TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/26 I406 2123930-1

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Veröffentlicht am 26.07.2019
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Entscheidungsdatum

26.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
StGB §105 Abs1
StGB §127
StGB §130 ersterFall
StGB §229
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I406 2123930-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. MAROKKO, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2016, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer gab bei der Erstbefragung am 18.11.2015 den im Spruch genannten Namen an, er sei am dort genannten Datum in Casablanca, Marokko, geboren, marokkanischer Staatsbürgerschaft und Herkunft, arabischer Muttersprache und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Moslem; er sei alleinstehend, jedoch entstamme seiner mittlerweile nicht mehr bestehenden traditionellen Ehe ein Kind; er habe im Geburtsort 12 Jahre lang die Grundschule besucht und zuletzt als Dekorateur gearbeitet. Er gab als Familienangehörige im Herkunftsland seine Mutter, seine Tochter, zwei Brüder sowie drei Schwestern an. Familienangehörige in Österreich oder einem EU-Staat habe er nicht. Zum Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, "ich habe meine Heimat verlassen, da es dort Arbeit gab, aber kein regelmäßiges Einkommen. Meine Familie und ich lebten dort in Armut und wir haben alle in einem Zimmer gewohnt. Ich wollte nach Europa kommen, um hier zu arbeiten und um meine Familie finanziell unterstützen. Ich werde weder religiös noch politisch verfolgt." Bei Rückkehr in die Heimat fürchte er, in Armut leben zu müssen, die Frage nach konkreten Hinweisen, dass ihm bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, Strafe oder die Todesstrafe drohten oder er mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, verneinte er.

Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am 18.02.2016 gab der Beschwerdeführer auf die Frage nach gesundheitlichen Problemen an, er nehme Drogenersatzmedikamente. Zum Fluchtgrund gab er an, in Marokko in psychischer Behandlung gewesen zu sein, da er als Vierjähriger von zwei Männern aus der Nachbarschaft vergewaltigt worden sei, auf Nachfrage gab er an, dies sei 1991 oder 1992 gewesen; zudem sei er homosexuell. Sein islamistischer Bruder habe ihn durch eine dritte Person verletzen lassen, daraufhin sei er 18 Tage lang im Krankenhaus im Koma gewesen.

Mit Bescheid vom 07.03.2016, Zl. XXXX, Verf. Zl. XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 17.11.2015 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt III.) und stellte gemäß § 55 Abs 1-3 FPG fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Mit Verfahrensanordnung vom 03.04.2016 stellte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG den Verein Menschrechte Österreich als Rechtsberater amtswegig zur Seite.

Mit Schreiben vom 22.03.2016 übermittelte der Verein Menschrechte Österreich der belangten Behörde die mit seiner Unterstützung erstellte vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den vorangeführten Bescheid.

Der Beschwerde bei lag ein in arabischer Sprache abgefasstes Schreiben, wonach der Beschwerdeführer um Zeit zur Beschaffung von Beweisfotos zu Stichen im Bauch- sowie Kopfbereich, die er im Gefängnis bekommen habe, ersuche, zudem um Beistellung eines Rechtsanwaltes. Er wolle lediglich hier glücklich leben und von seiner Krankheit geheilt werden.

Am 19.06.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Soweit er namentlich genannt wird, dient dies lediglich seiner Identifizierung als Verfahrenspartei, nicht jedoch einer Vorfragebeurteilung im Sinn des § 38 AVG.

Der Beschwerdeführer ist marokkanischer Staatsbürgerschaft sowie Herkunft, arabischer Muttersprache und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Moslem und ledig und befindet sich in Strafhaft.

Im Strafregister der Republik Österreich scheinen folgende Verurteilungen auf:

01) LG XXXX vom 27.01.2016 RK 27.01.2016

§ 229 (1) StGB

§ 15 StGB § 127 StGB

§§ 127, 129 (1) Z 1 StGB

§ 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 17.12.2015

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe 8 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 28.12.2017

zu LG XXXX RK 27.01.2016

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 15.04.2016

LG XXXX vom 15.04.2016

zu LG XXXX RK 27.01.2016

Der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX vom 12.07.2016

zu LG XXXX RK 27.01.2016

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 02.05.2017, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX vom 07.03.2017

zu LG XXXX RK 27.01.2016

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX vom 14.06.2017

02) LG XXXX vom 12.07.2016 RK 12.07.2016

§ 27 (1) Z 1 8. 9. Fall (2a) SMG

Datum der (letzten) Tat 12.06.2016

Freiheitsstrafe 8 Monate

Vollzugsdatum 12.02.2017

03) LG XXXX vom 14.06.2017 RK 14.06.2017

Seite 1 / 2

§ 15 StGB § 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 18.05.2017

Freiheitsstrafe 2 Monate

Vollzugsdatum 18.07.2017

04) LG XXXX vom 31.07.2018 RK 31.07.2018

§ 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB

§ 105 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 22.05.2018

Freiheitsstrafe 7 Monate, davon Freiheitsstrafe 5 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG XXXX RK 31.07.2018

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 14.08.2018

LG XXXX vom 16.08.2018

zu LG XXXX RK 31.07.2018

Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom 28.03.2019

05) LG XXXX vom 28.03.2019 RK 28.03.2019

§§ 127, 130 (1) 1. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 28.12.2018

Freiheitsstrafe 12 Monate

Der Beschwerdeführer leidet nicht an schweren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegenstünden.

