TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/8 W198 2217991-2

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Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Norm

ASVG §18a
AVG §18

Spruch

W198 2217991-1/3E

W198 2217991-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 08.03.2019,

Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) stattgegeben und es wird festgestellt, dass XXXX zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG ab 01.12.2008 berechtigt war.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 26.11.2018 beantragte XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX , ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt.

2. Mit Bescheid vom 08.03.2019 hat die Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien (im Folgenden: PVA), den Antrag vom 26.11.2018 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund des fachärztlichen Begutachtungsergebnisses die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin durch die Pflege ihres Kindes nicht gänzlich bzw. überwiegend beansprucht werde. Die Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG sei daher nicht gegeben.

3. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 04.04.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass der aus der erheblichen Sehbehinderung resultierende Therapiebedarf zum Ausgleich der Entwicklungsverzögerungen ihres Sohnes nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Nachdem bei ihrem Sohn im Alter von wenigen Monaten ein Nystagmus sowie schlechtes Sehvermögen festgestellt worden sei, sei im Alter von drei Jahren die Diagnose okulärer Albinismus mit einem Visus von 0,08%, Schielen, sowie Weitsichtigkeit erfolgt. Es habe in dieser Zeit etliche Entwicklungsverzögerungen und Wahrnehmungsauffälligkeiten gegeben. Die Ergotherapien hätten dem Sohn der Beschwerdeführerin sehr geholfen und hätten sich durch diese sehr zeitaufwändigen Maßnahmen dessen Probleme in diesen Bereichen deutlich reduziert. Während der Volksschulzeit des Sohnes der Beschwerdeführerin sei dessen Farbsehen immer schlechter geworden. Zusätzlich sei nunmehr als Gesamtbefund das Jalili-Syndrom diagnostiziert worden, Anfang 2016 sei zusätzlich eine juvenile chronische Polyarthritis diagnostiziert worden. Insgesamt lasse sich sagen, dass der Sohn der Beschwerdeführerin heute ein einigermaßen selbständiges Leben führen könne. Es habe jedoch in seiner Kindheit enorm vieler Unterstützungen von Seiten der Beschwerdeführerin bedurft um ihn überhaupt so weit zu trainieren, ein im Rahmen seiner Möglichkeiten "normales" Leben führen zu können. Die Beschwerdeführerin wolle sohin festhalten, dass durch die geschilderten Maßnahmen sowie durch die zahlreichen therapeutischen Aktivitäten ihre Arbeitskraft überwiegend beansprucht worden sei.

4. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 30.04.2019 vorgelegt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Begutachtungsbeauftragung vom 16.05.2019 die Erstellung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Allgemeinmedizin beauftragt. Es wurde ein Sachverständiger aus der Liste an GutachterInnen für Begutachtungen im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts zu § 18a ASVG, welche vom chefärztlichen Bereich der PVA (Hauptstelle) übermittelt wurde, ausgewählt.

6. Mit Schreiben vom 16.05.2019 hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass ein Begutachtungsauftrag ergangen sei.

7. Mit Schriftsatz vom 11.07.2019 hat die PVA das beauftragte Gutachten vom 09.07.2019 an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 17.07.2019 der Beschwerdeführerin das Gutachten vom 09.07.2019 zur allfälligen Stellungnahme übermittelt.

Die Beschwerdeführerin hat keine Stellungnahme abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Am 26.11.2018 beantragte die Beschwerdeführerin die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX , ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt.

Die Beschwerdeführerin bezog für XXXX ab Mai XXXX erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 FLAG. XXXX lebt seit seiner Geburt mit der Beschwerdeführerin in gemeinsamen Haushalt. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege besteht sonst nicht (für eine andere Person).

