TE Bvwg Beschluss 2019/12/19 I413 2226785-1

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Entscheidungsdatum

19.12.2019

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I413 2226785-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlichen Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle West (EASt-West) vom 17.12.2019, Zl. XXXX, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend von XXXX, geb. XXXX, StA Tunesien, beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs 10 AsylG 2005 sowie § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer brachte erstmals in Österreich am 30.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz ein, welchen er damit begründete, dass sein Vater bei der Polizei gewesen sei. Sie seien verwandt mit der Frau des Präsidenten XXXX. 2013 seien sie in ihrem Haus überfallen worden, wobei die Schwester getötet worden sei. Sein Vater sei verschwunden, worauf er aus Tunesien geflüchtet sei. Betreffend seine Befürchtungen in Bezug auf seine Rückkehr nach Tunesien gab er an, vor den Menschen, die ihr Haus überfallen hätten, Angst zu haben. Das seien keine Menschen, sondern Tiere.

2. Am 15.11.2017 wurde das Verfahren gemäß § 34 Abs 1 Z 1 und Abs 2 AsylG eingestellt, das der Aufenthaltsort wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht weder bekannt noch leicht feststellbar sei und eine Entscheidung ohne weitere Einvernahme nicht erfolgen könne.

3. Am 04.06.2018 stellten die bundesdeutschen Behörden den Beschwerdeführer nach Österreich zurück. Am selben Tag wurde er vom BFA niederschriftlich einvernommen und ua zu seinen Fluchtgründen befragt. Dort gab er an, in seiner Heimat nicht vorbestraft, nicht vor Gericht gestanden oder inhaftiert gewesen zu sein. Er habe nie Probleme mit den Behörden in der Heimat gehabt. Er werde nicht gesucht, sei nicht politische tätig oder Mitglied einer Partei oder Organisation gewesen. Er habe auch keine sonstigen Probleme aufgrund eines Naheverhältnisses zu einer Organisation gehabt. Er habe weder wegen seines Religionsbekenntnisses, noch wegen seiner Volkszugehörigkeit Probleme in seiner Heimat gehabt. Auch habe er keine Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc) gehabt. Er habe auch nicht in seinem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen. Er habe sein Heimatland verlassen, weil er studieren und arbeiten möchte. Das sei der Grund für seinen Asylantrag. Mehr gebe es nicht zu sagen. Er möchte nach Deutschland und nicht in Österreich bleiben. Aus diesem Grund sei er schon zwei Mal nach Deutschland gereist. Er werde, wenn er entlassen werde, dich irgendwo ein Hotel suchen und dann werde er nachdenken. Er habe keine Verwandten in Österreich und keine anderen Gründe, warum er das Heimatland verlassen habe.

4. Mit Bescheid des BFA vom 26.02.2019, Zl XXXX, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG und hinsichtlich § 8 Abs 1 AsylG hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführers nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tunesien gemäß § 52 Abs 9 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Zugleich erließ das BFA gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.) und aberkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs 1 Z 1 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt V.). Dieser Bescheid erwuchs am 01.04.2019 in Rechtskraft.

