TE Bvwg Beschluss 2020/1/20 W240 2224319-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.01.2020
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Entscheidungsdatum

20.01.2020

Norm

AsylG 2005 §35 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W240 2224319-1/3E

W240 2224321-1/3E

W240 2224320-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Nairobi vom 09.09.2019,

Zl. Nairobi-OB/KONS/0608/2019, aufgrund der Vorlageanträge von XXXX , alle StA. Somalia, über die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Nairobi vom 17.06.2019, Beschlossen:

A)

I. Die Beschwerdevorentscheidung vom 09.09.2019, Zl. Nairobi-OB/KONS/0608/2019, wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde ersatzlos aufgehoben.

II. Den Beschwerden gegen die Bescheide der Österreichischen Botschaft Nairobi vom 17.06.2019 wird gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG stattgegeben, die bekämpften Bescheide werden behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Österreichische Botschaft Nairobi zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Die Erstbeschwerdeführerin XXXX , der Zweitbeschwerdeführer XXXX und der Drittbeschwerdeführer XXXX sind somalische Staatsangehörige und stellten am 16.10.2017 bei der Österreichischen Botschaft Nairobi (in der Folge auch: "ÖB Nairobi") einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß

§ 35 Abs. 1 AsylG 2005. Die Erstbeschwerdeführerin behauptete am XXXX , der Zweitbeschwerdeführer am XXXX und der Drittbeschwerdeführer am XXXX geboren zu sein. Als Bezugsperson wurde die angeblich Mutter XXXX , StA. Somalia, genannt, der in Österreich der Asylstatus vom Bundesverwaltungsgericht unter der Zahl W236 2139888-1 zuerkannte wurde (mündliche Verkündung des Asylstatuts in der Verhandlung vom 17.08.2017 und gekürzte Ausfertigung vom 11.09.2017).

2. In seiner Mitteilung nach § 35 Abs. 4 AsylG 2005 vom 10.05.2019 betreffend die Beschwerdeführer führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass betreffend die antragstellenden Parteien die Gewährung des Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, da die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährig waren und somit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Einreise gemäß § 35 AsylG 2005 nicht gegeben seien. Es wurde in der beiliegenden Stellungnahme des BFA darauf verwiesen, dass als Beweismittel die Antragsformulare samt Beilagen, der Verfahrensakt der Bezugsperson, die Einvernahme der Bezugsperson, welche am 14.11.2018 erfolgt war, und die Ergebnisse der Altersfeststellung des Aga Khan University Hospitals Nairobi vom März 2019 herangezogen wurden.

Zu den von den Beschwerdeführern vorgelegten Kopien von Geburtsbestätigungen, welche die behaupteten Geburtsdaten der Beschwerdeführer belegen und angeblich vom Bürgermeister von Mogadishu ausgestellt wurden, wurde in der Stellungnahme darauf verwiesen, dass der angeführte Name des Bürgermeisters nicht mit dem zum Ausstellungszeitpunkt tatsächlich amtierenden Bürgermeister übereinstimme und wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass in Somalia jedes Dokument mit jedem nur erdenklichem Inhalt auch entgegen der wahren Tatsachen widerrechtlich erlangt werden kann und daher massive Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Urkunden und der Beweiskraft dieser Bestätigungen bestehen würden. Gleiches gelte auch für die Kopien der vorgelegten Reisepässe betreffend die Beschwerdeführer und die Kopie der somalischen Heiratsurkunde betreffen die Bezugsperson.

