kein schützenswertes Privatleben. Nach Angaben von BF2 hatte er Atemprobleme, es gehe ihm aber besser und er habe keine lebensbedrohende Krankheit. Seine Eltern erhalten für ihn Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Das gemeinsame Familienleben kann in Tunesien fortgesetzt werden. Seine Identität steht fest.

1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat Afghanistan:

Betreffend die aktuelle Lage sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid von BF1 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

Rückkehr

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017). Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA Staatendokumentation; vgl. AAN 19.5.2017). Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten (BFA Staatendokumentation 4.2018; IOM 6.2012). Im Jangalak-Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 18.4.2018).

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018). IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018). In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM Belgium o. D.). IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 25.1.2018). ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IRARA o. D., IOM 25.1.2018). AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. FB o.D.). Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an (BFAStaatendokumentation 4.2018). Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein.

Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt (BFA Staatendokumentation 4.2018). Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl UNHCR 13.12.2017). Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) - alle Leistungen sind kostenfrei (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Info Migrants 2.1.2018). Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das JangalakAufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (sieheJangalak-Aufnahmezentrum) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Landinfo 19.9.2017). Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

1.4 Zur Situation im Herkunftsstaat Tunesien:

Tunesien ist nach § 1 Z. 11 HStV ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG. Betreffend die aktuelle Lage sind gegenüber den in den angefochtenen Bescheiden von BF2 und BF3 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.4.1 Grundversorgung

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 23.4.2018). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor"). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 10.2017b; vgl. GIZ 9.2018c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Im Service spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups (GIZ 9.2018c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung bei, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringendsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll junge Unternehmen v.a. im IT-Bereich stärken (GIZ 9.2018c).

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 10.2017b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16 Prozent, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 10.2017b; vgl. GIZ 9.2018c, ÖB 10.2017). Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 10.2017b). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 9.2018c). Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 10.2017).

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen vergleichsweise niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 9.2017b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für max. ein Jahr ausbezahlt - allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 10.2017).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet. Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Die aktuelle Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen (AA 23.4.2018).

1.4.2 Rückkehr

Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in § 35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: "Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bzw. 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln." Soweit bekannt, wurden im Jahr 2017 ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen nicht zur Anwendung bei Personen, die das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 23.4.2018). Eine "Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie" wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. "Bulletin Numéro 3") beantragt werden (AA 23.4.2018). Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und limitierten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über 2 Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sog. "Dialog Süd" - Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 10.2017).

1.5 Zu den Fluchtmotiven und einer etwaigen Rückkehrgefährdung der BF:

BF1 hat zu seinem Folgenantrag vorgebracht, er habe geheiratet und erwarte sein zweites Kind. In Afghanistan könne er mit seiner Frau nicht leben, er wolle samt Familie in Österreich bleiben, und wünsche, dass seine Kinder hier aufwüchsen. Er könne auch nicht nach Tunesien, weil er das Land und die Sprache nicht kenne und daher nicht für die Familie sorgen könne. In Österreich gehe er arbeiten und seien sie integriert.

Nach Rechtsberatung ergänzte er, als er 16 gewesen sei, wäre beschlossen worden, dass er seine Cousine heirate, was jetzt ein Problem sei, weil er seine Frau geheiratet habe. Die Familie seiner Tante werde ihn umbringen. Tunesien werde ihm den Aufenthalt nicht bewilligen.

BF1 war bereits vor der Verhandlung in seinem vorangegangenen Beschwerdeverfahren am 22.01.2019 mit BF2 verheiratet.

BF2 hat vorgebracht, mit BF1 weder nach Afghanistan noch nach Tunesien gehen zu können, und zu wünschen, dass die Familie zusammen in Österreich bleibe. Nach Rechtsberatung ergänzte sie, BF3 brauche beide Eltern und eine Trennung von BF1 würde ihrem psychischen Zustand schaden. Die Eheschließung mit BF1 sei ohne Einwilligung ihrer Familie erfolgt, sodass sie im Herkunftsstaat mit keiner Unterstützung rechnen dürfe, sondern verstoßen würde. Für BF3 wurde kein darüberhinausgehendes Vorbringen erstattet.

Die BF haben kein neues Vorbringen erstattet, das eine Rückkehrbefürchtung dartäte, die nicht bereits in den vorangegangenen Entscheidungen dieses Gerichts behandelt worden wäre oder vor diesen hätte vorgebracht werden können.