XXXX litt im verfahrensgegenständlichen Zeitraum an folgenden Erkrankungen bzw. Gebrechen:

Höhergradige Einschränkung der Sehleistung in Folge eines okulären Albinismus, Zäpfchen- und Stäbchendystrophie (Jalili-Syndrom); ausbleibende Bildung des Zahnschmelzes mit resultierender Zahnversiegelung der zweiten Zahnanlage; Zustand nach Schieloperation links 2003, Zustand nach juveniler idiopathischer seronegativer Polyarthritis (rheumatologischer Laborparameter negativ) mit resultierender rheumatologischer Basistherapie von 2/2016 bis 12/2016.

Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum kam die Beschwerdeführerin jedoch mit ausgeprägtem Engagement den Einschränkungen ihres Sohnes bei, indem sie das optimale Therapieprogramm und die optimalen Fördermaßnahmen voll ausschöpfte. Die Förder- und Therapiemaßnahmen beliefen sich auf den verfahrensgegenständlichen Zeitraum gestreckt in weiterer Folge gemittelt auf ein Ausmaß von zwei bis vier Förder- bzw. Therapiemaßnahmen pro Monat. Für diese Therapie- und Fördermaßnahmen war eine besondere Motivation, Aufsicht und Begleitung zu den Therapie- bzw. Fördermaßnahmen von Seiten der Beschwerdeführerin notwendig. Die Fördermaßnahmen nahmen ein Zeitausmaß von durchschnittlich zwei bis drei Stunden pro Tag in Anspruch. Die Fördermaßnahmen und die regelmäßige psychische Unterstützung waren regelmäßig und täglich notwendig.

Eine Schulwegbegleitung war bis zum Schulbus notwendig gewesen, da aufgrund der Seheinschränkung die Verkehrstauglichkeit beim Sohn der Beschwerdeführerin im Vergleich zu gleichaltrigen gesunden Kindern sicherlich verzögert eingetreten ist.

Ferner waren für psychische Unterstützung und für die Entwicklungsförderung sowie auch für Lernunterstützung ein überdurchschnittliches Zeitausmaß von Seiten der Beschwerdeführerin notwendig, um die Entwicklung ihres Sohnes optimal zu fördern.

In den anfänglichen Schuljahren, insbesondere im Zeitraum der Volksschule, war eine Abrufbereitschaft aufgrund der Sehminderung und der doch regelmäßig vorgekommenen Sturzereignisse als notwendig zu erachten.

XXXX wäre bei Unterbleiben der Förder- und Unterstützungsmaßnahmen im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten, jedoch betreuten Kind benachteiligt gewesen, da sich die Entwicklung des XXXX bei Unterbleiben der oben angeführten Betreuungs- und Fördermaßnahmen im psychosozialen Bereich und auch im neuropsychologischen Bereich eindeutig verzögert hätte bzw. wäre die Ausbildung der psychosozialen Kompetenzen eindeutig zurückgeblieben.

2. Beweiswürdigung:

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG liegt im Akt ein.

Dass XXXX seit seiner Geburt mit der Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt lebt und eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege nicht für eine andere Person besteht, ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, den plausiblen und insgesamt glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin und wurde seitens der PVA auch nicht angezweifelt.

Die Feststellung betreffend den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe ergibt sich aus den vorliegenden Mitteilungen über den Bezug der Familienbeihilfe des Finanzamtes XXXX .

