TE Vfgh Erkenntnis 2020/2/27 A8/2019

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Veröffentlicht am 27.02.2020
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Index

17 VEREINBARUNGEN GEMÄSS ART. 15a B-VG

Norm

B-VG Art 15a
B-VG Art137 / Klagen
Grundversorgungsvereinbarung Art2, Art10
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Stattgabe einer Klage des Landes Wien gegen den Bund auf Ersatz von anteiligen Kosten für vom Land erbrachte Grundversorgungsleistungen nach der Grundversorgungsvereinbarung; Hilfs- und Schutzbedürftigkeit von Fremden ohne Aufenthaltsrecht unabhängig von deren Mitwirkung an der Ausreise gegeben

Spruch

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Land Wien den Betrag von € 211.172,96 samt 4 % Zinsen aus € 34.792,42 seit 28. Oktober 2013 und 4 % Zinsen aus € 176.380,54 seit 29. Jänner 2015 bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Klage und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art137 B-VG begehrt das Land Wien, den Bund schuldig zu erkennen, ihm den Betrag von € 211.172,96 samt 4 % Zinsen aus € 34.792,42 seit 28. Oktober 2013 und 4 % Zinsen aus € 176.380,54 seit 29. Jänner 2015 sowie den Ersatz der Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

2. Der Bund und die Länder haben im Jahr 2004 eine Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung, BGBl I 80/2004, im Folgenden: GVV) getroffen.

Die Gesamtkosten, die in Durchführung der Maßnahmen der Vereinbarung entstehen, werden gemäß Art10 Abs1 GVV zwischen Bund und Ländern im Verhältnis sechs zu vier aufgeteilt. Die Aufgaben des Bundes sind in Art3 GVV geregelt, darunter die Erstaufnahme von Asylwerbern (Abs1 leg.cit); die Aufgabe der Länder ist unter anderem die Versorgung von Asylwerbern, die ihnen gemäß Art4 Abs1 Z1 GVV von der Koordinationsstelle (Art3 Abs2 Z1 GVV) zugewiesen wurden (Art2 Abs1 Z1 GVV), von jenen, über deren Asylantrag negativ abgesprochen wurde und die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind (Z2 leg.cit), sowie von sonstigen Fremden ohne Aufenthaltsrecht, auf die letztere Voraussetzung zutrifft (Z4 leg.cit).

Die auf die einzelnen Länder gemäß Art10 Abs1 GVV entfallenden Kosten werden gemäß Art10 Abs2 GVV zwischen den Ländern nach der Wohnbevölkerung (Art1 Z4 GVV) ausgeglichen. Bund und Länder legen gemäß Art10 Abs3 GVV die für die Grundversorgung bei ihnen entstehenden Kosten aus und verrechnen vierteljährlich bis zum Ablauf des darauffolgenden Quartals entsprechend dem Aufteilungsschlüssel des Art10 Abs1 GVV.

3. Mit vorliegender, von der Wiener Landesregierung für das Land Wien gemäß Art137 B-VG eingebrachten Klage werden vom Land Wien vorgestreckte Aufwendungen für Grundversorgungsleistungen aus dem Jahr 2012 (drittes und viertes Quartal) und dem Jahr 2013 eingeklagt.

Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

3.1. Gemäß Art2 Abs1 Z2 GVV kommen unter anderem auch jenen Fremden ohne Aufenthaltsrecht Grundversorgungsleistungen zu, über deren Asylantrag rechtskräftig negativ abgesprochen wurde und die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind. Der Bund verweigert aber den anteiligen Ersatz der Grundversorgungskosten für Fremde, die an ihrer Ausreise nicht freiwillig mitwirken. Bei den sogenannten "Nichtmitwirkungsfällen" sei keiner der Tatbestände des Art2 Abs1 GVV verwirklicht, insbesondere auch nicht dessen Z2 und 4, weil dies nicht dem Schutzzweck dieser Tatbestände entspreche. Das Land Wien ließ im Zeitraum drittes Quartal 2012 bis viertes Quartal 2013 im Wege des Fonds Soziales Wien, der mit der Umsetzung der Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Wien betraut wurde (siehe Beschluss des Wiener Gemeinderates vom 19. Mai 2004, Sitzungsprotokoll 17. WP, 43. Sitzung, 6), auch jenen Personen, die sogenannte "Nichtmitwirkungsfälle" bildeten, Leistungen der Grundversorgung zukommen.

3.2. Um den Anspruch auf Erstattung der anteilsmäßigen Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Bund geltend zu machen, brachte der Fonds Soziales Wien eine Klage beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ein. Dieses wies die Klage mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Gegen diesen Beschluss erhob der Fonds Soziales Wien Rekurs an das Oberlandesgericht Wien. Mit Beschluss vom 24. Jänner 2017 gab dieses dem Rekurs keine Folge und führte im Wesentlichen aus, dass es sich bei Streitigkeiten aus einer Vereinbarung nach Art15a B-VG nicht um bürgerliche Rechtssachen handle.

In der Folge brachte der Fonds Soziales Wien eine Klage gemäß Art137 B-VG beim Verfassungsgerichtshof ein. Diese wurde mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2018, A1/2017, als unbegründet abgewiesen und insbesondere festgehalten, dass die vom Fonds Soziales Wien getätigten Ausgaben zur Erfüllung der von der GVV erfassten Aufgaben dem Land Wien zuzurechnen sind und der geltend gemachte (finanzausgleichsrechtliche) Anspruch daher nur von diesem als Partner der zugrunde liegenden Vereinbarung nach Art15a B-VG gemäß Art137 B-VG geltend gemacht werden kann.

4. Das nunmehr klagende Land begründet seine Klagslegitimation unter Verweis auf das oben zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Oktober 2018. In der Sache wird mit näherer Begründung vorgebracht, dass der Bund gemäß Art10 GVV verpflichtet sei, die Kosten der Grundversorgung für die von der Vereinbarung erfassten Fremden anteilig zu 60 % zu tragen. Da das Land Wien hinsichtlich der angefallenen Kosten in Höhe von € 211.172,96 "in Vorlage" gegenüber dem Bund getreten sei, stehe ihm gegenüber dem Bund ein entsprechender Kostenersatzanspruch zu und habe es daher das Recht, vom Bund Ersatz zu fordern.

5. Der Bund hat eine Gegenschrift (Klagebeantwortung) erstattet, in der er den Sachverhalt und die Höhe des Klagebegehrens ausdrücklich außer Streit stellt, das Bestehen der Forderung des Landes Wien aber dem Grunde nach bestreitet und die kostenpflichtige Abweisung der Klage beantragt.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

"Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung – Art15a B-VG), BGBl I 80/2004

Der Bund, vertreten durch die Bundesregierung, und die Länder Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien, jeweils vertreten durch den Landeshauptmann, – im folgenden Vertragspartner genannt – kommen überein, gemäß Artikel 15a B-VG die nachstehende Vereinbarung zu schließen:

Zielsetzung

Art1 (1) Ziel der Vereinbarung ist die bundesweite Vereinheitlichung der Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die im Bundesgebiet sind, im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzbereiche. Die Grundversorgung soll bundesweit einheitlich sein, partnerschaftlich durchgeführt werden, eine regionale Überbelastung vermeiden und Rechtssicherheit für die betroffenen Fremden schaffen.

(2) Bei der Erreichung des Ziels gemäß Abs1 ist auf die europarechtlichen Normen, insbesondere auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten und die Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, Bedacht zu nehmen.

(3) Die Vertragspartner errichten ein Betreuungsinformationssystem. Datenschutzrechtliche Auftraggeber des Betreuungsinformationssystems sind die jeweils zuständigen Organe der Vertragspartner. Das Betreuungsinformationssystem wird als Informationsverbundsystem (§§4 Z13, 50 DSG 2000) geführt.

(4) Die durch diese Vereinbarung begünstigten Fremden werden im Sinne einer jährlichen Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf das Verhältnis der Wohnbevölkerung in den Bundesländern betreut. Wohnbevölkerung im Sinne dieser Vereinbarung ist die für den jeweiligen Finanzausgleich ermittelte Gesamtbevölkerung Österreichs und die Bevölkerungszahl des jeweiligen Bundeslandes (zuletzt: Volkszählung 2001).

(5) Diese Vereinbarung begründet keinen Rechtsanspruch für Fremde gemäß Artikel 2.

Begriffsbestimmungen/Zielgruppe

Art2 (1) Zielgruppe dieser Vereinbarung sind – unbeschadet der Bestimmungen des Bundesbetreuungsgesetzes, BGBl I Nr 101/2003 hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die unterstützungswürdig sind. Hilfsbedürftig ist, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Schutzbedürftig sind

1. Fremde, die einen Asylantrag gestellt haben (Asylwerber), über den noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist,

2. Fremde ohne Aufenthaltsrecht, über deren Asylantrag rechtskräftig negativ abgesprochen wurde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind,

3. Fremde mit Aufenthaltsrecht gemäß §8 iVm §15 AsylG, §10 Abs4 FrG oder einer Verordnung gemäß §29 FrG,

4. Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind,

5. Fremde, die aufgrund der §§4, 4a, 5, 5a und 6 der Asylgesetznovelle 2003, BGBl I Nr 101/2003, nach einer – wenn auch nicht rechtskräftigen – Entscheidung der Asylbehörde entweder in Schubhaft genommen werden können oder auf die die Bestimmungen des §66 FrG anzuwenden sind oder deren vorübergehende Grundversorgung bis zur Effektuierung der Außerlandesbringung nach der Entscheidung der Asylbehörde von den Ländern sichergestellt ist und

6. Fremde, denen ab 1. Mai 2004 Asyl in Österreich gewährt wird (Asylberechtigte), während der ersten vier Monate nach Asylgewährung.

(2) Die Unterstützung für Fremde, die angehalten werden, ruht für die Dauer der Anhaltung.

(3) Die Unterstützung endet jedenfalls mit dem Verlassen des Bundesgebietes, soweit Österreich nicht durch internationale Normen zur Rückübernahme verpflichtet ist.

(4) Die Unterstützungswürdigkeit des Fremden kann unter Berücksichtigung von Art1 Abs2 eingeschränkt werden oder verloren gehen, wenn er wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden ist, die einen Ausschlussgrund gemäß §13 AsylG darstellen kann.

[…]

Grundversorgung

Art6 (1) Die Grundversorgung umfasst:

1. Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Achtung der Menschenwürde und unter Beachtung der Familieneinheit,

2. Versorgung mit angemessener Verpflegung,

3. Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Personen in organisierten Unterkünften und für unbegleitete minderjährige Fremde, ausgenommen bei individueller Unterbringung gemäß Art9 Z2,

4. Durchführung einer medizinischen Untersuchung im Bedarfsfall bei der Erstaufnahme nach den Vorgaben der gesundheitsbehördlichen Aufsicht,

5. Sicherung der Krankenversorgung im Sinne des ASVG durch Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge,

6. Gewährung allenfalls darüber hinausgehender notwendiger, durch die Krankenversicherung nicht abgedeckter Leistungen nach Einzelfallprüfung,

7. Maßnahmen für pflegebedürftige Personen,

8. Information, Beratung und soziale Betreuung der Fremden durch geeignetes Personal unter Einbeziehung von Dolmetschern zu deren Orientierung in Österreich und zur freiwilligen Rückkehr,

9. Übernahme von Transportkosten bei Überstellungen und behördlichen Ladungen,

10. Übernahme der für den Schulbesuch erforderlichen Fahrtkosten und Bereitstellung des Schulbedarfs für Schüler,

11. Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufes im Bedarfsfall,

12. Gewährung von Sach- oder Geldleistungen zur Erlangung der notwendigen Bekleidung,

13. Kostenübernahme eines ortsüblichen Begräbnisses oder eines Rückführungsbetrages in derselben Höhe und

14. Gewährung von Rückkehrberatung, von Reisekosten sowie einer einmaligen Überbrückungshilfe bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland in besonderen Fällen.

(2) Die Grundversorgung kann, wenn damit die Bedürfnisse des Fremden ausreichend befriedigt werden, auch in Teilleistungen gewährt werden.

(3) Fremden, die die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Unterkunft durch ihr Verhalten fortgesetzt und nachhaltig gefährden, kann die Grundversorgung gemäß Abs1 unter Berücksichtigung von Art1 Abs2 eingeschränkt oder eingestellt werden. Das gleiche gilt im Anwendungsfall des §38a SPG.

(4) Durch die Einschränkung oder Einstellung der Leistungen darf die medizinische Notversorgung des Fremden nicht gefährdet werden.

(5) Fremde gemäß Art2 Abs1 können mit ihrem Einverständnis zu Hilfstätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Unterbringung und Betreuung stehen, herangezogen werden.

[…]

Kosten

Art10 (1) Die Gesamtkosten die in Durchführung der Maßnahmen dieser Vereinbarung entstehen, werden zwischen Bund und Ländern im Verhältnis sechs zu vier aufgeteilt, ausgenommen die Kosten gemäß Art11 Abs4 erster Satz. Die Verrechnung erfolgt aufgrund der tatsächlich geleisteten Beträge, maximal jedoch bis zum Erreichen der in Art9 normierten Kostenhöchstsätze.

(2) Die auf die einzelnen Länder gemäß Abs1 entfallenden Kosten werden zwischen den Ländern nach der Wohnbevölkerung (Art1 Abs4) ausgeglichen.

(3) Die Vertragspartner legen entstehende Kosten aus und verrechnen vierteljährlich bis zum Ablauf des darauf folgenden Quartals nach den Abs1 und 2.