In Bezug auf das Fluchtvorbringen der BF in ihren nunmehrigen Folgeverfahren und aufgrund der allgemeinen Lage in den beiden Herkunftsstaaten wird festgestellt, dass sie im Fall der Rückkehr von BF2 mit BF3 nach Tunesien und von BF1 nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein werden.

Dies gilt auch, wenn alle BF sich gemeinsam in Tunesien niederlassen. Die BF können ihr Familienleben in Tunesien fortsetzen.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der Verwaltungsakten und jener des Gerichts samt denen der ersten Beschwerdeverfahren der BF. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Gewerberegister und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zu den Personen der BF

Soweit Feststellungen zur Identität, den Lebensumständen und zur Staatsangehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf deren Angaben im Akt und den in den bisherigen Erkenntnissen getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht substantiell entgegengetreten wurde. Der Termin der erwarteten Niederkunft von BF2 findet sich in deren Mutter-Kind-Pass.

Betreffend ihren aktuellen Gesundheitszustand hat BF2 außer dem Rezept der Frauenärztin keine Unterlagen vorgelegt, sodass auf die Feststellungen im Erstverfahren aufgebaut wird, zumal sie am 23.08.2019 einvernommen angab, es gehe ihr psychisch und physisch für eine Schwangere den Umständen entsprechend. In der späteren Stellungnahme vom 02.09.2019 wurde zu ihrer Gesundheit lediglich vorgebracht, dass sie wie bisher an "Depressionen" leide, das Medikament nicht nehme und ihr Zustand sich durch die Ungewissheit des Aufenthalts der BF - sowie der Ungewissheit der Abschiebung von BF1 nach Afghanistan - verschlechtert habe.

Weder dazu noch zum Beschwerdevorbringen, BF2 leide psychisch unter den Vorwürfen der Familie wegen Verletzung der Ehre, wurden allerdings Beweise angeboten oder Befunde vorgelegt, sodass Feststellungen über die getroffenen hinaus nicht begründet gewesen wären. Aus den eigenen Angaben von BF2 ergibt sich jedenfalls, dass sie kein Psychopharmakon konsumiert.

2.3 Zu den Herkunftsstaaten

Die vom BFA verwendeten Länderinformationen sind die auch derzeit aktuellen, Afghanistan mit letzter Kurzinformation 04.06.2019, Tunesien auf Stand 15.10.2018, wobei die Letzteren die vom BFA angegebene Version Kurzinformation am 20.09.2019 (S. 11 im Bescheid von BF2, AS 197) nicht aufweisen (Abfrage Staatendokumentation am 05.11.2019). Diese Kurzinformation (AS 179 f bei BF2) bezieht sich auf die Präsidentenwahl und ist fallbezogen (und nach Angabe der Staatendokumentation auch für das Länderinformationsblatt) irrelevant, weshalb das BFA sie auch nicht wiedergegeben hat.

Die Länderinformationsberichte stützen sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. des UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die BF traten diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen, wenn die Beschwerde betreffend BF1 ausführt, es sei "vollkommen lebensfremd", dass dieser nach Tunesien reisen und sich dort aufhalten könne, zumal aus Afghanistan kommend. Im Erstverfahren von BF1 hat dieses Gericht bereits festgestellt, dass es BF1 möglich ist, sein Familienleben mit seiner Ehegattin sowie seinem Sohn in Tunesien fortführen (W109 2161412-1/34E, 48), und zwar gestützt auf einen Bericht der Staatendokumentation. Wie oben erwähnt, wurde diese Entscheidung zwischenzeitlich von VfGH und VwGH geprüft und nicht beanstandet. BF1 bringt auch nicht vor, was an der Situation in den Herkunftsstaaten sich in den 9,5 Monaten seither geändert haben soll.

