TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/9 W192 2218175-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W192 2218175-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.03.2019, Zahl: 1183251602-180213998, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., §§ 9, 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG i. d. g.

F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein ukrainischer Staatsangehöriger, stellte nach legaler Einreise am 03.03.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Anlässlich der am gleichen Tag abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der ukrainischen Volksgruppe an, bekenne sich zum katholischen Glauben, sei verheiratet, habe im Herkunftsstaat die Grund- und Berufsschule besucht und zuletzt im Bereich der Gebäudeisolierung gearbeitet. Im Herkunftsstaat hielten sich noch die Mutter, vier volljährige Halbgeschwister sowie zwei minderjährige Kinder des Beschwerdeführers aus erster Ehe auf. Seine nunmehrige Ehefrau lebe seit 18 Jahren in Österreich. Der Beschwerdeführer stamme aus einem Ort im Nordwesten der Ukraine und habe den Herkunftsstaat Ende Februar 2018 legal unter Mitführung seines ukrainischen Reisepasses verlassen. Zum Grund seiner Flucht gab der Beschwerdeführer an, seit 2014 im Krieg in der Ostukraine gegen die prorussische Armee gekämpft zu haben. 2015 seien seine Daten sowie die Daten anderer Soldaten im Internet veröffentlicht worden, was ihn angreifbar für die prorussische Armee gemacht hätte. Der Kommandeur einer Stadt im Oblast Donezk habe auf den Beschwerdeführer ein Kopfgeld in der Höhe von USD 70.000,- ausgesetzt. Der Beschwerdeführer werde von der prorussischen Armee verfolgt und fürchte um sein Leben. Heute seien einige Kameraden in Kiev von der Polizei zusammengeschlagen und verhaftet worden, da sie verlangt hätten, dass die Polizei ihre Arbeit erledige und gegen Korruption und illegale Machenschaften vorginge. Sichergestellt wurde der im Februar 2018 ausgestellte ukrainische Reisepass des Beschwerdeführers.

Am 18.09.2018 wurde der Beschwerdeführer nach Zulassung seines Verfahrens niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Eingangs erklärte der Beschwerdeführer, er sei gesund, benötige keine Medikamente, fühle sich zur Durchführung der Einvernahme psychisch und physisch in der Lage und habe bislang der Wahrheit entsprechende Angaben erstattet, welche korrekt protokolliert und rückübersetzt worden seien. Der Beschwerdeführer habe im Herkunftsstaat nie Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Glaubensbekenntnisses erlebt. Der Beschwerdeführer habe im Herkunftsstaat die Grundschule sowie eine Berufsschule im Bereich Bauwesen und Elektrik absolviert und verfüge über viel Erfahrung in Holzarbeiten und als Tischler. Für das Militär sei er seit Beginn der Unruhen im Jahr 2014 bis 2016 tätig gewesen. Danach sei er beim Rechten Sektor gewesen, dies seien Aktivisten und Freiwillige für die Ukraine. Bis zu seiner Ausreise hätte er auf diversen Baustellen "schwarz" gearbeitet und sei immer wieder umgezogen. Seine nunmehrige Frau habe er im Dezember 2017 in der Ukraine geheiratet, nachdem er diese ein Jahr zuvor in der Ukraine kennengelernt hätte. Vor der Hochzeit habe seine Frau in Österreich gelebt und der Beschwerdeführer in der Ukraine. Seine Frau sei dreimal auf Besuch in der Ukraine gewesen, danach sei er nach Österreich gekommen, wo er mit dieser nun zusammenlebe. Mit seiner früheren Frau, von der er seit 2005 geschieden wäre, mit der er jedoch noch bis 2014 zusammengelebt hätte, habe er zwei gemeinsame minderjährige Töchter. Zuletzt sei er in einer Stadt im Westen der Ukraine obdachlos gemeldet gewesen, zudem habe er noch ein Haus in einer näher benannten ukrainischen Stadt. Sein letzter Aufenthalt sei in Kiev gewesen. Der Beschwerdeführer habe geplant, eine offizielle Familienzusammenführung in Österreich zu beantragen, doch habe es am 03.03.2018 ein Ereignis in der Ukraine gegeben, das ihn dazu gezwungen hätte, in Österreich um Asyl anzusuchen. Der Beschwerdeführer habe mit Freunden in der Ukraine Kontakt, nicht jedoch mit seinen dort lebenden Familienangehörigen. Er fürchte, im Falle einer Rückkehr in die Ukraine entweder von der Polizei selbst oder in deren Auftrag ermordet oder verhaftet zu werden. In Österreich lebe der Beschwerdeführer durch Unterstützung seiner Gattin und ihres volljährigen Sohnes, welcher mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt wohne, und bemühe sich um eine Integration.

