TE Vwgh Erkenntnis 2020/3/4 Ra 2019/18/0359

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.03.2020
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG 2014 §21 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des U A, vertreten durch Dr. Andrew P. Scheichl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8-9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2019, I422 2146705-2/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist irakischer Staatsangehöriger. Er stammt aus Bagdad und ist Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung. Er stellte am 4. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, er habe für die irakische Polizei im Innenministerium gearbeitet und sei für die Verwaltung einer Waffenabteilung verantwortlich gewesen. Er sei von einem namentlich näher genannten schiitischen Milizoffizier aufgefordert worden, gegen Entgelt aus einem von ihm verwalteten Lager funktionierende Waffen zu entnehmen und diese gegen defekte Waffen auszutauschen. Der Revisionswerber habe nicht eingewilligt, sondern den Vorfall seinem Vorgesetzten gemeldet. Als er eines Abends von seinem Bruder von der Arbeit mit dem Auto abgeholt worden sei, sei er von dem Milizoffizier am Weg zu dem Auto seines Bruders bedroht und anschließend, als er sich in dem Auto am Heimweg befunden habe, von zwei Fahrzeugen mit Lichtsignalen verfolgt und von hinten beschossen worden. Aus diesem Grund drohe ihm bei Rückkehr in den Irak Verfolgung. 2 Mit Bescheid vom 3. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). 3 Der gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 25. Juni 2018 statt, hob den Bescheid vom 3. Jänner 2017 (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurück.

4 Mit Bescheid vom 8. Jänner 2019 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und entzog ihm die befristete (zuvor mit Bescheid vom 2. Jänner 2018 verlängerte) Aufenthaltsberechtigung. Es erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Zudem entzog das BFA dem Revisionswerber den Fremdenpass und trug ihm auf, das Dokument der Behörde vorzulegen.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

6 Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erwog das BVwG, es sei zwar festzustellen, dass der Revisionswerber als Polizist bei der irakischen Polizei gearbeitet habe. Er werde jedoch wegen dieser Tätigkeit nicht verfolgt und er sei auch wegen eines von ihm vereitelten Waffenaustausches nicht von Problemen mit einem Offizier und mit einer schiitischen Miliz betroffen. Somit habe der Revisionswerber keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht.

7 Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BVwG im Wesentlichen damit, dass sich im Irak die Umstände im Vergleich zu der bei Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zugrunde gelegten Lage maßgeblich geändert hätten. Es sei insbesondere im Großraum Bagdad die Sicherheitslage zunehmend stabil geworden.

8 Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde zusammengefasst ausgeführt, der Revisionswerber verfüge in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Eine außergewöhnliche Integration des zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG seit ca. viereinhalb Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Revisionswerbers liege nicht vor.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit auf eine Verletzung der Verhandlungspflicht beruft. 10 Das BFA erstattete im eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes

zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; siehe beispielsweise auch VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0450).

13 Die Beweiswürdigung des BFA stützte sich u.a. auch darauf, dass es nach Ansicht der Behörde nicht nachvollziehbar sei, dass ein Offizier einer schiitischen Miliz nicht den schiitischen Arbeitskollegen, sondern den sunnitischen Revisionswerber in seine Pläne eingeweiht habe. Zudem spreche der Umstand, dass der Revisionswerber widersprüchliche Angaben zu dem Dienstgrad des Offiziers getätigt habe, dafür, dass es sich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handle.

14 Dieser (vom BVwG übernommenen) Beweiswürdigung ist der Revisionswerber jedoch in seiner Beschwerde substantiiert entgegen getreten, womit die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr vorlagen und das BVwG daher die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung zu Unrecht unterlassen hat (VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).

15 Im Übrigen wäre das BVwG auch in Anbetracht der Aberkennung des Status des Revisionswerbers als subsidiär Schutzberechtigter, die mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigt wurde, gehalten gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Beschwerde ist unter Hinweis auf näher angeführte Quellen der Annahme, es lägen die Voraussetzungen für die Aberkennung von subsidiärem Schutz, insbesondere nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vor, konkret entgegengetreten.

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher aus den genannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 4. März 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180359.L01

Im RIS seit

19.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten