TE Lvwg Erkenntnis 2020/1/23 LVwG-AV-584/001-2019

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Veröffentlicht am 23.01.2020
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Entscheidungsdatum

23.01.2020

Norm

KanalG NÖ 1977 §13 Abs1
BAO §260 Abs1 litb

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch die Richterin HR Dr. Grassinger über die als „Berufung“ bezeichnete Beschwerde von Herrn A, ***, ***, gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde *** vom 27. März 2019, Zl. ***, mit welchem über die Berufung von Herrn A vom 07.02.2019 gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde *** vom 29.12.2010, Zl. EDV-Nr.: ***, betreffend die Vorschreibung der Kanalbenützungsgebühr für die Liegenschaft ***, ***, durch „Zurückweisung“ der „Berufung“ (als nicht fristgerecht eingebracht) entschieden wurde, wie folgt:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Der Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde *** vom 27. März 2019, Zl. ***, wird aufgehoben.

Die ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis an den Verwaltungsgerichtshof ist nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 289 Bundesabgabenordnung (BAO)

§ 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) iVm

Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde *** vom 27.03.2019, Zl. ***, wurde über die Berufung von Herrn A vom 07.02.2019 gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde *** vom 29.12.2010, EDV-Nr.: ***, betreffend die Kanalbenützungsgebühr für die Liegenschaft ***, ***, auf Grund der Beschlussfassung des Gemeindevorstandes in der Sitzung vom 18.03.2019 dahingehend entschieden, dass gemäß § 260 Abs. 1 lit. b iVm § 288 Bundesabgabenordnung (BAO) die Berufung als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen wurde.

Begründend wurde in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Gemeinde ***, EDV-Nr.: ***, vom 29.12.2010, nachweislich zugestellt am 31.12.2010, die Kanalbenützungsabgabe (Kanalbenützungsgebühr) für die Liegenschaft ***, ***, festgesetzt worden sei. Da Regenwässer eingeleitet worden seien, sei ein um 10 % erhöhter Tarif zur Anwendung gekommen. Gegen diesen Bescheid habe Herr A als Bescheidempfänger am 07.02.2019 Berufung eingebracht, die am 08.02.2019 im Gemeindeamt *** eingelangt sei.

Nach Hinweisen auf § 108 Abs. 2 BAO und § 16 Abs. 1 und 2 Zustellgesetz wurde in dieser Entscheidung ausgeführt, dass, da der Bescheid am 31.12.2010 nachweislich von der Gattin des nunmehrigen Einschreiters übernommen worden sei, dieser gemäß Zustellgesetz als zugestellt gelte. Letzter Tag der Berufungsfrist sei daher gemäß § 108 Abs. 2a BAO der 31.01.2011 gewesen und hätte die Berufung spätestens bis zu diesem Tag eingebracht werden müssen. Da die Berufung erst am 08.02.2019 eingelangt sei, erweise sich die Einbringung als verspätet.

Die vom Gemeindevorstand der Gemeinde *** als Berufung gewertete Eingabe des Beschwerdeführers vom 07.02.2019, welche die Berufungsbehörde ihrer oben bezeichneten Entscheidung zu Grunde legte, lautet wie folgt:

„Betrifft: Liegenschaft ***

           Kanalbenützungsgebühr

           Abgabenbescheid vom 29.12.2010

Sehr geehrte Frau B!

Im Zuge der Neuerrichtung der Dorfstraße ist mir aufgefallen, dass sämtliche Regenwasseranschlüsse der Dachrinnen betreffend die Liegenschaft *** in einen Privatkanal abgeleitet werden.

Im o.a. Abgabenbescheid wurde mir ein um 10% erhöhter Tarif vorgeschrieben, mit der Begründung, dass Regenwasser in den Fäkalienkanal eingeleitet werden. Da dies nach meiner obigen Darstellung nicht zutrifft, ersuche ich um Neuberechnung der Gebühr für Schmutzwasserentsorgung und um Zusendung eines neuen Abgabenbescheides.