Der Beschwerdeführer brachte seinen ukrainischen Milizausweis, einen ukrainischen Strafregisterauszug, seinen Arbeitsvertrag mit dem ukrainischen Militär, Kopien seines ukrainischen Führerscheins und seiner ukrainischen Geburtsurkunde, Bestätigungen durch das ukrainische Innenministerium sowie ein Konvolut an Internetauszügen und Ablichtungen von Schriftverkehren in Vorlage.

Anlässlich einer ergänzenden Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.09.2018 führte der Beschwerdeführer zu den Gründen seiner Flucht zusammengefasst aus, er sei als Soldat in einem die Nationalgarde unterstützenden Sonderbataillon im Osten der Ukraine stationiert gewesen, dessen Aufgabe es gewesen sei, Gebäude zu stürmen und die Polizei zu unterstützen. Im Sommer 2014 sei er an einem Checkpoint durch Separatisten festgenommen worden, nachdem er versucht hätte, sich diesen gegenüber als aus der Ukraine flüchtender Russe auszugeben. Der Beschwerdeführer sei zunächst für einige Stunden in einem Keller angehalten und misshandelt worden, daraufhin hätte man ihn zur Polizei in einer näher bezeichneten Stadt gebracht, welche ihn niedergeschlagen hätte. Der Beschwerdeführer habe dann den namentlich genannten Leiter der Separatisten und einem Mann namens A. erkannt, welche ihn befragt hätten. Der Beschwerdeführer habe die Männer überzeugen können, dass er nicht mehr für die ukrainische Nationalarmee dienen und nach Russland fliehen wolle. Der Beschwerdeführer habe dann von dem erwähnten Leiter der Separatisten den Auftrag erteilt bekommen, Menschen zu finden, die nicht mehr für die Ukraine arbeiten wollen und ihm nach drei Tagen eine diesbezügliche Liste zu bringen. Diese drei Tage hätte sein Bataillon genützt, um Unterstützung durch die Ukraine zu erhalten; an dem Treffpunkt hätten sie dann acht Separatisten bekämpft, woraufhin der Leiter der Separatisten ein Kopfgeld von 70.000,- USD auf den Beschwerdeführer ausgesetzt hätte. Dies hätte er im Mai 2015 von einem Kommandanten erfahren, welcher den Auftrag gehabt hätte, ihn zu erschießen. Der Beschwerdeführer habe sich im Anschluss in einem näher genannten Dorf versteckt und gleichzeitig gekämpft. Männer aus seinem Bataillon seien umgebracht worden und offiziell als Unfall oder Selbstmord dargestellt worden. Befragt, ob er damit meine, dass die ukrainische Regierung bzw. Polizei von den ehemaligen Separatisten unterwandert sei und er keinen Schutz von der Polizei zu erwarten könne, bejahte der Beschwerdeführer dies; es passiere eine Art Säuberung, die Mitglieder des Bataillons würden alle aus dem Weg geräumt. Der Name des Beschwerdeführers scheine auch auf Separatistenseiten im Internet auf. Der Beschwerdeführer habe bis 2016 gekämpft. A. und andere Milizen hätten nunmehr leitende Positionen in der Ukraine; A. leite eine Sondereinheit, habe einen sehr hohen militärischen Posten inne und habe mehrmals Orden verliehen bekommen. Nachdem der Beschwerdeführer A. auf Facebook als Verräter bezeichnet hätte, sei er durch den Sohn des Staatsanwaltes kontaktiert und gefragt worden, ob er eine Aussage gegen A. machen wolle, was der Beschwerdeführer abgelehnt hätte. A. werde von der ukrainischen Regierung geschützt. Auf Vorhalt, dass die Ukraine als sicherer Herkunftsstaat gelte, was eine Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der dortigen Behörden voraussetze, erwiderte der Beschwerdeführer, er brauche kein Asyl, sondern nur Zeit bis diese Leute aus dieser Funktion verschwänden. Auf Vorhalt, dass der Beschwerdeführer trotz des ausgesetzten Kopfgeldes zwei Jahre lang in der Ukraine gelebt hätte, wiederholte dieser, er habe nicht um Asyl ansuchen, sondern nur hier arbeiten wollen. Der Vorfall auf dem Maidan habe ihn jedoch so sehr erschüttert, dass er um Asyl angesucht hätte. Darauf angesprochen, dass er nichtsdestotrotz Kontakt zur (ukrainischen) Polizei und anderen Behörden gehabt hätte, gab der Beschwerdeführer an, er habe sich seinen Reisepass über einen Freund und mit Schmiergeld besorgt. Der Reisepass sei vielleicht deshalb so leicht zu bekommen gewesen, da sie ihn loswerden wollten. Der Beschwerdeführer werde nur von einer Person verfolgt, nämlich von A. Wenn dieser nicht mehr in seiner jetzigen Position sei, könne der Beschwerdeführer in die Ukraine zurückkehren. Im Falle einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer entweder zusammengeschlagen oder getötet werden. Früher habe er geschwiegen, aber seit er öffentlich seine Meinung gesagt hätte, werde er nicht in Ruhe gelassen.