Der Beschwerdeführer verfügt über mehrjährige Schulbildung im Herkunftsstaat, war dort als Dekorateur berufstätig und verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, in Österreich verfügt er weder über familiäre noch nennenswerte Anknüpfungspunkte.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer hat eine asylrelevante Verfolgung nicht vorgebracht und hat auch im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit Verfolgungshandlungen zu rechnen.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat Politische Lage

1. Neueste Ereignisse

Die marokkanische Regierung hat am Montag, den 20.8.2018, beschlossen, den obligatorischen einjährigen Militärdienst, der 2006 abgeschafft worden war, wieder einzuführen (BAMF 27.8.2018; vgl. SRF 22.8.2018, LM 21.8.2018, Reuters 21.8.2018, MP 21.8.2018). Der Gesetzentwurf, der die Wiedereinführung der Wehrpflicht vorsieht, wurde am Montagmorgen, 20.8.2018 im Regierungsrat eingebracht und dann während eines Ministerrates unter dem Vorsitz von König Mohammed VI. verabschiedet (LM 21.8.2018; vgl. Reuters 21.8.2018, MP 21.8.2018).

Die Wehrpflicht gilt für alle Männer und Frauen im Alter von 19 bis 25 Jahren (LM 21.8.2018; vgl. Reuters 21.8.2018, MP 21.8.2018). Laut einem Kommentator braucht die Armee diese jungen Leute nicht (SRF 22.8.2018). Es handelt sich vielmehr um eine erzieherische Maßnahme (MP 21.8.2018; vgl. SRF 22.8.2018). Der Königspalast erklärt, dass die Wiederherstellung der Wehrpflicht, zwölf Jahre nach ihrer Abschaffung, insbesondere auf die Verbesserung der "Integration junger Menschen in das Berufs- und Gesellschaftsleben" abzielt (LM 21.8.2018; vgl. SRF 22.8.2018, Reuters 21.8.2018). Laut einem Kommentator ist der Hauptgrund für die Wiedereinführung der Wehrpflicht die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit (SRF 22.8.2018). Laut offiziellen Zahlen sind vier von zehn Jugendlichen in Marokkos Städten ohne Arbeit. Die Weltbank beziffert die Jugendarbeitslosigkeit im nordafrikanischen Königreich auf fast 30 %. Die Maßnahme wurde gleichzeitig mit der Reform des Bildungswesens verkündet (SRF 22.8.2018; vgl. LM 21.8.2018), die vorsieht, Kinder ab dem Alter von 4 Jahren einzuschreiben (LM 21.8.2018) und den Unterricht bis zum Alter von 16 Jahren (statt bisher 15 Jahren) mit einem neuen und effizienteren pädagogischen Modell verpflichtend zu machen, so das offizielle Bulletin des Königshauses. Die Meinungen im Land sind geteilt (SRF 22.8.2018). Laut Daten des High Commission for Planning (HCP), dem nationalen Statistikinstitut, sind mehr als vier von zehn Jugendlichen in Städten arbeitslos. Zwei von drei Jugendlichen verlassen die Schule, die durchschnittliche Arbeitslosenquote liegt bei etwa 20 %, die Hälfte der Jugendlichen arbeitet in Niedriglohnberufen und 75 % haben keine Sozialversicherung, wie aus einer kürzlich vom marokkanischen Wirtschafts- und Sozialrat (Conseil économique et social marocain - CESE) veröffentlichten Analyse hervorgeht (LM 21.8.2018).

In Marokko gab es in den letzten Monaten jugendliche Proteste in wirtschaftlich marginalisierten Gebieten. Einige Kritiker sehen das Gesetz als einen Schritt zur Förderung der Staatstreue junger Menschen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen (Reuters 21.8.2018).

Quellen:

1. BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (27.8.2018):Briefing Notes vom 27. August 2018, Allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1442634/1226_1536223461_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-27-08-2018-englisch.pdf, Zugriff 10.10.2018

-LM - Le Monde (21.8.2018): Le Maroc va rétablir le service militaire obligatoire,

https://www.lemonde.fr/afrique/article/2018/08/21/le-maroc-va-retablir-le-service-militaire-obligatoire_5344356_3212.html, Zugriff 10.10.2018

-MP - Mahreb Post (21.8.2018): Marokko - Königreich führt allgemeine Wehrpflicht ein,

https://www.maghreb-post.de/politik/marokko-koenigreich-fuehrt-allgemeine-wehrpflicht-ein/, Zugriff 10.10.2018

-Reuters (21.8.2018): Morocco reinstates compulsory military service for under-25s,

https://www.reuters.com/article/us-morocco-army/morocco-reinstates-compulsory-military-service-for-under-25s-idUSKCN1L52DA, Zugriff 10.10.2018

-SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (22.8.2018): Militärdienst statt Revolte - Marokko ruft die Jugend zu den Waffen, https://www.srf.ch/news/international/militaerdienst-statt-revolte-marokko-ruft-die-jugend-zu-den-waffen, Zugriff 10.10.2018

2. Politische Lage

Marokko ist ein zentralistisch geprägter Staat. Das Land ist eine Monarchie mit dem König als weltlichem und geistigem Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und "Anführer der Gläubigen" (AA 10.2017a). Laut der Verfassung vom 1.7.2011 ist Marokko eine konstitutionelle, demokratische und soziale Erbmonarchie, mit direkter männlicher Erbfolge und dem Islam als Staatsreligion. Abweichend vom demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung kontrolliert der König in letzter Instanz die Exekutive, die Judikative und teilweise die Legislative (GIZ 7.2018a; vgl. ÖB 9.2015). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 leitete der König im Jahr 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Aktuelle Proteste im Norden des Landes sind vor allem Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Umsetzung sozio-ökonomischer Reformen, die schleppend verläuft (AA 10.2017a). Die Verfassung vom 1.7.2011 brachte im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land; in Bezug auf die Königsmacht jedoch nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist jedoch in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 9.2015).

Einige Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen. Dies betrifft folgenden vier Ressorts: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen. Soziale Reformen während der Regentschaft Mohamed VI sollten mehr Wohlstand für alle bringen - doch faktisch nahm die ohnehin starke Kontrolle der Königsfamilie und ihrer Entourage über die Reichtümer und Ressourcen des Landes weiter zu (GIZ 7.2018a). Hauptakteure der Exekutive sind die Minister, der Regierungschef und der König, der über einen Kreis hochrangiger Fachberater verfügt. Der König ist Vorsitzender des Ministerrates, hat Richtlinienkompetenz und ernennt nach Art. 47 der Verfassung von 2011 den Regierungschef aus der Partei, die bei den Wahlen als Sieger hervorgeht. Marokko verfügt seit der Unabhängigkeit über ein Mehrparteiensystem. Das Wahlrecht macht es schwierig für eine Partei, eine absolute Mehrheit zu erringen; Mehrparteienkoalitionen sind deshalb die Regel. In Marokko haben am 7.10.2016 Wahlen zum Repräsentantenhaus stattgefunden. Als stärkste Kraft ging die seit 2011 an der Spitze der Regierung stehende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD, "Parti de la Justice et du Développement") hervor. Am 5.4.2017 wurde Saad-Eddine El Othmani von König Mohammed VI zum Premier-Minister ernannt. (AA 10.2017a).

Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Unterhaus (Chambre des Représentants, Madschliss an-Nuwwab) und dem Oberhaus (Chambre des conseillers, Madschliss al-Mustascharin). Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt. Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das Oberhaus (Chambre des Conseillers) besteht aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden (GIZ 7.2018a). Bei den oben erwähnten Wahlen zum Repräsentantenhaus vom 7.10.2016 erreichte die PJD 125 Sitze (GIZ 7.2018a). Kritische politische Analysen weisen darauf hin, dass die faktische Macht der PJD bzw. des Regierungschefs Benkirane begrenzt ist und dass die Regierungsbeteiligung der Glaubwürdigkeit der PJD schaden könnte (GIZ 7.2018a). An zweiter Stelle rangiert mit 102 Sitzen die liberal-konservative Partei für Authentizität und Moderne (PAM - Parti Authenticité et Modernité) (GIZ 7.2018a), die auch die größte Oppositionspartei ist (AA 10.2017a). Sie konnte ihre Stimmengewinne mehr als verdoppeln und gilt daher als heimliche Siegerin. Dahinter gereiht ist mit 46 Sitzen die traditionsreiche Unabhängigkeitspartei (PI - Parti de l'Istiqlal), dahinter andere Parteien (GIZ 7.2018a).

Seit Anfang 2017 ist Marokko wieder offiziell Mitglied der Afrikanischen Union (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (10.2017a): Marokko - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/-/224120, Zugriff 31.7.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2018a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 31.7.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

3. Sicherheitslage

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Das französische Außenministerium rät zu normaler Aufmerksamkeit im Land, dem einzigen in Nordafrika, das auf diese Weise bewertet wird (FD 8.8.2018), außer in den Grenzregionen zu Algerien, wo zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten wird (AA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Die Westsahara bildet natürlich eine Ausnahme, diese darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden (FD 8.8.2018). Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (AA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Seitens des BMEIA besteht eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos, insbesondere an der Grenze zu Algerien. Erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt in den übrigen Landesteilen (BMEIA 8.8.2018).