In der Stellungnahme des BFA wurde überaus ausführlich dargelegt, weshalb die Volljährigkeit der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen sei laut Einschätzung des BFA. Es wurde insbesondere ausgeführt, dass kein relevantes Familienverhältnis vorliege, weil sich aus den medizinischen Begutachtungen des Aga Khan University Hospitals Nairobi und dem Bezugsakt der Bezugsperson ergebe, dass es sich bei den Beschwerdeführern um volljährige Personen handle und die Beschwerdeführer demnach zum prüfungsrelevanten Zeitpunkt nicht mehr minderjährige Personen gewesen seien. Verwiesen wurde auch auf die Angaben der Bezugsperson in deren Verfahren, daraus ergebe sich auch die Volljährigkeit der Beschwerdeführer. Schließlich liege auch dem Bundesamt eine UNHCR-Liste vor, in der die Beschwerdeführer in Nairobi registriert worden seien, diese Liste sei auch Beweismittel im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung der Bezugsperson gewesen. Es wurde schließlich darauf verwiesen, dass die Angaben der Bezugsperson wesentlich stärker zu berücksichtigen seien, weshalb bei Antragstellung der Beschwerdeführer keine Minderjährigkeit vorgelegen seien und die Wahrscheinlichkeitsprognose negativ sei. In der Folge wurde daher festgestellt, dass der Antrag der beschwerdeführenden Parteien auf Erteilung eines Einreisetitels abzulehnen ist.

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 06.06.2019 wurde den beschwerdeführenden Parteien die Gelegenheit gegeben, die Ablehnungsgründe durch ein unter Beweis zu stellendes Vorbringen zu zerstreuen.

4. Die beschwerdeführenden Parteien haben zu dieser beabsichtigten Entscheidung mit Schreiben vom 12.06.2019 Stellung genommen. In der Stellungnahme wurde aufgeführt, dass sich die Wahrscheinlichkeitsprognose auf das Ergebnis der Altersfeststellung beziehe, welche den Beschwerdeführern nicht vorliege. Das Gutachten stelle einen Aktenbestandteil dar, welchem nunmehr entscheidungserhebliche Bedeutung zukomme, zumal das BFA aufgrund dieses Ergebnisses beabsichtige, die Anträge der Beschwerdeführer abzuweisen. Um den Beschwerdeführern allerdings Parteiengehör zu gewährleisten, sei es erforderlich, das Gutachten vorzuhalten, damit die Beschwerdeführer dazu sinnvoll Stellung beziehen könnten. Dies sei bereits mehrmals schriftlich erfolglos beantragt worden, es sei für die Beschwerdeführer daher nicht möglich das Gutachten auf die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit hin sinnvoll Stellung zu beziehen, wenn den Beschwerdeführern das Gutachten nicht vorgehalten werde. Das BFA teile zwar in seiner Stellungnahme den Beschwerdeführern die angewandte Methodik mit, jedoch sei anhand dieser Informationen dennoch nicht ausreichend nachvollziehbar, auf welchem Weg der Gutachter/die Gutachten zu den jeweiligen Befunden gelangen hätten können. Es sei auch zu bedenken, dass die Gutachten zur Altersdiagnostik regelmäßig eine gewisse Schwankungsbreite aufweisen würden, welche Basis für erhebliche und begründete Zweifel liefern würden. Weiters werde darauf hingewiesen, dass im gegenständlichen Fall zwei Mal eine Untersuchung zur Altersfeststellung stattgefunden habe, einmal am 24.12.2018 und einmal am 19.03.2019. Es wurde moniert, dass eine multifaktorielle Untersuchung nicht erfolgt sei und die Altersdiagnose eine hohe Schwankungsbreite aufweise, weshalb es ein taugliches Beweismittel nicht darstelle. Zu den Angaben der Bezugsperson wurde ausgeführt, dass die Bezugsperson die genauen Geburtsdaten der Kinder nicht kenne. Im Rahmen der Erstbefragung habe die Bezugsperson die Geburtsdaten nur geschätzt. Es wurde beantragt, das Gutachten der Altersfeststellung vom Dezember 2018 und vom März 2019 zur Stellungnahme zu übermitteln oder zur neuerlichen Bewertung an das BFA weiterzueleiten.