(4) Der Bund kann, über Ersuchen auch nur eines Landes, erwachsende Kosten bevorschussen. Die Verrechnung erfolgt gemäß Abs3.

(5) Die Vertragspartner stellen sich gegenseitig alle für die Kostenabrechnung relevanten Daten über Verlangen zur Verfügung.

(6) Nähere Durchführungsbestimmungen für die Abrechnung legen die Vertragspartner im Einvernehmen fest.

Kostentragung bei Asylwerbern

Art11 (1) Die Kosten für die Grundversorgung von Asylwerbern (Art2 Abs1 Z1), die ihren Asylantrag ab dem 1. Mai 2004 in erster Instanz beim Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle) einbringen, werden für die Dauer des Verfahrens in erster und zweiter Instanz, längstens für 12 Monate gemäß Art10 zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.

(2) Die Kosten für die Grundversorgung von Asylwerbern (Art2 Abs1 Z1), deren Verfahren am 30. April 2004 in erster Instanz beim Bundesasylamt anhängig sind, werden für die Dauer des Verfahrens in erster und zweiter Instanz, längstens bis 30. April 2005 gemäß Art10 zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.

(3) Die Kosten für die Grundversorgung von Asylwerbern (Art2 Abs1 Z1), deren Verfahren am 30. April 2004 in zweiter Instanz beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, werden für die Dauer des Verfahrens, längstens bis 31. Oktober 2004 gemäß Art10 zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.

(4) Die Kosten für die Grundversorgung Fremder gemäß der Abs1 bis 3, deren Asylverfahren bis zur rechtskräftigen materiellen Entscheidung länger als den oben genannten Zeitraum dauern, trägt der Bund alleine. Nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens kommt die Kostentragung gemäß Art10 zur Anwendung.

Kostenverschiebungen durch legistische Maßnahmen, Abwicklung der Schülerfreifahrt

Art12 (1) Werden durch künftige Gesetze oder Verordnungen des Bundes trotz gegebenem Finanzierungsschlüssel von 60 : 40 faktische finanzielle Kostenverschiebungen zu Lasten der Länder mit speziellem Bezug auf den Regelungsbereich der vorliegenden Art15a B-VG Vereinbarung verursacht, so hat der Bund hiefür den Ländern vollen Kostenersatz zu leisten. Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung des Rechtes der Europäischen Union zwingend erforderlich sind, sind von der Kostenersatzpflicht ausgenommen.

(2) Werden durch künftige Gesetze oder Verordnungen eines Landes trotz gegebenem Finanzierungsschlüssel von 60 : 40 faktische finanzielle Kostenverschiebungen zu Lasten des Bundes mit speziellem Bezug auf den Regelungsbereich der vorliegenden Art15a B-VG Vereinbarung verursacht, so hat das jeweilige Land dem Bund hiefür vollen Kostenersatz zu leisten. Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung des Rechtes der Europäischen Union zwingend erforderlich sind, sind von der Kostenersatzpflicht ausgenommen.

(3) Erzielen sämtliche Vertragspartner eine Einigung über die Kostentragung, entfällt die Kostentragungspflicht gemäß Abs1 und 2.

(4) Der Bund übernimmt vorläufig die zentrale Abwicklung der Schülerfreifahrten. Die Kosten der Schülerfreifahrt unterliegen dem Kostenteilungsschlüssel gemäß Art10 Abs1 der genannten Vereinbarung.

[…]"

III. Erwägungen

1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche unter anderem gegen den Bund, wenn sie weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Ein solcher Anspruch wird mit der vorliegenden Klage geltend gemacht. Wie sich bereits aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Oktober 2018, A1/2017, ergibt und da im Verfahren auch sonst kein Prozesshindernis hervorgekommen ist, erweist sich die Klage als zulässig.

2. Sie ist auch begründet:

2.1. Der Sachverhalt ist unbestritten.

2.2. Die Klage wird vor allem auf Art10 Abs1 GVV gestützt, wonach die Gesamtkosten, die in Durchführung der Maßnahmen der Vereinbarung entstehen, zwischen Bund und Ländern im Verhältnis sechs zu vier aufgeteilt werden.

Das klagende Land bringt vor, dass gemäß Art2 Abs1 Z2 und 4 GVV Fremde ohne Aufenthaltsrecht, über deren Asylantrag rechtskräftig negativ abgesprochen wurde (also frühere Asylwerber) sowie sonstige Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind, schutzbedürftig im Sinne der Vereinbarung seien. Ihnen sei daher nach dieser Grundversorgung zu gewähren, und zwar gemäß Art4 Abs1 Z1 GVV von den Ländern.

Seit dem Jahr 2011 habe der Bund auf Grund eines "Generalerlasses" des Bundesministers für Inneres die Rechtsansicht vertreten, wonach dann, wenn es zu einer Feststellung einer Fremdenpolizeibehörde entsprechend diesem Erlass gekommen sei, es liege eine "Nichtmitwirkung" eines Fremden am Ausreiseverfahren vor, keine Grundversorgung mehr zu gewähren sei. Dementsprechend habe der Bund die vom Land Wien für die Grundversorgung jener Fremder vorgestreckten Beträge nicht mehr ersetzt; beispielhaft klage das Land Wien die für das Jahr 2012 (drittes und viertes Quartal) und das Jahr 2013 vorgestreckten Beträge ein.

Nach Auffassung des klagenden Landes ergebe sich aus Art2 Abs1 Z2 und 4 GVV eindeutig, dass Fremden unabhängig von ihrer Mitwirkung am Ausreiseverfahren Grundversorgung zu gewähren sei (und den Ländern die dafür entstandenen Kosten zu ersetzen seien); entscheidend sei lediglich, ob diese rechtlich oder tatsächlich nicht abschiebbar seien.

2.3. Dem an alle Sicherheitsdirektionen und an die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, gerichteten Erlass vom 28. März 2011 ist folgende Einleitung vorangestellt:

"Derzeit besteht zwischen Bund und Ländern (und den Ländern untereinander) kein harmonisierter Zugang für den Umgang mit jenen Personen, welche entweder nach einem rechtskräftig negativen Asylverfahren oder sonst ohne im Besitz eines Aufenthaltsrechtes zu sein, zur Ausreise verpflichtet wären, dieser Verpflichtung aber nicht nachkommen und dennoch die Grundversorgung beanspruchen (wollen). Durch diesen rechtlich nicht gedeckten Verbleib in der Grundversorgung entstehen dem Bund Zusatzkosten, welche durch die im gegenständlichen Erlass verfügten Maßnahmen verringert werden sollen.

