TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/26 W163 2138283-2

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Veröffentlicht am 26.11.2019
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Entscheidungsdatum

26.11.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §57
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W163 2138283-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 05.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 07.05.2015 erfolgte die Erstbefragung des BF und am 27.06.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.

1.2. Mit Bescheid des BFA vom 23.09.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

1.3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.06.2017, GZ: XXXX , als unbegründet abgewiesen und diese Entscheidung am 19.06.2017 zugestellt.

1.4. Mit Bescheid vom 21.01.2019, Zl. XXXX wurde der BF vom BFA gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG unter Androhung einer Haftstrafe aufgefordert, am 06.02.2019 beim BFA persönlich zu erscheinen und an der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken, konkret "wahrheitsgemäße Angaben zur Identität und Staatsangehörigkeit zu machen; vollständiges Ausfüllen der Formblätter und Vorlage von Personaldokumenten".

1.5. Am 30.01.2019 wurde der BF wegen unrechtmäßigem Aufenthalts gemäß § 120 Abs. 1a iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz durch die Landespolizeidirektion Wien zur Anzeige gebracht.

1.6. Am 06.02.2019 wurde der BF im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters vor dem BFA zur "Durchsetzung und Effektuierung der Ausreiseentscheidung, Ausfüllen HRZ Formblätter" niederschriftlich einvernommen. Nach der Einvernahme wurde dem BF eine Information über die Verpflichtung zur Ausreise sowie eine Verfahrensanordnung, mit der der BF verpflichtet wurde, bis 06.03.2019 ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen, persönlich ausgefolgt.

1.7. Mit Verfahrensanordnung vom 28.03.2019, zugestellt durch Hinterlegung am 01.04.2019, wurde der BF verpflichtet, bis zum 11.04.2019 eine Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

1.8. Mit Mandatsbescheid vom 17.06.2019, Zl. XXXX , wurde dem BF gem. § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise an einer näher bezeichneten Betreuungseinrichtung durchgängig Unterkunft zu nehmen und dieser Verpflichtung binnen drei Tagen nachzukommen.

1.9. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seinen Vertreter am 24.06.2019 fristgerecht Vorstellung.

1.10. Mit Mail vom 26.06.2019 teilte die Betreuungsstelle Tirol mit, dass der BF nicht an der näher bezeichneten Betreuungseinrichtung eingetroffen ist.

1.11. Dem bevollmächtigten Vertreter des BF wurde mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 01.07.2019 mitgeteilt, dass die Wohnsitzauflage nach wie vor notwendig und gerechtfertigt sei. Der BF sei seiner Ausreisverpflichtung nicht nachgekommen und der angeordneten Unterkunftnahme nicht nachgekommen. Unter einem wurde dem BF die Möglichkeit eingeräumt, Änderungen, die sich seit der Einvernahme am 06.02.2019 ergeben hätten, bekanntzugeben.

1.12. Am 15.07.2019 erfolgte eine Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters zur Beweisaufnahme.

1.13. Mit dem nunmehr angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheid vom 16.10.2019, der bevollmächtigten Vertreterin am 18.10.2019 zugestellt, Zahl XXXX , wurde dem BF gem. § 57 Abs. 1 FPG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise an einer näher bezeichneten Betreuungseinrichtung Unterkunft zu nehmen und dieser Verpflichtung unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gem. § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).

1.14. Gegen diesen Bescheid wurde am 15.11.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben.

1.15. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 22.11.2019 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1 Der BF ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Indien und stammt aus dem Bundesstaat Punjab in Indien. Die Identität des BF steht nicht fest.

1.2. Der BF stellte am 05.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 23.09.2016 abgewiesen wurde. Nach Abweisung der Beschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.06.2017 besteht gegen den BF eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung.

1.3. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nach. Die 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ist verstrichen.

1.4. Der BF ist seiner Verpflichtung, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen am 01.04.2019 nachgekommen.

1.5. Der Beschwerdeführer ist durchgehend in Wien aufrecht gemeldet und wohnhaft.

1.6. Der BF hat nicht erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen stützen sich auf den Inhalt der Akten des BFA sowie des BVwG.

2.1. Mangels Vorliegens eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes oder eines sonstigen unbedenklichen Bescheinigungsmittels im Original steht die Identität des BF nicht fest.