Bei Rückfragen bin ich gerne unter der Telefonnummer *** erreichbar.

In Erwartung der positiven Erledigung verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

A“

Der Beschwerdeführer führte in der als „Berufung“ bezeichneten Beschwerde gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde *** wörtlich Folgendes aus:

„Betrifft: Berufung gegen Bescheid vom 27.3.2019

           AZ: ***

           Kanalbenützungsgebühr Liegenschaft ***, Abgabenbescheid vom 29.12.2010

           Berufungsentscheidung

Ich, A, erhebe binnen offener Frist gegen o.a. Bescheid das Rechtsmittel der Berufung und begründe diese wie folgt:

Die Liegenschaft *** wurde von mir im Jahr 1999 käuflich erworben.

Im Jahr 2007 wurde von der Gemeinde *** durch eine Hausbegehung festgestellt, dass die Regewässer o.a. Liegenschaft in den öffentlichen Kanal eingeleitet werden. Durch den Abgabenbescheid vom 27.3.2008 kommt ein um 10% erhöhter Tarif zur Anwendung (siehe Anlage). Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Liegenschaft von mir, wie bereits anfangs erwähnt, käuflich erworben wurde und mir die unterirdische Kanalsituation nicht bekannt war. In der Annahme der Richtigkeit dieser Feststellung seitens der Gemeinde wurde meinerseits zum damaligen Zeitpunkt kein Einspruch erhoben.

Am 29.12.2010 erging neuerlich ein Abgabenbescheid betreffend Schmutzwasserkanalgebühren der Liegenschaft *** wegen Erhöhung des Einheitssatzes (siehe Anlage). Es kommt weiterhin ein um 10% erhöhter Tarif zur Anwendung. Da sich seit dem Jahr 2007 die Kanalsituation nicht geändert hat, erhebe ich auch gegen diesen Abgabenbescheid keinen Einspruch.

Im Jahr 2017/2018 wird die *** saniert und erneuert. Dadurch kommt es zu umfangreichen Aufgrabungsarbeiten. Erst im Zuge dieser Grabungsarbeiten war ersichtlich, dass die Regenwässer der Liegenschaft *** nicht in den Schmutzwasserkanal der Gemeinde eingeleitet, sondern durch einen privaten Regewasserkanal, welcher in den *** mündet, entwässert werden.

Ich möchte nochmals festhalten, dass die Hausbegehung im Jahr 2007 seitens der Gemeinde nur visuell erfolgt ist und es daher oberflächlich nicht ersichtlich war, wie das Regenwasser o.a. Liegenschaft entwässert wird. Es war eine einseitige Feststellung der Gemeinde, dass dem so ist und ich sah keinen Anlass, dieses zu widerlegen. Erst die Grabungsarbeiten im Jahr 2017/2018 legten offen, dass bezüglich der Niederschlagswasser keine gemeindeeigenen Kanäle in Anspruch genommen werden und daher zu Unrecht der erhöhte Tarif zur Anwendung kommt.

Daher stelle ich den

Antrag

auf Wegfall des um 10 % erhöhten Tarifs hinsichtlich der Kanalbenützungsgebühren für Schmutzwasserentsorgung und um Ausstellung eines neuen Abgabenbescheides.

Mit freundlichen Grüßen

A“

Von folgendem, als feststehend anzusehendem, Sachverhalt war auszugehen:

Der Entscheidung des Gemeindevorstandes der Gemeinde *** vom 27.03.2019, AZ: ***, lag entsprechend dem vorliegenden Protokoll betreffend die Sitzung des Gemeindevorstandes vom 18.03.2019 (TOP 6) eine entsprechende Beschlussfassung zu Grunde.

Die in Beschwerde gezogene Entscheidung des Gemeindevorstandes der Gemeinde *** vom 27.03.2019, AZ: ***, wurde dem Beschwerdeführer durch Ausfolgung an die Mitbewohnerin an die Abgabestelle (Ehegattin) am 05.04.2019 zugestellt.