Seit dem Anschlag in Marrakesch im April 2011, gab es keine weiteren Attentate (FD 8.8.2018). Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht im ganzen Land das Risiko von terroristischen Akten (EDA 8.8.2018vgl. FD 8.8.2018; BMEIA 8.8.2018). In Teilen der Sahara und des Sahels besteht das Risiko von Entführungen. Bisher waren in Marokko keine Entführungen zu beklagen (EDA 8.8.2018; vgl. BMEIA 8.8.2018). Das Auswärtige Amt rät von Reisen in entlegene Gebiete der Sahara, in die Grenzregionen mit Algerien und Mauretanien und jenseits befestigter Straßen dringend ab (AA 8.8.2018).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden (EDA 8.8.2018). Demonstrationen können sich spontan und unerwartet entwickeln. Zuletzt kam es in verschiedenen Städten Marokkos zu nicht genehmigten Demonstrationen und vereinzelt auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Die Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 8.8.2018; vgl. BMEIA 8.8.2018). Aufgrund sozialer und politischer Spannungen kommt es seit Oktober 2016 in der Provinz Al Hoceima vermehrt zu Protestaktionen. Dabei kann es zu Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften kommen (EDA 8.8.2018).

Besondere Vorsicht ist auch in der Region Rif geboten. Die Ost-West-Achse Al Hoceima-Chefchaouen-Tetouan ist ruhig und weniger problematisch (FD 8.8.2018). Es kann zu Übergriffen durch Kriminelle kommen, die in die lokale Drogenproduktion und den Drogenhandel involviert sind (EDA 8.8.2018).

In großen Teilen der Sahara sind bewaffnete Banden und islamistische Terroristen aktiv, die vom Schmuggel und von Entführungen leben. Das Entführungsrisiko ist in einigen Gebieten der Sahara und der Sahelzone hoch und nimmt noch zu (EDA 8.8.2018).

Wegen des Entführungsrisikos wird von nicht dringenden Reisen ins Grenzgebiet zu Algerien abgeraten, bzw. gewarnt (AA 8.8.2018; vgl. EDA 8.8.2018; BMEIA 8.8.2018). Die Grenze zu Algerien ist geschlossen (AA 8.8.2018; vgl. EDA 8.8.2018).

Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara, erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Seither wird es sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden (EDA 8.8.2018; vgl. FD 8.8.2018). Das Risiko von Entführungen kann nicht ausgeschlossen werden (EDA 8.8.2018). Von Fahrten in und durch das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 8.8.2018; vgl. EDA 8.8.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (8.8.2018): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080#content_0, Zugriff 8.8.2018

-BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.8.2018): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 8.8.2018

-EDA - Eidgenössisches Departemenet für auswärtige Angelegenheiten (8.8.2018): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/marokko/reisehinweise-marokko.html, Zugriff 8.8.2018

-FD - France Diplomatie (8.8.2018): Conseils aux Voyageurs - Maroc - Sécurité,

https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/, Zugriff 8.8.2018

1. Westsahara

Der Konflikt in und um die Westsahara schwelt seit Jahrzehnten. Als sich nach dem Tod des Diktators Franco die Spanier 1975 aus ihrer damaligen Kolonie zurückzogen, marschierte Marokko im Rahmen des sogenannten Grünen Marsches in das Nachbarland ein. Seitdem hält Marokko große Teile des Territoriums besetzt und betrachtet das Gebiet seit der Annexion 1976 als Bestandteil seines Landes. Dagegen wehrt sich die Bewegung Frente Polisario, welche die Unabhängigkeit der Westsahara anstrebt. Ein rund 2.500 Kilometer langer Sandwall, dessen Baubeginn 1981 war, und der von der mauretanisch-marokkanischen Grenze durch die Sahara bis zum marokkanisch-algerisch-sahrauischen Dreiländereck verläuft, spaltet heute die Westsahara (GIZ 6.2017a). Auf der einen Seite liegt der von Marokko kontrollierte, größere Teil; er umfasst rund 80% des Territoriums. Auf der anderen Seite befinden sich die restlichen 20% in der Hand der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario (CIA 12.7.2018). 1991 endeten die Kampfhandlungen zwischen der Frente Polisario und Marokko. Die UNO installierte an mehreren Orten in der Westsahara zur Friedenssicherung die MINURSO (CIA 11.7.2018; vgl. GIZ 7.2018a; AA 10.2017b). Die Frente Polisario hatte im Februar 1976 eine Exilregierung in Algerien, in der Nähe von Tindouf, gebildet, die bis zu seinem Tod im Mai 2016 von Präsident Mohamed Abdelaziz geführt wurde. Sein Nachfolger Brahim Ghali wurde im Juli 2016 gewählt (CIA 11.7.2018; CIA 12.7.2018; vgl. GIZ 6.2017a). Für Marokko hingegen ist die Sicherung der Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko Staatsräson und zentrales Anliegen der marokkanischen Politik (AA 10.2017b).

Seit dem Ende der Kampfhandlungen im Jahr 1991 gelang es nicht, ein Referendum bzgl. des Status der Westsahara durchzuführen bzw. scheiterten Anläufe für neue Gespräche zwischen Marokko und der Polisario immer wieder. Seit November 2010 gab es mehrere Anläufe für neue Gespräche zwischen Marokko und der Polisario, doch eine Lösung des Konfliktes ist zurzeit nicht in Sicht. Die Zahl der Staaten, die die sahrauische Exilregierung anerkennen, ist von 80 auf gut die Hälfte gesunken (GIZ 7.2018a). Der Status des Territoriums und die Frage der Unabhängigkeit sind daher weiterhin ungeklärt; das Territorium wird von Marokko sowie der Frente Polisario beansprucht (CIA 12.7.2018).