Ebenfalls am 25.09.2018 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Befragung der Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin statt. Diese wies sich durch ihre im Juli 2018 ausgestellte "Rot-Weiß-Rot-Karte Plus" aus und gab zusammengefasst an, sie habe den Beschwerdeführer Ende Jänner 2018 in der Ukraine geheiratet, nachdem sie diesen im Sommer 2017 im Zuge eines Besuchs in ihrem Herkunftsstaat kennengelernt hätte. Im Dezember 2017 hätten sie die Entscheidung getroffen, zu heiraten und gemeinsam in Österreich zu leben. Seit der Beschwerdeführer in Österreich sei, bestünde ein gemeinsamer Haushalt. Über die Probleme, welche der Beschwerdeführer in der Ukraine gehabt hätte, habe die Zeugin keine näheren Informationen.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.), weiters wurde einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit sowie die Identität und die legale Ausreise des Beschwerdeführers aus der Ukraine fest. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sein würde. Eine Verfolgung durch die pro-russische Armee innerhalb der Ukraine habe ebensowenig wie eine Verfolgung durch die ukrainische Regierung festgestellt werden können.

Zum vom Beschwerdeführer dargelegten Fluchtgrund wurde beweiswürdigend im Wesentlichen erwogen, dass dessen Angaben hinsichtlich seiner Tätigkeit beim Sonderbataillon D. und seines Kontakts zu einer Separatistengruppe im Osten der Ukraine angesichts seiner detaillierten Angaben Glauben geschenkt werde. Demgegenüber könne seinen Angaben hinsichtlich einer Verfolgung durch den von ihn erwähnten Mann A. respektive durch die ukrainische Regierung kein Wahrheitsgehalt beigemessen werden. Dem Beschwerdeführer sei es nämlich möglich gewesen, sich zumindest zweieinhalb weitere Jahre im Heimatland aufzuhalten, ohne dass es zu relevanten Vorkommnissen oder Bedrohungen seiner Person gekommen wäre. Dieser Teil seines Vorbringens ab dem behaupteten, jedoch durch keine Beweismittel untermauerten, Aussetzen eines Kopfgeldes sei verglichen mit der Vorgeschichte von wenigen Details erfüllt gewesen und sei trotz Nachfragen nicht ausreichend substantiiert worden. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgungshandlungen gegen Familienangehörige behauptet und es sei ihm möglich gewesen, sich ohne Probleme einen ukrainischen Reisepass ausstellen zu lassen, was bei einer tatsächlichen Verfolgung seiner Person durch die dortige Regierung nicht möglich gewesen wäre. Laut seinen Angaben hätte der Beschwerdeführer im Jahr 2017 Probleme mit der ukrainischen Polizei wegen des illegalen Verkaufs von Zigaretten gehabt; im Falle einer tatsächlichen Verfolgung wäre er jedoch sofort verhaftet und nicht mehr entlassen worden. Zum vom Beschwerdeführer vorgelegten Facebook-Protokoll, aus dem hervorginge, dass der Beschwerdeführer A. als Verräter bezeichne, sei anzuführen, dass im Internet zahlreiche Berichte über A. bei den Separatisten auffindbar seien, sodass der Beschwerdeführer als einzelne Person, welche eine Zeugenaussage gegen A. überdies ablehne, keine Bedrohung darstelle. Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers lasse sich darauf schließen, dass dieser lediglich durch die einzelne Person des A., nicht jedoch durch den ukrainischen Staat, Verfolgung befürchte. Eine Verfolgung durch eine Privatperson stelle jedoch keinen nach der Genfer Flüchtlingskonvention relevanten Sachverhalt dar, auch zumal das Heimatland des Beschwerdeführers als sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG gelte und eine Schutzfähigkeit und -willigkeit staatlicher Behörden laut den vorliegenden Länderinformationen gegeben sei. Unter Verweis auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 25.04.2008 wäre dem Beschwerdeführer auch die Teilnahme an einem Zeugenschutzprogramm möglich. Hinsichtlich der Behauptung des Beschwerdeführers einer Unterwanderung des ukrainischen Staates durch die russische Regierung ließe sich den vorliegenden Länderinformationen zwar entnehmen, dass Korruption trotz entgegensteuernder Maßnahmen weiterhin bestehe, jedoch könne nicht angenommen werden, dass jeder Winkel der Regierung von Korruption betroffen wäre.

Auch darüber hinaus habe keine relevante Gefährdungslage des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr festgestellt werden können. Diesem drohe keine wirtschaftlich ausweglose Lage und es lägen keine körperlichen oder psychischen Erkrankungen vor, die einer Rückkehr entgegenstehen würden. Die Behörde ginge davon aus, dass dieser in Österreich lediglich deshalb um internationalen Schutz angesucht hätte, um etwaige Hürden für die Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des NAG zu umgehen. Dieser habe selbst angegeben, ursprünglich den Plan der Beantragung eines Aufenthaltstitels über die zuständige NAG-Behörde gehabt zu haben; ein dermaßen erschütterndes Ereignis am 03.03.2018, welches ihn zur Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gezwungen hätte, sei nicht ersichtlich. Die Verhaftung von Demonstranten stelle eine Maßnahme der Hoheitsgewalt dar, sei jedoch keiner staatlichen Verfolgung gleichzuhalten. Dem Beschwerdeführer seine eine Rückkehr in die Ukraine - außerhalb der Ostukraine - möglich und zumutbar, der Beschwerdeführer habe familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat und sei in der Vergangenheit in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten.

Der Beschwerdeführer lebe in Österreich gemeinsam mit seiner Ehegattin und deren Sohn, von denen er finanziell erhalten werde. Ein Zusammenleben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau bestünde erst seit seiner Einreise nach Österreich und stütze sich lediglich auf dessen anhängiges Verfahren. Dem Beschwerdeführer sei es zumutbar, in den Herkunftsstaat zurückzukehren und ein Verfahren nach dem NAG abzuwarten. Seiner Ehegattin stünde es als ukrainischer Staatsbürgerin offen, diesen im Heimatland ohne zeitliche Einschränkungen zu besuchen. Darüberhinausgehende Anknüpfungspunkte sozialer oder wirtschaftlicher Natur weise der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht auf. Der Beschwerdeführer befinde sich erst seit weniger als einem Jahr in Österreich und habe sich der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus stets bewusst sein müssen. Eine Rückkehrentscheidung begründe daher keinen unzulässigen Eingriff in dessen durch Art. 8 EMRK geschützte Rechte.

