Entscheidungsdatum
15.11.2019Norm
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1Spruch
W159 2180747-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2019, Zl. XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und V. wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall AsylG 2005 stattgegeben und die angefochtenen Spruchpunkte ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 10.09.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und entzog sich durch Untertauchen der Abschiebung nach Italien, welches nach der Dublin-III-Verordnung zuständig gewesen wäre.
Er stellte am 15.01.2015 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 22.01.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Er gab an, er sei bis zu diesem Zeitpunkt in Österreich illegal aufhältig und untergetaucht gewesen zu sein, um seine Abschiebung nach Italien zu verhindern. Italien wäre für die Prüfung seines Asylantrages zuständig gewesen. Aufgrund gesundheitlicher Beschwerden müsse er nunmehr medizinisch versorgt werden und habe neuerlich um Asyl angesucht. Er habe zwischenzeitlich in Österreich im August 2014 nach islamischem Recht geheiratet und lebe mit seiner Frau in XXXX . Seine Stiefmutter und seine beiden Halbgeschwister väterlicherseits würden in XXXX leben. Sein Vater sei 2009 in XXXX verstorben.
Der Beschwerdeführer wurde am 03.02.2015 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Er brachte eine Heiratsurkunde seiner traditionellen Hochzeit, eine Terminbestätigung für die standesamtliche Hochzeit, sowie eine Terminbestätigung für einen Arztbesuch in Vorlage. Es bestehe auch ein Abhängigkeitsverhältnis zur Stiefmutter, die alt und krebskrank sei und zu seinen Halbgeschwistern. Ein Bruder sei ein geistig und gehbehindertes Kind. Seine Frau würde in XXXX und seine Stieffamilie in XXXX leben. Er sei nach XXXX gekommen, um neuerlich diesen Asylantrag zu stellen. Er habe bei der ersten Einvernahme nichts von seiner Frau erwähnt, weil er nicht mit ihr verheiratet gewesen sei.
Das Asylverfahren wurde am 20.04.2015 eingestellt. Der Beschwerdeführer entzog sich zweimal der Dublin-Überstellung nach Italien.
Am 18.04.2016 wurde die Standesamtliche Heiratsurkunde vom 22.04.2015 und ein Urgenzschreiben zur baldigen Anberaumung einer Verhandlung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelt. Das Verfahren sei seit über sechs Monaten in erster Instanz anhängig. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sowie seine Tochter seien asylberechtigt.
Am 01.02.2017 erstattete er durch den XXXX ein neuerliches Urgenzschreiben. Eine Verfahrensdauer von über 16 Monaten sei nicht zumutbar.
Am 02.06.2017 erfolgte eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend den Antrag auf internationalen Schutz vom 13.09.2013. Der Beschwerdeführer brachte die Geburtsurkunde seiner Tochter in Vorlage.
In der niederschriftlichen Einvernahme vom 11.08.2017 gab der Beschwerdeführer an, dass er somalischer Staatsangehöriger, dem Clan der Galgalo angehörig, sunnitischer Moslem und verheiratet sei. In Somalia sei er Waffenhändler gewesen. Er habe sich nur in XXXX aufgehalten. Er könne nicht mehr zurückkehren, weil er nunmehr in Österreich eine Familie habe, für welche er zu sorgen habe. Der Beschwerdeführer gab an, er habe sich der Polizei entzogen, um nicht nach Italien abgeschoben zu werden, um bei seiner Frau bleiben zu können. Zurzeit wohne er mit seiner Familie, seiner Frau und seiner Tochter in XXXX .
Er habe Somalia verlassen, weil seine jetzige Frau Somalia schnell und ungeplant 2011 verlassen habe. Außerdem hätte sein Stiefvater (Onkel) ihn gezwungen beim Waffenverkauf (Pistolen, AK-47, die dazugehörige Munition) zu assistieren. Im Jänner 2012 hätte die somalische Regierung gesetzlich den Waffenverkauf verboten. Da sein Stiefvater die Geschäftspraktiken nicht geändert hätte, habe er sich entschlossen Somalia zu verlassen. Sein Stiefvater sei Mitglied der Al-Shabaab gewesen.