2.2. Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, zum Ausgang des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz, zum Bestehen einer Rückkehrentscheidung und zum Verbleib in Österreich nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise ergeben sich unstrittig aus dem Akteninhalt.

2.3. Die Feststellung zur Inanspruchnahme eines Rückkehrberatungsgespräches ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid.

2.4. Die Feststellungen zum Wohnsitz ergeben sich aus dem Melderegister sowie aus dem Bericht der Landespolizeidirektion Wien vom 20.06.2019 (AS 142).

2.5. Die Feststellung, dass der BF nicht erklärt habe, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen, ergibt sich aus seinen Angaben anlässlich der Einvernahme vor dem BFA am 06.02.2019. Der BF gab auf konkrete Frage, warum er seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nachgekommen und im Bundesgebiet verblieben sei, an, dass er keine Dokumente habe und nicht ausreisen könne. Auf konkrete Frage, ob er sich bei der indischen Botschaft um Personaldokumente bemüht hätte, gab der BF an, er hätte Formblätter bei der Botschaft ausgefüllt, aber er könne keinen Nachweis darüber vorlegen. Auf die Frage, ob er bereit sei, freiwillig auszureisen und in seine Heimat zurückzukehren, gab der BF an: "Ja. Wenn ich die Dokumente erhalte, reise ich freiwillig aus." Auf die Frage, warum er seine freiwillige Ausreise bisher nicht mit dem VMÖ oder der Caritas selbst organisiert hätte, wiederholte der BF, dass er keine Dokumente habe und gab an, dass er nicht wusste, dass ihm der VMÖ oder die Caritas dabei helfen würden. Die Frage, ob er ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch nehmen wolle, bejahte der BF. Im Rahmen der Einvernahme wurde protokolliert, dass der BF die Formblätter freiwillig ausgefüllte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Rechtliche Grundlagen:

§ 57 FPG lautet auszugsweise:

"Wohnsitzauflage

§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn

1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder

2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige

1. entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;

2. nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;

3. an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;

4. im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;

5. im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.

(3) [...]

(4) Die Verpflichtungen des Drittstaatsangehörigen aufgrund einer Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ruhen, wenn und solange

1. die Rückkehrentscheidung gemäß § 59 Abs. 6 oder die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 vorübergehend nicht durchführbar,

2. sein Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 46a geduldet oder

3. ihm die persönliche Freiheit entzogen ist.

(5) Wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 60 Abs. 3 gegenstandslos oder tritt eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 4 außer Kraft, tritt auch die Wohnsitzauflage außer Kraft.

(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen."

§ 46 FPG lautet auszugsweise:

"[...]

(2) Ein zur Ausreise verpflichteter Fremder, der über kein Reisedokument verfügt und ohne ein solches seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen kann, hat - vorbehaltlich des Abs. 2a - bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen und gegenüber dieser Behörde sämtliche zu diesem Zweck erforderlichen Handlungen, insbesondere die Beantragung des Dokumentes, die wahrheitsgemäße Angabe seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft sowie die Abgabe allfälliger erkennungsdienstlicher Daten, zu setzen; es sei denn, dies wäre aus Gründen, die der Fremde nicht zu vertreten hat, nachweislich nicht möglich. Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Fremde dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen. Satz 1 und 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt des Fremden gemäß § 46a geduldet ist.

(2a) Das Bundesamt ist jederzeit ermächtigt, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (§ 97 Abs. 1) auszustellen. Macht es davon Gebrauch, hat der Fremde an den Amtshandlungen des Bundesamtes, die der Erlangung der für die Abschiebung notwendigen Bewilligung oder der Ausstellung des Reisedokumentes gemäß § 97 Abs. 1 dienen, insbesondere an der Feststellung seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft, im erforderlichen Umfang mitzuwirken und vom Bundesamt zu diesem Zweck angekündigte Termine wahrzunehmen.

[...]"

3.1.2. Aus den Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG ergibt sich auszugsweise Folgendes:

"[...] Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll dabei nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK - insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt - zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 1:

[...]