Da der Beschwerdeführer aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme und für die Behörde feststünde, dass eine Rückkehr für diesem mit keiner Verletzung in Menschenrechten verbunden sein werde, sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen und folglich keine Frist für die freiwillige Ausreise einzuräumen gewesen.

4. Gegen diesen, dem Beschwerdeführer am 03.04.2019 zugestellten, Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation mit Schriftsatz vom 25.05.2019 fristgerecht eine vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften ein. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, der Beschwerdeführer habe in der Ukraine zuletzt geheim gelebt. Wie von ihm geschildert, sei er aufgrund seiner Tätigkeit als Soldat bedroht worden und es sei ein Kopfgeld in der Höhe von USD 70.000,- durch die Separatisten ausgesetzt worden. Zum Beweis der Gefährdung wurde auf die bereits aktenkundigen Beweise sowie den Inhalt eines postalisch übermittelten USB-Sticks verwiesen. Der Beschwerdeführer verfüge über ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Bundesgebiet, die Behörde hätte sich bei Erlassung der Rückkehrentscheidung nicht mit den Auswirkungen der Entscheidung auf die Beziehung des Beschwerdeführers mit seiner in Österreich ansässigen Ehefrau beschäftigt. Beantragt wurde u.a., der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 13.05.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung W196 abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführten Personalien, ist Staatsangehöriger der Ukraine, Angehöriger der ukrainischen Volksgruppe sowie der katholischen Glaubensrichtung. Im Vorfeld seiner Ausreise hat der ursprünglich aus einem Oblast im Nordwesten der Ukraine stammende Beschwerdeführer in unterschiedlichen Teilen der Ukraine, zuletzt in Kiev, gelebt. Der Beschwerdeführer hat in der Ukraine die Grund- und Berufsschule absolviert und seinen Lebensunterhalt durch die Ausübung unterschiedlicher handwerklicher Tätigkeiten bestritten. Zwischen 2014 und 2016 war er als Soldat im Osten der Ukraine stationiert, wo er einem der ukrainischen Nationalgarde unterstehenden Sonderbataillon angehörte. Der Beschwerdeführer hat im Jänner 2018 vor einem ukrainischen Standesamt eine in Österreich aufgrund einer "Rot-Weiß-Rot-Karte Plus" aufenthaltsberechtigte ukrainische Staatsangehörige geheiratet und sich im Februar 2018 einen ukrainischen biometrischen Auslandsreisepass ausstellen lassen, mit dem er am 25.02.2018 legal auf dem Landweg von seinem Herkunftsstaat nach Österreich reiste und hier mit seiner Ehefrau (erstmals) einen gemeinsamen Wohnsitz begründete. Am 03.03.2018 stellte er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und hält sich seitdem durchgängig in Österreich auf. In der Ukraine halten sich unverändert die Mutter, vier Halbgeschwister und zwei minderjährige Kinder des Beschwerdeführers aus erster Ehe auf.

Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat verlassen, um in Österreich bessere Lebensbedingungen vorzufinden und hier ein gemeinsames Leben mit seiner aufenthaltsberechtigten ukrainischen Ehegattin zu führen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine Verfolgung durch prorussische Separatisten respektive durch einen nunmehr für den ukrainischen Behördenapparat tätigen (ehemaligen) Separatisten (im Folgenden: A.) oder die ukrainischen Behörden selbst zu befürchten hätte, da er dem erwähnten ukrainischen Sonderbataillon angehört hatte und einem im Zuge einer Anhaltung im Sommer 2014 erteilten Auftrag der Separatisten, eine Liste von ukrainischen Soldaten beizubringen, welche bereit wären, auf russische Seite überzulaufen, nicht nachgekommen wäre und stattdessen einen Angriff des Sonderbataillons auf prorussische Kämpfer ermöglicht hätte. Ebensowenig hat er eine solche Verfolgung zu befürchten, da er sich in sozialen Medien kritisch gegenüber der Person A. geäußert hätte. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es besteht für den Beschwerdeführer als gesunden leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter sowie mit einem familiären und sozialen Netz im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in die Ukraine keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; ihm steht die Möglichkeit offen, sich abermals in seiner früheren Heimatstadt im Nordwesten der Ukraine oder alternativ in einem anderen von der ukrainischen Zentralverwaltung kontrollierten Landesteil niederzulassen. Dieser liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer konnte seinen Lebensunterhalt in der Ukraine, wo er über ein Eigentumshaus verfügt, in der Vergangenheit stets problemlos eigenständig bestreiten.

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehegattin und dem volljährigen Sohn der Genannten. Der Beschwerdeführer und seine nunmehrige Ehefrau konnten weder zum Zeitpunkt, als sie die Beziehung zueinander eingegangen sind, noch zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung auf die Möglichkeit zur künftigen Führung eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich vertrauen. Dem Beschwerdeführer ist es zumutbar, in die Ukraine zurückzukehren und sich um die Erlangung eines regulären Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zu bemühen. Dem Beschwerdeführer und seiner Frau wäre es alternativ möglich und zumutbar, das gemeinsame Familienleben in der Ukraine fortzusetzen; zudem stünde es dem Beschwerdeführer, seiner Ehefrau und deren Sohn offen, den persönlichen Kontakt durch Besuche in der Ukraine und in Österreich sowie im Wege moderner Kommunikationsmittel aufrecht zu erhalten. Der Beschwerdeführer bezieht aktuell keine Leistungen aus der Grundversorgung, geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und lebt seinen Angaben zufolge durch finanzielle Unterstützung seiner im Bundesgebiet lebenden Angehörigen. Der Beschwerdeführer hat sich keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet, er hat keine sonstigen Ausbildungen absolviert, gehört keinem Verein an und engagiert sich nicht ehrenamtlich. Ebensowenig verfügt er im Bundesgebiet - mit Ausnahme seiner Ehefrau und deren Sohns - über enge soziale Bezugspersonen und er unternahm keine erkennbaren Integrationsbemühungen.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

...

KI vom 09.01.2019, Kriegsrecht beendet (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat wie angekündigt, das für Teile der Ukraine verhängte 30-tägige Kriegsrecht, nicht verlängert. Es lief damit wie geplant am 26.12.2018 um 13 Uhr (MEZ) aus. Der Präsident betonte, das Kriegsrecht habe in keiner Weise den Alltag der Zivilbevölkerung beeinflusst (ZO 26.12.2018; vgl. DW 26.12.2018).

Quellen:

-

DW - Deutsche Welle (26.12.2018): Poroschenko beendet das Kriegsrecht,

https://www.dw.com/de/poroschenko-beendet-das-kriegsrecht/a-46868008, Zugriff 9.1.2019

-

ZO - Zeit Online (26.12.2018): Kriegsrecht in der Ukraine ist beendet,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/petro-poroschenko-ukraine-kriegsrecht-beendet, Zugriff 9.1.2019

KI vom 28.11.2018, 30 Tage Kriegsrecht für bestimmte Oblaste verhängt (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Das ukrainische Parlament hat am 26. November dem Antrag von Präsident Poroschenko zugestimmt, in Teilen des Landes für 30 Tage das Kriegsrecht zu verhängen. Betroffen sind die "gegenüber russischer Aggression verwundbarsten Regionen" des Landes.

Das Kriegsrecht ermöglicht in den genannten Oblasten eine teilweise Mobilisierung, eine Stärkung der Luftverteidigung sowie eine nicht näher spezifizierte Stärkung des Konterspionage-, Konterterrorismus- und Kontersabotage-Regimes und der Informationssicherheit. Von den 450 Abgeordneten der Obersten Rada (ukrainisches Parlament) stimmten nach hitziger Debatte 276 für und 30 gegen den Antrag. Zuerst hatte Poroschenko die Maßnahme noch für 60 Tage gefordert, das aber später reduziert (RFE/RL 26.11.2018).

Anlass für diesen in der ukrainischen Geschichte beispiellosen Schritt, war ein Vorfall in der Meerenge von Kertsch (der einzigen Zufahrt zum Asowschen Meer) vom vergangenen Wochenende, bei dem die russische Küstenwache Patrouillenboote der ukrainischen Marine erst beschoss, einen Schlepper rammte und die Boote danach festsetzte und insgesamt 23 ukrainische Seeleute inhaftierte. Russland behauptet, die ukrainischen Seefahrzeuge hätten illegal russische Gewässer befahren. Seit die ukrainische Krimhalbinsel von Russland annektiert worden ist, gibt es gehäuft Probleme beim freien Zugang zum Asowschen Meer und damit zum für die ukrainische Wirtschaft so wichtigen Hafen Mariupol. Mittlerweile hat Russland auch eine Brücke über die Meerenge von Kertsch gebaut (RFE/RL 26.11.2018).

Präsident Poroschenko sagte vor der Debatte im Parlament, die Verhängung des Kriegsrechts sei nötig, damit die Ukraine unverzüglich die Verteidigung stärken kann, um im Falle einer Invasion schnell reagieren zu können. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Ukraine offensive Operationen unternehmen wolle; es gehe ausschließlich um den Schutz des Territoriums und die Sicherheit der Bürger. Das Kriegsrecht sieht Dutzende Handlungsoptionen vor, die ergriffen werden können - aber nicht müssen. Diese müssen vor Inkrafttreten von der Regierung festgelegt werden. So gehen die Polizeiaufgaben in Kampfgebieten an die Armee über. Das Militär erhält erweiterte Rechte und ist beispielsweise berechtigt, Ausgangssperren zu verhängen sowie Wohnungsdurchsuchungen und Verkehrs- und Personenkontrollen vorzunehmen. Männer im wehrpflichtigen Alter unterliegen Meldeauflagen. Auch ist es während des Kriegsrechts verboten, Verfassungsänderungen, Parlaments- oder Präsidentenwahlen durchzuführen. Das Kriegsrecht lässt aber keine Folter zu. Bei Rechtsverstößen können nur reguläre Gerichte urteilen. Zusätzlich können weitere Maßnahmen getroffen werden wie Einschränkung der Pressefreiheit, Kontrollen oder Einschränkungen der Kommunikationsmittel usw. Im Gesetz ist festgehalten, dass das Kriegsrecht nach dem festgelegten Zeitraum enden muss. Eine Verlängerung würde dementsprechend einen erneuten Antrag des Präsidenten erfordern. Allerdings kann das Kriegsrecht auch frühzeitig beendet werden. Das derzeit geltende Kriegsrecht gilt für 30 Tage. Es trat am 28. November 2018, 9 Uhr morgens in Kraft und endet am 27. Dezember 2018 (SO 27.11.2018).

Präsidentschaftswahlen in der Ukraine sind für den 21. März 2019 angesetzt und sollen wie geplant stattfinden (RFE/RL 26.11.2018).

Quellen:

-

RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (26.11.2018): Ukraine Backs Martial Law After Gunfire At Sea, https://www.rferl.org/a/ukrainian-lawmakers-to-consider-martial-law-proposal-after-russia-opens-fire-on-ships-in-black-sea/29620128.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

-

RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (27.11.2018): Ukraine's Martial Law,

https://www.rferl.org/a/ukraines-martial-law/29623833.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

-

SO - Spiegel Online (27.11.2018): So weitreichend ist das ukrainische Kriegsrecht,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-was-bedeutet-das-kriegsrecht-a-1240658.html, Zugriff 28.11.2018

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-

DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

-

UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

...

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

3.1 Halbinsel Krim

Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten:

Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten