TE Vwgh Erkenntnis 2020/3/5 Ro 2019/15/0003

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Veröffentlicht am 05.03.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §39 Abs2
BAO §115 Abs1
EStG 1988 §124b Z53
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamtes Feldkirch in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 17. September 2018, Zl. RV/1100359/2016, betreffend Einkommensteuer 2015 (mitbeteiligte Partei: S S in N), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte hat im Jahr 2014 ihr Arbeitsverhältnis als Grenzgängerin nach Liechtenstein im Alter von 59 Jahren beendet und die Auszahlung der Freizügigkeitsleistung ("der zweiten Säule") beantragt.

2 Das Finanzamt besteuerte die im Jahr 2015 erfolgte Rückzahlung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für dieses Jahr.

3 In ihrer gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 erhobenen Beschwerde beantragte die Mitbeteiligte unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichts die "Freizügigkeitsleistung aus der 2. Säule" zu einem Drittel steuerfrei zu belassen.

4 In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung verwies das Finanzamt auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Mai 2012, 2009/15/0188, wonach keine "Abfindung" vorliege, wenn dem Gläubiger im Rahmen einer obligatio alternativa ein Wahlrecht (zwischen einmaliger Auszahlung oder monatlichen/jährlichen Renten) eingeräumt sei. Da bei ausländischen Pensionskassen ein entsprechendes Wahlrecht bestünde, sei die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 im Falle einer Auszahlung der Rente mit Einmalzahlung nicht anzuwenden.

5 Die Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

6 Mit Vorhalt vom 29. Juni 2018 forderte das Bundesfinanzgericht die Mitbeteiligte auf zu begründen, warum sie keine Rente, sondern eine Pensionsabfindung habe beziehen müssen.

7 In ihrem Antwortschreiben räumte die Mitbeteiligte ein, dass sie im Zeitpunkt der Pensionsabfindung die Möglichkeit gehabt hätte, sich für eine Rentenleistung zu entscheiden. Auf Grund einer Information des Finanzamtes zur (begünstigten) steuerlichen Behandlung der Pensionsabfindung habe sie sich zugunsten der Pensionsabfindung entschieden. Inzwischen sei ihr bekannt, dass die begünstigte Besteuerung nur anwendbar sei, wenn kein freies Wahlrecht bestünde und nur eine Pensionsabfindung möglich wäre. Eine Rückgängigmachung der seinerzeit getroffenen Entscheidung sei jedoch nicht mehr möglich.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde hinsichtlich der gegenständlich strittigen Besteuerung der Pensionsabfindung statt. Die Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 sei auf den vorliegenden Fall anwendbar und die Pensionsabfindung daher zu einem Drittel steuerfrei zu lassen.

9 Im Revisionsfall sei unstrittig, dass für die Mitbeteiligte auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Alter von 59 Jahren vor dem Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters in Liechtenstein von 60 Jahren keine Möglichkeit bestanden habe, von der Pensionskasse eine Rente ab Erreichen des Pensionsalters zu erhalten. Es habe nur die Möglichkeit bestanden, das Guthaben bei der Pensionskasse entweder auf ein Sperrkonto bei einer liechtensteinischen Bank oder auf eine Rentenversicherung bei einer liechtensteinischen Versicherung übertragen zu lassen, wobei diese Versicherung die Rente erst ab dem Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters in Liechtenstein ausbezahlt hätte.

10 Das Vorbringen des Finanzamtes, dass die Mitbeteiligte auch die Möglichkeit gehabt hätte, das Freizügigkeitsguthaben in eine private Rentenversicherung einzuzahlen, ändere nichts daran, dass die liechtensteinische Pensionskasse keine Rente geleistet hätte, sondern die Kapitalabfindung auf Wunsch der Mitbeteiligten an ein privates Versicherungsunternehmen geleistet hätte, das in der Folge eine versicherungsmathematisch berechnete Rente ausbezahlt hätte, deren Höhe sich wahrscheinlich nicht mit der Höhe der von der Pensionskasse ausbezahlten Pension gedeckt hätte. Doch selbst im Falle einer Deckungsgleichheit wäre für den Standpunkt des Finanzamtes nichts zu gewinnen, weil die Einzahlung der Pflichtbeiträge an die Pensionskasse erfolgt sei, diese Pensionskasse aber auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters das Guthaben auf dem Pensionskonto zwangsweise als Kapitalzahlung abgefunden habe. Die Mitbeteiligte hätte keinen Anspruch auf eine Pension aus der gesetzlich vorgeschriebenen zweiten Säule gehabt. Die Verfügung, die Kapitalauszahlung an eine private Rentenversicherung zu überweisen, sei als Verfügung über diese Kapitalauszahlung anzusehen. Durch diese Verfügung werde nicht die Auszahlung einer gesetzlich verpflichtend eingerichteten Pension begründet, sondern die Auszahlung einer freiwillig abgeschlossenen Lebensversicherung.

11 Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ließ das Bundesfinanzgericht zu. Es liege eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, weil die Möglichkeit das Freizügigkeitsguthaben nicht nur auf ein Freizügigkeitskonto, sondern wahlweise auf eine Freizügigkeitspolice zu überweisen und in der Folge einen Rentenanspruch zu haben, noch nicht Thema der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gewesen sei.

12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamtes, zu der die Mitbeteiligte keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Mit BGBl. I Nr. 54/2002 wurde in § 124b Z 53 EStG 1988 ein Satz (dritter Satz) angefügt und dadurch normiert, dass Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen ab dem Jahr 2001 zu einem Drittel steuerfrei sind.

