TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/29 G301 2220855-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2020
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Entscheidungsdatum

29.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs3 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1a

Spruch

G301 2220855-1/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 20.11.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Venezuela, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 05.06.2019, Zl. XXXX, betreffend Antrag auf internationalen Schutz und Einreiseverbot, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2019 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III., IV., V., VI., VII. und IX. wird mit folgenden Maßgaben als unbegründet abgewiesen:

1. In Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird die Wortfolge "§ 3 Absatz 3 Ziffer 2 iVm § 2 Ziffer 13 und § 6 Absatz 1 Asylgesetz 2005" durch die Wortfolge "§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005" ersetzt.

2. In den Spruchpunkten II. und V. des angefochtenen Bescheides wird das Wort "Herkunftsland" jeweils durch das Wort "VENEZUELA" ersetzt.

3. In Spruchpunkt IX. des angefochtenen Bescheides wird die Wortfolge "Ziffer 1" durch "Ziffer 3" ersetzt.

II. Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides wird teilweise Folge gegeben und die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn (10) Jahre herabgesetzt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

A)

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Wien, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 06.06.2019, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 31.01.2019 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 und § 6 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat "Herkunftsland" gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach "Herkunftsland" zulässig ist (Spruchpunkt V.), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 "Ziffer (2,5)" BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.), festgelegt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 5 FPG gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.) sowie gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 festgestellt, dass der BF das Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 04.02.2019 verloren hat (Spruchpunkt IX.).

Mit dem am 03.07.2019 beim BFA, Regionaldirektion Wien, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 04.07.2019 vom BFA vorgelegt.

Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 20.11.2019 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF nach Vorführung aus der Strafhaft im Beisein seiner bevollmächtigten Rechtsvertreterin teilnahm. Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.

Die anwesende Rechtsvertreterin beantragte unmittelbar nach der Verkündung die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Bolivarischen Republik Venezuela.

Der BF verließ seinen Herkunftsstaat Venezuela zuletzt am XXXX01.2018 und reiste auf dem Luftweg von Caracas über Frankreich nach Österreich. Der BF reiste am XXXX01.2018 am Flughafen Roissy-Charles de Gaulle in den Schengen- Raum ein und begab sich von dort weiter nach Österreich, wo er an einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt einreiste.

Der BF reiste dann am XXXX04.2018 auf dem Luftweg von Wien in die Türkei. Am XXXX04.2018 reiste der BF wieder auf dem Luftweg von der Türkei kommend in Österreich ein.

Der BF hält sich seit seiner Festnahme am XXXX06.2018 durchgehend in Haft auf, zunächst in Untersuchungs- und später in Strafhaft.

Der BF stellte den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz schriftlich am 31.01.2019 in der Justizanstalt XXXXim Stande der Untersuchungshaft, welcher bei der belangten Behörde mit 04.02.2019 formal eingebracht wurde.

Der BF verfügt in Österreich abgesehen von seiner Ehegattin über keine familiären Bindungen. Der BF ist mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX, geboren am XXXX, verheiratet. Die Ehe wurde am 09.08.2017 in Dänemark geschlossen. Die Ehegattin des BF befindet sich derzeit in Strafhaft, wo sie aufgrund des unten angeführten Urteils, mit dem auch der BF verurteilt wurde, eine unbedingte Freiheitsstrafe von sechs Jahren verbüßt.

Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF befand sich bis zu seiner letztmaligen Ausreise in Venezuela. Die Eltern und Geschwister des BF (zwei von drei Schwestern und ein Bruder) leben in Venezuela. Der BF unterhält mit ihnen aus der Strafhaft regelmäßigen telefonischen Kontakt. Eine Schwester des BF lebt in der Dominikanischen Republik. Die Mutter ist Hausfrau, der Vater ist Maschinenbauingenieur arbeitet in XXXX in XXXX. Eine Schwester arbeitet auf Anfrage als Taxifahrerin für unterschiedliche Unternehmen. Die jüngste Schwester des BF hat ein Universitätsstudium als Ingenieurin abgeschlossen und der jüngere Bruder studiert Ingenieurswissenschaften. Die Eltern und in Venezuela lebenden Geschwister wohnen alle gemeinsam im Einfamilienhaus der Familie in XXXX.

Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht anzunehmen gewesen wäre, liegen nicht vor.

Der BF weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung auf:

01) LG XXXX vom XXXX04.2019 RK XXXX04.2019

§ 104a (1 u 4) 1. Fall StGB

§ 217 (1) 2. Fall StGB

§ 107 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat XXXX06.2018

Freiheitsstrafe 5 Jahre

Festgestellt wird, dass der BF die mit dem oben genannten Urteil festgestellten strafbaren Handlungen begangen und das im Urteil und im angefochtenen Bescheid jeweils näher umschriebene strafbare Verhalten gesetzt hat.