5. Am 04.12.2019 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er Angst habe, nach Tunesien zurückzukehren, da er viele Probleme in seiner Heimat habe. Er werde von der Polizei in Tunis gesucht. Sein Onkel XXXX wohne in Mistir/Tunesien. Er sei im Dezember 2018 von der Polizei aufgesucht worden. Die Polizisten hätten seine Onkel befragt, wo er sei. Sein Onkel habe es verneint zu wissen, wo der Beschwerdeführer sei und habe gefragt, warum er gesucht werde. Eine Antwort habe er nicht erhalten. Sie seien wieder gegangen und Ende 2018 hätte er einen Brief erhalten, in dem er aufgefordert worden sei, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers bekannt zu geben. Da er diesen nicht wusste, sei er der Aufforderung nicht nachgekommen. Weshalb ihn die Polizei suche, wisse er nicht. Über Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass der Onkel im Dezember 2017 von der Polizei aufgesucht worden sei und er mit ihm gleich im Dezember 2017 telefoniert habe. Er habe im Dezember 2017 auch seinen Freund XXXX getroffen, der ihm gesagt habe, dass er von der Polizei bei seinem Onkel gesucht werde. Er sei sich sicher, dass das vor dem Tod seines Vaters 01/2018 gewesen sei. Wann der Brief seinem Onkel geschickt worden sei, könne er nicht sagen, wie er auch nicht mehr sagen könne, wann er den Brief erhalten habe. Er könne sich nicht mehr erinnern. Eine Kopie des Briefes könne er nicht besorgen. Er habe 2013 ein Internetcafé in Tunis gehabt. Es habe es Publi.net genannt. Verschiedene Personen aus dem islamistischen Lager hätten ihn gebeten Internetrecherchen für sie zu machen. Er habe dies abgelehnt und der Polizei gemeldet und drei Monate später das Café geschlossen. Ende 2013 habe er Tunesien legal mit dem Flugzeug in die Türkei verlassen. Dort habe er ein Jahr Wirtschaft studiert und sei bis zum Putschversuch von Erdogan geblieben. Er habe die Türkei ohne Papiere verlassen und sei 2016 nach Serbien gegangen, wo er seine spätere Freundin XXXX kennen gelernt habe. Es sei ei Jahr in Serbien geblieben und sei im Herbst 2017 illegal nach Österreich eingereist. Sein Vater XXXX sei 2016 überfallen und schwer verletzt worden. Im Jänner 2018 sei er an den Folgen der Verletzungen gestorben. Es gehe um Politik. Sein Vater sei Mitglied in der "DOSTOR DIMOKRATUQUE" gewesen. Er können hierzu keine genaueren Angaben machen. Er wisse nur, dass sein Vater für die Regierung des Präsidenten Ben Ali gearbeitet habe. Die Frau des Präsidenten XXXX, komme aus demselben Dorf (Sfax) wie sein Vater. Daher habe sein Vater die Frau des Präsidenten gekannt. Er sei direkt einen Tag nach dem Tod von einem Freund seines Onkels sowie auch vom Bruder seiner Mutter angerufen worden. Er sei unmittelbar bei der Bestattung gewesen. Er selbst sei nicht politisch tätig. Er habe lediglich manchmal seinem Vater geholfen. Er habe die Studenten befragt, was sie über die Politik dächten. Diese Informationen habe er seinem Vater weitergegeben.

6. Am 12.12.2019 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Dort bestätigte er, dass seine Angaben, die er im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren zu Zl XXXX angegeben habe, richtig gewesen seien und er keine Korrekturen oder Ergänzungen vornehmen wolle. Zudem gab er an, in Deutschland per SMS bedroht worden zu sein. Er habe Anzeige bei der Polizei gemacht und sei dann von seinem Wohnort zu einem anderen Ort gezogen. Er sei dann aufgrund der Aufforderung seiner Betreuerin wieder in das Asylheim zurückgekehrt und dann nach Österreich gebracht worden. Er habe EUR 1.900 dabei gehabt und nur mehr EUR 120 bekommen. Sein jüngerer Bruder Mohammad sei eingesperrt und wieder entlassen worden. Auch seine Mutter sei angehalten worden. Sein Vater sei eingesperrt und wieder entlassen worden. Es sei auch ein Festnahmebescheid gegen ihn ausgestellt worden. Damals habe ihm das sein Onkel und später auch ein Verwandter, der von Tunesien angereist sei, erklärt. Die Angehörigen seien verhaftet worden, weil sein Vater bei den Sicherheitskräften gearbeitet habe und der Beschwerdeführer Mitglied in einer Partei gewesen sei. Sein Vater habe einen gefährlichen Job gehabt und man werde für einen solchen bestraft. Der Beschwerdeführer sei Mitglied in der Partei "Tajamu Dastur Dimokratie" ("RCD") gewesen. Er sei ein normales Mitglied gewesen. Sie hätten Veranstaltungen organisiert und Berichte über Tätigkeiten auf der Universität und auf den Straßen erstellt. Sie hätten geschrieben, wes dort geschehen sei. Seine Aufgabe sei es gewesen, seine Heimat zu schützen. Er wisse nicht, ob er in Tunesien behördlich gesucht werde. Er habe das Land legal verlassen und keine kriminellen Machenschaften gemacht. Diese Gründe seien ihm bekannt nachdem er das erste Mal von Deutschland nach Österreich abgeschoben worden sei. Es sei alles passiert, nachdem er in Österreich um Asyl angesucht habe und er habe diese Gründe in diesem Verfahren nicht genannt. Warum er diese Gründe nicht genannt habe, wisse er nicht mehr. Er sei nach Deutschland gegangen und habe dort einen Antrag gestellt. In Österreich führe er kein Familienleben. Er habe in Serbien eine Freundin, die schwanger sei.