Die Diagnose ergibt sich aus den diesbezüglich übereinstimmenden vorliegenden medizinischen Unterlagen, darunter das ärztliche Gutachten der PVA vom 09.07.2019 und den Angaben der Beschwerdeführerin. Aus dem ärztlichen Gutachten der PVA vom 09.07.2019 geht hervor, dass der Sohn der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die festgestellte Behinderung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum auf eine starke psychische Unterstützung der Mutter angewiesen. Regelmäßige psychische Unterstützung, psychischer Rückhalt, vermehrte Aufmerksamkeit sowie erhöhtes Einfühlungsvermögen und intensivere Betreuung und Begleitung bei diversen Förder- und Therapiemaßnahmen und eine zusätzliche intensive Förderung durch die Beschwerdeführerin selbst seien laut Gutachten für den Sohn der Beschwerdeführerin sicherlich notwendig gewesen und hätten maßgeblich zu dessen positiver Entwicklung beigetragen. Die regelmäßigen Erziehungs-, Motivations- und Fördermaßnahmen, wie sie im gegenständlichen Fall von der Beschwerdeführerin regelmäßig, intensiv und sehr engagiert dem behinderten Kind angediehen wurden, hätten einen eminent hohen Stellenwert bei der vorliegenden Behinderung. Die regelmäßige Betreuung der Mutter und die regelmäßigen das durchschnittliche Zeitausmaß eindeutig überschreitendenden Erziehungs-, Motivations- und Fördermaßnahmen hätten maßgeblich und eindeutig zu einer positiven Entwicklung des behinderten Kindes beigetragen. Die zusätzlich überdurchschnittliche psychische Unterstützung und der angebotene psychische Rückhalt, welcher wiederum mit einem überdurchschnittlichen Zeitausmaß vergesellschaftet ist, hätten ebenfalls zur positiven Entwicklung des behinderten Kindes maßgeblich beigetragen.

Das Gutachten der PVA vom 09.07.2019 wurde der Beschwerdeführerin zur Stellungnahme übermittelt. Die Beschwerdeführerin hat sich dazu verschwiegen.

Es wird davon ausgegangen, dass der belangten Behörde das Gutachten vom 09.07.2019 bekannt ist, zumal vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständiger aus der Liste an GutachterInnen für Begutachtungen im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts zu § 18a ASVG, welche vom chefärztlichen Bereich der PVA (Hauptstelle) übermittelt wurde, ausgewählt wurde und das Gutachten von der PVA, Landesstelle Niederösterreich, übermittelt wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass gegenständliches Gutachten im Akt der belangten Behörde ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. In Ermangelung einer entsprechenden Anordnung der Senatszuständigkeit im ASVG liegt im gegenständlichen Fall Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

§ 669 Abs 3 ASVG wurde zuletzt mit der Novelle BGBl. I Nr. 125/2017, in Kraft seit 01. 01. 2018 geändert und lautet nun wie folgt:

Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

Der Gesetzeswortlaut stellt auf jene Rechtslage ab, die zum "Datum der Antragstellung" gegolten hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2019/08/0051 vom 05.06.2019 klargestellt hat, hat das Verwaltungsgericht das zum Zeitpunkt der Erlassung seines Erkenntnisses geltende Recht anzuwenden. § 660 Abs 3 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 125/2017 stellt darauf ab, dass die betreffenden Personen die zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllen müssen. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs 3 ASVG nicht an.

§ 669 Abs 3 ASVG in der aktuellen Fassung bewirkt somit, dass die Voraussetzungen des § 18a ASVG nicht mehr (wie bisher) zeitraumbezogen zu prüfen sind. Die Voraussetzungen des § 18a ASVG sind nun rückwirkend unter Anwendung jener Rechtslage zu beurteilen, die zum Zeitpunkt des gem. § 669 Abs 3 ASVG gestellten Antrages galt.

Die Beschwerdeführerin hat den verfahrensgegenständlichen Antrag am 26.11.2018 eingebracht. § 18a ist daher in der am 26.11.2018 geltenden Fassung anzuwenden. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

(1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs. 5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs. 1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.

(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.

Im Beschwerdefall hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung vorliegen, nach der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 2/2015 zu erfolgen, d.h. dass die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft zu prüfen ist.

Die Voraussetzung des Bezuges der erhöhten Familienbeihilfe ist erfüllt. Ebenso leben die Beschwerdeführerin und ihr zu pflegendes Kind im gemeinsamen Haushalt im Inland und besteht für keine andere Person eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes.

Zur überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft:

Die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft ist in § 18a Abs. 3 ASVG definiert.

Nach § 18a Abs. 3 Z 3 ist ständige persönliche Hilfe und besondere Pflege gefordert.

"Besondere Pflege" ist ein Begriff aus dem Krankenanstaltenrecht (§ 2 Abs. 1 Z 3 und § 37 Abs. 2 Z 4 KaKuG). Danach steht krankheits-behindertenspezifische Pflege im Gegensatz zur allgemeinen Pflege eines Kindes iSd § 160 Abs. 1 ABGB (Wahrnehmung des körperlichen Wohles und der Gesundheit sowie die unmittelbare Aufsicht, die Erziehung besonders die Entfaltung der körperlichen, geistigen, seelischen und sittlichen Kräfte, die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes sowie dessen Ausbildung in Schule und Beruf).

Der Verwaltungsgerichtshof hat diese gesetzliche Voraussetzung so ausgelegt, dass sie dann erfüllt ist, wenn unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige Betreuung - auch außerhalb der Zeit des Schulbesuches - erforderlich ist und wenn bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet ist (vgl. VwGH 19.11.1991, 89/08/0353 u.a.).

Die Pflegeleistungen sind als "ständig" zu beurteilen, wenn sie zwar nicht notwendigerweise täglich, aber doch mehrmals in der Woche regelmäßig erforderlich sind (s. Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 18a ASVG Rz 10 [Stand 1.7.2018, rdb.at]).

Das bedeutet für den gegenständlichen Fall:

Die medizinischen Fakten (Diagnose) ergeben sich aus den vorliegenden umfangreichen medizinischen Unterlagen, sind unbestritten und daher Grundlage der Beurteilung.

Für die Lösung des vorliegenden Falls ist unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 18a Abs. 3 ASVG wesentlich, ob und in welchem Umfang die Beschwerdeführerin regelmäßig eine - behinderungsbedingte - Betreuungstätigkeit geleistet hat, die diese Kriterien erfüllt.

Aus dem ärztlichen Gutachten der PVA vom 09.07.2019 ergibt sich, dass Fördermaßnahmen und regelmäßige psychische Unterstützung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum regelmäßig und täglich notwendig waren, sich die notwendigen Pflegeleistungen auf die spezifische Behinderung bezogen und der Sohn der Beschwerdeführerin bei Unterbleiben der Förder- und Unterstützungsmaßnahmen im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten, jedoch betreuten Kind benachteiligt gewesen wäre, da sich die Entwicklung des Sohnes der Beschwerdeführerin bei Unterblieben der Betreuungs- und Fördermaßnahmen im psychosozialen Bereich und auch im neuropsychologischen Bereich eindeutig verzögert hätte bzw. wäre die Ausbildung der psychosozialen Kompetenzen eindeutig zurückgeblieben.

Das Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass die Beschwerdeführerin für ihren Sohn regelmäßig wiederkehrende, notwendige und krankheits- und behinderungsbedingte Betreuungsleistungen erbracht hat.

Die regelmäßigen Betreuungsleistungen waren auf Grund der festgestellten Diagnose bzw. des Bilds der Erkrankung des Sohnes der Beschwerdeführerin erforderlich und wären diese Pflege- und Betreuungsmaßnahmen bei einem nicht beeinträchtigten Kind nicht in dieser Weise zu erbringen gewesen.

Die Beschwerdeführerin leistete ständige Betreuung im Sinne der oben dargelegten Auslegung der Judikatur, die erforderlich war, weil bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem Kind mit ähnlichem Krankheitsbild, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt bzw. gefährdet gewesen wäre.

Damit erfüllt sie die Voraussetzung der ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege, sodass in dem im Spruch genannten Zeitraum das Vorliegen überwiegender Inanspruchnahme der Arbeitskraft zu bejahen ist.

Gemäß § 223 Abs. 2 ASVG ist der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, bei Anträgen auf eine Leistung nach Abs. 1 Z 1 oder 2 der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste.

Im gegenständlichen Fall beantragte die Beschwerdeführerin am 26.11.2018 die rückwirkende Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt. Die Berechtigung zur Selbstversicherung ist daher - 120 Monate ab Antragstellung zurückgerechnet - ab 01.12.2008 gegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Enderledigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W198.2217991.2.00

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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