Die als „Berufung“ bezeichnete Beschwerde ist am 25.04.2019 in der Gemeinde *** eingelangt, weshalb (wenn auch ein Nachweis betreffend die Einbringung des Rechtsmittels dem Abgabenakt nicht zu entnehmen ist) von einer fristgerechten Einbringung der Beschwerde auszugehen war.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Schriftsatz vom 07.02.2019 nicht einen Antrag auf Aufhebung oder Abänderung des Abgabenbescheides erster Rechtsstufe vom 29.10.2010 gestellt. Vielmehr hat er einen Antrag „auf Neuberechnung der Gebühr für Schmutzwasserentsorgung und auf Zusendung eines neuen Abgabenbescheides“ gestellt.

Ein Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz in Bezug auf diesen Antrag laut Schriftsatz des Einschreiters vom 07.02.2019 wurde nicht erlassen.

Dieser entscheidungswesentliche Sachverhalt stand bereits auf Grund des Inhaltes des vorgelegten Abgabenaktes unzweifelhaft fest.

In rechtlicher Hinsicht wurde hierüber erwogen:

Bundesabgabenordnung (BAO):

§ 1. 1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.

§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …

§ 92. (1) Erledigungen einer Abgabenbehörde sind als Bescheide zu erlassen, wenn sie für einzelne Personen

a) Rechte oder Pflichten begründen, abändern oder aufheben, oder

b) abgabenrechtlich bedeutsame Tatsachen feststellen, oder

c) über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses absprechen.

(2) Bescheide bedürfen der Schriftform, wenn nicht die Abgabenvorschriften die mündliche Form vorschreiben oder gestatten.

§ 198. (1) Soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes vorgeschrieben ist, hat die Abgabenbehörde die Abgaben durch Abgabenbescheide festzusetzen.

§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

§ 288. (1) Besteht ein zweistufiger Instanzenzug für Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden, so gelten für das Berufungsverfahren die für Bescheidbeschwerden und für den Inhalt der Berufungsentscheidungen die für Beschwerdevorentscheidungen anzuwendenden Bestimmungen sinngemäß. Weiters sind die Beschwerden betreffenden Bestimmungen (insbesondere die §§ 76 Abs. 1 lit. d, 209a, 212 Abs. 4, 212a und 254) sowie § 93 Abs. 3 lit. b und Abs. 4 bis 6 sinngemäß anzuwenden.

NÖ Kanalgesetz 1977:

§ 1 Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühren

(1) Die Gemeinden werden gemäß § 8 Abs. 5 Finanzverfassungsgesetz 1948, BGBl.Nr. 45, ermächtigt, Kanalerrichtungsabgaben (Kanaleinmündungs-, Kanalergänzungs-, Kanalsonderabgabe) und Kanalbenützungsgebühren nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu erheben.

(2) Für die Erhebung der Kanalbenützungsgebühren aufgrund bundesgesetzlicher Ermächtigung (Finanzausgleichsgesetz) gelten die Bestimmungen des NÖ Kanalgesetzes 1977.

(3) Die Kanalerrichtungsabgaben und Kanalbenützungsgebühren sind in einer Kanalabgabenordnung (§ 6) näher auszuführen.

(4) Für verschiedene Kanalanlagen mit jeweils getrennten Entsorgungsbereichen in einer Gemeinde sind die Kanalerrichtungsabgaben und Kanalbenützungsgebühren verschieden hoch festzusetzen, wenn sich dies aufgrund eines unterschiedlichen Kostendeckungserfordernisses ergibt.

(5) Die Kanalerrichtungsabgaben und die Kanalbenützungsgebühren sind zweckgebundene Einnahmen, die ausschließlich für die Errichtung, für die Erhaltung und den Betrieb der Kanalanlage verwendet werden dürfen. Dies gilt nicht für die den einfachen Jahresaufwand übersteigenden Einnahmen aus den Kanalbenützungsgebühren.

§ 5. Kanalbenützungsgebühr

(1) Für die Möglichkeit der Benützung der öffentlichen Kanalanlage ist eine jährliche Kanalbenützungsgebühr zu entrichten, wenn der Gemeinderat die Einhebung einer solchen Gebühr beschlossen hat.

(2) Die Kanalbenützungsgebühr errechnet sich aus dem Produkt der

Berechnungsfläche und dem Einheitssatz zuzüglich eines schmutzfrachtbezogenen

Gebührenanteiles. Dieser wird nur dann berücksichtigt, wenn die eingebrachte

Schmutzfracht den Grenzwert von 100 Berechnungs-EGW überschreitet. Werden

von einer Liegenschaft in das Kanalsystem Schmutzwässer und

Niederschlagswässer eingeleitet, so gelangt in diesem Fall ein um 10 % erhöhter

Einheitssatz zur Anwendung.

(…)

§ 13 Abs. 1 Veränderungsanzeige

Treten nach Zustellung der Abgabenentscheidung derartige Veränderungen ein, dass die der seinerzeitigen Festsetzung der Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühr oder bei der Fäkalienabfuhrgebühr zugrunde gelegten Voraussetzungen nicht mehr zu treffen, so hat der Abgabepflichtige diese Veränderungen binnen zwei Wochen nach dem Eintritt der Veränderung bzw. nach dem bekannt werden derselben dem Bürgermeister (Magistrat) schriftlich anzuzeigen (Veränderungsanzeige).

§ 14. Abgabenbescheid

(1) Den Abgabepflichtigen ist die Abgabenschuld mit Abgabenbescheid vorzuschreiben. Durch je einen besonderen Abgabenbescheid sind vorzuschreiben:

b) die Kanalbenützungsgebühren und die Fäkalienabfuhrgebühren (§§ 5 und 8);

c) Änderungen der im Abgabenbescheid nach lit.b festgesetzten Gebühren;

...

Die in der Abgabenentscheidung festgesetzte Kanalbenützungsgebühr oder Fäkalienabfuhrgebühr ist so lange zu entrichten, so lange nicht ein neuer Abgabenbescheid ergeht.

Der Abgabenbescheid nach § 14 Abs. 1 lit. c NÖ Kanalgesetz 1977 ist insbesondere auf Grund einer in § 13 Abs. 1 leg. cit. genannten Veränderung, ferner bei Änderung der Einheitssätze, bei der Fäkalienabfuhr auch bei Änderung des Einsammlungsplanes zu erlassen.

§ 19 Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde

Die Gemeinde hat ihre in diesem Gesetz geregelten Aufgaben mit Ausnahme der Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens und des Vollstreckungsverfahrens im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen.

NÖ Gemeindeordnung 73, LGBl. 1000-0, in der Fassung LGBl. 17/2019:

Gemäß § 38 Abs. 1 Z 2 NÖ Gemeindeordnung 1978 obliegen im eigenen Wirkungsbereich dem Bürgermeister, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt wird, die Besorgung der behördlichen Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches. Die Bestimmung des § 42 Abs. 3 wird hierdurch nicht berührt.

§ 60 Instanzenzug

(1) Der Instanzenzug in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches geht

1. gegen Bescheide des Bürgermeisters (des Gemeindeamtes gemäß § 42 Abs. 3) an den Gemeindevorstand (Stadtrat),

2. gegen erstinstanzliche Bescheide des Gemeindevorstandes (Stadtrates) an den Gemeinderat

Gegen Berufungsbescheide des Gemeindevorstandes (Stadtrates) nach Z 1 ist eine weitere Berufung unzulässig.

(2) Die in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse üben aus:

1. gegenüber dem Bürgermeister und dem Gemeindeamt mit Organstellung der Gemeindevorstand (Stadtrat),

2. gegenüber dem Gemeindevorstand (Stadtrat) der Gemeinderat.

Gegen Bescheide des Gemeindevorstandes (Stadtrates) nach Z 1 ist eine Berufung unzulässig.

(3) (entfällt)

Für die Beurteilung von Anträgen kommt es nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und auf zufällige verbale Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes.

Maßgebend für die Wirksamkeit der Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteierklärungen in Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, das heißt, es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihm die Rechtsverteidigung nimmt (Hinweis RIS BAO – Kommentar 2 Rz 1 zu

§ 85 BAO und VwGH vom 28.01.2003, Zl. 2001/14/0229).

Die Eingabe des Beschwerdeführers vom 07.02.2019 konnte nach der rechtlichen Beurteilung des erkennenden Gerichtes nicht als Rechtsmittel (Berufung) des Einschreiters gegen den Bescheid vom 29.12.2010, EDV-Nr.: ***, gewertet werden.

Nach dem eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen, Inhalt dieser Eingabe, in welcher überdies in keiner Weise vom Einschreiter auf das Einbringen eines Rechtsmittels verwiesen wurde, ist im Betreff zwar der „Abgabenbescheid vom 29.12.2010“ zitiert, es wurde aber gleichzeitig expressis verbis ausgeführt, dass der Einschreiter „um Neuberechnung der Gebühr für Schmutzwasserentsorgung und um Zusendung eines neuen Abgabenbescheides“ ersuche.

Die Beurteilung dieses klar geäußerten Parteiwillens ergab somit, dass der Einschreiter nicht ein Rechtsmittel gegen den zu Grunde liegenden Abgabenbescheid vom 29.12.2010, EDV-Nr.: ***, erheben wollte, wie sich auch gleichzeitig aus seinem Vorbringen klar ergab, dass eine Aufhebung des Bescheides der Abgabenbehörde (im Sinne des § 299 Abs. 1 iVm

§ 302 Abs. 1 lit. b BAO) vom Einschreiter nicht intendiert war.

Im gegenständlichen Fall (Vorschreibung der jährlichen Kanalbenützungsgebühr für die Benützung des öffentlichen Schmutzwasserkanals – Gebühr für Schmutzwasserentsorgung und – verfahrensgegenständlich eingewendet: Einleitung der Regenwässer in den Schmutzwasserkanal) besteht gemäß § 60 NÖ Gemeindeordnung ein zweigliedriger Instanzenzug im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.

Verfahrensgegenständlich ist der Gemeindevorstand der Gemeinde *** als Berufungsbehörde eingeschritten, hat die als Berufung gewertete Eingabe (vom 07.02.2019) des nunmehrigen Beschwerdeführers als Berufung gewertet und diese als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen.

Dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ist es verwehrt, über den Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisungsentscheidung hinaus mit einer Entscheidung über den Gegenstand des Verfahrens vorzugehen, das heißt, eine Sachentscheidung über den Erstantrag (vom 07.02.2019) durch das erkennende Gericht kommt in diesem Verfahren, nicht zuletzt unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Entscheidung der Abgabenbehörde erster Rechtsstufe in Bezug auf den verfahrensgegenständlich gestellten Antrag noch nicht erlassen wurde (welche Gegenstand einer mit Beschwerde anfechtbaren Berufungsentscheidung sein konnte), nicht in Betracht.

Die Zurückweisung einer Berufung kommt gemäß § 260 Abs. 1 lit. b BAO bei der verspäteten Einbringung eines Rechtsmittels in Betracht.

Da die Eingabe des Beschwerdeführers vom 07.02.2019 nach der rechtlichen Beurteilung des erkennenden Gerichtes keine Berufung darstellt, war eine Zuständigkeit des Gemeindevorstandes der Gemeinde *** zur Entscheidung über den Antrag laut Schriftsatz vom 07.02.2019 verfahrensgegenständlich nicht gegeben, weshalb aus diesem Grund die in Beschwerde gezogene Entscheidung spruchgemäß aufzuheben war.

Unvorgreiflich einer rechtlichen Beurteilung durch den/die zuständige(n) Richter(in) in einem allfällig zur Sache in Zukunft anhängigen Beschwerdeverfahren ist generell wie folgt auszuführen:

Die Kanalbenützungsgebühr ist durch einen Abgabenbescheid als Jahresbetrag festzusetzen. Die festgesetzte jährliche Kanalbenützungsgebühr ist zu den in der Kanalabgabenordnung festgelegten Zahlungsterminen zu entrichten.

Der festgesetzte Jahresbetrag ist auch in den Folgejahren so lange zu entrichten, bis eine Neufestsetzung erfolgt. Eine Neufestsetzung darf nur erfolgen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Darunter fällt eine Änderung der Berechnungsgrundlage, das heißt, entweder eine Änderung der Berechnungsfläche oder des Einheitssatzes bzw. der für die Festsetzung des schmutzfachbezogenen Anteiles maßgeblichen Grundlagen. Ohne tatsächliche Änderung der Berechnungsgrundlagen wäre eine Neufestsetzung unzulässig, da dieser die Bindungswirkung des früheren Bescheides entgegensteht (vgl. § 14 NÖ Kanalgesetz 1977 – Niederösterreichisches Kanalgesetz, kommentierte Ausgabe von

Mag. Thomas Mayer, Gemeindenverlag, Stand: Oktober 2017,

Anmerkung zu § 5, Seite 48).

Nach Maßgabe des Ausgeführten ist durch den Bürgermeister der Gemeinde *** als Abgabenbehörde erster Rechtsstufe über den vom Beschwerdeführer eingebrachten Antrag vom 07.02.2019 zu entscheiden.

Maßgeblich zu prüfen sein wird dabei, ob die vom Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 07.02.2019 – und auch in den Beschwerdeausführungen – dargestellte Sachverhaltslage dergestalt war, dass eine Einleitung der Regenwässer in den öffentlichen Schmutzwasserkanal bereits im Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Abgabenfestsetzung laut Abgabenbescheid vom 29.12.2010, EDV-Nr.: ***, bestanden hat. Diesfalls hätte sich keine Änderung seit der letzten Abgabenfestsetzung bis dato (auch nicht in Bezug auf den Hebesatz betreffend die Einleitung der Regenwässer in den Schmutzwasserkanal) ergeben und wäre nach der rechtlichen Beurteilung der im gegenständlichen Verfahren zur Entscheidung berufenen Richterin mit einer Zurückweisung des Antrages (und einer Neufestsetzung mit Bescheid zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich bei Eintreten einer der oben bezeichneten Voraussetzungen, nämlich einer Änderung der Abgabe oder einer Änderung der Fläche) vorzugehen.

Ist die Änderung in der Beschaffung der Einleitung der Regenwässer in den Schmutzwasserkanal am gegenständlichen Grundstück nach Erlassung des Abgabenbescheids vom 29.12.2010, EDV-Nr.: ***, eingetreten, so kann nach der Beurteilung der verfahrensgegenständlich zur Entscheidung berufenen Richterin diesfalls (unter Wertung des Schriftsatzes vom 07.02.2019 als Veränderungsanzeige im Sinne des § 13 NÖ Kanalgesetz 1977) durch Neufestsetzung der Abgabe unter Berücksichtigung des neuen Sachverhaltes (Änderung der Abgabe durch Wegfall des Hebesatzes) vorgegangen werden.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs. 1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer nicht beantragt. Weiters war aus dem vorgelegten Verwaltungsakt nicht ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten ließe und standen dem Art. 6 ERMK bzw. Art. 47 GRC nicht entgegen.

Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine

Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche

Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche

Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Finanzrecht; Kanalbenützungsgebühr; Verfahrensrecht; Berufung; Zurückweisung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.584.001.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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