7. Am 17.12.2019 führte das BFA eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch, in der er angab, alle seine in der ersten Einvernahme gemachten Angaben richtig und vollständig gemacht zu haben und keine Änderungen oder Korrekturen zu wünschen. Zu seiner in der ersten Einvernahme getätigten Aussage, er sei bedroht worden, teilte er über Frage mit, dass er von einer Person, die behauptet hätte, Tunesier zu sein, bedroht worden wäre. Sie habe ihm Sprachnachrichten geschickt. Es sei dort geschrieben gestanden, dass er nicht mehr zu diesem Wohnviertel zurückkehren dürfe, da er ansonsten von ihm und seinen Leuten getötet werden würde. Andere Drohungen habe es nicht gegeben. Sodann verkündete die belangte Behörde den mündlichen Bescheid: "Der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG, BGBl I Nr 100/2005 (AsylG) idgF, wird gemäß § 12a Abs 2 AsylG aufgehoben" und legte in der Folge die Akten dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung vor.

8. Mit Schriftsatz vom 17.12.2019 legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht die Akten vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der in Pkt. I. dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt.

Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:

1.2. Der Beschwerdeführer, dessen Identität feststeht, ist tunesischer Staatsangehöriger, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem und ist ledig und kinderlos.

Er stammt aus Tunesien, Sfax, Wast El Baladstraße, wo er mit seiner Familie in einem eigenen Haus lebte, zwischen 1996 und 2006 die Grund- und die allgemeine Schule besuchte und dann ein Studium begonnen, dieses jedoch abgebrochen.

Sein Vater kam für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers auf. Der Beschwerdeführer selbst hat nie gearbeitet. Er leistete nie den Grundwehrdienst, da er zu diesem nie eingezogen worden ist.

Die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers leben in Tuniesien. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Vater des Beschwerdeführers noch am Leben oder bereits verstorben ist. In Tunesien leben außerdem die Geschwister des Vaters, drei Brüder und eine Schwester, sowie der Mutter, zwei Brüder, samt deren Familien.

Er verließ Tunesien auf legalem Wege mit dem Flugzeug im Jahr 2013 nach Istambul und gelangte von dort schlepperunterstützt nach Österreich und von dort nach Italien. Am 30.10.2017 stellte er in Österreich nach illegaler Einreise einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Den Ausgang dieses Verfahrens wartete der Beschwerdeführe nicht ab, sondern verließ Österreich, bis er am 04.06.2018 von der BRD aus nach Österreich zurückgestellt wurde und sich seither dort aufhält.

1.3. Der Beschwerdeführer bezieht seit 05.12.2019 bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und hält sich aktuell im AHZ XXXX auf.

Er ging bisher in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Er hat eine Freundin in Serbien. Dass diese ein Kind vom Beschwerdeführer erwartet, kann nicht festgestellt werden. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine maßgeblichen sozialen Kontakte. Er führt in Österreich kein Familienleben und auch kein maßgebliches Privatleben.

Er leidet an keinen gravierenden oder gar lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist voll erwerbsfähig.

Er spricht Arabisch auf muttersprachlichem Niveau und verfügt über Grundkenntnisse der englischenn deutschen und französischen Sprache für den Alltagsgebrauch. Er besuchte bisher keine Kurse für die deutsche Sprache.

Er ist bis dato in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Der Beschwerdeführer stellte insgesamt zwei Anträge auf internationalen Schutz - am 20.10.2017 und den verfahrensgegenständlichen am 04.12.2019.

1.4.1. Mit Bescheid vom 26.02.2019, Zl XXXX, wies die belangte Behörde den ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 30.10.2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien ab und erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung. Außerdem verfügte die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot. Dieser Bescheid erwuchs am 01.04.2019 in Rechtskraft.

