TE Lvwg Erkenntnis 2019/8/1 LVwG 20.3-652/2019

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Veröffentlicht am 01.08.2019
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Entscheidungsdatum

01.08.2019

Index

L82006 Bauordnung Steiermark
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz(B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

Stmk BauG 1995 §4 Z13
Stmk BauG 1995 §42 Abs1
B-VG Art130 Abs1 Z2
VwGVG §35 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch den Richter Mag. Dr. Kundegraber über die Beschwerde der A & B C-D, vertreten durch Mag. E F als Verlassenschaftskurator, Rechtsanwalt in G, dieser wiederum vertreten durch Mag. H I, Rechtsanwalt in J, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

z u R e c h t e r k a n n t:

A.      Die am 24. Jänner 2019 angeordnete Sofortmaßnahme nach § 42 Abs 1 Steiermärkisches Baugesetz auf dem Grundstück Nr. xx und Nr. xy der EZ NN und EZ MM, KG 000 K, durch den Bürgermeister der Marktgemeinde Leutschach an der Weinstraße – nämlich die dort gelagerten Strohballen aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Stapelung flächenmäßig aufzuteilen – war

rechtswidrig.

Im Übrigen war die Beschwerde bezüglich der anderen Sofortmaßnahmen (Absperrung des Areals mit roten Bändern und das Aufstellen von zehn Hinweistafeln sowie Abschaltung und Versiegelung der Elektroanlage) abzuweisen.

B. Die Marktgemeinde Leutschach an der Weinstraße hat die Kosten des Verfahrens in der Höhe von € 1.659,60 zu bezahlen.

Rechtsgrundlagen:

Art. 130 Abs 1 Z 2 Bundesverfassungsgesetz (B-VG)

§§ 7, 9, 28 Abs 6 und 35 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

§ 1 VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV)

§ 42 Abs 1 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG)

C.     Gegen das Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) eine ordentliche Revision unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. 1. In der Beschwerde vom 04. März 2019 wird im Wesentlichen ausgeführt, dass bei einer Begehung am 24. Jänner 2019 am Grundstück der Beschwerdeführerin in der Marktgemeinde Leutschach an der Weinstraße durch den Bürgermeister und dem beigezogenen Sachverständigen in rechtswidriger Weise Sofortmaßnahmen nach § 42 Stmk. BauG angeordnet worden seien. Im Gegensatz zu den sachverständlichen Äußerungen geht die Beschwerdeführerin davon aus, dass kein Grund vorgelegen sei, der eine massive Gefährdung für das Leben und Gesundheit von Mensch und Tier gerechtfertigt hätte. Da zudem die belangte Behörde sich lediglich auf „minimalistisch ausgeführten Befundaufnahmen“ gestützt hätte, ohne in irgendeiner Form Ausführungen, Begründungen oder gar gutachtliche Stellungnahmen vorzulegen, sei die Anordnung der Sofortmaßnahmen als rechtswidrig anzusehen. In weiterer Folge wurden noch genauere Ausführungen baufachmännischer Art bezüglich der Gebrauchstauglichkeit von bestehenden Tragwerken vorgebracht.

Die Baubehörde hätte gemäß § 39 Abs 3 Stmk. BauG (Vorschreiben von Sicherungsmaßnahmen, die innerhalb einer bestimmten Frist zu beheben wären) vorzugehen gehabt. Bei dem Wirtschaftsgebäude sei jedenfalls eine Nutzungssicherheit gegeben gewesen. Auch hätte bei der Elektroanlage nicht von Gefahr im Verzug gesprochen werden können, da der gesamte gesperrte Bereich bereits vom Stromnetz getrennt gewesen sei und eine Modernisierung des Stromnetzes vorbereitet gewesen sei.

Die belangte Behörde hätte durch ihr unverhältnismäßiges, gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßende Vorgehen die verfassungsgesetzlichen gewährleisteten Rechte der Beschwerdeführerin auf freie Erwerbsausübung sowie Eigentum und einfachgesetzlich gewährleistete Rechte auf rechtsrichtige Rechtsanwendung massiv verletzt. Es wurde der Antrag gestellt, die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und aufzuheben sowie den Ersatz der Kosten zuzusprechen.