Als 1982 die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) als offizielles Mitglied in die Organisation der Afrikanischen Union aufgenommen wurde, verließ Marokko diese als Reaktion darauf im Jahr 1984. Aufgrund des Westsahara-Konfliktes war Marokkos politische Position jedoch über Jahrzehnte schwach. In der Afrikanischen Union war Marokko mehr als 30 Jahre nicht Mitglied. In den vergangenen Jahren hat Marokko seine Beziehungen und Aktivitäten in Afrika jedoch intensiviert. In Westafrika gewinnt Marokko wirtschaftlich an Einfluss. Seit Anfang 2017 ist Marokko wieder offiziell Mitglied der Afrikanischen Union (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (10.2017b): Marokko - Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/-/224118, Zugriff 8.8.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook - Morocco,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/mo.html, Zugriff 8.8.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (11.7.2018): The World Factbook - Western Sahara,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/wi.html, Zugriff 8.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH (7.2018a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 8.8.2018

4. Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 20.4.2018). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 20.4.2018; vgl. ÖB 9.2015; AA 14.2.2018) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden respektieren Anordnungen der Gerichte fallweise nicht (USDOS 3.3.2017). Rechtsstaatlichkeit ist vorhanden, aber noch nicht ausreichend entwickelt. Unabhängigkeit der Justiz, Verfassungsgerichtsbarkeit, Transparenz durch Digitalisierung, Modernisierung der Justizverwaltung befinden sich noch im Entwicklungsprozess, der, teils von der Verfassung gefordert, teils von der Justizverwaltung angestoßen wurde. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entzieht (AA 14.2.2018).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 14.2.2018). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden. Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam ("garde à vue") zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet (AA 14.2.2018).

Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minderschweren Delikten (z.B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt werden. Auch die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung (libération conditionnelle) wird kaum genutzt (AA 14.2.2018).

Seit Juli 2015 ist die Militärgerichtsbarkeit in Verfahren gegen Zivilisten nicht mehr zuständig. Im Juli 2016 wurden durch das Revisionsgericht die Urteile eines Militärgerichts gegen 23 sahrauische Aktivisten im Zusammenhang mit dem Tod von Sicherheitskräften bei der Räumung des Protestlagers Gdim Izik aufgehoben. Von der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurden die Angeklagten 2017 zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und lebenslänglich verurteilt (AA 14.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 1.8.2018

5. Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN "Direction Générale de la Sûreté Nationale" (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den "Forces auxiliaires" handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Autobahnen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 14.2.2018). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED ("Direction Générale des Etudes et de Documentation") und den Inlandsdienst DGST ("Direction Générale de la Surveillance du Territoire") (AA 14.2.2018; vgl. ÖB 9.2015). Im April 2015 wurde zusätzlich das "Bureau central d'investigations judiciaires" (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST. Von der Funktion entspricht es etwa dem deutschen Bundeskriminalamt mit originären Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 14.2.2018).

Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist gemäß USDOS wirksam (USDOS 20.4.2018), gemäß auswärtigem Amt hingegen sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 14.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 1.8.2018

6. Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung und das Gesetz verbieten menschenrechtsverletzende Praktiken, und die Regierung bestreitet, dass sie die Anwendung von Folter erlaubt (USDOS 20.4.2018).

Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 14.2.2018). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet. Der CNDH soll künftig die Rolle des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter übernehmen. Im Mai 2017 wurde ein entsprechender Entwurf in das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet (AA 14.2.2018). Ein Nationaler Präventionsmechanismus zum Schutz vor Folter ist allerdings noch immer nicht eingerichtet worden (AI 22.2.2017). Die marokkanische Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention. Systematische Folter findet nicht statt. Gleichwohl berichten NGOs über Fälle von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte. Betroffen sind laut Bericht des VN-Menschenrechtsausschusses vom Oktober 2016 vor allem Terrorverdächtige und Personen, die Straftaten verdächtig sind, welche die Sicherheit oder die territoriale Integrität des Staats gefährden. Ein Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt. Die marokkanische Menschenrechtsorganisation OMDH ("Organisation Marocaine des Droits de l'Homme") geht vom Fehlverhalten einzelner Personen aus (AA 14.2.2018). Berichte über Folter sind in den letzten Jahren zurückgegangen, aber dennoch langen immer wieder Berichte über Misshandlungen von Gefangenen durch Sicherheitskräfte bei Regierungsinstitutionen oder NGOs ein (USDOS 20.4.2018).