Die genannte Personengruppe macht geltend, schutzbedürftig im Sinne der Definition des Art2 Abs1 Z2 oder 4 GVV (Grundversorgungsvereinbarung) zu sein, dh aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar zu sein und zwar unabhängig davon, ob diese Situation in Folge der eigenen Mitwirkung oder Nichtmitwirkung eintritt. Weiters stellen manche Bundesländer die gemäß der GVV schutzbedürftige Gruppe der tatsächlich oder rechtlich nicht Abschiebbaren der Gruppe der 'noch nicht abgeschobenen Fremden' gleich. Dies entspricht jedoch weder einschlägiger VwGH Judikatur, (die der Mitwirkung am Verfahren einen hohen Stellenwert bei der Beurteilung der Abschiebbarkeit beimisst) noch dem gesetzlichen Konzept der Duldung.

Mit diesem Rundschreiben soll Erstens ein rechtliches Argumentarium zur Verfügung gestellt werden, um bei Fremden, deren Verfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen sind und die kein Aufenthaltsrecht genießen, dann die Grundversorgung einzustellen, wenn sie insbesondere am fremdenpolizeilichen Verfahren nicht mitwirken und dadurch die Ausreise verhindern. Zum Zweiten wird die Zusammenarbeit zwischen der Fremdenpolizei und den Grundversorgungsstellen unter Einbindung der für Grundversorgungsangelegenheiten zuständigen Abteilung im Bundesministerium für Inneres und unter Verwendung eines eigenen Verständigungsformulars (Nichtmitwirkungsformular) neu geregelt. Drittens erfolgt eine Überprüfung aller als rechtskräftig negativ geführten Personen die noch in Grundversorgung sind laut beiliegender Liste, wobei das Nichtmitwirkungsformular bereits Anwendung finden soll."

Anschließend wird folgendes "rechtliches Argumentarium" zur Verfügung gestellt:

"1. Rechtliches Argumentarium

Zu Artikel 2 Abs1 Z2 [Fremde ohne Aufenthaltsrecht über deren Asylantrag rechtskräftig negativ abgesprochen wurde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind]

Die bezughabende Bestimmung nennt Fremde dann schutzbedürftig, wenn sie

1.) kein Aufenthaltsrecht haben,

2.) der Asylantrag rechtskräftig negativ ist und

3.) sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können.

Erst wenn diese drei Voraussetzungen kumulieren, ist ein Fremder als schutzbedürftig im Sinne des Artikels 2 Abs1 Z2 der Vereinbarung zu qualifizieren.

Asylwerber sind ab der Durchführbarkeit einer negativen Asylentscheidung gem. §10 Abs4 AsylG zur Ausreise verpflichtet und verlieren somit ihr Aufenthaltsrecht. Gleichzeitig wird im Bescheid/Erkenntnis (im Rahmen der Prüfung des subsidiären Schutzes) die Zulässigkeit der Abschiebung in den betreffenden Staat festgestellt.

Mit Eintritt der Rechtskraft der Asylentscheidung sind somit die oben erwähnten Punkte 1.) und 2.) iSd Art2 Abs1 Z2 der Vereinbarung erfüllt, sowie die rechtliche Grundlage für die Abschiebung geklärt. Es bleibt somit noch die Frage offen, ob der Fremde aus tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden kann.

Tatsächliche Gründe

Bei der Feststellung der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung liegt als Maßstab die höchstgerichtliche Judikatur zu Grunde; diese wurde mit Erlass des BM.I vom 22.3.2001, 31.210/6-III/16/01, konkretisiert. Das Bundesministerium für Inneres, Abteilung III/16 (heute: Abteilung II/3), teilte damals mit, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu §56 Abs2 FrG ausgesprochen hat, dass eine tatsächliche Unmöglichkeit im Sinne der genannten Bestimmung nur dann gegeben ist, wenn die einer Abschiebung entgegenstehenden Gründe auf zumutbare Weise vom Fremden selbst nicht beseitigt werden können. Das Nichtmitwirken an der Identitätsfeststellung, sei es durch mangelnde Bereitschaft, dazu nähere Angaben zu machen (vgl VwGH 12.1.2000, 99/21/0261) oder durch Weigerung, ein für die Beantragung eines Heimreisezertifikats notwendiges Formular auszufüllen (vgl VwGH 23.3.1999, 98/21/0491), rechtfertigen die Versagung der Erteilung eines Abschiebungsaufschubes.

Diese Rechtsprechung kann auf das Institut der Duldung gemäß §46a FPG übertragen werden, zumal eine Duldung u. a. gemäß Z3 leg cit immer dann vorliegt, wenn die Abschiebung des Fremden aus tatsächlichen, nicht von ihm zu vertretenden, Gründen unmöglich erscheint.

Aus den genannten Gründen kann daher die Grundversorgung nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens auf Grundlage von Art2 Abs1 Z2 entweder eingestellt oder verweigert werden, weil mit diesem Zeitpunkt die dritte Voraussetzung der Schutzbedürftigkeit (rechtliche und tatsächliche Abschiebbarkeit) nicht feststeht und damit auch keine Zielgruppeneigenschaft geltend gemacht werden kann.

Daher können Fremde, deren Asylantrag rechtskräftig negativ beschieden wurde, mit Zeitpunkt der Entscheidung ihren aus der GVV abgeleiteten Anspruch auf Grundversorgung verlieren.

Zum Institut der Duldung ist zu bemerken, dass diese derzeit ab Vorliegen der Voraussetzungen ex lege besteht, was von der Fremdenpolizeibehörde durch Aktenvermerk festzuhalten ist. Die Karte für Geduldete gemäß §46a FPG ist kein konstitutives Element einer Duldung und wird vielmehr nur auf Antrag des Betroffenen erteilt. Der Fremde kann eine Duldung auch nicht beantragen, da diese ex lege besteht. Es steht ihm jedoch offen über einen Antrag auf eine Karte für Geduldete eine Prüfung des Sachverhaltes in diese Richtung zu erzwingen.

Zu Artikel 2 Abs1 Z4 [Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind]

Die Voraussetzungen für diese Zielgruppe entsprechen im Ergebnis der Zielgruppe der Z2 mit der Abweichung, dass hier die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den betreffenden Staat (Refoulementverbot gem. §50 FPG) von der Fremdenpolizeibehörde getroffen wird. Liegen die Voraussetzungen gemäß §50 FPG vor, tritt auch hier ex lege eine Duldung gemäß §46a Abs1 Z1 FPG ein."

Nach diesen rechtlichen Ausführungen werden folgende Anordnungen erlassen:

"2. Zusammenarbeit – Nichtmitwirkungsformular

Das in der Beilage befindliche Formular (Nichtmitwirkungsformular) ist von der zuständigen Fremdenpolizeibehörde per Email an die für den Betroffenen zuständige Grundversorgungsstelle des Landes und nachrichtlich an die für die Fremdenpolizeibehörde örtlich zuständige Sicherheitsdirektion sowie an das BM.I (Referate II/3/c und III/51b – Emailadressen sind dem Formular zu entnehmen) zu übermitteln, wenn Grund zur Annahme besteht, dass der Fremde am Verfahren zur Ausreise nicht mitwirkt.