2. Die belangte Behörde nahm mit Schreiben vom 08. April 2019 Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass am 05. November 2018 ein Bescheid gemäß § 39 und § 42 Stmk. BauG erlassen worden sei, wonach die vorschriftswidrige Nutzung der Wirtschafts- und Stallgebäude auf dem Grundstück Nr. xx und Nr. xy der EZ NN und der EZ MM, je KG 000 K mit sofortiger Wirkung untersagt worden sei. Dagegen sei das Rechtsmittel der Berufung eingebracht worden. Bereits mit Bescheid vom 20. Dezember 2011 sei den Beschwerdeführern das Betreten und Benutzen der unmittelbar angrenzenden Gebäude auf dem Grundstück Nr. xx (Schafstall) untersagt worden. Der Bescheid sei rechtskräftig.

Am 24. Jänner 2019 habe eine Begehung stattgefunden und wären die notstandspolizeilichen Maßnahmen wegen Gefahr in Verzug angeordnet worden. Auf umfangreiche Ausführungen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bezüglich Gefahr in Verzug im Bauverfahren wurde hingewiesen. Durch die bestehende Gefahr für Mensch und Tier wäre das Anbringen von Warnbändern, um die gesamte Anlage abzusperren, das Anbringen von zehn Hinweistafeln, die Absperrung der gesamten Elektroanlage und das Entfernen der Strohballen, die unsachgemäß gelagert gewesen seien, notwendig geworden. Die getroffenen Sofortmaßnahmen seien durch die beigezogenen Gutachter gestützt worden und sei das Ergebnis im Protokoll festgehalten worden.

Es wurde der Antrag gestellt, das Landesverwaltungsgericht möge der Beschwerde keine Folge geben und den entsprechenden Kostenersatz zusprechen.

Beigelegt wurde das nach der Begehung erstattete schriftliche Gutachten der Sachverständigen DI L, DI M, BM N, O, Installateur AA P und den erstellten Bestandsplan, samt den wesentlichen, bei der Begehung angefertigten Lichtbildern.

3. Auf Verlangen des Gerichtes wurde von der belangten Behörde der Bescheid der belangten Behörde vom 05. November 2018, zugestellt am 08. November 2018, betreffend des Unterlassens der vorschriftswidrigen Nutzung des Wirtschafts- und Stallgebäudes auf dem Grundstück Nr. xx und Nr. xy der EZ NN und der EZ MM, KG 000 K, vorgelegt, zu dem der Bescheid vom 20. Dezember 2011 (zugestellt am 22. und 27. Dezember 2011), wonach „die Sofortmaßnahmen (Sicherungsmaßnahmen und Abbruch des einsturzgefährdeten Teils) auf dem Grundstück Nr. xx (teilweise) der KG K ab sofort nicht zu betreten und zu nutzen“ angeordnet wurden (nach § 42 Abs 1 Stmk. BauG).

II. Sachverhalt:

1. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Leutschach an der Weinstraße führte am 24. Jänner 2019 eine Begehung der Grundstücke Nr. xx und Nr. xy, EZ NN und EZ MM, KG 000 K, durch. Bei der Amtshandlung waren Rechtsanwalt Dr. Q R als Vertreter der Gemeinde, BM Ing. N als bautechnischer Sachverständiger, AA P als Sachverständiger für Wasserinstallationen, S V als Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz, Ziviltechniker DI L als Ziviltechniker für Statik und Tragfähigkeit, DI M als Sachverständiger für Elektrotechnik, T W als Sachverständiger für Elektrotechnik und X Y als Protokollführer anwesend. Die Begehung wurde vom Bürgermeister deshalb durchgeführt, um den Bescheid vom 05. November 2018, in dem die Nutzung der dort befindlichen Gebäude untersagt wurde, zu überprüfen und „den Sachverhalt besser zu erheben“. Zudem diente die Begehung zur Feststellung, ob Gefahr für Mensch und Tier droht und Sofortmaßnahmen im Sinne des § 42 Abs 1 Stmk. BauG anzuordnen wären. Es wurden zu diesem Zwecke die Sachverständigen beigezogen. Zu dem Zeitpunkt befanden sich keine Tiere mehr in den Stallungen. Die Amtshandlung fand um 10.45 Uhr an Ort und Stelle statt und wurde dann unterbrochen und um 12.00 Uhr im Gemeindeamt der Marktgemeinde Leutschach an der Weinstraße fortgeführt.