Der BF wurde mit dem oben angeführten Urteil des LG XXXX vom XXXX04.2019 - ebenso wie vier weitere Mitangeklagte, darunter seine Ehegattin - wegen des Verbrechens des Menschenhandels, des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels und des Vergehens der gefährlichen Drohung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren rechtskräftig verurteilt. Der BF unterstützte seine mit diesem Urteil zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilte Ehegattin bei ihrem gewerbsmäßigen Prostitutionshandel, mit dem sich beide ihren Lebensunterhalt verdienten. Der BF, seine Ehegattin und weitere Mitangeklagte haben teils im Rahmen einer kriminellen Vereinigung volljährige Personen mit dem Vorsatz, dass sie sexuell ausgebeutet werden, unter Einsatz unlauterer Mittel, nämlich durch Einschüchterungen und den Einsatz von gefährlichen Drohungen, durch Täuschung über Tatsachen sowie durch Ausnützung von Zwangslagen, beherbergt, befördert und anderen angeboten, indem sie sie unter falschen Zusagen über die Bedingungen der Prostitutionsausübung in Österreich, sowie über die angebliche Illegalität des Aufenthalts und der Prostitutionsausübung nach Österreich brachten, wobei sie die Reise für sie jeweils organisierten, ihnen die Tickets für die Beförderung zukommen ließen und sie am Flughafen abholten, sie der Prostitution in Österreich zuführten und sie unter Ausnützung ihrer Zwangslagen, nämlich des teilweisen illegalen Aufenthalts in Österreich und der schwierigen Wirtschaftslage in Venezuela und ihrer daraus resultierenden Einkommens- und Vermögenslosigkeit zur Prostitution "am Fließband" veranlassten, ihnen die Bedingungen der Ausübung der Prostitution vorschrieben, wobei sie keinen Tag in der Woche frei hatten, keine Kunden und keine Sexualpraktiken ablehnen durften, auch an Tagen ihrer Menstruation oder Erkankung den Geschlechtsverkehr gegen Entgelt mit den Kunden durchführen mussten, sie in unterschiedlichen Wohnungen bzw. Studios unterbrachten, sie auf Internet-Seiten in Inseraten anderen Personen für sexuelle Dienstleistungen zur Verfügung stellten, sie teilweise mit der Veröffentlichung von Nacktbildern, der Bekanntgabe an ihre Familienmitglieder, dass sie in Österreich die Prostitution ausüben, der Körperverletzung ihrer Familienmitglieder in Venezuela bzw. der Verhaftung durch die österreichische Polizei verbal gefährlich bedrohten, sie abwechselnd bewachten, auch zu Haus- bzw. Hotelbesuchen zu den Kunden brachten und ihnen weit mehr als die Hälfte des durch die Ausübung der Prostitution verdienten Geldes als Vermittlungsgebühr abnahmen und darüber hinaus überhohte und nicht nachvollziehbare Kosten für Anreise, Transport, Wohnung, Verpflegung, Kleidung, Schaltung der Inserate, Arbeitskleidung, Gleitmittel, Kondome etc. verrechneten bzw. ihnen teilweise sogar das gesamte, durch die Prostitutionsausübung verdiente Geld abnahmen.

Bei der Strafbemessung wurden beim BF nur die bisherige Unbescholtenheit als mildernd, hingegen das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und die wiederholte Tatbegehung als erschwerend gewertet.

1.2. Eine der beschwerdeführenden Partei aktuell drohende Verfolgungsgefahr oder sonstige im Herkunftsstaat Venezuela drohende Gefährdung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention abschließend genannten Gründen wurde nicht glaubhaft gemacht. Das Vorbringen des BF zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz wird dieser Entscheidung daher nicht als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Der BF brachte im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass er im Strafverfahren in Österreich fäschlicherweise von seinen vermeintlichen Opfern, die alle Venezolaner gewesen seien, beschuldigt worden sei, in Menschenhandel und Zwangsprostitution involviert gewesen zu sein, damit sich diese wiederum in Österreich Asyl erschleichen hätten können; er sei aber unschuldig. Die korrupte Polizei in Venezuela hätte davon erfahren und würde jetzt seine Familie bedrohen und von ihr Geld verlangen, weshalb er im Fall der Rückkehr um sein Leben fürchten müsse.

Andere Gründe für die Annahme einer dem BF im Herkunftsstaat drohenden Verfolgungsgefahr liegen nicht vor und wurden auch nicht vorgebracht.

Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Der BF hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme.

Auch sonstige Gründe, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat allenfalls entgegenstehen würden, liegen nicht vor.