2.4 Zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen

Die Beschwerdeführer haben vorgebracht, neue Fluchtgründe zu haben, und zwar im Wesentlichen familiäre Probleme aufgrund ihrer Hochzeit sowie die neuerliche Schwangerschaft von BF2. Dazu komme, dass BF2 deshalb die Tabletten nicht mehr nehme und sich ihr Zustand wegen der unsicheren Zukunft verschlechtert habe.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Ehe von BF1 und BF2 in den Erstverfahren bereits bekannt war und Berücksichtigung fand (s. oben und I403 2192282-1/26E, 7). Im Erstverfahren von BF2 wurde auch bereits vorgebracht "Die BF hat weiters ein unehrenhaftes Verhalten gesetzt, indem sie in Österreich nicht nach tunesischem Ritus geheiratet hat und ein Kind aus dieser Beziehung hervorgeht. Sie hat im Ausland Handlungen gesetzt, die die Verfolgung im Herkunftsstaat massiv verstärken." (Stellungnahme vom 25.01.2019, 5)

Auch im Erstverfahren von BF1 wurde zur Heirat bereits vorgebracht, "dass der BF mittlerweile verheiratet ist und Vater eines knapp zwei Monate alten Kindes. Das würde auch die Zumutbarkeit einer Rückkehr des BF und seiner Familie nach Afghanistan in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen." sowie betreffend BF2: "Wenn sie zurückgehen würde, besteht die Gefahr, dass sie von ihrem Vater getötet würden werde. Noch schlimmer wäre, wenn sie mit einem Mann und einem Kind zurückkehren würde." (Verhandlungsschrift vom 22.01.2019, 7) In der weiteren Stellungnahme (vom 24.01.2019) wird weiter ausgeführt, BF1 habe auch keinen Reisepass.

Es ist nicht zu sehen, warum Sachverhalte wie die behaupteten Probleme mit den Familien, die bereits vor den Entscheidungen in den Erstverfahren gelegen hätten und damit von diesen auch miterfasst sind, nun anders festgestellt oder beurteilt werden sollen als seinerzeit z. B. in der Negativfeststellung in I403 2192282-1/26E, 7 und der weiteren Feststellung dort: "Zudem wäre, wenn man davon ausginge, dass sie tatsächlich von ihrem Vater bedroht wird, staatlicher Schutz gegeben."

Betreffend die zweite Schwangerschaft ist darauf zu verweisen, dass dieses Gericht in den Erstverfahren davon ausging, dass den BF ein gemeinsames Familienleben in Afghanistan aktuell nicht möglich ist, BF1 jedoch die Möglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in Tunesien offenstehe. Dieser beherrsche zwar nicht die arabische Sprache, doch sei davon auszugehen, dass es ihm möglich sein sollte, diese rasch zu erlernen, so wie er auch in kurzer Zeit Deutsch gelernt habe. Die Fortsetzung seines Familienlebens mit Ehefrau und Sohn in Tunesien sei BF1 möglich und zumutbar, und auch nicht davon auszugehen, dass die Familie in eine existenzbedrohende Notlage gerät. BF1 werde es aus Basis seiner Ausbildung und Berufserfahrung möglich sein, wieder eine Anstellung zu finden. BF2, die schon früher von ihrer Mutter unterstützt worden sei, könnte, jedenfalls bis BF1 in der Lage ist, am tunesischen Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden, zum Familieneinkommen beitragen, indem sie wieder als Kindergärtnerin arbeitet. (W109 2161412-1/34E, 48; I403 2192282-1/26E, 7)

Es ist nicht zu verkennen, dass eine Berufstätigkeit von BF2 in den Wochen vor und nach der neuerlichen Niederkunft untunlich ist. Unverkennbar ist aber auch, dass ihr weiterhin (wie schon bei Rechtskraft der Erstentscheidungen) freisteht, sich im Herkunftsland beruflich zu betätigen, bis der Fortschritt der Schwangerschaft dies verunmöglicht, und auch nach der Niederkunft wieder. Auch an der Einsatzfähigkeit von BF1 hat sich nichts geändert.

Insofern ist, auch mit Blick auf die Länderinformation zu Tunesien, nicht zu sehen und wurde auch nicht konkret angegeben, warum aus der Schwangerschaft und dem erwartbaren vorübergehenden Ausfall der Arbeitskraft von BF2 verglichen mit den Feststellungen der Erstverfahren nunmehr die Möglichkeit des Familienlebens in Tunesien nicht mehr bestehen sollte.

In den vorliegenden Asylverfahren bringen die Beschwerdeführer damit keine neuen Gründe für die Stellung der Anträge auf internationalen Schutz vor.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Die schon in den vorangegangenen Verfahren erstatteten Fluchtvorbringen der BF und die dort geltend gemachten Gründe sind bereits in diesen Verfahren abschließend beurteilt und in den seinerzeitigen, rechtskräftigen Erledigungen berücksichtigt worden. Insofern geht es im aktuellen Folgeverfahren um die Prüfung der darüber hinaus geltend gemachten neuen Tatsachen und im Beschwerdeverfahren um den Inhalt der nun bekämpften Bescheide.

Da die belangte Behörde die Folgeanträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Beschwerdegegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Zurückweisung dieses Antrages, nicht aber der Antrag selbst.

3.1 Zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I und II):

Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Letzteres betrifft die amtswegige oder aufsichtsbehördliche Bescheidänderung oder -aufhebung. Die §§ 69 und 71 AVG bezeichnen die Rechtsinstitute der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die beide hier nicht anwendbar sind.

Die Anordnung, dass Anbringen unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 AVG nicht inhaltlich behandelt, sondern zurückgewiesen werden, soll die wiederholte Befassung der Behörde mit einer bereits entschiedenen Sache vermeiden, wobei es auf die unveränderte Sach- und Rechtslage ankommt.

Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (vgl. VwGH 8.9.2015, Ra 2014/18/0089). Demnach sind behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch nicht bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht hat, von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0008 bis 0010, mwN).

In den vorliegenden Asylverfahren brachten die BF keine glaubhaften neuen Gründe für die Anträge auf internationalen Schutz vor. Sie haben daher kein Vorbringen erstattet, das eine solche Änderung des Sachverhalts beinhaltet, die nach Rechtskraft der bereits erfolgten Entscheidungen eingetreten und geeignet wäre, andere Entscheidungen herbeizuführen.

Betreffend die im Erstverfahren blieb das Vorbringen von BF2 soweit relevant unverändert und wurde bereits in den Erstverfahren behandelt. Kern des Vorbingens in Bezug auf die behaupteten privaten Verfolgungen ist nunmehr nach den Behauptungen die von (Teilen) der Verwandtschaft missbilligte Ehe von BF1 und BF2, unter anderem, weil BF1 entgegen der familiären Abmachung nicht seine Cousine geehelicht habe, die deshalb Furcht vor Angehörigen in den Herkunftsstaaten hätten. Nach den Feststellungen fand die Trauung vor Abschluss der ersten Beschwerdeverfahren statt, weshalb dieses Vorbringen (soweit nicht ohnedies bereits damals erstattet) sich auf einen bereits damals angeblich vorliegenden Sachverhalt bezieht und schon damals hätte erstattet werden können. Warum die BF das nicht in der jetzigen Ausführlichkeit getan haben, ist nicht ersichtlich.

Die behaupteten Sachverhalte wären demnach - lägen sie wie behauptet vor - jedenfalls von der Rechtskraft der Entscheidungen im Erstverfahren umfasst. Der sonst für die vorliegende Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat sich seit Rechtskraft der Erstverfahren nicht entscheidungswesentlich geändert.

Demnach ist wie im Erstverfahren davon auszugehen, dass BF1 weder aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK) angeführten Asylgründe den Herkunftsstaat verlassen hat, noch im Falle seiner Rückkehr einer realen Gefahr im Sinne des Art. 2 oder Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, die subsidiären Schutz notwendig machen würde.

Gleichermaßen ist weiter davon auszugehen, dass BF2 im Herkunftsstaat Tunesien keine solche Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und ihre Rückkehr dorthin keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde ,und diese Rückkehr für sie auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Da betreffend BF3 eine eigene Bedrohung oder Verfolgung weder behauptet wurde noch für das Bundesverwaltungsgericht erkennbar war, ist auch ihn betreffend weiter von der Feststellung auszugehen, dass ihm in Tunesien keine Verfolgung im Sinn der angeführten Bestimmung der GFK droht. Im Hinblick auf die Länderfeststellungen ist auch als unverändert anzusehen, dass für BF3 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung dorthin keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Für das BFA lag somit kein Anlass für eine Überprüfung der seinerzeitigen Erledigungen vor. Damit stand einer neuerlichen Behandlung durch das BFA mangels einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung die bereits entschiedene Sache entgegen. Da es demnach die Folgeanträge der BF zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG betreffend den Asyl- und den subsidiären Schutzstatus zurückgewiesen hat, waren die Beschwerden bezogen auf die Spruchpunkte I und II nach § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