Ziviltechniker DI L hatte die Aufgabe das Tragwerk des Gebäudes zu beurteilen. Er stellte fest, dass die Deckenebenen massiv einsturzgefährdet waren, mit Rissen übersäht und damit die Gebrauchsfähigkeit, Tragfähigkeit und Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben war. Es war augenscheinlich, dass keine Sicherheit mehr von Seiten der Statik gegeben war. Aufgrund der schief stehenden Außenwände, der herunterhängenden Holzteile und der durchgebogenen Dachkonstruktion sowie Deckenkonstruktionen würden böenartige Windstöße oder ein Erdbebenstoß ein hohes Risiko darstellen. Zudem ragten beim Silo Eisenstangen heraus und waren Personen, die sich dort aufhielten, in Lebensgefahr. Es bestand die Gefahr von den Bewährungsanschlüssen aufgespießt zu werden. Die Mängel an der Gründung waren für den Sachverständigen augenscheinlich, da die Gründung bis zur Sohle frei war. Die Schiefstellung der Mauerpfeiler betrug nach Messung ca. fünf bis acht Zentimeter. DI L folgerte daraus, dass Gefahr in Verzug für Leib und Leben vorliegt und schlug vor, ein rot-weiß-rotes Band zur Absicherung zu spannen sowie eine Beschilderung anzubringen, dass das Bauwerk nicht mehr zu betreten ist.

Der Bürgermeister erließ aufgrund dessen folgende Sofortmaßnahme:

„Die gesamte Anlage, Wirtschaftsgebäude und Stallungen, deren Benützung mit Bescheiden von 20.12.2011 und 05.11.2018 untersagt wurde, ist mit Warnbändern abzusperren, wobei auch zehn Hinweistafeln über das Verbot des Betretens der Anlage ebenfalls verteilt auf die gesamte Absperrung anzubringen ist. Diese Hinweistafeln sind mit einem Gemeindesiegel und der Unterschrift des Bürgermeisters zu versehen“ (siehe Protokoll über die Begehung vom 24.01.2019, Zl 131/91Rauch/03-19, S. 4).

Die Tafeln wurden von der Gemeinde angefertigt, zugleich mit den Bändern am gleichen Tag unverzüglich angebracht. Hiebei wurde von Seiten des Bürgermeisters darauf Rücksicht genommen, dass neben dem Gebäudekomplex ein Wohnhaus der Gemeinde, eine Minigolfanlage, eine Garage und der Bauhof der Gemeinde sich befinden.

DI M hatte die Aufgabe den Zustand der elektrotechnischen Anlage hinsichtlich der Verwendbarkeit und Sicherheit zu überprüfen. Er stellte fest, dass die elektrischen Anlagen unsachgemäß verlegt wurden und die Sanierungen unbrauchbar waren. Auf dem Grundstück befand sich ein Stromverteiler und war dieser vom Netzbetreiber eingeschaltet und Teile der Anlage im Betrieb. Es gab von dort ein Verlängerungskabel zu einem Nebengebäude. Der Verteiler hatte Frontplattenabteilungen mit nicht passenden Ausschnitten, sodass spannungsführende Teile frei berührbar waren. Der Sicherungssockel war mit defekten Passschrauben versehen und waren diese frei berührbar und spannungsführend. Die Anlage war insgesamt hoch brandgefährdet. Für DI M bestand für Mensch und Tier Gefahr, da das Objekt von der Straße her begehbar war und der Verteiler nicht versperrt wurde.

Nachdem der Bürgermeister die Stellungnahme von DI M zur Kenntnis genommen hatte, stellte er Gefahr in Verzug fest. Es war Strom im Gebäudekomplex, da ein 16-Ampere Kabel quer durch den Hof über die Straße verlegt und entlang des Kabels kein Schnee war. Der Bürgermeister erließ diesbezüglich folgende Sofortmaßnahme im Sinne des § 42 Abs 1 Stmk. BauG:

„Die gesamte Elektroanlage im gesperrten Areal ist durch eine befugte Fachfirma abzuschalten und zu versiegeln“.

Diese Sofortmaßnahme wurde noch am gleichen Tag durch die Firma Z durchgeführt, indem der Strom abgeschaltet und die Anschlüsse versiegelt wurden.