5. Die Stellungnahme der Beschwerdeführer wurde dem BFA zur neuerlichen Beurteilung der Prognoseentscheidung zugeleitet. Das BFA hat nach deren Prüfung mitgeteilt, dass es vollinhaltlich an der ersten negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festhalte.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.06.2019 wies die ÖB Nairobi die Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab. Verwiesen wurde auf die Stellungahmen des BFA zu der Antragstellung der Beschwerdeführer.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher zunächst das Vorbringen in der Stellungnahme vom 12.06.2019 wiederholt wurde. Weiters wurde ausgeführt, dass nach der ausführlichen Stellungnahme vom 12.06.2019 keine weitere Auseinandersetzung seitens des BFA mit dem konkret zu Grunde liegenden Sachverhalt stattgefunden habe. Dies trotz der Tatsache, dass bereits auf die fehlerhafte Interpretation des vorliegenden Gutachtens hingewiesen worden sei. Das Parteienvorbringen sei sohin außer Acht gelassen worden. Weiters liege eine massive Verletzung des Rechts aufs Parteiengehör vor, zumal einerseits das erste erstellte Altersgutachten den Beschwerdeführern von Seiten der Behörde durch völliges Außerachtlassen vorenthalten werde sowie andererseits auch das von der Behörde erwähnte Gutachten den Beschwerdeführer trotz Antrag nicht zur Akteneinsicht übermittelt worden sei.

8. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 09.09.2019, eingelangt bei der Vertretung der Beschwerdeführer am 09.09.2019, wies die ÖB Nairobi die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.

Auch nach dem Beschwerdevorbringen sei unstrittig, dass die Beschwerdeführer einen Antrag nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt hätten und dass eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ergangen sei.

9. Am 09.09.2019 wurde der Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG eingebracht. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerdevorentscheidung im gegenständlichen Fall zu spät ergangen sei. Gemäß § 14 VwGVG stehe es der Behörde im Verfahren über Beschwerden frei, die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten per Beschwerdevorentscheidung abzuweisen. Die Beschwerdevorentscheidung sei jedoch verspätet ergangen. Im Übrigen wurde auf das Vorbringen in der Beschwerde verwiesen und beantragt, der Beschwerde Folge zu leisten und den Beschwerdeführern die Einreise zu ermöglichen.

10. Mit Schreiben vom 08.10.2019, eingelangt beim BVwG am 11.10.2019, wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt Verwaltungsakten übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der oben wiedergegebene Verfahrensgang.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.06.2019 wies die ÖB Nairobi die Anträge der Beschwerdeführer auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 01.07.2019, eingelangt am selben Tag.

Die zweimonatige Frist hinsichtlich der am 01.07.2019 bei der befassten Behörde eingegangenen Beschwerde nach § 33 Abs 2 AVG (iVm § 17 VwGVG) endete am Dienstag, 01.09.2019. Tatsächlich wurde die mit 09.09.2019 datierte Beschwerdevorentscheidung, erst am 09.09.2019 zugestellt, und ist somit verspätet. Die Beschwerdevorentscheidung wurde verspätet und sohin von einer unzuständigen Behörde erlassen.

Im gegenständlichen Fall liegt eine Verletzung des Rechts aufs Parteiengehör vor, insbesondere wurde trotz Antrag durch die Beschwerdeführer die in der Stellungnahme, welche dem Bescheid zugrunde gelegt wurde, die darin zitierten und herangezogenen "Altersgutachten" (sic), eigentlich handelt es sich um die Ergebnisse des Handwurzelröntgens - den Beschwerdeführern nicht zur Durchsicht übermittelt.

2. Beweiswürdigung:

Die Festgestellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem Akt der ÖB Nairobi.

Die festgestellten Tatsachen, insbesondere das Datum der Rechtskraft der Asylzuerkennung hinsichtlich der Bezugsperson, der Zeitpunkt der Antragstellung der gegenständlichen Anträge und die Erlassungsdaten der Beschwerde sowie der Beschwerdevorentscheidung, ergeben sich zweifelsfrei aus den Akten der ÖB Nairobi und wurden von den Beschwerdeführern nicht in sustantiierter Weise bestritten. In der mit 09.09.2019 datierten Beschwerdevorentscheidung selbst wird ausdrücklich festgehalten, dass die gegenständliche Beschwerde bereits am 01.07.2019 bei der ÖB Nairobi einlangte, somit wird dieser Umstand von der belangten Behörde selbst festgestellt und nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Beschwerde und Beschwerdevorentscheidung

Zu Spruchpunkt A) I. Beschwerdevorentscheidung von unzuständiger Behörde erlassen:

Die Beschwerde vom 17.06.2019 bei der ÖB Nairobi, wurde rechtzeitig erhoben und ist zulässig.

