TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/23 G308 2224367-1

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Veröffentlicht am 23.01.2020
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Entscheidungsdatum

23.01.2020

Norm

ASVG §358
AVG §69
AVG §69 Abs1 Z1
AVG §69 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G308 2224367-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, vertreten durch Mag. Patricia SCHOPF, Referentin der Arbeiterkammer XXXX, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt,

Landesstelle Steiermark, vom 22.08.2019, Zahl: XXXX, über die Wiederaufnahme des Verfahrens über den Anspruch auf Alterspension zu

Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: belangte Behörde), Landesstelle Steiermark, vom 28.02.2019, Zahl:

XXXX, wurde der Anspruch der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) auf Alterspension ab 01.02.2019 anerkannt und der Beschwerdeführerin eine monatliche Pension ab 01.02.2019 in Höhe von EUR 213,20 zuerkannt.

Die BF, eine Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, gab im Zuge der Antragstellung ein mit ihrem aktuell gültigen Reisepass der Dominikanischen Republik übereinstimmendes Geburtsdatum mit dem Geburtsjahr 1956 an.

2. Mit Schreiben des Ehegatten der BF vom 25.03.2019 ersuchte dieser zum oben angeführten Pensionsbescheid um vorläufige Einstellung der Auszahlungen, da hinsichtlich seiner Ehegattin zwei verschiedene Geburtsurkunden bzw. Geburtsbestätigungen mit um zehn Jahre differierenden Geburtsjahren, nämlich einmal 1966 und einmal 1956, vorliegen würden und daher ein Fehler vorliegen könnte. Es müsse erst geklärt werden, welches Geburtsjahr nun tatsächlich das richtige sei.

3. Die BF wurde am 11.06.2019 vor dem Standesamt XXXX zur Klärung des richtigen Geburtsjahres der BF einvernommen. Die BF gab zusammengefasst an, sie habe bis zur Verlängerung ihres Reisepasses in der Dominikanischen Republik im Jahr 2014 ihren vorangehenden Reisepässen entsprechend geglaubt, im Jahr 1966 geboren zu sein. Erstmals im Jahr 2014 hätten die dominikanischen Behörden bei der Beantragung des neuen Reisepasses die Vorlage einer Geburtsurkunde verlangt. Im Zuge der Aushebung derselben habe sich ergeben, dass aus dem Register tatsächlich das Geburtsjahr 1956 hervorgehe. Ihr sei daraufhin eine Geburtsurkunde und ein neuer Pass mit den korrigierten und richtigen Daten, nämlich 1956, ausgestellt worden.

Das Geburtsdatum sei aufgrund des korrigierten Reisepasses und der korrigierten Geburtsurkunde bereits im Zentralen Melderegister, im Fremdenregister und der zuständigen Gebietskrankenkasse korrigiert worden.

4. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 30.07.2019 teilte diese der BF mit, dass nach Sichtung sämtlicher der belangten Behörde vorliegenden Unterlagen festgestellt habe werden müssen, dass die BF bei den erstmaligen Vorsprachen vor der belangten Behörde im Zusammenhang mit Anträgen auf Gewährung eines Heilverfahrens vom 05.11.2008, 09.06.2011 und 20.11.2011 sowie einem Antrag auf Ergänzung der Versicherungszeiten im Zuge der Befüllung des Pensionskontos vom 30.10.2014 das Geburtsjahr 1966 angegeben habe. Gemäß § 358 ASVG sei jenes Datum als Geburtsdatum maßgeblich, welches sich aus der ersten Angabe des Versicherten gegenüber einem Versicherungsträger ergibt. Die einzigen gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen davon würden im Fall der BF nicht zutreffen, da ein offensichtlicher Schreibfehler ausgeschlossen werden könne, zumal sie das Geburtsjahr 1966 in mehreren Anträgen angegeben habe und die derzeit vorliegende Geburtsurkunde, welche ihr Geburtsjahr mit 1956 belege, erst im Jahre 2014 ausgestellt worden sei. Die BF werde innerhalb einer Frist von 14 Tagen um Vorlage einer diesbezüglich gültigen Urkunde bzw. um eine schriftliche Stellungnahme zum Sachverhalt ersucht.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22.08.2019, Zahl: XXXX, wurde das Verfahren über den Anspruch auf Alterspension wiederaufgenommen und der Bescheid vom 28.02.2019 aufgehoben (Spruchpunkt 1.), der Antrag auf Zuerkennung der Alterspension ohne Überprüfung der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen abgelehnt und der entstandene Überbezug an Pension in Höhe von EUR 404,66 binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides bei sonstiger Exekution zurückgefordert (Spruchpunkt 2.).