3.2 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkte III):

3.2.1 Im Spruchpunkt III der angefochtenen Bescheide sprach das BFA aus, dass den BF ein Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" gemäß "§ 57 AsylG" nicht erteilt werde. Damit war nach der Begründung (z. B. S. 179 / AS 477 im Bescheid für BF1) das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemeint. Dem war durch die Richtigstellung des Wortlauts Rechnung zu tragen.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 wurde von den BF nicht behauptet. Aus den Beschwerden und aus den Verwaltungsakten ergeben sich auch keine Hinweise, die nahelegen würden, dass die Erteilung solcher Aufenthaltsberechtigungen in Betracht kommt. Die Beschwerden waren daher abgesehen von der Richtigstellung auch betreffend die Spruchpunkte III abzuweisen.

3.3 Zu den Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkte IV)

Nach § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Diese Bestimmung bildet in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 auch die Rechtsgrundlage für die Rückkehrentscheidung nach einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

Somit ist auch in den vorliegenden Fällen die Rückkehrentscheidung vorgesehen. Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Dabei ergibt im Fall der BF eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in deren Privatleben durch eine Außerlandesbringung als ebenso verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen ist wie es bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Erkenntnisse von BF1 und BF2 der Fall war.

Von einer "Aufenthaltsverfestigung" kann auch nach den inzwischen vergangenen weiteren 9,5 Monaten und schon unabhängig davon keine Rede sein, dass sich BF1 und BF2 des unsicheren Aufenthalts bewusst sein mussten und sich im genannten Zeitraum bereits entgegen der Ausreiseverpflichtung (BF1 ab 25.03.2019 auf Basis der vom VfGH gewährten aufschiebenden Wirkung) im Inland aufhielten. Zuletzt fußte der Aufenthalt (auch bei BF1 nicht mehr auf der aufschiebenden Wirkung, sondern) auf Folgeanträgen, die zurückzuweisen waren.

Die BF haben unstrittig kein Familienleben außerhalb der Kernfamilie, die sie selbst bilden, im Bundesgebiet. Diese Kernfamilie kann zusammen ihr Familienleben im Herkunftsstaat von BF2 fortsetzen, sodass dadurch kein zu vermeidender Eingriff zu befürchten ist, auch wenn bei BF1 eine durch die Befassung der Behörden Tunesiens verursachte Verzögerung aufträte. Zu prüfen war daher ein etwaiger Eingriff in ihr Privatleben. Dieses erweist sich als wenig gewichtig.

Unter den gegebenen Umständen kann davon ausgegangen werden, dass das Privatleben der BF sich gegenüber dem Zeitpunkt der letzten Entscheidung, 29.01.2019 (BF3 18.06.2019), insofern verstärkt hat, als BF1 und BF2 ein weiteres Kind erwarten, welches sie in Österreich bekommen und anschließend (auch) mit ihm hier verbleiben wollen.

Es liegen allerdings keine Hinweise vor, dass die BF in Österreich inzwischen einen solchen Grad an Integration erlangt hätten, der den persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde. BF1 und BF2 üben in Österreich keine angemeldete Beschäftigung aus und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Bei BF3 ist nicht zu erkennen, weswegen die Sozialisation in diesem Alter nicht auch im Herkunftsstaat von BF2 erfolgen kann, zumal er weiter in deren Obsorge sein kann und ihm deren Begleitung die Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtern wird.

Zudem haben BF1 und BF2 in den Herkunftsstaaten, in denen sie aufgewachsen sind und den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben, vertieftere sprachliche und kulturelle Verbindungen als in Österreich sowie Ortskenntnisse und die Möglichkeit, alte oder neue soziale Kontakte zu pflegen, zu knüpfen oder aufzufrischen. In Tunesien werden diese beiden BF im Falle der Fortführung des Lebens dort durch die Aufnahme einer Tätigkeit und Sozialleistungen, was speziell auch die Mutterschaft betrifft, den Lebensunterhalt der BF bestreiten können, wie auch immer eine Unterstützung durch die Familie von BF2 ausgeprägt sei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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