Der Fremde wirkt insbesondere dann nicht mit, wenn er

1) sich der Rückkehrberatung unterzogen, aber nachweislich gegen die freiwillige Ausreise entschieden hat,

2) er sich nachweislich und unter Nichtvorliegen von berücksichtigungswürdigen Umständen welche eine Verzögerung rechtfertigen würden nicht der Rückkehrberatung unterzogen oder

3) mangels sonstiger Mitwirkung im Verfahren zur Ausreise diese vereitelt hat.

Als berücksichtigungswürdige Umstände im Sinne des obigen Punkt 2) wären etwa nachweisliche Erkrankungen zu werten, welche aufgrund der Intensität der Symptome die geforderte Mitwirkung unmöglich oder unzumutbar machen. Mangelnde Mitwirkung im Sinne des obigen Punkt 3) liegt zum Beispiel dann vor, wenn der Fremde etwa durch Unterschriftsverweigerung oder Nichterscheinen bei einem Interviewtermin bei der Botschaft die Erlangung eines Heimreisezertifikates, welches für die Rückkehr unverzichtbar ist, vereitelt.

Ab der Information über die Ausreiseverpflichtung und über die Möglichkeit der Rückkehrberatung gem. §67 Abs3 FPG ist der Akt für zwei Wochen zu befristen. Wenn binnen dieser Frist von der mit der Rückkehrberatung beauftragten Organisationen (VMÖ, CARITAS, Land Kärnten) keine positive Information über die erfolgte Ausreise bei der Behörde eingegangen ist, ist diese Information oder jene über die Inanspruchnahme oder Nichtinanspruchnahme der Rückkehrberatung verbunden mit dem Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Umständen von der Fremdenpolizeibehörde aktiv einzuholen.

Hinsichtlich der sonstigen Nichtmitwirkung obliegt es der Fremdenpolizeibehörde diese festzustellen. Erfolgt keine diesbezügliche Feststellung wird vom Vorliegen der Mitwirkung ausgegangen.

Sollte die Nichtmitwirkung entsprechend dem oben Ausgeführten vorliegen, ist das im Anhang befindliche Nichtwirkungsformular auszufüllen und wie eingangs beschrieben zu übermitteln. Die Sicherheitsdirektionen stellen eine statistische Erfassung entsprechend den fünf im Nichtmitwirkungsformular angeführten Punkten sicher und übermitteln diese monatlich bis zum 10. des Folgemonats an das im Nichtmitwirkungsformular genannte Postfach des Referates II/3/c. Anlässlich des Jahreswechsels ist mit der monatlichen Statistik auch eine Jahresstatistik zu übermitteln.

Die Rechtsgrundlage für diese Datenübermittlung sowie für die Einholung der Informationen von den Rückkehrberatungsorganisationen ist im §8 Abs7 iVm. Abs1 Satz GVG-Bund verankert.

Wird von der Grundversorgungsstelle nach einer bereits einmal erfolgten Übermittlung des Nichtmitwirkungsformulars durchgeführten Einstellung der Grundversorgung eine Wiederaufnahme der betroffenen Person geprüft und tritt die Grundversorgungsstelle mit der zuständigen Fremdenpolizeibehörde diesbezüglich in Kontakt, so hat sich die Stellungnahme der Fremdenpolizeibehörde lediglich auf das Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Umständen zu beschränken. Das Nichtwirkungsformular ist diesfalls entsprechend auszufüllen und auf die gewohnte Weise an die üblichen Adressaten zu übermitteln.

Sollten der Fremdenpolizeibehörde keine berücksichtigungswürdigen Interessen bekannt sein bzw werden die bekannten als nicht berücksichtigungswürdig eingestuft, ist keine Verständigung der Sicherheitsdirektion und des BM.I mittels Nichtmitwirkungsformular durchzuführen. Hinsichtlich der Beantwortung der Anfrage der Grundversorgungsstelle besteht Formfreiheit."

Abschließend werden unter der Überschrift "3. Überprüfung aller rechtskräftig Negativen in Grundversorgung" Anordnungen erlassen, wonach sämtliche in den Grundversorgungsstellen der Länder befindliche Asylwerber, deren Asylantrag (bzw Antrag auf internationalen Schutz) negativ entschieden wurde – darauf dürfte sich das Substantiv-Plural "Negativen" beziehen – auf ihre "Abschiebbarkeit" zu überprüfen sind.

2.4. Die in dem Erlass als Grundlage der Weisung vertretene Rechtsansicht und die auf ihrer Grundlage erlassenen Anordnungen wurden den Ländern im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung mit Schreiben vom 8. April 2011 mitgeteilt; dieses hat einleitend folgenden Wortlaut:

"Seitens des Bundesministeriums für Inneres ist mit 28.03.2011 ein Generalerlass zum fremdenpolizeilichen Verfahren mit Wirksamkeit vom 1.4.2011 ergangen, der sich auf die Ausreisebereitschaft des Fremden, der nach einer rechtskräftigen Entscheidung kein Aufenthaltsrecht mehr genießt und über eine durchsetzbare Ausweisung verfügt, sowie auf diesbezüglichen Folgen in der Grundversorgung fokussiert."

Anschließend lautet es:

"In Anknüpfung an die Ausreisebereitschaft des Fremden – für die jedenfalls angemessen Zeit für die Rückkehrberatung eingeräumt wird – ist demnach durch die Fremdenpolizeibehörden festzustellen, ob eine Nichtmitwirkung des Fremden am Ausreiseverfahren vorliegt. Wenn diese gegeben ist, dann wird dieses Verhalten bei gleichzeitigem Betreiben fremdenpolizeilicher Maßnahmen einer Abschiebbarkeit gleich gesetzt, zumal der Fremde keine konkreten, ihm zumutbaren Schritte setzt, um seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen und Abschiebehindernisse zu beseitigen.

Über einen solch zutreffenden Sachverhalt werden die Grundversorgungsstellen der Bundesländer nunmehr ab 1.4.2011 mittels standardisierten Formulars (in Beilage) informiert. Mit dieser Information soll klar zum Ausdruck kommen, dass ein Fremder, der kein Aufenthaltsrecht mehr genießt und abschiebbar ist, ab dem Zeitpunkt der fremdenpolizeilichen Mitteilung plus 10 Werktage keine Zielgruppe der GVV sein kann, obwohl die Abschiebung noch nicht effektuiert wurde.

a. Konkret zur Zielgruppeneigenschaft gemäß Artikel 2 Abs1 Z2 GVV

Aus Sicht des Bundesministeriums für Inneres sind Fremde dann schutzbedürftig, wenn sie

1.) kein Aufenthaltsrecht haben,

2.) der Asylantrag rechtskräftig negativ beschieden worden ist und

3.) sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können.

Erst wenn diese drei Voraussetzungen kumulieren, ist ein Fremder als schutzbedürftig im Sinne des Artikels 2 Abs1 Z2 der Vereinbarung zu qualifizieren und kann der Anspruch auf Grundversorgung geltend gemacht werden.