15 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP 2) wird hiezu ausgeführt:

"Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik trifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu versteuern."

16 Zweck dieser Bestimmung ist es also, eine tarifmäßige Besteuerung von Pensionsabfindungen zu vermeiden, wenn keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme dieser Abfindung besteht (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2018/15/0086).

17 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, setzt § 124b Z 53 EStG 1988 voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. VwGH 29.3.2017, Ra 2015/15/0033, mit weiteren Nachweisen).

18 Im Revisionsfall ist strittig, ob der Mitbeteiligten ein der gegenständlichen Steuerbegünstigung abträgliches Wahlrecht eingeräumt war.

19 Das Bundesfinanzgericht hat das Bestehen eines Wahlrechtes im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass die Mitbeteiligte auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Erreichen des Pensionsalters keinen Anspruch auf eine Pension aus der gesetzlich vorgeschriebenen zweiten Säule (betriebliche Altersvorsorge) gehabt habe. Die "Verfügung die Kapitalauszahlung an eine private Rentenversicherung zu überweisen", sei als "Verfügung über diese Kapitalauszahlung" anzusehen.

20 Die Revision hält dem entgegen, das Bundesfinanzgericht habe selbst festgestellt, dass die Mitbeteiligte die Möglichkeit gehabt habe, sich entweder das Guthaben auf ein Sperrkonto bei einer liechtensteinischen Bank oder auf eine Rentenversicherung bei einer liechtensteinischen Versicherung auszahlen zu lassen.

21 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt (vgl. zuletzt im Zusammenhang mit einer Freizügigkeitsleistung nach liechtensteinischen Recht VwGH 23.1.2020, Ra 2018/15/0107) ausgesprochen hat, gilt in Bezug auf ausländisches Recht der Grundsatz "iura novit curia" nicht, sodass dieses in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen ist.

22 Das Bundesfinanzgericht ist von einem "unstrittigen Sachverhalt" ausgegangen und hat damit offenkundig die vom Finanzamt in seiner Stellungnahme vom 24. August 2018 getätigten, im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Feststellungen zur liechtensteinischen Gesetzeslage zur Grundlage seiner rechtlichen Beurteilung gemacht.

23 Demnach sei die Freizügigkeitsleistung gemäß Art. 12 Abs. 1 BPVG (liechtensteinisches Gesetz vom 20. Oktober 1987 über die betriebliche Personalvorsorge) weiterhin für die Vorsorge des aus der Versicherung ausscheidenden Arbeitnehmers zu verwenden. Zu diesem Zweck werde sie an die Vorsorgeeinrichtung seines neuen Arbeitgebers überwiesen. Falls sich dies nicht durchführen lasse, sei sie als Einlage für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice bei einem in Liechtenstein zugelassenen Versicherungsunternehmen oder auf ein für Vorsorgezwecke gesperrtes Konto bei einer liechtensteinischen Bank einzulegen (Art. 12 Abs. 2 BPVG). Aus Art. 12 Abs. 2 BPVG ergebe sich die Möglichkeit, die Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes durch eine Freizügigkeitspolice bei der Vorsorgeeinrichtung zu verlangen. Das Schweizer Freizügigkeitsgesetz (FZG) und die Schweizer Freizügigkeitsverordnung (FZV) seien, auch wenn sie nicht in den Liechtensteinischen Rechtsbestand übernommen worden seien, für die Auslegung des BPVG heranzuziehen. Im Hinblick auf den nicht im liechtensteinischen Recht definierten Begriff der Freizügigkeitspolice sei auf die Definition des Art. 10 FZV zurückzugreifen, welche die Möglichkeit eines Rentenbezuges bei Abschluss einer Freizügigkeitspolice beinhalte. Die Mitbeteiligte hätte auf Grund der genannten gesetzlichen Bestimmungen anlässlich der Beendigung der Grenzgängertätigkeit im Jahr 2014 den Vorsorgeschutz im Wege einer Freizügigkeitspolice aufrechterhalten und die späteren Altersleistungen in Rentenform beziehen können. Hinzuweisen sei bspw. auf eine (näher bezeichnete) in Liechtenstein niedergelassene Lebensversicherungsgesellschaft, welche die Möglichkeit der Eröffnung einer Freizügigkeitspolice bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit als Grenzgänger in Liechtenstein anbiete.

24 Auf der Basis der Sachverhaltsannahme des Finanzamtes wäre es der Mitbeteiligten nach Beendigung ihrer Auslandstätigkeit frei gestanden, sich für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice zu entscheiden und daraus später "Altersleistungen in Rentenform" zu beziehen. Die Aktenlage (vgl. etwa die Mitteilung der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein) bietet allerdings Anhaltspunkte dafür, dass derartige Produkte tatsächlich nicht angeboten werden bzw. seinerzeit nicht angeboten wurden. Vor diesem Hintergrund werden im fortzusetzenden Verfahren konkrete Feststellungen darüber zu treffen sein, ob der Mitbeteiligten ein Verbleib innerhalb des betrieblichen Vorsorgesystems Liechtensteins durch Abschluss einer prämienfreien Freizügigkeitspolice (etwa bei dem vom Finanzamt mit dem bloßen Hinweis auf ein elektronisches Formular angeführten Versicherungsunternehmen) möglich war und daraus ein späterer Rentenbezug hätte erfolgen können.

25 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 5. März 2020

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019150003.J00

Im RIS seit

26.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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