1.3. Maßgebliche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

VENEZUELA:

1.3.1. Auszug aus dem "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Venezuela" vom 28.03.2018 mit Aktualisierung am 29.01.2019:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 29.1.2019, Machtkampf zwischen Juan Guaidó und Nicolás Maduro (relevant für Abschnitt 2 - Politische Lage und Abschnitt 3 - Sicherheitslage)

Am Nachmittag des 23.01.2019 erklärte sich Juan Guaidó, der Präsident der von der Opposition dominierten und von Maduro entmachteten Nationalversammlung, im Rahmen einer großen Demonstration auf der Plaza Juan Pablo II in Caracas zum Interimspräsidenten von Venezuela. Noch am gleichen Tag wurde er als rechtmäßiger Übergangspräsident von US-Präsident Donald Trump sowie von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) anerkannt. Mehrere EU- Staaten, darunter Deutschland, haben Präsident Maduro am 26.01.2019 eine Frist von acht Tagen gesetzt, um Neuwahlen auszurufen. Andernfalls wollen auch sie Guaidó anerkennen. Angesichts der eskalierenden Staatskrise werben sowohl Maduro als auch Guaidó um die Unterstützung der Streitkräfte. Die Führung der Streitkräfte steht bisher zu Maduro. Lediglich der Militärattaché der venezolanischen Botschaft in Washington kündigte am 26.01.2019 Maduro die Gefolgschaft auf und forderte das Militär auf, es ihm gleich zu tun. Guaidó versucht unterdessen, vor allem einfache Soldaten, die wie die Zivilbevölkerung unter dem Mangel an Grundgütern und der Hyperinflation zu leiden haben, auf seine Seite zu ziehen. Er forderte seine Anhänger auf, den Text des vom Parlament verabschiedeten Amnestiegesetzes an die Soldaten zu verteilen. Das Amnestiegesetz sichert Soldaten Straffreiheit zu, wenn sie sich an der Wiederherstellung der demokratischen Ordnung beteiligen. Für den 30.01. und 02.02.2019 rief Guaidó seine Anhänger zu neuen Protesten gegen Maduro auf (BAMF 28.1.2019 vgl. derStandard 28.1.2019).

Quellen:

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (28.1.2019): Gruppe

62 - Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes, Zugriff

29.1.2019

-

derStandard (28.1.2019): Guaidó will der Welt Angst vor Bürgerkrieg in Venezuela nehmen, https://derstandard.at/2000097106784/Guaido-will-der-Welt-Angst-vor-Buergerkrieg-in-Venezuelanehmen,Zugriff 29.1.2019

2. Politische Lage

Venezuela ist nach der Verfassung von 1999 ein demokratischer Bundesstaat mit 23 Einzelstaaten und einem Hauptstadtdistrikt (Distrito Capital). Die Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Die Mitwirkung der Bürger am politischen Prozess soll durch Elemente der direkten Demokratie gewährleistet werden. Die ausführende Gewalt liegt laut Verfassung beim Präsidenten der Republik und seiner Regierung. Der Präsident wird in direkter Wahl in einem Wahlgang auf sechs Jahre gewählt. Seit 2009 besteht die unbeschränkte Möglichkeit der Wiederwahl. Nach Ablauf der Hälfte seiner Amtszeit kann ein Präsident per Referendum abberufen werden. Der Präsident ernennt und entlässt den Vizepräsidenten sowie die Minister seines Kabinetts. Die gesetzgebende Gewalt übt laut Verfassung die Nationalversammlung aus, deren Abgeordnete auf fünf Jahre gewählt werden. Diese kann durch 3/5-Mehrheit zeitlich und inhaltlich begrenzt an den Präsidenten übertragen werden (sogenanntes Ley Habilitante, deutsch: Ermächtigungsgesetz). Von dieser Regelung haben in der jüngeren Geschichte Venezuelas praktisch alle Präsidenten Gebrauch gemacht. Präsident Maduro regierte erstmalig von November 2013 an für ein Jahr per Ermächtigungsgesetz, um die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. In dieser Zeit hat er 55 Gesetze dekretiert. Im Dezember 2015 lief die vorerst letzte Ermächtigung aus. Am 30. Juli 2017 ließ Präsident Maduro eine sogenannte Verfassungsgebende Versammlung wählen. Die Opposition boykottierte die Wahl. Die Verfassungsgebende Versammlung maßt sich selbst gesetzgeberische und exekutive Kompetenzen in allen Bereichen an. Sie sieht sich als allen anderen staatlichen Institutionen übergeordnet und hat das Parlament de facto entmachtet. Die EU und ihre Mitgliedstaaten, die USA und der Großteil der lateinamerikanischen Länder erkennen die Verfassungsgebende Versammlung nicht an. Die 23 Bundesstaaten verfügen über einen geringen finanziellen Spielraum und sind auf Zuweisungen aus dem gesamtstaatlichen Etat angewiesen. An der nationalen Gesetzgebung sind sie seit Abschaffung des Senats und Einführung des Einkammersystems durch die Verfassung von 1999 nicht mehr beteiligt. Die Kommunen erzielen durch die Gewerbesteuer eigene Einnahmen und stellen einen Teil der Polizei (Auswärtiges Amt 10.2017a).

Venezuela ist formal eine konstitutionelle Mehrparteienrepublik, aber seit mehr als einem Jahrzehnt ist die politische Macht in einer einzigen Partei mit einer zunehmend autoritären Exekutive konzentriert, die eine bedeutende Kontrolle über die Legislative, die Justiz, die Bürger und die Wahlkreise der Regierung ausübt (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

-

Auswärtiges Amt (10.2017a): Venezuela, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/venezuela-node/-/225028, Zugriff 28.3.2018

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016

-

Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395683.html, Zugriff 27.3.2018

3. Sicherheitslage

Der im Mai 2016 ausgerufene Ausnahmezustand über das gesamte Land gilt fort. Bei politischen Protesten im Land kann es weiterhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen. Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Krise ist es vor allem in den Städten auch spontan zu teils massiven Demonstrationen gekommen. Diese können sich jederzeit wiederholen. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sind möglich (Auswärtiges Amt 28.3.2018).

Die politische und soziale Lage ist sehr angespannt. Im Zusammenhang mit den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen, die für den 20. Mai 2018 geplant sind, muss mit einer erneuten Zunahme der politischen Spannungen gerechnet werden. Die politische Lage ist polarisiert und insbesondere in den großen Städten konfliktgeladen. Frustrationen der Bevölkerung manifestieren sich durch Sachbeschädigungen, gewalttätige Demonstrationen und Plünderungen. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften haben zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert und können jederzeit vorkommen. Eine erneute Verschlechterung der Lage kann nicht ausgeschlossen werden. Grössere Demonstrationen können mehrere Tage dauern. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften können jederzeit vorkommen. Die Kriminalitätsrate ist sehr hoch und nimmt weiter zu. Der Besitz von Schusswaffen ist weit verbreitet, und Kriminelle machen immer häufiger und ohne Zögern davon Gebrauch. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und kriminellen Gruppierungen können vereinzelt auch unbeteiligte Personen in Mitleidenschaft ziehen. Es sind Straffälle bekannt, an denen Polizisten beteiligt waren. Die Rechtsunsicherheit ist groß: Straftaten und Verbrechen bleiben meistens ungeahndet. Die Polizei leidet unter Korruption, Unerfahrenheit sowie Geld- und Personalmangel. Das Justizsystem ist ineffizient und überlastet. Es gibt Fälle von Lynchjustiz (EDA 28.3.2018).

Quellen:

-

Auswärtiges Amt (28.3.2018): Venezuela, Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/venezuela-node/venezuelasicherheit/ 224982, Zugriff 28.3.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.3.2018): Venezuela, reisehinweise für Venezuela, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/venezuela/reisehinweise-fuervenezuela.html, Zugriff 28.3.2018

11. Allgemeine Menschenrechtslage

Zu den wichtigsten Menschenrechtsverletzungen, über die im Laufe des Jahres 2016 berichtet wurde, gehörten der systematische, politisierte Einsatz der Justiz zur Untergrabung der Legislative, die Einschüchterung und selektive Verfolgung von Kritikern, wahllose polizeiliche Maßnahmen gegen Zivilisten, die zu weit verbreiteten willkürlichen Verhaftungen, unrechtmäßigem Tötungen und Folterungen führten, sowie die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit durch die Regierung. Die Regierung verhaftete und inhaftierte Oppositionelle und zeigte wenig Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz oder erlaubte es den Richtern im Allgemeinen nicht, ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen nach dem Gesetz zu handeln. Zeitweise blockierte die Regierung Medien und schikanierte und schüchterte private Fernsehsender, andere Medien und Journalisten durch Drohungen, Geldbußen, Beschlagnahmungen, Verhaftungen, strafrechtlichen Ermittlungen und Strafverfolgungen ein. Nichtregierungsorganisationen, Medien und Regierungsbehörden berichteten über außergerichtliche Tötungen durch Polizei und Sicherheitskräfte, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen und das Fehlen ordnungsgemäßer Verfahrensrechte, die zu weit verbreiteter Gewalt, Unruhen, Verletzungen und Todesfällen in Gefängnissen beigetragen haben, unzureichende Jugendstrafanstalten, Korruption und Straflosigkeit in der Polizei. Die Regierung unternahm manchmal Schritte, um untergeordnete Regierungsbeamte zu bestrafen, die Missbrauch begangen haben, aber es gab nur wenige Ermittlungen oder Verfolgungen von hohen Regierungsbeamten. Es gab keine fundierten Berichte über politisch motiviertes Verschwindenlassen (USDOS 3.3.2017).

In Venezuela gibt es heute keine unabhängigen Regierungsinstitutionen mehr, die als Kontrolle der Exekutive fungieren. Die venezolanische Regierung - unter Maduro und zuvor unter Chávez - hat die Gerichte mit Richtern besetzt, die keinen Anspruch auf Unabhängigkeit erheben. Die Regierung hat Dissens durch oft gewalttätige Razzien bei Straßenprotesten unterdrückt, Gegner inhaftiert und Zivilisten vor Militärgerichten verfolgt. Sie hat auch der oppositionell geführten Legislative die Macht entzogen. Aufgrund des gravierenden Mangels an Medikamenten, medizinischen Hilfsgütern und Nahrungsmitteln können viele Venezolaner ihre Familien nicht ausreichend ernähren und haben keinen Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung. Die venezolanische Regierung hat politische Gegner inhaftiert und sie von der Kandidatur ausgeschlossen. Die Venezolaner sind mit einem gravierenden Mangel an Medikamenten, medizinischen Hilfsgütern und Nahrungsmitteln konfrontiert (HRW 18.1.2018).

Venezuelas demokratische Institutionen haben sich seit 1999 verschlechtert, aber die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren durch eine Machtkonzentration in der Exekutive und härtere Razzien gegen die Opposition nochmals verschlimmert. Nach starken Erfolgen der Opposition bei den Parlamentswahlen im Jahr 2015 wurden die Befugnisse der Legislative durch eine politisierte Justiz beschnitten, und 2017 wurde das Gremium durch eine neue verfassungsgebende Nationalversammlung ersetzt, die den Interessen der Exekutive dient. Regierungskorruption ist allgegenwärtig, und die Strafverfolgung hat sich als unfähig erwiesen, Gewaltverbrechen zu stoppen. Die Behörden haben die bürgerlichen Freiheiten eingeschränkt und die vermeintlichen Gegner ohne Rücksicht auf ein ordentliches Verfahren verfolgt (FH 1.2018).

Den meisten Opfern von Menschenrechtsverletzungen fehlte nach wie vor der Zugang zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Opfer und ihre Familien wurden oft eingeschüchtert (AI 22.2.2018).

Trotz der liberalen Verfassung ist die Menschenrechtslage in Venezuela als insgesamt problematisch zu bewerten. Dies trifft insbesondere auf den Sicherheitssektor zu.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten. Zudem gibt es Berichte über Folterungen, unrechtmäßige Tötungen von Gefangenen, schlechte Zustände in den Gefängnissen sowie korrupte Gerichte. Durch den revolutionären, "bolivarischen" Kurs des 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chavez haben sich die politischen Spannungen innerhalb der Gesellschaft zwischen Regierungs- und Oppositionsanhängern deutlich verschärft. Dies hat bisher nicht nur zu einer erheblichen Verunsicherung der Wirtschaft, sondern auch zu einer steigenden Zahl gewaltsamer Auseinandersetzungen geführt (BICC 12.2017).

Die Beteiligung der Zivilgesellschaft für das Auswahl- und Ernennungsverfahren der Mitglieder der drei nicht vom Volk gewählten Machtbereiche: Oberster Gerichtshof, Wahlbehörde und Volksmacht (Ombudsmann, Rechnungsprüfer und Staatsanwalt) ist offiziell vorgeschrieben. Bei keiner der in den Jahren 2015 und 2016 vorgenommenen Ernennungen wurde jedoch das in der Verfassung festgelegte Verfahren eingehalten (BTI 2018).

Quellen:

-

AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425691.html, Zugriff

-

BICC - Bonn International Center for Conversion (12.2017):

Länderinformation Venezuela,

http://ruestungsexport.info/uploads/laender/venezuela.pdf, Zugriff 26.3.2018

-

BTI - Bertelsmann Transformations Index (2018): Venezuela Country Report, https://www.btiproject.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/VEN/, Zugriff 26.3.2018

-

HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Venezuela, https://www.ecoi.net/ de/dokument/1422601.html, Zugriff 27.3.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/venezuela, Zugriff 27.3.2018

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395683.html, Zugriff 27.3.2018

12. Meinungs- und Pressefreiheit

Die Sicherheitskräfte haben 2017 mehrerer Journalisten verhaftet, verhört und die Ausrüstung konfisziert. Einige internationale Journalisten wurden von der Einreise ausgeschlossen oder wurden festgenommen, nachdem sie über regierungsfeindliche Proteste oder die Gesundheitskrise berichtet hatten (HRW 18.1.2018).

Die Maduro-Regierung unterhält eine staatliche Kommunikationsinfrastruktur, die dazu dient, ihr politisches und ideologisches Programm zu propagieren. Gesetze wie das Gesetz über die soziale Verantwortung von Radio und Fernsehen aus dem Jahr 2004 geben der Regierung die Befugnis, Medieninhalte zu kontrollieren. Da es der Justiz und den Regulierungsbehörden an politischer Unabhängigkeit mangelt, wird der rechtliche Rahmen effektiv genutzt, um Medieninhaber oder Journalisten, die von der Führung als Gegner wahrgenommen werden, zu kontrollieren oder zu bestrafen. Kritische Medien sehen sich auch mit Schikanen in Form von Steuerstrafen, Beschlagnahme von Geräten und Rücknahme staatlicher Werbung konfrontiert. Eine Reihe von privaten Nachrichtenagenturen haben in den letzten Jahren unter finanziellem Druck den Eigentümer gewechselt, und ihre Berichterstattung wurde in der Folge für die Behörden gefälliger. Behinderung, Einschüchterung, physische Übergriffe, Beschlagnahmung von Ausrüstungsgegenständen sowie Festnahmen und Verhaftungen von Medienschaffenden wurden 2017 fortgesetzt. Journalisten, die über die Gouverneurswahlen im Oktober berichten wollten, wurde Berichten zufolge der Zugang zu den Wahllokalen verwehrt (FH 1.2018).

Das Büro des Sonderberichterstatters für Meinungsfreiheit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) äußerte sich besorgt über die Schließung von 50 Radiosendern durch die nationale Telekommunikationskommission. Auch andere Medien sahen sich der Gefahr der Schließung ausgesetzt, obwohl der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil aus dem Jahr 2015 erklärt hat, dass solche Schließungen die Meinungsfreiheit verletzen. Die Regierung ordnete die Entfernung einiger ausländischer Nachrichtensender wie CNN, RCN und CARACOL von den nationalen Fernsehkabelbetreibern an. (AI 22.2.2018).

Kritische Medien existieren, aber sie haben keinen Zugang zu öffentlichen Informationsquellen. Kamerateams, die versuchen, Protestszenen aufzuzeichnen, oder Reihen von Menschen, die auf eine Gelegenheit warten, Lebensmittel zu kaufen, werden von Sicherheitskräften angegriffen, und Verleumdungsgesetze werden benutzt, um Medienorganisationen einzuschüchtern. Infolgedessen ist die Selbstzensur weit verbreitet. Die Printmedien spiegeln eine Vielzahl von Meinungen wider, während die Rundfunkmedien unter dem überwältigenden Einfluss der Regierung stehen, nicht zuletzt aufgrund der häufigen, obligatorisch zu verlautbarenden Ankündigungen des Präsidenten (BTI 2018).

Laut Reporter ohne Grenzen rangiert Venezuela im Pressefreiheitsindex 2017 auf Platz 137 von 180 Ländern (RSF o.D.)

Das Gesetz sieht Rede- und Pressefreiheit vor, aber die Kombination von Gesetzen und Vorschriften über Verleumdung und Medieninhalte sowie rechtliche Schikanen und körperliche Einschüchterung von Personen und Medien führte zu einer erheblichen Unterdrückung dieser Freiheiten. Nationale und internationale Gruppen wie die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IACHR), das UN-Menschenrechtskomitee, Freedom House, die Inter American Press Association, Reporter ohne Grenzen und das Komitee zum Schutz von Journalisten verurteilten oder äußerten ihre Besorgnis über die Bemühungen der Regierung, die Pressefreiheit einzuschränken und ein Klima der Angst und Selbstzensur zu schaffen. Die Exekutive übte eine breite Kontrolle über das Internet durch die staatliche CONATEL (National Telecommunications Commission) aus. Es wird berichtete, dass CONATEL die Überwachung der privaten Kommunikation und die Verfolgung von Internetnutzern unterstützt, die online abweichende Meinungen äußerten. Medienberichten zufolge warfen Nutzer sozialer Netzwerke CONATEL vor, ihre Online-Aktivitäten zu überwachen und identifizierende Informationen an die Geheimdienste weiterzugeben (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

-

AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425691.html, Zugriff 26.3.2018

-

BTI - Bertelsmann Transformations Index (2018): Venezuela Country Report, https://www.btiproject.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/VEN/, Zugriff 26.3.2018

-

HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Venezuela, https://www.ecoi.net/ de/dokument/1422601.html, Zugriff 27.3.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/venezuela, Zugriff 26.3.2018

-

RSF - Reporters sans Frontieres (o. D.): 2017 World Press Freedom Index, https://rsf.org/en/ranking, Zugriff 26.3.2018

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395683.html, Zugriff 27.3.2018

13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

13.1. Versammlungsfreiheit

Die venezolanischen Sicherheitskräfte haben zusammen mit bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen, die "Colectivos" genannt werden, gewalttätige Angriffe auf regierungsfeindliche Proteste unternommen (HRW 18.1.2018).