Begründend wurde der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG wiedergegeben und weiters ausgeführt, dass dessen Voraussetzungen gegeben seien, weil die BF im Antrag auf Zuerkennung der Alterspension angegeben habe, 1956 geboren zu sein, was nicht ihrer ersten Angabe des Geburtsdatums vor einem österreichischen Versicherungsträger (nämlich 1966) entspreche. Die nunmehr vorgelegten Dokumente seien nach dieser ersten Angabe ausgestellt worden, sodass gemäß § 358 ASVG das Geburtsjahr 1966 gelte, sodass die BF das Pensionsalter von 62 Jahren und sechs Monaten noch nicht erreicht habe, sodass ihr Antrag abzulehnen gewesen sei. Das Verfahren sei aufgrund der unterschiedlichen Angaben wiederaufzunehmen gewesen.

6. Gegen diesen Bescheid erhob die BF niederschriftlich vor der belangten Behörde am 05.09.2019 Beschwerde und legte im Zuge dessen eine vom Konsulat bestätigte Unterlage vor, dass sie 1956 geboren wurde.

7. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, wo sie am 15.10.2019 einlangten.

Im mit 11.10.2019 datierten Vorlagebericht der belangten Behörde führte diese zusammengefasst aus, dass die Beschwerde keine hinreichende Begründung enthalte und bereits deswegen zurückzuweisen sei. Weiters habe die belangte Behörde mit Bescheid vom 28.02.2019 der BF eine Alterspension unter Annahme eines Geburtsjahres 1956 gewährt, jedoch habe die BF bei ihrer erstmaligen Angabe eines Geburtsdatums vor einem österreichischen Versicherungsträger das Jahr 1966 angegeben. In Entsprechung des § 358 ASVG sei daher von einem Geburtsjahr 1966 auszugehen. Das Wiederaufnahmeverfahren sei durch das Schreiben des Ehegatten der BF eingeleitet worden. Weiters sei bei der belangten Behörde ein Schreiben der Markgemeinde XXXX (im Folgenden: A.) vom 29.03.2019 eingelangt, in welchem darauf hingewiesen wurde, dass sich die BF mit einem Reisepass der Dominikanischen Republik, ausgestellt am 30.08.1990, erstmals in Österreich mit Hauptwohnsitz angemeldet habe und dort das Geburtsjahr 1966 aufgeschienen sei. Im Schreiben werde bestätigt, dass es im Dezember 2014 zu einer Richtigstellung des Geburtsjahres auf 1956 im neuen Reisepass der BF gekommen sei. Im Antrag auf Gewährung einer Alterspension am 29.11.2018 sei das Geburtsjahr 1956 angegeben worden.

Da die BF jedoch bei vier vorangehenden Anträgen immer das Geburtsjahr 1966 angegeben habe und nicht davon auszugehen sei, dass sie selbst nicht gewusst habe, tatsächlich 1956 geboren zu sein, sei das Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG von Amts wegen wiederaufzunehmen gewesen.

8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.10.2019 erging ein Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zur Nachreichung einer Beschwerdebegründung binnen zwei Wochen an die BF.