Allerdings wurde die Beschwerdevorentscheidung mit 09.09.2019 verspätet und damit von einer unzuständigen Behörde erlassen.

Der Vorlageantrag wurde rechtzeitig erhoben und ist zulässig.

Gemäß § 14 Abs 1 VwGVG stand es der belangten Behörde frei, den angefochtenen Bescheid - innerhalb von zwei Monaten - aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen, wie hier erfolgt (Beschwerdevorentscheidung); dies unter sinngemäßer Beachtung des § 27 VwGVG. Die zweimonatige Frist beginnt mit dem Einlangen der Beschwerde bei der Behörde zu laufen (vgl Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 14 Rz 7), ebenso Eder/Martschin/Schmid, das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], § 14 VwGVG K 6.).

Diese zweimonatige Frist endete hinsichtlich der am 01.07.2019 bei der befassten Behörde eingegangenen Beschwerde nach § 33 Abs 2 AVG (iVm § 17 VwGVG) am Dienstag, 01.09.2019. Mit Ablauf des 01.09.2019 wäre die Beschwerdevorentscheidung gegenüber den Beschwerdeführern zu erlassen gewesen, tatsächlich wurde die mit 09.09.2019 datierte Beschwerdevorentscheidung erst am 09.09.2019 zugestellt und ist somit verspätet. In der Beschwerdevorentscheidung selbst wird ausdrücklich festgehalten, dass die gegenständliche Beschwerde bereits am 01.07.2019 bei der ÖB Nairobi einlangte, somit wird dieser Umstand nicht bestritten.

Wie dargestellt wurde die mit 09.09.2019 datierte Beschwerdevorentscheidung dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführer erst am 09.09.2019 zugestellt; sie ist somit verspätet und sohin von einer unzuständigen Behörde erlassen.

Nach § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Frage der Zuständigkeit der erlassenden Behörde von Amts wegen aufzugreifen. Die Beschwerdevorentscheidung ist daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde nach § 28 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 VwGVG iVm § 14 Abs 1 VwGVG iVm § 27 VwGVG ersatzlos zu beheben.

(vgl Eder/Martschin/Schmid, das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], § 14 VwGVG K 7.)

Die Beschwerdevorentscheidung tritt durch den Vorlageantrag mangels einer gesetzlichen Regelung nicht außer Kraft, was vom Gesetzgeber offenbar beabsichtigt war (vgl RV 2009, BlgNR 24 GP 5), sondern derogiert dem Ausgangsbescheid endgültig und wird zum Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (dazu ausführlich VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026).

Da mit vorliegender Entscheidung allerdings die Beschwerdevorentscheidung ersatzlos ex tunc behoben wird, war die Behörde doch bereits mit 02.09.2019 unzuständig, ist der angefochtene Bescheid nicht mehr derogiert und dieser in Folge anhand der Beschwerde iSd § 28 Abs 2 VwGVG zu prüfen.

Stellt sich die Frage nach dem rechtlichen Schicksal des Vorlageantrages. Vereinzelt könnte die Meinung vertreten werden, durch die ex tunc Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung wäre der Vorlageantrag nun mangels derselben unzulässig. Dies erscheint nicht konsequent und gibt es aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinen vernünftigen Grund, den Vorlageantrag deswegen aus dem Rechtsbestand zu entfernen, war er doch als Rechtsmittel gegen die (verspätete) erlassene Beschwerdevorentscheidung insoweit erfolgreich, als er zu deren Aufhebung führte. Schließlich wird eine Beschwerde auch nicht dadurch unzulässig, dass ihr Erfolg beschieden ist.

3.2. Sache des nun wieder offenen Beschwerdeverfahrens

Zu Spruchpunkt A) II. - Behebung der Bescheide und Zurückverweisung:

Zu prüfen ist somit im gegenständlichen Fall, ob die Beschwerde gegen den Bescheid der ÖB Nairboi vom 17.06.2019 gemäß § 35 AsylG 2005 zu Recht als unbegründet abgewiesen wurde.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 idgF lauten:

Familienverfahren im Inland

"§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

2. aufgehoben

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. aufgehoben

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

"§ 35 (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat."