Der Beschwerdeführer brachte eine Bestätigung der XXXX , eine Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs A2, das ÖSD Zertifikat A1 und ein Highschool Zertifikat in Vorlage.
Mit Bescheid vom 13.11.2017 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt, jedoch des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Behörde führte aus, dass der Beschwerdeführer keine staatlichen Verfolgungsmaßnahmen in seiner Heimat zu befürchte hätte, da keine wohlbegründete Furcht vor maßgeblich wahrscheinlicher Verfolgung aus einem der Gründe der GFK glaubhaft gemacht worden sei. Der Beschwerdeführer habe eine solche auch nicht einmal behauptet. Es sei jedoch davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr aufgrund der familiären Konflikte, der mangelnden Clananbindung in Kombination mit der angespannten Versorgungslage in eine ausweglose Lebenssituation geraten würde.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.05.2018 wurde die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1 AslyG 2005, als unbegründet abgewiesen. Das Fluchtvorbringen sei vage und unschlüssig, eine Verfolgung sei nicht glaubhaft gemacht worden.
Am 24.01.2019 übermittelte der Beschwerdeführer das ausgefüllte Formular zwecks Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und beabsichtigte Rückkehrentscheidung und brachte Kursbesuchsbestätigungen, Schreiben des AMS, eine Bestätigung für die freiwillige Mitarbeit beim XXXX , diverse online Zertifikate, ein ÖSD Zertifikat A2, das Zeugnis seines Pflichtschulabschlusses, seine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunden seiner Frau und seiner Töchter (2015, 2018) in Vorlage.
Es lagen keine staatspolizeilichen Vormerkungen über den Beschwerdeführer vor.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, zugestellt am 21.06.2019, wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Zi 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde gem. § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 2 BFA-VG auf Dauer unzulässig erklärt und eine Aufenthaltsberechtigung gem. § 55 Absatz 2 AsylG erteilt (Spruchpunkt IV.). Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt V.).
Die belangte Behörde legte folgende Feststellungen der Ablehnung der Verlängerung des subsidiären Schutzes u.a. zugrunde: Der Beschwerdeführer gehöre zum Clan der Galgalo, sei traditionell und standesamtlich verheiratet und habe zwei Töchter. Er habe keinen physischen oder psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen und stehe nicht in ärztlicher oder medikamentöser Behandlung und sei arbeitsfähig. Er sei keiner staatlichen oder privaten Verfolgung aus GFK Gründen ausgesetzt. Die Al Shabaab stelle keine landesweite, allgemeine und unmittelbare Bedrohung für zivile Einzelpersonen dar. Es lasse sich aus der allgemeinen Sicherheitslage in Somalia eine allgemeine und unmittelbare, reale Gefahr für Zivilpersonen, d.h. ein "real risk" im Sinne der Rechtsprechung nicht ableiten. Seine Familie würde in XXXX leben. XXXX sei eine zumutbare Rückkehrmöglichkeit.
Der Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes wurde abgelehnt weil, der seinerzeit für die Gewährung maßgebliche Grund, zwischenzeitlich nicht mehr gegeben sei, und dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in sein Heimatland grundsätzlich zumutbar sei, da sich die wirtschaftliche Lage und Versorgungssituation, stark verbessert habe und sich vor allem mit XXXX eine zumutbare innerstaatliche Rückkehrmöglichkeit anbieten würde.
Mit Verfahrungsanordnung gem. § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 22.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
Mit Schriftsatz vom 12.07.2019 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und V. des Bescheides und brachte darin im Wesentlichen vor, dass entgegen der Ansicht der Behörde, ihm eine Rückkehr nach Somalia nicht zumutbar sei. Unabhängig davon, dass die Behörde von der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte überzeugt sei, seien die Feststellung im Bezug auf die derzeitige Situation Somalia unrichtig. Die Lage in ganz Somalia sei noch immer prekär. Außerdem habe es die belangte Behörde unterlassen sich im Rahmen des Aberkennungsverfahrens konkret mit dem Vergleich der den Beschwerdeführer persönlich treffenden Situation zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und jener zum Zeitpunkt der Aberkennung auseinanderzusetzen (W 246 111423870-2/7E vom 18.07.2018).