Staatlich angegliederte Colectivos begehen routinemäßig ungestraft Gewaltakte gegen Zivilisten, insbesondere bei Protesten gegen die Regierung. Behörden gaben Erklärungen ab, dass sie das Wahlverhalten der Bürger überwachen könnten. Obwohl die Freiheit der friedlichen Versammlung in der Verfassung garantiert ist, ist dieses Recht in der Praxis nicht geschützt. Weit verbreitete Proteste gegen die Regierung im Jahr 2017 wichen gewalttätigen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften, die zu über 1.900 Verletzten führten. Nach Angaben der

Nichtregierungsorganisation (NGO) Foro Penal sind zwischen April und September 136 Menschen ums Leben gekommen, von denen mindestens 102 offenbar direkt von Sicherheitskräften oder staatlich organisierten Colectivos getötet wurden (FH 1.2018).

Es gab auch Berichte aus der Staatsanwaltschaft, dass Gruppen von Bewaffneten mit Unterstützung oder Duldung der Regierung gewalttätige Aktionen gegen Demonstranten durchgeführt haben (AI 22.2.2018).

Die Verfassung sieht Versammlungsfreiheit vor, aber die Regierung hat sie deutlich eingeschränkt. Gesetze über politische Parteien, öffentliche Versammlungen und Manifestationen sowie das Organisationsgesetz für den Polizeidienst und das Nationale Bolivarische Polizeikorps regeln das Versammlungsrecht. Menschenrechtsgruppen kritisierten weiterhin solche Gesetze, die es der Regierung ermöglichen, Demonstranten wegen ihrer Teilnahme an friedlichen Demonstrationen schwerer Verbrechen anzuklagen (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425691.html, Zugriff 26.3.2018

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HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Venezuela, https://www.ecoi.net/ de/dokument/1422601.html, Zugriff 27.3.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/venezuela, Zugriff 26.3.2018

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395683.html, Zugriff 27.3.2018

13.2. Vereinigungsfreiheit

Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit und die Freiheit von politischer Diskriminierung vor, aber die Regierung hat diese Rechte nicht respektiert (USDOS 3.3.2017), sondern ist zu offener Repression übergegangen (BTI 2018).

Quellen:

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BTI - Bertelsmann Transformations Index (2018): Venezuela Country Report, https://www.btiproject.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/VEN/, Zugriff 28.3.2018

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395683.html, Zugriff 27.3.2018

13.3. Opposition

Das Parteiensystem hat unter Präsident Hugo Chávez (verstorben 2013) einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Auf der einen Seite steht die Regierungskoalition Gran Polo Patriótico (GPP). Diese wird dominiert von der Anfang 2008 durch Chávez gegründeten PSUV (Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas/Partido Socialista Unido de Venezuela). Außerdem gehören dazu: die kommunistische PCV, Podemos, Tupamaros und mehrere Splitterparteien. Die kritische, linksradikale Strömung "Marea Socialista" wurde im November 2014 aus der PSUV ausgeschlossen. Auf der Oppositionsseite hat sich 2010 die Sammlungsbewegung MUD (Tisch der demokratischen Einheit/Mesa de la Unidad Democrática) zusammengefunden. Zu ihr gehören unter anderem eine der beiden traditionellen Parteien der Ära vor Chavez, Acción Democrática (AD) sowie die jüngeren Parteien Primero Justicia (PJ), Voluntad Popular (VP) und Un Nuevo Tiempo (UNT). Außerdem gibt es eine Reihe unabhängiger Politiker und Parteien, die beiden Lagern kritisch gegenüber stehen (Auswärtiges Amt 10.2017a).

Willkürliche Verhaftungen von Demonstranten, Journalisten und Aktivisten sind üblich (BTI 2018). Mitglieder der Opposition werden weiterhin schikaniert, inhaftiert und anderweitig daran gehindert, am politischen Prozess teilzunehmen. In den letzten Jahren hat die Regierung wiederholt illegal abgefangene Gespräche von Oppositionellen ausgestrahlt (FH 1.2018).

Oppositionskandidaten hatten in der Regel keinen Zugang zu Sendezeiten in den Medien. PSUV- Funktionäre drohten mit Gewalt gegen Oppositionelle und deren Anhänger. Oppositionsparteien operierten in einer restriktiven Atmosphäre, die durch Einschüchterung, die Androhung von Strafverfolgung oder Verwaltungsstrafen wegen fragwürdiger Anschuldigungen und einen sehr eingeschränkten Zugang zu den Massenmedien gekennzeichnet war (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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Auswärtiges Amt (10.2017a): Venezuela, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/venezuela-node/-/225028, Zugriff 28.3.2018

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BTI - Bertelsmann Transformations Index (2018): Venezuela Country Report, https://www.btiproject.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/VEN/, Zugriff 28.3.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/venezuela, Zugriff 26.3.2018

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395683.html, Zugriff 27.3.2018

18.2. Kinder

Die Nahrungsmittel- und Gesundheitskrisen verschärften sich weiter und betrafen vor allem Kinder, chronisch Kranke und Schwangere (AI 22.2.2018).

Die Staatsbürgerschaft begründet sich aus der Geburt innerhalb des Landes. Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung beträgt 18 Jahre für Frauen und Männer, mit Zustimmung der Eltern jedoch 16 Jahre für Frauen und Männer. Nach Angaben von UNICEF und Nichtregierungsorganisationen, die mit Kindern und Frauen arbeiten, kam es zu Kindesmissbrauch, einschließlich Inzest, der jedoch nur selten gemeldet wurde. Laut einer Umfrage des Nationalen Instituts für Statistik waren 5% der Opfer von sexuellem Missbrauch Kinder. Obwohl die Justiz gehandelt hat, um Kinder aus missbrauchten Haushalten zu schützen, berichtete die Presse, dass die öffentlichen Einrichtungen für diese Kinder unzureichend seien. Das Gesetz verbietet die Zwangsprostitution sowie die Herstellung und den Verkauf von Kinderpornographie. Führende Rechtsanwälte und die Presse schätzten, dass 10.000 Kinder auf der Straße lebten. Das Gesetz legt das Mindestbeschäftigungsalter auf 14 Jahre fest. Kinder unter 14 Jahren dürfen nur mit besonderer Genehmigung des Nationalen Instituts für Minderjährige oder des Arbeitsministeriums arbeiten. Kinder im Alter von 14 bis 18 Jahren dürfen nicht ohne Erlaubnis ihrer Erziehungsberechtigten oder in gesetzlich ausdrücklich verbotenen Berufen arbeiten, und sie dürfen nicht mehr als sechs Stunden pro Tag oder 30 Stunden pro Woche arbeiten. Minderjährige unter 18 Jahren dürfen nicht außerhalb des normalen Arbeitstages arbeiten (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425691.html, Zugriff 26.3.2018

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395683.html, Zugriff 27.3.2018

21. Grundversorgung und Wirtschaft

Venezuela befindet sich seit 2014 in einer Rezession. Nach einem Rückgang des BIP um 7% im Jahr 2015 und 18% 2016 wurde für 2017 ein Schrumpfen um weitere 7% erwartet. Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sind knapp und für weite Teile der Bevölkerung unerschwinglich. Das Gesundheitssystem leidet unter einem dramatischen Mangel an Medikamenten und anderen medizinischen Gütern. Ersatzteile für die (kritische) Infrastruktur fehlen. Die Inflation betrug im Jahr 2016 etwa 254,9% und wird 2017 nach Schätzungen zwischen 800% und 1000% liegen. Die Arbeitslosenquote lag nach Schätzungen des GTAI 2016 bei 21,2%. Hinzu kommt ein hoher Anteil informeller Beschäftigungsverhältnisse. Die Wettbewerbsfähigkeit der Nicht-Ölsektoren leidet unter hohen Lohnstückkosten durch die überbewertete Landeswährung und die Inflation. Versuche, die venezolanische Wirtschaft zu diversifizieren und so die Abhängigkeit vom Öl zu verringern, waren daher bisher erfolglos. Die Unternehmen werden durch Devisen- und Ersatzteilmangel massiv in ihrer Tätigkeit eingeschränkt (Auswärtiges Amt 11.2017b).

Die Venezolaner litten unter einer sich verschärfenden humanitären Krise, die durch akuten Nahrungsmittel- und Medikamentenmangel gekennzeichnet war. Anhaltende Devisen- und Importbeschränkungen haben die armen und bürgerlichen Venezolaner stark getroffen und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise verschärft, während Elitegruppen und bevorzugte Einheiten wie das Militär von Ausnahmen und Privilegien profitieren. Die Beschäftigten haben das gesetzliche Recht, Gewerkschaften zu gründen, Tarifverhandlungen zu führen und zu streiken, wobei die Streikfähigkeit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst eingeschränkt ist. Die Kontrolle über die Gewerkschaften hat sich von traditionellen oppositionellen Gewerkschaftsführern zu neuen Arbeiterorganisationen verlagert, die oft mit der Regierung verbunden sind. Das hat zu einer erheblichen Zunahme der Gewalt gegen Arbeitskräfte beigetragen (FH 1.2018).

Die schwere Wirtschaftskrise verursacht Versorgungsschwierigkeiten und -engpässe. Auch Güter des täglichen Bedarfs und Medikamente sind oft über längere Zeiträume nicht verfügbar (EDA 27.2.2018)

Der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) hat die Situation in Venezuela als "katastrophal" bezeichnet. Er betonte, dass das Maduro-Regime internationale Hilfe nicht zulässt und das WFP allerdings in keinem Land tätig werden kann, wenn dies die dortige Regierung nicht genehmigt (latina-press 8.3.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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