1.4.2. Am 04.12.2019 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am 04.12.2019 gab der Beschwerdeführer als neuen Fluchtgrund an, Angst vor einer Rückkehr nach Tunesien zu haben, da 2018 die Polizei bei seinem Onkel nach ihm gesucht habe, von diesem wissen wollen habbe, wo er sich befinde und brieflich den Onkel aufgefordert habe, bekannt zu geben, wo sich der Beschwerdeführer befinde, wobei er diese Angaben auf Nachfrage korrigierte, dass der Vorfall sich nicht 2018 sondern bereits 2017 ereignet habe. Außerdem gab er an er habe ein Internetcafé betrieben und Personen mit islamistischem Hintergrund hätten ihn um Recherchen gebeten, weshalb er dieses Café geschlossen und Tunesien verlassen habe. Sein Vater sei 2018 verletzt worden und an den Verletzungen verstorben. Der Vater sei Mitglied in der "Dostor Dimokratique" gewesen, wobei er hierzu keine genauen Angaben machen könne. Zudem habe der Vater für Präsident Ali gearbeitet und sei mit der Frau des Präsidenten bekannt gewesen, weils sie ausdemselben Dorf stamme, wie der Vater. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 12.12.2019 gab der Beschwerdeführer an, sdass sein jüngerer Bruder und seine Mutter festgenommen und eingesperrt worden seien und auch gegen den Beschwerdeführer ein Haftbefehl bestehe. Der Vater sei 2018 auch festgenommen worden und dann wieder entlassen worden und später gestorben. Der Vater sei für Sicherheitskräfte in Tunesien tätig gewesen und der Bescwherdeführer sei Mitglied der Partei "Tajamu Dastur Dimokratie (RDC)" gewesen. Die Arbeit des Vaters sei gefährlich gewesen und in Tunesien würden viele radikale Menschen leben. Man würde für diesen Job bestraft werden. In der Partei sei der Beschwerdeführer nur normales Mitglied gewesen. Er wisse nicht, warum er in Tunesien behördlich gesucht werde. Er wisse nicht mehr, warum er diese Gründe nicht im Rahmen des ersten Asylverfahrens mitgeteilt habe.

1.4.3. Nach dem verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 04.12.2019 wurde mit mündlich verkündetem Bescheid vom 17.12.2019 der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG gemäß § 12a Abs 2 AsylG aufgehoben.

Begründend dafür wurde im Wesentlichen angeführt, der Antrag des Beschwerdeführers sei voraussichtlich mangels entscheidungsrelevanter Sachverhaltsänderung in asyl- und refoulementrelevanter Hinsicht wegen bereits entschiedener Sache zurückzuweisen.

1.4.4. Der Folgeantrag wird voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Die maßgebliche Lage in Tunesien hat sich seit rechtskräftig beendetem Vorverfahren nicht geändert, wie aus dem Akteninhalt hervorgeht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 12a Abs 2 AsylG, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden unter nachstehenden Voraussetzungen aufheben, wenn der Fremde einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs 1 Z 23 AsylG gestellt hat und kein Fall des § 12a Abs 1 AsylG vorliegt:

1. Gegen den Beschwerdeführer besteht eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG,

2. der Antrag ist voraussichtlich zurückzuweisen, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung würde keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten und für den Beschwerdeführer als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen.

Als Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs 1 Z 23 AsylG ist jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag zu qualifizieren. Im gegebenen Fall hat der Beschwerdeführer einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs 1 Z 23 AsylG gestellt. Als Staatsangehöriger von Tunesien ist der Beschwerdeführer ein Drittstaatsangehöriger im Sinne der § 2 Abs 1 Z 20b AsylG.

Die Voraussetzungen des § 12a Abs 2 AsylG liegen vor.

Das Verfahren über den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 30.10.2017 ist nach rechtswirksamer Zustellung des Bescheides des BFA vom 26.02.2019, Zl XXXX, unangefochten mit 01.04.2019 in Rechtskraft erwachsen.

Beim verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 04.12.2019 handelt es sich somit um einen Folgeantrag iSd § 2 Abs 1 Z 23 AsylG.

Da gemäß § 12a Abs 6 AsylG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG grundsätzlich 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht bleiben, ist die gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid des BFA vom 26.02.2019, rechtskräftig geworden am 01.04.2019, ausgesprochene Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Tunesien weiterhin aufrecht, zumal der Beschwerdeführer das Bundesgebiet bislang nicht verlassen hat.

Eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der verfahrensgegenständliche zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 04.12.2019 voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist: Eine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung wurde weder behauptet noch ergibt sich eine solche aus der Aktenlage.

Der Beschwerdeführer teilte im gegenständlichen zweiten Verfahren keine Fluchtgründe mit, die vom wesentlichen Sachverhalt, der dem ersten Asylverfahren unterliegt, abweicht. Das neue Fluchtvorbringen erweist sich als grob widersprüchlich zu Aussagen im Erstverfahren, wie zB dass er Mitglied einer Partei sei, was im ersten Verfahren ausgeschlossen wurde und auch als gegenüber der - ungewöhnlich ausführlichen - Erstbefragung als gesteigertes, nicht glaubhaftes Vorbringen zu qualifizieren ist. Zudem waren alle nunmehrigen Fluchtgründe nach Aussage des Beschwerdeführers bereits im ersten Verfahren bekannt, wurden aber vom Beschwerdeführer nicht angeführt, was ebenfalls für ein gesteigertes, nicht glaubhaftes Vorbringen spricht. Es ist nicht anzunehmen, dass ein Asylwerber wesentliche (bzw ihm wesentlich erscheinende) Angaben zu seinen Fluchtgründen zurückhält, wenn er die Gelegenheit hat, diese anzugeben, um sie dann in einem Folgeverfahren mitzuteilen. Vielmehr würde jeder Fremde, der einen Asylantrag stellt, bei erster sich bietender Gelegenheit alle seine Fluchtgründe nennen, schon allein deshalb, weil er nur so sichergehen kann, dass diese zur Untermauerung seines Asylantrages berücksichtigt werden können.