Der Beschwerdeführer brachte in Vorlage: ein Schreiben des XXXX für die Einstellung als Lehrling, ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachkompetenz sowie Werte- und Orientierungswissen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2017 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diese Entscheidung ist rechtskräftig. Begründend wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Rückkehr nach Somalia aufgrund der familiären Konflikte, der mangelnden Clananbindung in Kombination mit der angespannten Versorgungslage in eine ausweglose Lebenssituation geraten würde.
Die allgemeine Lage in Somalia hat sich nicht wesentlich und nachhaltig gebessert.
Die persönliche Situation des Beschwerdeführers hat sich nicht wesentlich geändert. Schon dem Bescheid mit dem, dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war, lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer über Familienangehörige in XXXX verfügt, und dass er den Galgalo angehört. Er gab damals an, dass er keinen Kontakt zu seinen Angehörigen hat.
Die Lage in Somalia hat sich auch aus anderen Gründen nicht dahingehend wesentlich und nachhaltig gebessert, sodass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein würde, sich einen notdürftigsten Lebensunterhalt zu verschaffen.
Eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts zur Frage der Gewährung subsidiären Schutzes ist somit weder im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers noch in Bezug auf die allgemeine Lage in Somalia eingetreten.
1.2 Zu Somalia wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt:
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).
Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und - in noch stärkerem Ausmaß - in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019
-
AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019
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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
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BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
-
LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019
-
NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019):
Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
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15.7.2019
.....
Benadir / Mogadischu
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vgl. BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Abs.11) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).
Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurück erlangt (BMLV 3.9.2019). In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.51). Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5).
Sprengstoffanschläge: Im September und Oktober 2018 ging die Anzahl an Anschlägen vorübergehend zurück; dahingegen nahm in diesem Zeitraum die allgemeine Kriminalität zu (UNSC 21.12.2018, S.3f). Danach hat die Zahl an größeren Anschlägen in und um Mogadischu zugenommen (UNSC 15.8.2019, Abs.16). Es kommt regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen oder aber zu gezielten Tötungen. Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Offizielle, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23f). Betroffen sind Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden (BS 2018, S.9; UNSC 15.5.2019, Abs.12). Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg der Aktivitäten, fast täglich war ein Anschlag mit einem improvisierten Sprengsatz zu verzeichnen (UNSC 15.5.2019, Abs.12). Vereinzelt kommt es zu großangelegten komplexen Angriffen durch al Shabaab, so etwa am 9.11.2018 auf das Sahafi Hotel (50 Tote, darunter sieben Angreifer) (UNSC 21.12.2018, S.3f). Bei einem Selbstmordanschlag im Juli 2019 kamen u.a. der Bürgermeister von Mogadischu und drei District Commissioners ums Leben (Mohamed 17.8.2019; vgl. AJ 25.7.2019).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Andererseits fühlen sich die Menschen von der Regierung nicht adäquat geschützt (LIFOS 3.7.2019, S.25). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei
Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. NLMBZ 3.2019, S.23) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21).
Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017, S.35).
Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 3.9.2019). Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. So sind z.B. jene Teile, in welche Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) besser vor al Shabaab geschützt. IDP-Lager stellen für die Gruppe kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24). Jedenfalls ist al Shabaab nahezu im gesamten Stadtgebiet in der Lage, verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (BMLV 3.9.2019).
Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Auch Dayniile ist stärker betroffen. Gebiete, die weiter als 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, werden teilweise von al Shabaab kontrolliert. Vor allem Dayniile, Yaqshiid und Heliwaa werden als unsichere Gebiete erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.25f).
2018 waren die Bezirke Dayniile, Dharkenley, Hawl Wadaag und Hodan, in geringerem Ausmaß die Bezirke Heliwaa und Yaqshiid von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2018 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile, Heliwaa, Waaberi und Yaqshiid von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).
Auch der sogenannte Islamische Staat (IS) hat in Mogadischu Anschläge und Attentate verübt, die eigene Präsenz ausgebaut (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Vorfälle: In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 217 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 186 dieser 217 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 207 derartige Vorfälle (davon 177 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):
Tabelle kann nicht abgebildet werden
(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)
Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um "violence against civilians" (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED zahlreiche Unschärfen aufweist):
Tabelle kann nicht abgebildet werden
(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)
Quellen:
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), URL, Zugriff 10.1.2018
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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), URL, Zugriff 21.12.2017
-
AJ - Al Jazeera (25.7.2019): Death toll from Mogadishu mayor office suicide attack rises to 11, URL, Zugriff 23.8.2019
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BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
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BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
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ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab's Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019
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LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019):
Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019
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Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019
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NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019):
Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
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PGN - Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline - August 2019, URL, Zugriff 28.8.2019
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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019
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UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 - Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019
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UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
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UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
-
UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019
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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 5.9.2019
....
Allgemeine Menschenrechtslage
In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert, wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 4.3.2019, S.17).
Extralegale Tötungen stellen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Allerdings wäre in solchen Fällen aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von Straflosigkeit auszugehen (AA 4.3.2019, S.19). Es liegen keine Berichte vor, wonach Behörden für Entführungen oder Verschwindenlassen verantwortlich wären (USDOS 13.3.2019, S.3; vgl. AA 4.3.2019, S.19). Al Shabaab entführt Menschen (USDOS 13.3.2019, S.3); 2018 sind mindestens 260 der Gruppe zugeschriebene Entführungen dokumentiert (UNSC 21.12.2018, S.13).
Bei Kämpfen unter Beteiligung von AMISOM, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten (USDOS 13.3.2019, S.1/11f). [Anm.: Siehe Abschnitt 3. Sicherheitslage]
Zivile Behörden sind nur eingeschränkt in der Lage, der Gesellschaft den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: Tötung von Zivilisten durch al Shabaab, somalische Kräfte, Clanmilizen und unbekannte Angreifer (USDOS 13.3.2019, S.1); Gewalt gegen Frauen und Mädchen, darunter Vergewaltigungen (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. SRSG 13.9.2018, S.2); gefährliche traditionelle Rituale; willkürliche Verhaftungen (SRSG 13.9.2018, S.2). In Süd-/Zentralsomalia werden extralegale Tötungen in der Regel von der al Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Attentaten in Gebieten unter staatlicher Kontrolle (AA 4.3.2019, S.19).
Weitere Menschenrechtsverletzungen sind Verschwindenlassen (durch al Shabaab); Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen; Delogierung und sexueller Missbrauch von IDPs; Verwendung von Kindersoldaten. Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen verantwortlich (USDOS 13.3.2019, S.1ff). Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung ergreift nur minimale Schritte, um öffentlich Bedienstete strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 13.3.2019, S.1ff; NLMBZ 3.2019, S.34). Im Zeitraum Jänner-Oktober 2018 wurden somalischen Sicherheitskräften insgesamt 238 tote und verletzte Zivilisten zugeschrieben; AMISOM 8; al Shabaab 611; und anderen Milizen 77. Insgesamt gab es in diesem Zeitraum 1.117 zivile Todesopfer und Verletzte (USDOS 13.3.2019, S.12f). Einer anderen Quelle zufolge gab es im Zeitraum Jänner-Oktober 2018 982 zivile Opfer, mehr als die Hälfte durch al Shabaab (HRW 17.1.2019). 176 Personen wurden zwischen Jänner und August 2018 entführt, die Mehrheit von al Shabaab (USDOS 13.3.2019, S.12f). Für das gesamte Jahr 2018 sind 1.384 zivile Todesopfer und Verletzte dokumentiert, davon werden 60% al Shabaab angelastet (SRSG 3.1.2019, S.5). Im Zeitraum 14.12.2018 bis 4.5.2019 berichtet die UN von 757 getöteten und verletzten Zivilisten, für 72% dieser Opfer wird al Shabaab verantwortlich gemacht, für 9% staatliche Sicherheitskräfte (UNSC 31.5.2019; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.55). Bis 21.7.2019 kamen 322 weitere Opfer hinzu; 76% davon wurden al Shabaab zugerechnet (UNSC 15.8.2019, Abs.46).
Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden, darunter Personen denen Aktivitäten oder Unterstützung für die al Shabaab vorgeworfen wird (USDOS 13.3.2019, S.6f). V.a. die NISA ist dafür verantwortlich (HRW 17.1.2019). Im Zeitraum Jänner-August 2018 gab es bei der Zahl willkürlicher Festnahmen eine Zunahme. Insgesamt wurden 218 Personen verhaftet. Die meisten davon wurden verdächtigt, der al Shabaab anzugehören. Andere hatten Steuern nicht bezahlt oder waren Familienmitglieder desertierter Angehöriger der Sicherheitskräfte. Auch alliierte Milizen, Clanmilizen und al Shabaab verhaften willkürlich Personen (USDOS 13.3.2019, S.6f).
Generell begeht al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2018, S.20). Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 13.3.2019, S.2; vgl. HRW 17.1.2019). Al Shabaab verhängt in Gebieten unter ihrer Kontrolle unmenschliche und degradierende Strafen gegen Zivilisten, darunter Amputation, Auspeitschung, Enthauptung und öffentliche Exekution (SEMG 9.11.2018, S.38; vgl. BS 2018, S.11). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit Regierung, internationalen Organisation oder westlichen Hilfsorganisation vorgeworfen wird (AA 4.3.2019, S.12). Moralgesetze gebieten u.a. strenge Kleidungsvorschriften für Männer und Frauen (BS 2018, S.11).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
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HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019
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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019
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SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019
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UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
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UNSC - UN Security Council (31.5.2019): June 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019
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UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
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UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019
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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
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Minderheiten und Clans
Recht: Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 4.3.2019, S.9). Weder das traditionelle Recht (Xeer) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S.42). Im Xeer sind Minderheiten insofern benachteiligt, alsdass große Clans Kompensationszahlungen eher durchsetzen können (NLMBZ 3.2019, S.38). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S.11).
Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass die Vertreter der vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze zustehen (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. FH 5.6.2019b, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 5.6.2019b, B4). Aktuell sind im Parlament 31 von 275 Sitze von Minderheitsangehörigen besetzt, elf davon durch Bantu (NLMBZ 3.2019, S.42). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Dementsprechend sind politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Sub-Clans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren (ÖB 9.2016, S.4f). In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist die Clanzugehörigkeit also weiterhin wichtig, was Minderheiten und IDPs marginalisieren kann (SEM 31.5.2017, S.35f).
Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 13.3.2019, S.34; vgl. AA 4.3.2019, S.12; FH 5.6.2019b, F4; NLMBZ 3.2019, S.41). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 4.3.2019, S.12).
Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans (USDOS 13.3.2019, S.34). Generell sind Angehörige von nicht dominanten Clans und Gruppen zwar potenziell gegenüber Verbrechen vulnerabler als andere; allerdings gibt es keine Hinweise darauf, dass sie etwa in Mogadischu systematisch Gewalt ausgesetzt wären (LI 15.5.2018, S.3).
Al Shabaab: Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben - sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014, S.91). Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt und zwangsrekrutiert (BS 2018, S.10). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz - etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, S.7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, S.11).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
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DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, URL, Zugriff 26.6.2019
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FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019
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ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab's Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019
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LI - Landinfo (15.5.2018): Somalia: Security challenges in Mogadishu, URL, Zugriff 21.6.2019
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