Der Staatsminister für Menschenrechte räumte auf einer nationalen Tagung zur Prävention von Folter ein, dass Folter immer noch in Einzelfällen auftritt, aber es sich nicht mehr um systematische Praxis handeln würde und dass die Regierung daran arbeite, diese auszurotten. Es besteht kein systematischer Mechanismus, Menschenrechtsverletzungen und Korruption wirksam zu untersuchen und zu bestrafen, was Straffreiheit bei Vergehen durch die Sicherheitskräfte begünstigt (USDOS 20.4.2018). Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat, insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST, vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z.B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien dokumentieren diese Vorwürfe nur bruchstückhaft (AA 14.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

-AI -Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Morocco/Western Sahara, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425081.html, Zugriff 1.8.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 1.8.2018

7. Korruption

Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, doch setzt die Regierung die gesetzlichen Regelungen nicht effektiv um. Staatsbedienstete sind häufig in Korruptionsfälle verwickelt und gehen straffrei aus. Korruption stellt bei der Exekutive, inklusive der Polizei, bei der Legislative und in der Justiz ein ernstes Problem dar. Es gibt Berichte von Korruption im Bereich der Regierung, und von deren Untersuchung in einigen Fällen, aber mangelnder strafrechtlicher Verfolgung. Die Antikorruptionsbehörde Instance centrale de prévention de la corruption (ICPC) ist für den Kampf gegen die Korruption zuständig. Sie wird nur in wenigen Fällen tätig, vor allem in mittleren und höheren Ebenen der Verwaltung werden kaum Ermittlungen durchgeführt. Neben dem ICPC sind das Justizministerium und die Hohe Rechnungskontrollbehörde (Government Accountability Court) für Korruptionsfragen zuständig. Im Juni 2017 wurde die Veruntreuung und der Missbrauch öffentlicher Gelder in einigen Ministerien aufgezeigt. Es wurden jedoch keine Fälle weiter verfolgt. Im Oktober 2017 entließ der König mehrere Minister, nachdem berichtet wurde, dass einige Ministerien Entwicklungsprojekte schlecht verwaltet hätten. Gegen die Minister wurden keine weiteren Maßnahmen ergriffen. Zudem wurde vom Justizministerium eine öffentliche Hotline eingerichtet, um Korruptionsfälle zu melden (USDOS 20.4.2018).

Die Bekämpfung der Korruption wird in Marokko unter anderem durch eine langsame Justiz, Zentralismus und die Verflechtung von Politik und Wirtschaft erschwert. Im Alltag ist Korruption allgegenwärtig. Ob im Krankenhaus, in der Schule, an der Universität oder bei der KFZ-Zulassung - fast überall in Marokko werden Extrazahlungen fällig, wenn man eine Dienstleistung braucht. Da das Steuersystem wenig entwickelt und die öffentliche Hand dementsprechend finanziell schwach ist, betrachten viele Marokkaner - einschließlich der verantwortlichen Politiker - die Bestechungsgelder als eine Art Steuerersatz. Als korruptionsanfällig gilt auch die Armee (GIZ 7.2018a).

Marokko belegt im Korruptionswahrnehmungsindex 2017 den 81. von insgesamt 180 Plätzen (TI 25.2.2018).

Quellen:

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2018a): LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 2.8.2018

-TI - Transparency International (21.2.2018): Corruptions Perceptions Index 2017,

https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017, Zugriff 17.8.2018

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 2.8.2018

8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Es gibt in Marokko eine lebendige und aktive Zivilgesellschaft mit nationalen und internationalen NGOs, die im Prinzip unbehelligt agieren kann. Verbote gegen einzelne Veranstaltungen und Einschränkungen für NGOs und Menschenrechtsorganisationen kommen jedoch vor. Ein NGO-Gesetz gibt es nicht. Für NGOs gilt das Vereinsrecht. Sie müssen sich beim Innenministerium registrieren lassen. Es kommt vor, dass die Registrierungsanzeigen nicht fristgemäß mit einer Eingangsbestätigung beantwortet werden (AA 14.2.2018).

Menschenrechtsorganisationen publizieren Berichte über Menschenrechtsfälle. Die Einstellung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen variiert jedoch, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensitivität der jeweiligen Angelegenheit. Lokale und internationale NGOs sind immer wieder Einschränkungen bei ihren Aktivitäten ausgesetzt (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 14.2.2018). Die Regierung trifft sich gelegentlich mit Vertretern von NGOs und beantwortet Anfragen und Empfehlungen seitens der NGOs (USDOS 20.4.2018).