§ 75 Abs 24 AsylG 2005 idF BGBl I Nr 24/2016 lautet:

"(24) Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 zuerkannt wurde und auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15. November 2015 gestellt haben, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15, 3 Abs. 4 bis 4b, 7 Abs. 2a und 51a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 nicht anzuwenden. Für diese Fremden gilt weiter § 2 Abs. 1 Z 15 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016. §§ 17 Abs. 6 und 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, nicht anzuwenden. Auf Verfahren gemäß § 35, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, ist § 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 weiter anzuwenden. Handelt es sich bei einem Antragsteller auf Erteilung des Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 um den Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 rechtskräftig zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 nicht zu erfüllen, wenn der Antrag auf Erteilung des Einreisetitels innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 gestellt wurde. § 22 Abs. 1 gilt für Verfahren, die mit Ablauf des 31. Mai 2018 bereits anhängig waren, auch noch nach dem 31. Mai 2018 weiter.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) idgF lauten:

Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

"§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG2005

§ 26 Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Fremden ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen."

Im Erkenntnis vom 01.03.2016, Ro 2015/18/20002 bis 0007, hält der VwGH zunächst fest, dass der in § 35 Abs. 4 AsylG 2005 angeordnete Beweismaßstab, nach dem das Bundesamt zu beurteilen hat, ob es eine positive oder negative Mitteilung abgibt, für sich betrachtet rechtsstaatlich nicht bedenklich erscheint. Da das Gesetz vorsieht, dass eine positive Mitteilung des Bundesamtes schon dann zu ergehen hat, wenn die Gewährung von internationalem Schutz bloß wahrscheinlich ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eine negative Prognose nur dann erfolgen darf, wenn die Gewährung dieses Schutzes in einem nach Einreise in Österreich zu führenden Asylverfahren nicht einmal wahrscheinlich ist; Gewissheit darüber, dass dem Antragsteller internationaler Schutz in Österreich gewährt werden wird, erfordert die Erteilung einer Einreiseerlaubnis hingegen nicht.

Um somit die Einreiseerlaubnis nach Österreich zu erhalten, müssen die Beschwerdeführer lediglich die niedrigere Beweisschwelle der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gewährung internationalen Schutzes überspringen. Schon dann steht ihm die Möglichkeit offen, in das Bundesgebiet einzureisen und dort ein Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 - mit allen Verfahrensgarantien - zu absolvieren. Dass § 35 Abs. 4 AsylG 2005 die Vergabe eines Visums an die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes im künftigen Asylverfahren bindet, erscheint unter diesem Blickwinkel mit dem rechtsstaatlichen Prinzip somit nicht im Widerspruch zu stehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG an die Mitteilung des Bundesasylamtes (nunmehr: des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl) über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung. Diesbezüglich kommt ihr keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034 unter Hinweis auf VwGH 17.10.2013, 2013/21/0152; VwGH 19.06.2008, 2007/21/0423).

Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, wurde in § 9 Abs. 3 FPG jedoch für Fremde (ohne Unterschied) die Möglichkeit geschaffen, gegen ablehnende Entscheidungen der österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten Beschwerde an das BVwG zu erheben; dies gilt auch für die Ablehnung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005. Das Gesetz sieht nun ein geschlossenes Rechtsschutzsystem vor, in dem das Zusammenwirken zweier Behörden (der unmittelbaren Bundesverwaltung), wie es in § 35 Abs. 4 AsylG 2005 angeordnet wird, vor einem gemeinsamen, zuständigen Verwaltungsgericht, nämlich dem BVwG, angefochten und dort überprüft werden kann. Dabei steht es dem BVwG offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, was voraussetzt, dass das BFA seine Mitteilung auch entsprechend begründet und dem Antragsteller Gelegenheit geboten wird, davon Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung nehmen zu können. Wird dieses Parteiengehör nicht gewährt, könnte einem bestreitenden Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerde an das BVwG gegen eine abweisende Entscheidung in Bezug auf den Einreisetitel nach § 35 AsylG 2005 das Neuerungsverbot nach § 11a Abs. 2 FPG nicht entgegengehalten werden (vgl. auch VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0083 bis 0086-12).

Mit Erkenntnis vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH klargestellt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung iSv § 28 Abs 3 2. Satz VwGVG nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch zu machen ist. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor bzw. wurde auch Verfahrensvorschriften nicht ausreichend Rechnung getragen.

Die Erstbeschwerdeführerin behauptete am XXXX , der Zweitbeschwerdeführer am XXXX und der Drittbeschwerdeführer am XXXX geboren zu sein. Als Bezugsperson wurde die angeblich Mutter XXXX , StA. Somalia, genannt, der in Österreich der Asylstatus vom Bundesverwaltungsgericht unter der Zahl W236 2139888-1 zuerkannte wurde (mündliche Verkündung des Asylstatuts in der Verhandlung vom 17.08.2017 und gekürzte Ausfertigung vom 11.09.2017).

Das BVwG verkennt nicht, dass in der Stellungnahme des BFA überaus ausführlich dargelegt wurde, weshalb die Volljährigkeit der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung laut Einschätzung des BFA nicht vorlag. Es wurde insbesondere ausgeführt, dass kein relevantes Familienverhältnis vorliege, weil sich aus den medizinischen Begutachtungen des Aga Khan University Hospitals Nairobi und dem Bezugsakt der Bezugsperson ergebe, dass es sich bei den Beschwerdeführern um volljährige Personen handle und es demnach zum prüfungsrelevanten Zeitpunkt nicht mehr minderjährige Personen betreffe. Verwiesen wurde auch auf die Angaben der Bezugsperson in dessen Verfahren, daraus ergebe sich auch die Volljährigkeit der Beschwerdeführer. Schließlich wurde auch auf eine dem Bundesamt vorliegende UNHCR-List verwiesen, in der die Beschwerdeführer in Nairobi registriert worden seien, diese Liste sei auch Beweismittel im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung der Bezugsperson gewesen. Es wurde vom BFA darauf verwiesen, dass die Angaben der Bezugsperson wesentlich stärker zu berücksichtigen seien, weshalb bei Antragstellung der Beschwerdeführer keine Minderjährigkeit vorgelegen seien und die Wahrscheinlichkeitsprognose negativ sei. Es wurde in der beiliegenden Stellungnahme des BFA darauf verwiesen, dass als Beweismittel die Antragsformulare samt Beilagen, der Verfahrensakt der Bezugsperson, die Einvernahme der Bezugsperson, welche am 14.11.2018 erfolgt war, die Ergebnisse der Altersfeststellung des Aga Khan University Hospitals Nairobi vom März 2019 herangezogen wurden.

In der von den beschwerdeführenden Parteien erhobenen Stellungnahme vom 12.06.2019 wurde zu Recht aufgeführt, dass sich die Wahrscheinlichkeitsprognose auf das Ergebnis der Altersfeststellung beziehe, welche den Beschwerdeführern nicht vorliege. Das Gutachten stelle einen Aktenbestandteil dar, welchem nunmehr entscheidungserhebliche Bedeutung zukomme, zumal das BFA aufgrund dieses Ergebnisses beabsichtige, die Anträge der Beschwerdeführer abzuweisen. Um den Beschwerdeführern allerdingst Parteiengehör zu gewährleisten, sei es erforderlich, das Gutachten vorzuhalten, damit die Beschwerdeführer dazu sinnvoll Stellung beziehen könnten. Dies sei bereits mehrmals schriftlich beantragt worden, es sei für die Beschwerdeführer nicht möglich das Gutachten auf die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit hin sinnvoll Stellung zu beziehen, wenn den Beschwerdeführern das Gutachten nicht vorgehalten werde. Das BFA teilte in seiner Stellungnahme den Beschwerdeführern lediglich die angewandte Methodik mit, jedoch sei anhand dieser Informationen dennoch nicht ausreichend nachvollziehbar, auf welchem Weg der Gutachter/die Gutachten zu den jeweiligen Befunden gelangen hätten können. Es wurde darauf weiters verwiesen, dass das BFA selbst ausführt habe, dass die zur Untersuchung angewandte Methodik eine große Variationsbreite aufweise und daher Kritik daran geäußert werde. Weiters werde darauf hingewiesen, dass im gegenständlichen Fall zwei Mal eine Untersuchung zur Altersfeststellung stattgefunden habe, einmal im Dezember 2018 und einmal im März 2019. Es wurde moniert, dass eine multifaktorielle Untersuchung nicht erfolgt sei und die Altersdiagnose eine hohe Schwankungsbreite aufweise, weshalb es kein taugliches Beweismittel darstelle. Zu den Angaben der Bezugsperson wurde ausgeführt, dass die Bezugsperson die genauen Geburtsdaten der Kinder nicht kenne. Im Rahmen der Erstbefragung habe die Bezugsperson die Geburtsdaten nur geschätzt. Es wurde beantragt, das Gutachten der Altersfeststellung vom Dezember 2018 und vom März 2019 zur Stellungnahme zu übermitteln oder zur neuerlichen Bewertung an das BFA weiterzuleiten.

Im gegenständlichen Fall wurde somit die in der Stellungnahme des BFA, welche der Wahrscheinlichkeitsgrundlage und in der Folge den Bescheiden zugrunde gelegt wurde, erwähnte Altersdiagnose vom März 2019 trotz Aufforderung nicht den Beschwerdeführern im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden. Weiters wurde in der Stellungnahme der Beschwerdeführer zu Recht darauf verwiesen, dass es sich lediglich um ein Handwurzelröntgen handelt und es um eine Altersfeststellung, datiert mit März 2019 auch eine vom Dezember 2018 hinsichtlich aller Beschwerdeführer gibt, welche jedoch in der Beweiswürdigung keinen Eingang fand.

Die Beschwerdeführer haben sowohl in der Stellungnahme als auch in der Beschwerde die Vertretungsbehörde aufgefordert, die Altersdiagnostik betreffend die Beschwerdeführer auszuhändigen. Da dies nicht geschehen ist, stellt dies einen Verfahrensmangel (Verletzung des Rechts auf Parteiengehörs) dar, da den Beschwerdeführern dadurch die Möglichkeit genommen wurde, eine zielgerichtete Stellungnahme zu erstatten und den Ergebnissen der Altersdiagnostik auf gleicher fachlicher Ebene entgegen zu treten. Ein bloßer Austausch der diesbezüglichen Erwägungen zwischen der ÖB Nairobi und dem Bundesamt allein ist jedenfalls nicht ausreichend.

Der Beschwerde ist somit insofern stattzugeben, als den Beschwerdeführern mangels ausreichendem Parteiengehör keine Möglichkeit zur Abgabe einer umfassenden, abschließenden Stellungnahme gemäß § 11 Abs. 1 letzter Satz FPG 2005 eingeräumt wurde.

Es ist in weiterer Folge zu beachten, dass die Behörde den Einreiseantrag der Beschwerdeführer gegenständlich mit der Begründung abwies, dass diese bereits volljährig und somit kein Familienangehörige im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG sind. Die Volljährigkeit ergebe sich aus dem durchgeführten Handwurzelröntgen; die Echtheit und Richtigkeit bzw. Urkundenüberprüfung hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt von somalischen Dokumenten könne von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden.

Im Hinblick auf die Bedenken der Behörde hinsichtlich Echtheit und Richtigkeit der vorgelegten Urkunden (Geburtsurkunde, Reisepass, Identitätsnachweis) ist vorweg festzuhalten, dass dies allein eine Ablehnung des Antrages nicht zu begründen vermag. In einem solchen Fall hat die Behörde andere Nachweise für das Bestehen der Familienangehörigeneigenschaft zu prüfen; darunter fallen etwa Einvernahmeprotokolle der Bezugsperson, deren zeugenschaftliche Einvernahme oder die Durchführung von DNA-Tests und eben Altersfeststellungsgutachten.

Betreffend das zur Altersfeststellung durchgeführte Handwurzelröntgen ist festzuhalten, dass dieses zwar ein nicht unbedeutendes Indiz darstelle, jedoch keine multifaktorielle Altersdiagnose darstellt und der im Akt erliegende Untersuchungsbericht des Aga Khan University Hospitals vor dem Hintergrund der in der Judikatur entwickelten Anforderungen nicht als Sachverständigengutachten zu qualifizieren ist. Es handelt sich bei dem angesprochenen Berichten (lediglich) um eine ärztliche Auskunft, welche im gegenständlichen Verfahren - neben den vorgelegten Urkunden und dem Parteivorbringen - zur Beurteilung des Sachverhalts herangezogen wurde und - wie bereits ausgeführt wurde - den Beschwerdeführern zur Kenntnisnahme zu übermitteln ist.

Zum Erfordernis der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach die multifaktorielle Altersdiagnose dann angeordnet werden soll, wenn weder aus den bisher vorliegenden Ermittlungsergebnissen hinreichend gesicherte Aussagen zur Volljährigkeit bzw. Minderjährigkeit des Antragstellers gezogen werden können, noch der Antragsteller seine behauptete Minderjährigkeit durch geeignete Bescheinigungsmittel nachweisen kann. Liegen jedoch Ermittlungsergebnisse vor, die die Annahme der Volljährigkeit des Antragstellers bei Asylantragstellung rechtfertigen, so ist weder verpflichtend von Amts wegen eine multifaktorielle Altersdiagnose anzuordnen, noch kommt die Zweifelsregel zugunsten Minderjähriger zu Anwendung (vgl. VwGH vom 19.06.2018, Ra 2018/20/0251; mH auf VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/19/0007 und VwGH vom 28.03.2017, Ra 2016/01/0267).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 25 AsylG basiert die multifaktorielle Untersuchungsmethodik auf drei individuellen medizinischen Untersuchungen (insbesondere körperliche, zahnärztliche und Röntgenuntersuchung). Den erläuternden Bemerkungen zu § 13 Abs. 3 BFA-VG ist darüber hinaus zu entnehmen ist, dass eine Altersdiagnose auf Grundlage eines Untersuchungsmodells zu erfolgen habe, das sich auf drei individuelle medizinische Untersuchungen stütze und eine radiologische Untersuchung alleine keineswegs ausreichend sei (RV 1803 XXIV. GP). Als Verfahren zur Altersfeststellung werden von der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik der Deutschen Gesellschaft folgende Untersuchungen empfohlen: Röntgenuntersuchung der linken Hand, Panoramaschichtröntgen des Gebisses und eine körperliche Untersuchung (Lipphart-Kirchmeir in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, § 13 BFA-VG, Stand: 01.03.2016).

In Gesamtbetrachtung werden im fortgesetzten Verfahren betreffend die Beschwerdeführer alle vorliegenden Ermittlungsergebnisse, insbesondere alle Handwurzelröntgenergebnisse sowie die nach Vorhalt des vorzitierten Ergebnisses eingelangte Stellungnahme durch die Beschwerdeführer und die bereits angeführten Ungereimtheiten und Widersprüche zum Alter der Beschwerdeführer, in einer Gesamtschau zu bewerten sein und im Rahmen des Parteiengehörs den Beschwerdeführern die Einschätzung zur Kenntnis zu bringen sein in Form einer weiteren Stellungnahme durch das BFA. Sollte keine hinreichend gesicherte Feststellung zum Alter der Beschwerdeführer, die die Annahme der Volljährigkeit bei Antragstellung rechtfertigen würden, getroffen werden können, wird ein multifaktorielles Altersgutachten einzuholen und ebenfalls den Beschwerdeführern im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen sein.

Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren die notwendigen weiteren Ermittlungen zur Klärung des tatsächlichen Alters der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung zu veranlassen und in der Folge entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Das Bundesverwaltungsgericht weist noch auf die Spezifika und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.

Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war dieser Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu treffen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W240.2224319.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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