9. Mit Schriftsatz vom 04.11.2019 langte die Vollmachtsbekanntgabe der nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertreterin beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Am 08.11.2019 langte die mit 05.11.2019 datierte Verbesserung der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG gegenständlich nicht vorliegen würden. Erst im Zuge der Beantragung eines neuen Reisepasses in der Dominikanischen Republik im Jahr 2014 habe sich erstmals herausgestellt, dass die BF tatsächlich 1956 geboren sei und nicht 1966. Ihr sei in der Folge von den Behörden eine korrigierte Geburtsurkunde und ein Reisepass mit Geburtsdatum 1956 ausgestellt worden. Sie habe daher nie eine Leistung von einem österreichischen Sozialversicherungsträger durch gefälschte Urkunden, durch falsches Zeugnis oder durch eine andere strafbare Handlung erschlichen. Wenn sie auf diversen Anträgen der Jahre 2008, 2011 und am 30.10.2014 das Geburtsjahr 1966 angegeben habe, dann deshalb, weil ihr bis dahin nur dieses bekannt gewesen sei und dies auch dem im damaligen Reisepass angegebenen Geburtsjahr entsprochen habe. Hingegen sei ihr zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Alterspension bereits das richtige Geburtsjahr 1956 bekannt gewesen und habe sie dieses dort auch angegeben. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens fehle es daher an jeglicher Rechtsgrundlage. Es werde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge aussprechen, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens unzulässig ist und dass der Bescheid vom 22.08.2019 als gegenstandslos zu betrachten sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF, eine Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, reiste spätestens 1991 in das Bundesgebiet ein, wo sie laut aktuellem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zumindest seit 19.09.1992 bis zum Entscheidungszeitpunkt durchgehend über Hauptwohnsitzmeldungen verfügt (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 21.01.2020; Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 21.01.2020). Sie ist seit 2008 mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und verfügt in Österreich zum Entscheidungszeitpunkt über einen gültigen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" (vgl Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister vom 21.01.2020).

Die BF verfügte zumindest bis Juli 2014 über Reisepässe der Dominikanischen Republik, in welchem ihr Geburtsjahr mit 1966 vermerkt war (vgl aktenkundige Kopien der Reisepässe gültig von 30.08.1990 bis 30.08.1992, von 09.07.1996 bis 09.07.1998, von 10.06.2002 bis 10.06.2008 und von 09.07.2008 bis 09.07.2014).

Im Zuge der erneuten Beantragung auf Ausstellung eines neuen Reisepasses im Jahr 2014 erfuhr das Geburtsjahr der BF seitens der Behörden der Dominikanischen Republik eine Korrektur um zehn Jahre, nämlich auf das Jahr 1956. Der BF wurde in der Folge eine Geburtsurkunde und ein Reisepass mit Geburtsjahr 1956 ausgestellt (vgl Angaben der BF vor der Gemeinde A. am 11.06.2019; Angaben Beschwerdeergänzung; aktenkundige Kopie des aktuell gültigen Reisepasses, ausgestellt am 15.11.2014 und gültig bis 15.11.2020; aktenkundige beglaubigte Übersetzung der 2014 ausgestellten Geburtsurkunde aus der Dominikanischen Republik).

Jedenfalls der Reisepass mit Ausstellungsdatum 10.06.2002 (Nummer XXXX) sowie der aktuelle Reisepass mit Ausstellungsdatum 15.11.2014 (Nummer XXXX) wurden im Fremdenregister als authentisch (echt) eingestuft (vgl Auszug aus dem Fremdenregister vom 21.01.2020).

Am 05.11.2008, am 09.06.2011 und am 22.11.2011 stellte die BF Anträge auf Kur- bzw. Rehabilitationsaufenthalte und am 23.10.2014 einen Antrag auf Ergänzung der Versicherungszeiten des Pensionskontos und gab dabei jeweils, dem Geburtsdatum in ihrem damals gültigen Reisepass entsprechend, das Geburtsjahr 1966 an (vgl aktenkundige Anträge und aktenkundige Reisepasskopien).