Nachdem der Bürgermeister wahrnahm, dass die im Gebäude gelagerten Strohballen, die übereinander gelegt waren, eine Höhe von sechs Meter erreichten, ordnete er gemäß § 42 Abs 1 Stmk. BauG an, dass die Strohballen von einem durch die Gemeinde „beauftragten Fachmann zu entfernen und in einem nicht gesperrten Gebäude fachgerecht zu lagern“ sind. Eine Gefahr in Verzug sah der Bürgermeister darin, dass Strohballen im Falle des Kippens auf die Landesstraße L000 fallen würden und auch auf den dort befindlichen Gehsteig, sodass er von einer Gefahr für Menschen und Tiere ausging. Die Position der Strohballen war so, dass sie unmittelbar vor einem starken Gefälle zur Landesstraße gelagert wurden (siehe Plan und vorgelegte Lichtbilder).

Diese Verlagerung der Strohballen wurde noch am gleichen Tag von BB EF im Auftrag des Bürgermeisters durchgeführt.

2. Die Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf den Inhalt der Aussagen der Zeugen Bürgermeister HH, DI L und DI M. Die Aussagen von BM Ing. N runden das Bild über den Zustand des Gebäudekomplexes ab. Der Zeuge X Y gab an, dass er die Örtlichkeit kenne und auch bei der Begehung im Jahr 2011 zugegen gewesen ist. Bei Begehungen im Jahr 2011 wurde vom Gebäudekomplex sowohl ein nördliches Gebäude als auch ein südliches Gebäude besichtigt und festgestellt, dass diese einsturzgefährdet waren (siehe vorgelegten Plan der Marktgemeinde Leutschach an der Weinstraße, Beilage A). Dass im Bescheid vom Jahr 2011 nur von „Schafstall“ in der Einzahl die Rede war, ergibt sich laut X Y daraus, dass der Gebäudekomplex im Ganzen als „Schafstall“ anzusehen war. Insbesondere gab B C-D vor der Gemeinde an, dass das nördliche Gebäude ohnedies einzustürzen drohe, da es zum Teil schon eingebrochen war. Der Aussage von B C-D in der Verhandlung, dass im nördlichen Gebäude zur Hälfte Schafe gehalten wurden und die andere Hälfte als Lagerraum diente, wird daher nicht gefolgt. Keinesfalls war nur ein Stallgebäude von der Unterlassung der Nutzung betroffen und ist der Umstand, dass vom Amtstierarzt dort Kontrollen stattgefunden haben bezüglich des baumäßigen Zustandes des nördlicheren Gebäudes ohne Relevanz, da ein Amtstierarzt nicht den baulichen Zustand eines Gebäudes beurteilt.

Der Zustand des Gebäudekomplexes wurde durch den Inhalt der Zeugenaussagen – insbesondere der bautechnischen und elektrotechnischen Sachverständigen – und der vorgelegten Lichtbilder nachvollziehbar und augenscheinlich dokumentiert. Aufgrund dieses Bauzustandes war in nachvollziehbarer Weise für den Bürgermeister Gefahr in Verzug gegeben. Den Feststellungen der beigezogenen Sachverständigen konnte die Beschwerdeführerin keinesfalls auf gleicher fachlicher Ebene entgegentreten und sind die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde nicht geeignet, die bautechnischen und elektrotechnischen Feststellungen zu entkräften.

Im Hinblick auf eine ex ante Beurteilung hat das Gericht die im Nachhinein vorgelegten Gutachten von DI L, DI M, BM Ing. N, O und AA P nicht zur Wahrheitsfindung herangezogen.

III. Rechtsbeurteilung:

1. Art. 130 Abs 1 Z 2 B-VG:

(1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

Die Beschwerde vom 04. März 2019 langte am 08. März 2019 beim Gericht auf elektronischen Wege ein und wurde zudem auf postalischen Wege (Datum des Poststempels 07. März 2019) eingebracht. Somit ist die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 7 Abs 4 VwGVG gewahrt. Da die Amtshandlung im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Leutschach an der Weinstraße stattfand, besteht auch die örtliche Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes für die Steiermark.

Sofortmaßnahmen im Sinne des § 42 Abs 1 Stmk. BauG sind notstandspolizeiliche Maßnahmen und stellen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar. So ist davon auszugehen, dass die Absperrung des Wirtschaftsgebäudes mit Warnbändern und das Aufstellen von zehn Hinweistafeln über das Verbot des Betretens der Anlage, das Abschalten der Elektroanlage im gesperrten Areal und die Versiegelung der Elektroanlage sowie die Verlagerung der Strohballen eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt durch die belangte Behörde darstellt.

2. § 42 Abs 1 Stmk. BauG:

Sofortmaßnahmen

(1) Bei Gefahr in Verzug kann die Behörde ohne weiteres Verfahren die erforderlichen Verfügungen und Sicherungsmaßnahmen auf Gefahr und Kosten des Eigentümers (jedes Miteigentümers) einer baulichen Anlage an Ort und Stelle anordnen und sofort vollstrecken lassen. Wenn die Rettung von Menschen nur von einem benachbarten Gebäude oder Grundstück aus möglich ist, ist jeder Eigentümer (Miteigentümer) und Benützer verpflichtet, das Betreten des Gebäudes oder Grundstückes und die Vornahme der notwendigen Veränderungen zu dulden. Dabei können die erforderlichen Verfügungen sofort angeordnet und vollstreckt werden.

§ 4 Z 13 Stmk. BauG:

Begriffsbestimmungen

Die nachstehenden Begriffe haben in diesem Gesetz folgende Bedeutung:

13.

Bauliche Anlage (Bauwerk): eine Anlage, die mit dem Boden in Verbindung steht und zu deren fachgerechter Herstellung bautechnische Kenntnisse erforderlich sind.

Eine Verbindung mit dem Boden besteht schon dann, wenn die Anlage

durch eigenes Gewicht auf dem Boden ruht oder

auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder

nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden;

Voraussetzung für die Erlassung einer Sofortmaßnahme im Sinne des § 42 Abs 1 Stmk. BauG ist jedenfalls, dass Gefahr in Verzug vorliegt und „die erforderlichen Verfügungen und Sicherungsmaßnahmen“ sich auf eine „bauliche Anlage“ bezieht. Die von der belangten Behörde getroffenen Sofortmaßnahmen im Rahmen der durchgeführten Amtshandlung am 24. Jänner 2019 sind auf Einhaltung dieser Voraussetzungen zu überprüfen.

Dass es sich bei den Sofortmaßnahmen (Abschaltung des Stromes, Absperrung durch Warnbänder und Aufstellen von Hinweistafeln) im Hinblick auf das Wirtschaftsgebäude und Stallungen um eine bauliche Anlage handelt, ist offensichtlich.

Bei den Strohballen, (siehe auch Lichtbild) die teilweise auf Holzpaletten gelagert waren, besteht zwar eine Verbindung mit dem Boden, in dem sie durch eigenes Gewicht auf den Boden wirkten, jedoch sind für eine derartige Lagerung keine bautechnischen Kenntnisse erforderlich. Für die Lagerung von Strohballen – auch in einer Höhe von ca. sechs Metern – im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes sind keine bautechnischen Kenntnisse erforderlich. Auch wenn für den Begriff der baulichen Anlage geforderten Merkmal „Erforderlichkeit bautechnischer Kenntnis“ nach der Rechtsprechung in der Praxis keine zu großen Ansprüche gestellt werden dürfen, sodass der in der Rechtsprechung mitunter der verwendete Ausdruck „gewisses Maß“ besser den tatsächlichen Anforderungen entspricht, (Trippl/Schwarzbeck/Freiberger, Steiermärkisches Baurecht, 5. Auflage, Linde Verlag, S. 131, Rz 19) wird dieses „gewisse Maß“ an bautechnischen Kenntnissen bei Stapelung von Ballen nicht erreicht. Somit ist auch unter Anbetracht dieser weitreichenden Interpretation bei einer Stapelung von Heuballen bzw. anderem Lagergut noch nicht von einer baulichen Anlage auszugehen.

Würde man diese Interpretation zulassen, so müssten sämtliche Lagerungen von Gütern, die eine gewisse Höhe überschreiten, einer Bewilligungspflicht unterzogen werden. Eine derartige Absicht ist jedoch dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen.

Bei der getroffenen Sofortmaßnahme, nämlich das Umschichten der gelagerten Strohballen, hat die belangte Behörde somit ihren Kompetenzbereich im Rahmen des Baurechtes überschritten und ist die Anordnung dieser Sofortmaßnahme als rechtswidrig einzustufen. Geht man davon aus, dass durch die Lagerung der Strohballen – ohne auf die Frage, ob Gefahr in Verzug vorlag – zumindest eine Gefährdung der sich auf der angrenzenden Straße befindlichen Verkehrsteilnehmer ergibt, so hätte der Bürgermeister die Straßenverkehrsbehörde zu informieren gehabt.