Der Bereich NGOs/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft (ca. 90.000 Vereinigungen) dar, mit einer aktiven und sich artikulierenden Menschenrechts-Verteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert und dessen Arbeit ergänzt oder diesem sogar voraneilt. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH (Organisation Marocaine des Droits Humains) und die AMDH (Association Marocaine des Droits Humains). Die Zivilcourage der einzelnen Aktivisten verdient Anerkennung, weil nicht nur Gefahr besteht, mit staatlicher Repression in Konflikt zu geraten, sondern auch an die Grenzen des von der Gesellschaft Tolerierten zu stoßen (ÖB 9.2015).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 2.8.2018

9. Ombudsmann

Zur Kontrolle der Gewährleistung grundlegender Menschenrechte wurde nach der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 2011 ein "Nationaler Menschenrechtsrat" (Conseil National des droits de l'homme - CNDH) als besondere Verfassungsinstanz eingerichtet. Seine kritischen Bestandsaufnahmen und Empfehlungen zu Gesetzesentwürfen haben Gewicht und beeinflussen die Politik (AA 14.2.2018; vgl. ÖB 9.2015). Der CNDH ist sichtbar, aktiv und produktiv (Berichte über psychiatrische Anstalten, Strafvollzug, Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Situation von Asylsuchenden und Migranten). Er legt jährlich einen Bericht vor, der dem König und dem Parlament zur Kenntnis gebracht wird und nimmt auch zu Individualfällen Stellung, bis hin zur Intervention (ÖB 9.20215). Menschenrechtsangelegenheiten werden somit durch den CNDH, die interministerielle Abordnung über Menschenrechte (DIDH), und die Institution des Médiateur (Ombudsmann) wahrgenommen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430366.html, Zugriff 2.8.2018

10. Wehrdienst und Rekrutierungen

Das Mindestalter für den freiwilligen Militärdienst ist 20 Jahre. Es gibt keine Wehrpflicht, die Mindestverpflichtungsdauer für den freiwilligen Militärdienst ist 18 Monate (CIA 12.7.2018). Die allgemeine Wehrpflicht ist seit dem 31.8.2006 ausgesetzt (AA 14.2.2018).

Frauen haben Zugang zu den Streitkräften, aber nicht zu allen Truppengattungen. Die Armee ist als Arbeitgeber begehrt. Rund die Hälfte der marokkanischen Streitkräfte befindet sich dauerhaft auf dem Gebiet der Westsahara. Fahnenflucht wird mit Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren bestraft. Bestrafungen aufgrund von Wehrdienstverweigerung und Desertion sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt geworden (AA 14.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook - Morocco,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/mo.html, Zugriff 2.8.2018

11. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substantiell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen "roten Linien" (Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i.e. Annexion der Westsahara) quasi als "Baugesetze" des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage, v. a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht, teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 9.2015).

In den unter Titel II aufgeführten Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte (AA 14.2.2018)

Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam in Frage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt. Obwohl Kritik an den Staatsdoktrinen strafrechtlich sanktioniert wird, werden entsprechende Verurteilungen in den vergangen Jahren eher selten bekannt. Marokkanische NGOs sind der Auffassung, dass administrative Schikanen eingesetzt und Strafverfahren zu anderen Tatbeständen (z. B. Ehebruch oder Steuervergehen) angestoßen oder auch konstruiert werden, um politisch Andersdenkende sowie kritische Journalisten einzuschüchtern oder zu verfolgen (AA 14.2.2018).

Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des VN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen (AA 14.2.2018). Im September 2017 unterbreitete der UN-Menschenrechtsrat nach der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung der Menschenrechtslage in Marokko dem Land Empfehlungen (AI 22.2.2018)

Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, einige Gesetze schränken die Meinungsfreiheit, vor allem im Bereich der Presse und den sozialen Medien, ein (USDOS 20.4.2018). Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich geschützt, aber hinsichtlich der drei Staatsprinzipien eingeschränkt. Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten.

Staatliche Zensur existiert nicht, sie wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der drei Tabuthemen ersetzt. Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 14.2.2018).

Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität und den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 20.4.2018; vgl. HRW 18.1.2018, AA 14.2.2018), sowie Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (USDOS 20.4.2018; vgl. HRW 18.1.2018). Für Kritik in diesen Bereich können weiterhin Haftstrafen verhängt werden (HRW 18.1.2018). Für kritische Äußerungen in anderen Bereichen wurden Haftstrafen im Rahmen einer Änderung des Pressegesetzes im Juli 2016 abgeschafft und durch Geldstrafen ersetzt (USDOS 20.4.2018; vgl. HRW 18.1.2018).

Verfolgung wegen politischer Überzeugungen erfolgt zwar nicht systematisch flächendeckend, bleibt aber ein reelles Risiko für politisch aktive Personen außerhalb des politischen Establishments und Freigeister. Parameter des "Wohlverhaltens" sind die "roten Linien" (Monarchie, Islam, territoriale Integrität) sowie der Kampf gegen den Terrorismus. Wer sich dagegen kritisch äußert oder dagegen politisch aktiv wird, muss mit Repression rechnen. Durch Fokussierung auf Einzelfälle, deren Publizierung gar nicht behindert wird, entsteht eine generalpräventive Grundstimmung: die Marokkaner wissen sehr gut abzuschätzen, wann sie mit Äußerungen in tiefes Wasser geraten könnten. Dies hindert aber nicht, dass Jugend, Menschenrechtsaktivisten, Interessensvertreter dennoch laufend ihre Stimme erheben, wobei nicht jede kritische oder freiherzige Äußerung unbedingt Konsequenzen haben muss; insbesondere Medien und Persönlichkeiten mit großer Visibilität wird ein gewisser Freiraum zugestanden. Gegenüber Regierung, Ministern und Parlament etwa kann ganz freimütig Kritik geübt werden. Die "kritische Masse" für das Eingreifen der Obrigkeit scheint erst beim Zusammentreffen mehrerer Faktoren zustande zu kommen: Etwa Infragestellen des Autoritätsgefüges (Königshaus, Sicherheitskräfte) oder Kritik am Günstlingsumfeld des Hofes ("Makhzen") verbunden mit publizitärer Reichweite des Autors (ÖB 9.2015).