Die zweite Konstellation soll auch jene Fälle umfassen, in denen zwar eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde, der Drittstaatsangehörige aber nicht innerhalb der Frist ausgereist ist und anzunehmen ist, dass er seiner Ausreiseverpflichtung auch weiterhin nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 2:

In Abs. 2 werden jene Tatsachen näher definiert und demonstrativ aufgezählt, welche im Sinne des Abs. 1 Z 2 die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

Ein Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft zur Ausreise ist naturgemäß dann gegeben, wenn der Drittstaatsangehörige selbst angibt, dass er nicht bereit ist, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, wenn er ein ihm angebotenes oder angeordnetes Rückkehrberatungsgespräch zum Zweck der freiwilligen Ausreise nicht wahrnimmt. Ebenso wird davon auszugehen sein, dass der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist auszureisen, wenn er während einer gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist ist und anschließend seinen Wohnsitz bzw. den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ändert, ohne das Bundesamt hiervon in Kenntnis zu setzen. Ferner kann von mangelhafter Bereitschaft zur Ausreise ausgegangen werden, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige es unterlässt, an der Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten mitzuwirken oder ein vorhandenes Reisedokument vernichtet oder sich dessen auf sonstige Weise entledigt. Hat der Drittstaatsangehörige bereits im Verfahren über seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht und damit die Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten erschwert bzw. verhindert, wird ebenfalls von einer mangelnden Bereitschaft zur Ausreise auszugehen sein.

Da es sich bei Abs. 2 um eine demonstrative Aufzählung handelt, kommen auch weitere Umstände in Betracht, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. Weitere denkbare Gründe in diesem Sinne sind etwa falsche oder widersprüchliche Angaben zum Vorliegen einer Voll- oder Minderjährigkeit bzw. voneinander abweichende Altersangaben in Verfahren vor verschiedenen Behörden (dazu VwGH 25.02.2015, Ra 2014/20/0045) sowie die Verschweigung von vorhandenen Identitätsdokumenten. Hievon sollen beispielsweise jene Fälle erfasst sein, in denen Drittstaatsangehörige im Verfahren vor dem Bundesamt angeben, über keine Identitätsdokumente zu verfügen, während sie im Verfahren vor anderen Behörden (bspw. dem Standesamt im Zuge einer Eheschließung) oder Gerichten solche vorlegen.

[...]

Zu Abs. 6:

Die Auferlegung der Wohnsitzauflage gemäß § 57 erfolgt mittels Mandatsbescheid gemäß §57 AVG. Ein solcher kann erlassen werden, wenn es sich um die Vorschreibung einer Geldleistung oder wegen Gefahr in Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Für den vorgeschlagenen § 57 ist der Tatbestand "Gefahr in Verzug" maßgeblich: In der Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 1 ist der Ausschluss einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Rückkehrentscheidung (§ 18 Abs. 2 BFA-VG) geknüpft. Somit wurde bereits im Falle einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und der Nichtgewährung einer Frist gemäß § 55 festgestellt, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt. Dadurch ist die Erlassung der Wohnsitzauflage in dieser Konstellation mittels Mandatsbescheid aufgrund der bereits zuvor anlässlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung festgestellten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zulässig. Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). Das bloße unrechtmäßige Verbleiben im Bundesgebiet sowie ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt, ohne dass bereits eine entsprechende Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung auferlegt oder feststellt, und unabhängig davon, ob die Einreise bereits unrechtmäßig oder rechtmäßig erfolgte, stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (VwGH 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042). Dies muss umso mehr gelten, wenn bereits eine im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens getroffene Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung feststellt oder auferlegt, und der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung auch nach Ablauf einer ihm eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachkommt bzw. die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ihr weiterhin nicht nachkommen wird. Weiters ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellt und der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist."

3.1.3. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

3.1.3.1. Die belangte Behörde weist im angefochtenen Bescheid zutreffend darauf hin, dass gegen den BF eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht, er die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenützt ließ und sich unrechtmäßig im Bundesgebiet befindet.

Zum unrechtmäßigen Aufenthalt und der Nichtausreise trotz Rückkehrentscheidung binnen der festgelegten Frist ist darauf hinzuweisen, dass sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den oben dargestellten Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG ergibt, dass dieses Verhalten alleine ausreicht, eine Wohnsitzauflage zu erlassen. Zur Erlassung einer Wohnsitzauflage als ultima ratio bedarf es konkreter Umstände des Einzelfalles, die zur Annahme führen, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

Die belangte Behörde begründete die Erlassung der Wohnsitzauflage damit, dass im Fall des BF die Ziffer 4 des § 57 Abs. 2 FPG erfüllt sei, weil der BF bei der Einvernahme am 06.02.2019 und beim Rückkehrberatungsgespräch am 01.04.2019 seinen "Unwillen zur Rückkehr kundgetan" hätte.

Gemäß § 57 Abs. 2 Z 4 FPG ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen.

Hinweise darauf, dass der BF gemäß § 57 Abs. 2 Z 4 FPG erklärt hätte, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen, sind dem Einvernahmeprotokoll vom 06.02.2019 - wie in den Feststellungen und der Beweiswürdigung dargelegt - nicht zu entnehmen, zumal der BF auf konkrete Fragen angab, mangels Dokumenten bislang nicht ausgereist zu sein und nicht ausreisen zu können. Er bejahte die Frage, ob er bereit sei, freiwillig auszureisen und in den Heimatstaat zurückzukehren: "Ja, wenn ich Dokumente erhalte, reise ich freiwillig aus." (Aktenseite 89).

Die belangte Behörde hat nicht dargelegt, wie sie zu Auffassung gelangt, dass der BF erklärt hätte, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen zumal sich dies weder aus dem Einvernahmeprotokoll noch sonst aus dem vorgelegten Akteninhalt ergibt. Die Angabe des BF, nicht ausreisen zu können, weil er über kein Reisedokument verfügt, kann nicht einer Erklärung, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen, gleichgesetzt werden, zumal der BF angab, freiwillig auszureisen, wenn er Dokumente erhalte. In diesem Zusammenhang ist zudem darauf zu verweisen, dass der BF - wie im Einvernahmeprotokoll vermerkt - nach Aufforderung das Formblatt für die Erwirkung eines Ersatzreisedokumentes oder Heimreisezertifikates ausgefüllt hat. Im vorgelegten Verwaltungsakt befindet sich auf Aktenseite 159 ein Blatt mit folgendem Text: "Rückkehrberatung bearbeitet, Status:

stattgefunden, Termin wahrgenommen: ja; Beratung Durchführung am:

01.04.2019, Ergebnis: nicht rückkehrwillig". Das Blatt weist weder Kopf noch Hinweise darüber, worauf sich dieser Vermerk stützt, noch den Ausstellungszeitpunkt oder den Verfasser auf. Es enthält auch keine Hinweise darüber, aufgrund welcher Äußerungen des BF es zur Feststellung "nicht rückkehrwillig" gekommen sei und wem gegenüber diese erfolgt wäre. Diese nicht zuordenbaren Zeilen sind nicht geeignet, die Äußerung des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA, derzufolge er angab, freiwillig auszureisen, wenn er Dokumente erhalte, in Zweifel zu ziehen und als Erklärung der Ausreiseunwilligkeit zu werten.

3.1.3.2. Da es kein Ermittlungsergebnis und damit keinen festgestellten Sachverhalt gibt, aufgrund dessen das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer Wohnsitzauflage als ultima ratio angenommen werden kann, war der angefochtene Bescheid zu beheben.

Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. E 25. März 2015, Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG 2014 zu nennen. § 28 Abs. 5 VwGVG 2014 regelt hingegen nur die Rechtsfolgen von Bescheidaufhebungen durch das VwG und bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Aufhebung selbst, sei es nach § 28 Abs. 3 Satz 2 und 3 (oder Abs. 4) VwGVG 2014, sei es nach § 28 Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 VwGVG 2014 (VwGH 04.08.2016 2016/21/0162).

3.1.4. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gem. § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet. Das öffentliche Interesse sei bereits durch die Regelung der Wohnsitzauflage mittels sofort durchsetzbaren Mandatsbescheides indiziert, zudem würden diese Interessen in Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegen.

Gemäß § 22 Abs. 3 1. Fall VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 VwGVG - ein solcher liegt in Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides vor - auf Antrag einer Partei - ein solcher wurde in der Beschwerde gestellt - aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

Mangels festgestellter Verwirklichung der Voraussetzungen für die Wohnsitzauflage und der dieser immanenten "Gefahr im Verzug" (vgl. oben 3.1.3.) war der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II.) zu beheben.

3.2. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen sind aufgrund der klaren Rechtslage nicht hervorgekommen.

Schlagworte

Ermittlungsmangel, Sachverhalt, Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W163.2138283.2.00

Zuletzt aktualisiert am

06.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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