Mit Eintritt der Rechtskraft der Asylentscheidung sind somit die oben erwähnten Punkte 1. bis 2. sowie die rechtliche Grundlage für die Abschiebung geklärt. Für die Gewährung von Grundversorgungsleistungen ist daher von Relevanz, ob der 3. oben angeführte Punkt erfüllt ist.

Den Fremden trifft gemäß §10 Abs4 AsylG eine Verpflichtung unverzüglich auszureisen, sobald eine durchsetzbare Ausweisung vorliegt (Ausreiseverpflichtung). Bei klarer Bereitschaft zur Ausreise (umfasst Rückkehrberatung sowie die zumutbare Beseitigung von Abschiebehindernissen und entspricht einer Mitwirkung am Ausreiseverfahren) kann der Fremde bis zur Durchführung in Grundversorgung verbleiben.

Bedient er sich dabei einer Rückkehrberatung oder/und kooperiert deutlich mit den zuständigen Stellen, so wird der Fremde demnach bis zu seiner Ausreise Zielgruppe der Grundversorgung bleiben, da eine geordnete Ausreise objektiv und aus tatsächlichen Gründen früher nicht möglich ist. Setzt der Fremde hinge-gen selbst keine oder offenbar unzureichende Schritte, um seiner Ausreiseverpflichtung binnen der vorgesehenen Frist nachzukommen, so ist er aus der Grundversorgung zu entlassen.

Die Feststellung ob der Fremde aus tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar ist, obliegt den Fremdenpolizeibehörden nach dem Maßstab laufender VwGH Judikatur.

Schlussfolgernd ist daher festzuhalten, dass ab dem Zeitpunkt, mit dem die Fremdenpolizeibehörde die Grundversorgungsstelle über eine Nichtmitwirkung im Ausreiseverfahren informiert, jedenfalls binnen 10 Werktagen die Entlassung aus der Grundversorgung zu erfolgen hat, weil mit diesem Zeitpunkt die dritte Voraussetzung der Schutzbedürftigkeit (rechtliche und tatsächliche Abschiebbarkeit) nicht feststeht und damit in kumulativer Betrachtung auch keine Zielgruppeneigenschaft geltend gemacht werden kann.

b. Konkret zur Zielgruppeneigenschaft gemäß Artikel 2 Abs1 Z4 GVV

Die Voraussetzungen für diese Zielgruppe entsprechen im Ergebnis der Zielgruppe der Z2 mit der Abweichung, dass hier die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den betreffenden Staat von der Fremdenpolizeibehörde getroffen wird, da es zuvor kein Asylverfahren gegeben hat.

In diesem Fall hat der Fremde auf Grundlage einer Entscheidung gemäß §§53 und 54 FPG eine Verpflichtung unverzüglich auszureisen, sobald nach Eintritt der Rechtskraft die Ausweisung durchsetzbar wird (Ausreiseverpflichtung).

c. Ablaufprozedur bei mangelnder Zielgruppenzugehörigkeit (siehe auch grafische Darstellung in Beilage)

Jeweilige Ausgangslage für die nunmehr bestehende fremdenbehördliche Mitteilungspflicht der Grundversorgungsstellen ist bei bestehender durchsetzbarer Ausweisungsentscheidung die Information des Fremden gemäß §67 Abs3 FPG über die Pflicht zur unverzüglichen Ausreise. Dabei wird in einem auf die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr sowie auf fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung hingewiesen. Ab diesem Verständigungszeitpunkt beginnt die Ausreisefrist von 2 Wochen zu laufen.

Nach Ablauf dieser Frist ist von der Fremdenpolizeibehörde die Nichtmitwirkung am Ausreiseverfahren bzw die mangelnde Ausreisebereitschaft festzustellen und mittels standardisierten Formulars (in Beilage) der betreffenden Grundversorgungsstelle auf Grundlage des §8 Abs7 GVG-B zu kommunizieren. Die Grundversorgungsstelle des Landes hat dann im Sinne des Diskussionsergebnisses von der 32. Sitzung des Koordinationsrats binnen 10 Werktagen die Entlassung des Fremden aus der Grundversorgung vorzunehmen bzw bei hoheitsrechtlicher Verwaltung in die Wege zu leiten, andernfalls werden die entstandenen Kosten, die durch die Weiterversorgung entstanden und mit den Vertragspartnern verrechnet wurden, durch den Bund im Rahmen der Länderprüfung in Abzug gebracht. Liegt keine Mitteilung über die Nichtmitwirkung vor, wird von Mitwirkung und somit Schutzbedürftigkeit ausgegangen, die eine Gewährung von Grundversorgungsleistungen rechtfertigen würde.

d. Mitteilungswege bei berücksichtigungswürdigen Umständen

Sollten der Fremdenpolizeibehörde nachträglich Gründe bekannt werden, die einen berücksichtigungswürdigen Umstand darstellen, so wird dieser Sachverhalt mittels gleichen Formulars der Grundversorgungsstelle kommuniziert. Diese Mitteilung rechtfertigt ebenfalls die Schutzbedürftigkeit und somit die Zielgruppeneigenschaft und kann zur Gewährung von Grundversorgungsleistungen führen.

Dasselbe gilt, wenn von der Grundversorgungsstelle nach einer bereits einmal erfolgten Mitteilung eine Wiederaufnahme der betroffenen Person in die Grund-versorgung geprüft wird. In diesem Fall hat die Grundversorgungsstelle mit der zuständigen Fremdenpolizeibehörde in Kontakt zu treten. Die Stellungnahme der Fremdenpolizeibehörde hat sich dabei lediglich auf das Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Umständen zu beschränken und wird über das vorgesehene Formular kommuniziert.

Sollten der Fremdenpolizeibehörde keine berücksichtigungswürdigen Interessen bekannt sein bzw werden die bekannten als nicht berücksichtigungswürdig eingestuft, ist keine Verständigung vorgesehen und besteht hinsichtlich der Beantwortung der Anfrage der Grundversorgungsstelle Formfreiheit.

Als berücksichtigungswürdige Umstände wären etwa nachweisliche Erkrankungen zu werten, welche aufgrund der Intensität der Symptome die geforderte Mitwirkung unmöglich oder unzumutbar machen."

3. Der Bund beruft sich ebenfalls auf den in Rede stehenden "Generalerlass" des Bundesministers für Inneres und die darin vertretene Rechtsansicht. Ergänzend führt der Bund in seiner Gegenschrift aus:

"B. Das Vorbringen der klagenden Partei, wonach es authentischer Wille der Vertragspartner der Grundversorgungsvereinbarung gewesen sei, alle Fremden bis zur tatsächlichen Außerlandesbringung in der Grundversorgung zu belassen, ist unzutreffend.