Am 29.11.2018 beantragte die BF zum 01.02.2019 die Alterspension und gab auf dem Antrag, ihrem nunmehrigen Reisepass entsprechend, das korrigierte Geburtsjahr 1956 an (vgl aktenkundiger Antrag und aktenkundige Reisepasskopie).

Eine Korrektur des Geburtsjahres wurde in Folge des neu ausgestellten Reisepasses im Zentralen Melderegister, im Fremdenregister, bei der Gebietskrankenkasse und im Ehebuch vorgenommen (vgl aktenkundige Auszüge aus den jeweiligen Registern; Angaben der Gemeinde A. - Niederschrift vom 11.06.2019).

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.02.2019 wurde der BF zum 01.02.2019 rechtskräftig eine Alterspension in Höhe von monatlich EUR 213,20 zuerkannt (vgl aktenkundiger Bescheid).

Die BF ist strafgerichtlich unbescholten (vgl Strafregisterauszug vom 21.01.2020).

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie des vorliegenden Gerichtsakts des BVwG.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm hinsichtlich der BF Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister und in die Sozialversicherungsdaten.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Der Sachverhalt ist darüber hinaus unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Anzuwendendes Recht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg. cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit iSd. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

3.2. Zu Spruchteil A):

Der mit "Wiederaufnahme des Verfahrens" betitelte § 69 AVG lautet:

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat."

Die belangte Behörde zog als Rechtsgrundlage für die Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens ausdrücklich § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG heran. Demnach kann ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist.

Das Vorliegen einer gerichtlich strafbaren Handlung muss nicht durch ein gerichtliches Urteil erwiesen und festgestellt worden sein (VwGH vom 08.05.1998. 97/19/0132; vom 18.02.2002, 99/10/0238, [...]). Wenn es bislang zu keiner Verurteilung durch ein Gericht gekommen ist, hat die wiederaufnehmende Behörde selbst als Vorfrage zu prüfen und zu beurteilen, ob es sich um ein gerichtlich strafbares Verhalten handelt, durch das der Bescheid herbeigeführt wurde (VwGH vom 18.02.2002, 99/10/0238, [...]). Die Begehung der Straftat muss freilich von der das Verfahren wiederaufnehmenden Behörde auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen werden, ein bloßer Verdacht, dass eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, reicht nicht aus (VwGH 24. 3. 1988, 87/08/0298; 19. 4. 1994, 93/11/0271; Hengstschläger 3 Rz 579; Thienel 4 311). Es muss feststehen, dass die objektive und subjektive Tatseite der gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt sind (VwGH 24.03.1980, 810/79; vgl auch VwGH 05.12.1966, 351/66; Walter/Mayer Rz 585) und kein Rechtfertigungsgrund vorliegt (Thienel 4 311) (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 11 (Stand 01.04.2009, rdb.at)).

Im Falle eines falschen Zeugnisses (zB eines falschen Gutachtens eines Sachverständigen) ist es für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG erforderlich, dass die unrichtige Aussage auf Vorsatz beruht (VwGH 25. 9. 1990, 86/07/0071; 28. 2. 2008, 2007/06/0276). Es muss sich um - iSd Strafrechts - gefälschte oder nachgemachte Urkunden (oder andere Beweismittel) handeln.

Im Gegensatz zur gerichtlich strafbaren Handlung kann vom Erschleichen eines Bescheides nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid seitens der Partei durch eine vorsätzliche (also schuldhafte), verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlasst wird (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 12 (Stand 01.04.2009, rdb.at) mit Verweis auf VwGH vom 08.09.1998, 98/08/0090; 07.09.2005, 2003/08/0171 [...])

Das "Erschleichen" eines Bescheides/Erkenntnisses liegt vor, wenn dieser/s in einer Art zustande kam, dass bei der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann der Entscheidung zugrunde gelegt wurden, sofern die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht auf die Angaben der Partei angewiesen ist und ihr bzw. ihm nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere Erhebungen durchzuführen (vgl VwGH vom 09.08.2018, Ra 2018/22/0076, mwN).

Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 12 mit Verweis VwGH 06.03.1953, 1034/52; 08.06.2006, 2004/01/0470; vgl auch VwGH 10.09.2003, 2003/18/0062; 13.12.2005, 2003/01/0184).

Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich eine anders lautende Entscheidung ergangen wäre bzw. ob die Behörde oder das Verwaltungsgericht im neuen Verfahren voraussichtlich zu einer anders lautenden Entscheidung gelangen wird (vgl VwGH vom 08.06.2006, 2004/01/0470; 04.09.2008, 2005/01/0129). Ermittlungen zur Frage der Relevanz des als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Verhaltens sind daher grundsätzlich entbehrlich. Richtig ist lediglich, dass den zu beurteilenden unrichtigen Angaben wesentliche Bedeutung zukommen muss (vgl VwGH vom 08.06.2006, 2004/01/0470). Das die Wiederaufnahme auslösende Verhalten der Partei muss auf die Erlassung eines konkreten Bescheides bzw. Erkenntnisses zielgerichtet sein bzw. das Verhalten denknotwendig der Erlassung des Bescheides bzw. Erkenntnisses vorangehen (vgl VwGH vom 09.08.2018, Ra 2018/22/0076).

Im gegenständlich angefochtenen Bescheid (und dem nachfolgenden Vorlagebericht, wobei anzumerken ist, dass eine nachträgliche Ergänzung der Bescheidbegründung seitens der belangten Behörde einen Begründungsmangel nach ständiger Rechtsprechung nicht zu sanieren vermag) hat die belangte Behörde ohne nähere Begründung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG bejaht und dazu lediglich festgehalten, dass diese gegeben seien, da die BF im Antrag auf Zuerkennung einer Alterspension das Geburtsjahr 1956 angegeben habe (was ihrem aktuellem Reisepass und Geburtsdatum entspricht), in den vorangehenden Anträgen vor der belangten Behörde bis zum Jahr 2014 jedoch das Geburtsjahr 1966 (ihren damaligen Reisepässen entsprechend). Aufgrund der unterschiedlichen Angaben sei das Verfahren wiederaufzunehmen.

Mit dieser Begründung legt die belangte Behörde aber nicht dar, von welchem Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG, nämlich entweder des Herbeiführens des Bescheides durch Fälschung einer Urkunde, einem falschen Zeugnis oder einer anderen strafbaren Handlung sie im gegenständlichen Fall konkret ausgeht und weshalb bzw. inwiefern ihrer Ansicht nach der Bescheid von der BF sonst wie erschlichen worden sein soll.

Da die BF strafgerichtlich unbescholten ist, hätte die belangte Behörde für den Fall, dass ihrer Ansicht nach ein strafbares Verhalten (wie etwa Urkundenfälschung oder ein ähnliches Delikt) seitens der BF oder eines Dritten (etwa ihres Ehegatten) vorliegt, als Vorfrage die Verwirklichung eines konkreten Deliktes hinsichtlich objektiver und subjektiver Tatseite zu prüfen und gegebenenfalls begründet zu bejahen gehabt.

Die alleinige Feststellung, dass die BF bei unterschiedlichen Anträgen aufgrund ihrer unterschiedlichen Reisepässe zwei verschiedene Geburtsjahre angegeben hat (nämlich bis 2014 das Geburtsjahr 1966 und ab Ende 2014 das Geburtsjahr 1956), ohne dass seitens der BF diesbezüglich eine strafbare Handlung verwirklicht oder sie den Bescheid vorsätzlich sonst wie erschlichen hat, reicht für das Heranziehen des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG keinesfalls aus.

Der angefochtene Bescheid leidet hinsichtlich der Begründung für die Wiederaufnahme des Verfahrens an einem erheblichen Begründungsmangel und ist somit rechtswidrig.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden. Es ergibt sich bereits aus der Aktenlage, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, sodass eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH vertritt eine eindeutige und einheitliche Rechtsprechung, weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

amtswegige Wiederaufnahme, Begründungsmangel, Geburtsdatum,
Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G308.2224367.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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