Die - auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten - Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten - vor allem im Gebiet der Westsahara selbst - besonders exponiert sind (ÖB 9.2015).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die "roten Linien" Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 14.2.2018). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 20.4.2018). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor (AA 14.2.2018; vgl. HRW 18.1.2018), selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 14.2.2018). In Einzelfällen kam es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018).

2017 gab es eine Vielzahl von Protesten gegen staatliches Versagen, Korruption und Machtwillkür in der Rif-Region, die unter dem Schlagwort "Hirak" zusammengefasst werden. Berichtet wurde von zunehmend hartem Durchgreifen der Sicherheitskräfte, Videos von Polizeieinsätzen wurden durch Aktivisten in Facebook hochgeladen. Eine der größten (nicht genehmigten) Demonstrationen dieses Jahres fand am 20.7.2017 in Al Hoceima statt. Die NGO AMDH kritisierte in einem Bericht die zwangsweise Abnahme von DNA-Proben von Verdächtigen, den Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken sowie die Gewahrsamnahme von bis zu 300 Demonstranten. Auch HRW berichtete von Misshandlungen von Demonstranten. Der nationale Menschenrechtsrat (Conseil National des Droits de l'Homme - CNDH) übergab einen Bericht zu Misshandlungsvorwürfen von Demonstranten gegen Sicherheitskräfte an die Staatsanwaltschaft. Untersuchungsergebnisse wurden bislang nicht bekannt. Einige Aktivisten der Rif-Proteste wurden wegen Teilnahme an einer nicht-genehmigten Demonstration, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Gefährdung der inneren Sicherheit zu zum Teil hohen Haftstrafen verurteilt. Gleichzeitig profitierten einige inhaftierte Aktivisten von einem Gnadenankt des Königs (AA 14.2.2018).

Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 20.4.2018). Vielen Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 18.1.2018). Auf diese Weise verbietet die Regierung politische Oppositionsgruppen, indem sie ihnen den NGO-Status nicht zuerkennt. Der NGO-Status wird auch Organisationen nicht zuerkannt, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen (USDOS 20.4.2018).

Andere Kundgebungen wie die Unterstützungsdemonstration mit den Aktivisten der Rif-Proteste vom 11.6.2017 in Rabat mit ca. 25.000 Teilnehmern, verliefen hingegen komplett gewaltfrei, die Sicherheitsbehörden setzten auf eine Deeskalationsstrategie. Das Innenministerium hat 2016 ein Schulungsprogramm für Polizisten zur gewaltfreien Auflösung von Protesten begonnen. Nach Angaben des Staatsministers für Menschenrechte fanden zwischen Oktober 2016 und Juni 2017 500 Versammlungen und Demonstrationen ohne Intervention der Sicherheitskräfte statt (AA 14.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): AA-Bericht zu Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 1.8.2018

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Morocco/Western Sahara,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1425081.html, Zugriff 2.8.2018

-HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Morocco and Western Sahara,

http://www.ecoi.net/local_link/334712/476546_de.html, Zugriff 3.8.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko

1. Opposition

Die Gründung von neuen Parteien wurde mit der Verfassung von 2011 vereinfacht. Verboten bleibt die Gründung von Parteien auf ethnischer, religiöser, sprachlicher oder regionaler Grundlage. Zugelassene Oppositionsparteien sind in ihrer Arbeit nicht wesentlich eingeschränkt. Politische Debatten werden offen und kontrovers geführt. Parteiprogrammatik ist insgesamt schwach ausgeprägt (AA 14.2.2018).

Neben der parlamentarischen Opposition sind im außerparlamentarischen Bereich vor allem folgende Gruppierungen zu nennen (AA 14.2.2018):

-

Die durch den gewaltsamen Unfalltod eines Fischhändlers in Al Hoceima im Norden Marokkos im Oktober 2016 ausgelöste Protestbewegung ("Hirak") ist eine vor allem über die sozialen Netzwerke organisierte Bewegung ohne klare Strukturen. Einzelne Führungsfiguren, die sich als besonders laute oder prominente Stimmen einen Namen gemacht hatten, sind inzwischen größtenteils inhaftiert, wurden teilweise bereits verurteilt oder stehen vor Gericht (darunter auch die prominenteste Führungsfigur, Nasser Zefzafi). Andere haben sich nach der Entlassung aus der Haft durch königlichen Gnadenerlass aus der Öffentlichkeit zurückgezogen (wie die beliebte Sängerin Sylia Ziani). Die Führungsfiguren des Hirak haben sich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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