Auf Vereinbarungen gemäß Art15a B-VG sind die Grundsätze des völkerrechtlichen Vertragsrechts anzuwenden, wodurch sich vor allem die Maßgeblichkeit der Art31 ff der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) ergibt. Demnach ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks auszulegen. Es ist jedoch auch der jeweilige staatsrechtliche Kontext interpretationsrelevant, wonach die Vertragsparteien von einer bestimmten vorgefundenen Rechtslage ausgegangen sind und diese ihrem Verständnis zugrunde gelegt haben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf das AsylG 1997 (idF BGBl I 101/2003), das FremdenG 1997 (idF BGBI I 134/2003) und das BundesbetreuungsG (idF BGBI I 101/2003 bzw I 32/2004) hinzuweisen.

Im Hinblick auf jene Fremde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind, ist dabei vor allem auf die zum damaligen Zeitpunkt bestehenden §§56 f und 75 FremdenG 1997 zu verweisen, welche dem Verständnis der Verfasser der Grundversorgungsvereinbarung zugrunde lagen. Demnach traf Fremde bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Verpflichtung zur Ausreise, sobald eine durchsetzbare Ausweisung vorgelegen ist und wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, ihre Ausreise aus Österreich in einem angemessenen Zeitraum zu organisieren. Zudem war die Abschiebung bereits gemäß der damaligen Rechtslage auf bestimmte, jeweils ein Jahr nicht übersteigende, Zeit aufzuschieben, sofern diese aus tatsächlichen Gründen unmöglich erschien. Liegen somit rechtliche Gründe vor, die einer Abschiebung zumindest vorübergehend entgegenstehen, so erfüllt der Fremde den Tatbestand des Art2 Abs1 Z2 gegenständlicher Grundversorgungsvereinbarung.

C. Zum Zeitpunkt des Abschlusses gegenständlicher Grundversorgungsvereinbarung bestand außerdem bereits eine gefestigte Judikatur hinsichtlich der tatsächlichen Abschiebbarkeit (VwGH 12.1.2000, 99/21/0261; VwGH 8.7.2004, 2004/21/0148), welche der Interpretation des Art2 Abs1 Z2 dieser Vereinbarung zugrunde zu legen war. Dieser Judikatur zufolge liegt die tatsächliche Unmöglichkeit einer Abschiebung nicht vor, wenn der einer Abschiebung entgegenstehende Grund vom Fremden selbst auf zumutbare Weise beseitigt werden kann (VwGH 27.2.2007, 2006/21/0375). Als Beispiele hierfür sind etwa das Nichtmitwirken an der Identitätsfeststellung durch die mangelnde Bereitschaft, nähere Angaben hierzu zu machen (vgl VwGH 12.1.2000, 99/21/0261) oder die Weigerung, ein für die Beantragung eines Heimreisezertifikats notwendiges Formular auszufüllen (vgl VwGH 23.3.1999, 98/21/0491), zu nennen. Auch die Rechtsprechung des UVS Wien sowie des OGH orientierte sich an dieser Rechtsansicht (vgl UVS Wien 2.4.2013, 01/37/3615/2013-6 [konkret bezogen auf das Wiener Grundversorgungsgesetz, W-GVG]; OGH 27.3.2012, 4 Ob 213/11v).

Die oben genannte Rechtsprechung kann ebenso auf das Institut der Duldung gemäß §46a FPG übertragen werden, zumal eine Duldung unter anderem immer dann vorliegt, wenn die Abschiebung des Fremden aus tatsächlichen, nicht von ihm zu vertretenden Gründen unmöglich erscheint (§46a Abs1 Z3 FPG). Die vom Fremden zu vertretenden Gründe liegen jedenfalls in den in §46a Abs3 FPG normierten Fällen, wie der Nichtmitwirkung am Verfahren oder der Verschleierung der Identität, vor.

Die Mitwirkungspflicht im Ausreiseverfahren lässt sich somit auch aus den Bestimmungen des FPG herleiten. Die dem Klagebegehren zugrunde liegende Rechtsansicht widerspricht somit nicht bloß der aktuellen Rechtslage, sondern auch der gefestigten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs sowie der vorgefundene Rechtslage zum Zeitpunkt des Abschlusses der Grundversorgungsvereinbarung.

D. Bei der in Art2 Abs1 Z2 bzw Z4 festgelegten Zielgruppe handelt es sich somit um die wörtliche Übernahme von Gesetzesbegriffen, die bereits in der damaligen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs festgeschrieben waren und auch gegenwärtig noch sind.

Eine dezidierte Erwähnung der Nichtmitwirkungsverpflichtung hat sich entgegen der Rechtsansicht der klagenden Partei nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Grundversorgungsvereinbarung zu ergeben. Zudem steht auch die Bestimmung des Art2 Abs4 Grundversorgungsvereinbarung, welche als Ausnahmebestimmung festlegt, unter welchen Voraussetzungen die Unterstützungswürdigkeit eines Fremden eingeschränkt wird bzw entfällt, einer Interpretation im oben beschriebenen Sinn unter Heranziehung der ständigen Judikatur nicht entgegen.

Es kann daher zusammenfassend festgehalten werden, dass der Umstand der 'Nicht-Abschiebbarkeit' aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen im Sinne der Grundversorgungsvereinbarung nicht mit jenem des 'noch nicht abgeschoben Seins' gleichgesetzt werden kann. Das bloße 'Nicht-Abgeschoben-Sein' stellt jedenfalls kein Tatbestandsmerkmal der Zielgruppenbestimmung des Art2 Abs1 Z2 Grundversorgungsvereinbarung dar. Vielmehr ist stets im jeweiligen Einzelfall abzuklären, ob allenfalls vorliegende Hinderungsgründe vom Fremden selbst zu vertreten sind. Nur dann, wenn die vorliegenden Hinderungsgründe nicht vom Fremden zu vertreten sind, gilt dieser als nicht abschiebbar im Sinne der Grundversorgungsvereinbarung. Darauf, ob eine Person (noch) nicht abgeschoben worden ist, kommt es in Anwendung der Grundversorgungsvereinbarung entgegen der Rechtsansicht der klagenden Partei keinesfalls an.

III. Zur Rechtmäßigkeit des Abzugs der seitens der klagenden Partei aufgewendeten Kosten für 'Nichtmitwirkungsfälle'

Die klagende Partei hat im klagsgegenständlichen Zeitraum 3. Quartal 2012 bis 4. Quartal 2013 auch jenen Fremden, bei denen die Nichtmitwirkung am Verfahren bereits festgestellt worden ist und eine diesbezügliche Meldung mittels sogenanntem 'Nichtwirkungsformulars' ergangen ist, weiterhin Leistungen zukommen lassen. Dies obwohl diese nicht mehr der Zielgruppe des Art2 Abs1 Z2 der Grundversorgungsvereinbarung zugehörig waren.

In der Folge hat die klagende Partei im Rahmen der Abrechnung der Grundversorgungskosten gemäß Art10 der Grundversorgungsvereinbarung sämtliche Kosten für die im Rahmen der Grundversorgung gewährten Leistungen – somit auch jene, welche rechtsgrundlos an die sogenannten 'Nichtmitwirkungsfälle' geleistet worden sind – gegenüber der beklagten Partei zur Verrechnung gebracht.

Jene Leistungen, welche seitens der klagenden Partei abseits ihrer Verpflichtungen aus der Grundversorgungsvereinbarung gegenüber Fremden, die vom Anwendungsbereich dieser Vereinbarung nicht umfasst sind, gewährt werden, sind ausschließlich landesspezifischen Zuständigkeiten, etwa dem Bereich des Armenwesens, zuzuordnen. Da diese Zuständigkeiten im Rahmen der Gesetzgebungs- und Vollziehungshoheit der Länder wahrzunehmen sind, obliegt den Ländern gemäß §2 F-VG auch die diesbezügliche Kostentragung.

Die beklagte Partei hat daher aus berechtigten Gründen die klagsgegenständlichen Zahlungen verweigert."

4. Die Einwendungen des Bundes bestehen nicht zu Recht:

4.1. Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass der wiedergegebene "Generalerlass" des Bundesministers für Inneres als Weisung ausschließlich an die (als Bundesbehörden iSd Art102 Abs1 B-VG zu qualifizierenden) Fremdenpolizeibehörden zu verstehen ist. Als Weisung an die Länder im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung – nur dann könnte sie zulässig sein – sind der Erlass bzw das dazu ergangene Schreiben schon deshalb nicht zu betrachten, weil sie nicht entsprechend Art103 Abs1 und 3 B-VG an die Landeshauptleute gerichtet sind.

4.2. Nach dem Wortlaut unterscheidet Art2 Abs1 Z2 und 4 GVV zur Umschreibung jener Fremder, denen Grundversorgung zu gewähren ist und die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind, nicht danach, ob sie deswegen nicht abschiebbar sind, weil sie nicht am Ausreiseverfahren mitwirken. Weder der vom Bund apostrophierte Schutzzweck der Vereinbarung noch eine systematische oder historische Interpretation erlauben es, die betreffende Gruppe von Fremden von der Grundversorgung auszuschließen.

4.2.1. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der GVV (412 dB 22. GP) halten zu Art2 Abs1 Z2 leg.cit ausdrücklich Folgendes fest:

"Hier ist an Fremde gedacht, die entweder einen Asylausschlussgrund gesetzt haben und denen deshalb auch trotz Refoulementschutz keine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß §15 AsylG erteilt wird oder Fremde, die nicht abgeschoben werden können, weil etwa nicht bekannt ist, aus welchem Herkunftsstaat sie stammen."

Zu Art2 Abs1 Z4 GVV halten die Erläuterungen fest:

"Hier ist etwa an Fremde zu denken, die einen faktischen Abschiebschutz genießen, weil ihre Staatsangehörigkeit nicht geklärt ist."

In beiden Fällen handelt es sich typischerweise um Personengruppen, die deswegen nicht abschiebbar sind, weil sie am Ausreiseverfahren nicht mitwirken. Historisch betrachtet sind sie daher von der Grundversorgung jedenfalls erfasst; dem entsprach auch die Vollzugspraxis des Bundes bis zum Jahr 2011.

4.2.2. Auch die vom Bund für seine Argumentation bemühte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist nicht heranziehbar, weil sie einen anderen Fall betrifft: In allen vom Bund genannten Fällen ging es um die Berechtigung eines Abschiebungsaufschubes gemäß §56 des Fremdengesetzes 1997, welches als zum Zeitpunkt des Abschlusses geltendes Gesetz (idF BGBl I 134/2002) der Interpretation der GVV zugrunde zu legen ist. Bei diesem Tatbestand geht es jedoch darum, ob eine tatsächlich durchführbare Abschiebung aufzuschieben ist, und nicht darum – wie in jenen Fällen, für die das Land Wien die Grundversorgungskosten geltend macht –, ob eine Abschiebung tatsächlich durchführbar ist.

Das vom Bund zum Vergleich herangezogene Instrument der "Duldung" gemäß §46a FPG 2005 ist schon deswegen interpretativ nicht maßgeblich, weil es erst deutlich nach Abschluss der GVV gesetzlich vorgesehen wurde. Dort, wo die Materialien untechnisch von Duldung sprechen, ist daher nicht diese erst später eingeführte Rechtsvorschrift gemeint, sondern bloß der sachverhaltsgemäße Umstand, dass der Aufenthalt der betreffenden Personen geduldet werden muss, weil sie eben rechtlich oder faktisch nicht abschiebbar sind. Im Übrigen ist §46a FPG 2005 mit §56 Fremdengesetz 1997 auch deswegen nicht vergleichbar, weil die Voraussetzungen und die Zielrichtung völlig andere sind, ganz abgesehen davon, dass es sich bei letzterem um eine sogenannte "Rechtswohltat" handelt, die durch ein Fehlen der Mitwirkung gleichsam verwirkt wird.

4.2.3. Vor diesem Hintergrund widerspricht die Vorgangsweise des Bundes, mit der dieser seine Vollzugspraxis nachträglich und einseitig geändert hat, dem Zweck der Vereinbarung, wie er insgesamt aus den Materialien und den Tatbeständen in Art2 Abs1 GVV erhellt. Im Ergebnis erweist sich daher die Rechtsansicht des Bundes, wonach bei den sogenannten "Nichtmitwirkungsfällen" keiner der Tatbestände des Art2 Abs1 GVV verwirklicht sei, als unzutreffend.

5. Zu dem schließlich von der Finanzprokuratur für den Bund "aus anwaltlicher Vorsicht" vorgebrachten Einwand der Verjährung ist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die Institution der Verjährung im öffentlichen Recht nur dort besteht, wo das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (vgl VfSlg 19.034/2010 und die darin angeführte Vorjudikatur); dieser ist daher unbeachtlich.

IV. Ergebnis

1. Der geltend gemachte Anspruch besteht dem Grunde und der Höhe nach zu Recht; der Klage ist daher stattzugeben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil die obsiegende klagende Partei solche zwar begehrt, nicht aber ziffernmäßig verzeichnet hat. Wohl besagt §27 VfGG, dass "regelmäßig anfallende Kosten, insbesondere für den Antrag (die Beschwerde) und für die Teilnahme an Verhandlungen, nicht ziffernmäßig verzeichnet werden" müssen, doch bezieht sich diese Regelung nach Wortlaut und Sinngehalt nicht auf Klagen nach den §§37 ff. VfGG (zB VfSlg 18.887/2009 mwN).

Schlagworte

VfGH / Klagen, Grundversorgung, Vereinbarungen nach Art 15a B-VG, Auslegung, Finanzausgleich, Kostentragung, Aufwandersatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:A8.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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