Die beiden übrigen Sofortmaßnahmen sind in Verbindung mit dem Wirtschaftsgebäude und den dort befindlichen Stallungen im Zusammenhang mit einer baulichen Anlage zu sehen und wurde von den beigezogenen bautechnischen Sachverständigen in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass eine massive Einsturzgefährdung vorliegt. Es wäre möglich gewesen, dass die Dachkonstruktion durch starke Winde seitlich wegbricht, aber auch die Schneelast hätte Einfluss auf die Stabilität des Daches gehabt. Des Weiteren bestand Gefahr durch Unterspülung der Fundamente, indem die Mauern wegkippen konnten, da sämtliche Oberflächengewässer in dem Bereich gesammelt wurden und nicht abfließen konnten. Es gab keine Ablaufschächte und keine ordnungsgemäße Dachrinnenkonstruktion. Da eine Nutzung bzw. ein Aufenthalt eine Gefahr für Mensch und Tier beinhaltete, war Gefahr in Verzug gegeben und wurde zu Recht der Gebäudekomplex durch Warnbänder abgesperrt und durch entsprechende Anzahl von Hinweistafeln das Verbot des Betretens der Anlage kundgetan. Auch die weitere Sofortmaßnahme, die Elektroanlage im gesperrten Bereich abzuschalten und zu versiegeln, war im Hinblick auf Gefahr in Verzug gerechtfertigt, da der beigezogene elektrotechnische Sachverständige sowohl eine hohe Brandgefährdung als auch eine Gefährdung von Menschen und Tieren, die sich auf der Anlage aufhalten würden, feststellte. Der nicht versperrte Stromverteiler wies freiberührbare spannungsführende Teile auf, der Sicherungssockel war freiberührbar und spannungsführend.

Das Gericht hat somit festgestellt, dass eine Sofortmaßnahme im Sinne des § 41 Abs 1 Stmk. BauG in rechtswidriger Weise angeordnet war, da es sich hiebei um keine bauliche Anlage im Sinne des Steiermärkischen Baugesetzes (§ 4 Z 13 leg cit) gehandelt hat und für Maßnahmen einer Gefahrenabwehr die Straßen-verkehrsbehörde zuständig gewesen wäre. Zudem sind die Ausführungen der belangten Behörde betreffend der Wahrscheinlichkeit eines „unmittelbaren Schadenseintrittes bei Unterlassung der Maßnahme“ nicht nachvollziehbar. Dass die Strohballen aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Stapelung eine Stellung aufwiesen, lässt sicherlich noch nicht auf einen unmittelbaren Schadenseintritt bei Nichtanordnen der Maßnahme schließen (siehe Lichtbild). Die Anordnung der übrigen Sofortmaßnahmen wurde rechtmäßig getroffen. Das Gericht stellt fest, dass durch den Bescheid des Bürgermeisters vom 20. Dezember 2011 nicht der ganze Gebäudekomplex von der Untersagung des Betretens und Nutzung betroffen war, sondern nur zwei Gebäudeteile (siehe Beilage A der Verhandlungsschrift vom 22. Mai 2019). Der weitere Unterlassungsbescheid vom 05. November 2018 war aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerin nicht in Rechtskraft erwachsen und nicht vollstreckbar.

Da die Sofortmaßnahmen im Sinne des § 41 Abs 1 Stmk. BauG im Rahmen einer Amtshandlung erteilt wurden, ist bei Rechtswidrigkeit einer Sofortmaßnahme die gesamte Amtshandlung mit Rechtswidrigkeit behaftet, sodass der Beschwerde stattzugeben war.

IV. Als Kosten sind gemäß § 35 VwGVG in Verbindung mit § 1 VwGVG-AufwRrsV der Beschwerdeführerin einen Betrag von € 1.659,60, nämlich € 737,60 als Schriftsatzaufwand und € 922,00 als Verhandlungsaufwand zuzusprechen.

V. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Schlichtung, Strohballen, Heuballen, land- und forstwirtschaftlicher Betrieb, Lagerung, Lagerware, bautechnische Kenntnisse, Stapelung, gewisses Maß, notstandspolizeiliche Maßnahme, Umschichtung, Verlagerung, gestapelte Ware, baurechtliche Kompetenzen, Kostenersatz, Aufwendungen, Bauwerk, Bauwerkseigenschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGST:2019:LVwG.20.3.652.2019

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Steiermark LVwg Steiermark, http://www.lvwg-stmk.gv.at
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