Diese Angaben des Beschwerdeführers, die Polizei würde ihn bei seinem Onkel (nicht bei seiner in Tunesien lebenden Familie) suchen und die weiteren Angaben, es sei seine engere Familie verhaftet worden und es bestehe auch ein Haftbefehl gegen ihn, sind nicht logisch. Es mangelt ihnen aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit eines wahren Kernes, sodass das neue Vorbringen als gesteigert und gänzlich unglaubhaft zu beurteilen ist. Der belangten Behörde, die diesem neuen widersprüchlichen Vorbringen keine Glaubhaftigkeit zugebilligt hatte, kann daher nicht entgegengetreten werden.

Ein auf das AsylG gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG aus:

Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl VfGH 29.06.2011, U1533/10; VwGH 19.2.2009, 2008/01/0344 mwN).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände ist vor dem Hintergrund der Feststellungen jedenfalls zu verneinen.

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).

Wie bereits im vorangegangenen Verfahren sind auch im gegenständlichen Folgeantragsverfahren keine Risiken für den Beschwerdeführer im Sinne von § 12a Abs 2 Z 3 AsylG hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden.

Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in Tunesien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK darstellen würde. Tunesien ist ein sicherer Herkunftsstaat.

Eine Gefährdung iSd Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK wurde vom Beschwerdeführer zu keiner Zeit vorgebracht.

Im gegenständlichen Folgeantragsverfahren gibt es auch keine Anhaltspunkte für eine dem Beschwerdeführer bei einer Abschiebung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Art 2 oder Art 3 EMRK-Verletzung, zumal er laut eigenen Angaben vor belangten Behörde nicht an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet, sondern gesund und arbeitsfähig ist.

Die belangte Behörde konnte nach Wahrheitsbekundung der bisherigen Angaben durch den Beschwerdeführer in niederschriftlicher Einvernahme vor der belangten Behörde im beurkundeten mündlich verkündeten Bescheid vielmehr gegen eine dem Beschwerdeführer bei einer Abschiebung drohende menschenrechtsverletzende Situation sprechende Tatsachen feststellen - dass die Familie des Beschwerdeführer in Tunesien verblieben ist, dort sicher lebt und auch wirtschaftlich so gesichert ist, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien nicht in seiner Existenz bedroht wäre. Bis zur Bescheiderlassung hat sich auch weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit, noch eine schwere psychische Störung, die bei einer Überstellung/ Abschiebung in Tunesien eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers bewirken würde, ergeben hat.

Umstände, die eine umfassende Refoulementprüfung erforderlich machen würden, sind im gegenständlichen Verfahren jedenfalls nicht bekannt worden.

Vor dem Hintergrund der gegenüber dem Vorverfahren nicht entscheidungswesentlich geänderten allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers war auch im Hinblick auf die Refoulemententscheidung keine entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung erkennbar.

Da keine weiteren familiären oder sonstigen berücksichtigungswürdigen sozialen Bindungen oder sonstigen berücksichtigungswürdigen Integrationsschritte im Bundesgebiet bekannt wurden, konnte auch keine Verletzung des Rechts auf Privat- oder Familienleben durch eine Abschiebung festgestellt werden.

Entsprechend den obigen Ausführungen stellt - nach einer Grobprüfung des Aktes - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Betroffenen in seinen Herkunftsstaat für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK dar bzw ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Da somit alle Voraussetzungen des § 12a Abs 2 AsylG erfüllt sind, ist spruchgemäß festzustellen, dass die mit mündlich verkündetem Bescheid vom 17.12.2019 ausgesprochene Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig war.

Gemäß § 22 Abs 1 BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung, faktischer Abschiebeschutz,
faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig, Folgeantrag,
Identität der Sache, Privat- und Familienleben, real risk, reale
Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I413.2226785.1.00

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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