TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/25 G314 2222123-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2019
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Entscheidungsdatum

25.11.2019

Norm

AVG §39 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3
VwGVG §17

Spruch

G314 2222123-1/3E

G314 2222122-1/3E

G314 2222121-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerden 1. des XXXX, geboren am XXXX, 2. der XXXX, geboren am XXXX, und 3. der XXXX, geboren am XXXX, 2. und 3. gesetzlich vertreten durch ihren Vater XXXX, alle serbische Staatsangehörige, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Stefan ERRATH, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2019, Zl. XXXX, XXXX und XXXX, betreffend die Ausweisung aus dem Bundesgebiet, beschlossen und zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerdeverfahren werden gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs 2

AVG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

B) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

C) Die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Am 02.02.2017 wurde dem Erstbeschwerdeführer (BF1) aufgrund seines Antrags vom 02.02.2017 als Angehörigem einer EWR-Bürgerin eine bis 01.02.2022 gültige Aufenthaltskarte ausgestellt.

Den beiden minderjährigen Töchtern des BF1, der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) und der Drittbeschwerdeführerin (BF3), wurden aufgrund ihrer jeweiligen Anträge vom 20.03.2018 ebenfalls als Angehörigen einer EWR-Bürgerin jeweils bis 20.03.2023 gültige Aufenthaltskarten ausgestellt.

Der BF1 informierte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt die Bezirkshauptmannschaft XXXX als zuständige Behörde nach dem NAG über die mit 31.07.2018 erfolgte einvernehmliche Scheidung seiner Ehe. Mit Schreiben vom 30.04.2019 setzte die Bezirkshauptmannschaft XXXX daraufhin das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) davon in Kenntnis und ersuchte um Prüfung einer Aufenthaltsbeendigung der BF gemäß § 55 Abs 3 NAG.

Am 04.06.2019 wurde der BF1 vor dem BFA zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vernommen.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies das BFA die BF jeweils gemäß § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt I.) und erteilte ihnen gemäß § 70 Abs 3 FPG einen einmonatigen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.). Die Ausweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Ehe des BF1 mit einer EWR-Bürgerin weniger als drei Jahre gedauert habe und er bereits seit Ende 2017 mit seiner nunmehrigen Ex-Ehegattin kein Ehe- und Familienleben mehr führe. Weder der BF1 noch seine Töchter könnten daher von dieser weiterhin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht ableiten. Da alle BF gleichsam von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen wären und sich erst kurze Zeit in Österreich aufhalten würden, liege auch bei vorhandenen Deutschkenntnissen, Schulbesuch und Erwerbstätigkeit kein unzulässiger Eingriff in ihr Privat- und Familienleben durch die Erlassung der Ausweisungen vor.

Dagegen richten sich die in einem gemeinsamen Schriftsatz erhobenen Beschwerden mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben. Hilfsweise stellen die BF jeweils einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag. Sie begründen die Beschwerden zusammengefasst damit, dass das Aufenthaltsrecht des BF1 (und damit auch jenes der BF2 und der BF3) nach "§ 55 Abs 5 Z 4 NAG" (gemeint wohl: § 54 Abs 5 Z 4 NAG) erhalten geblieben sei. Der Aufenthalt der BF sei gemäß § 31 Abs 1 Z 2 FPG nach wie vor rechtmäßig. Eine Trennung und Zerrüttung der Ehe sei erst kurz vor Einbringung des Scheidungsantrages erfolgt, zumal es nur wegen der BF2 und der BF3, die erst im März 2018 nach Österreich gekommen wären, zu Differenzen gekommen sei. Der BF1 sei von seiner Ex-Ehegattin zur Einwilligung in die Scheidung gedrängt worden, obwohl die eheliche Lebensgemeinschaft weniger als ein halbes Jahr aufgehoben gewesen sei. Er habe den Inhalt des ihm von seiner Ex-Frau vorgelegten Scheidungsantrages nicht vollinhaltlich verstanden. Deren Einstellung sei von ihm nicht zu verantworten. Er selbst sei um Aufrechterhaltung der Ehe bemüht gewesen, jedoch sei ihm ein Festhalten an der Ehe wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen nicht zumutbar gewesen. Die Zeit in Österreich habe er genützt, um sich sowohl beruflich als auch sozial zu integrieren. Er sei hier (mit einer kurzen Unterbrechung) durchgehend beschäftigt und verfüge über gute Deutschkenntnisse. Sein gelernter Beruf befinde sich auf der Liste der Mangelberufe in Österreich. Die BF2 und BF3 seien minderjährig und würden in Österreich die Schule besuchen. Alle drei BF hätten einen weiten Bekanntenkreis in Österreich. Ihre privaten Interessen würden die öffentlichen überwiegen, sodass von einer Ausweisung Abstand zu nehmen sei.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der BF1 ist der Vater der minderjährigen BF2 und der minderjährigen BF3. Die BF stammen aus der serbischen Stadt Belgrad, ihre Muttersprache ist Serbisch.

Der BF1 reiste im Jänner 2017 in das Bundesgebiet ein und heiratete hier am XXXX.2017 die ungarische Staatsangehörige XXXX, die als Unionsbürgerin in Österreich ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch nimmt und über eine Anmeldebescheinigung verfügt. Am 02.02.2017 beantragte der BF1 bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX als zuständiger NAG-Behörde die Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers, die ihm auch mit Gültigkeit bis 01.02.2022 ausgestellt wurde.

Der BF1 war von 16.01.2017 bis 01.03.2018 mit Hauptwohnsitz und von 01.03.2018 bis 06.06.2018 mit einem Nebenwohnsitz bei XXXX im Bundesgebiet gemeldet. Seit 01.03.2018 verfügt er durchgehend über Hauptwohnsitzmeldungen an anderen Adressen im Bundesgebiet.

Im März 2018 reisten die BF2 und die BF3 in das Bundesgebiet ein. Am 20.03.2018 beantragte der BF1 für sie ebenfalls die Ausstellung von Aufenthaltskarten, die ihnen daraufhin jeweils mit Gültigkeit bis 20.03.2023 ausgestellt wurden. Die BF2 und die BF3 sind seit 19.03.2018 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet, leben mit dem BF1 im gemeinsamen Haushalt und besuchen in Österreich die Schule.

Die Ehe des BF1 mit XXXX, der keine Kinder entstammen, wurde mit dem Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2018, XXXX, in beiderseitigem Einvernehmen geschieden. Diese Entscheidung ist rechtskräftig. Die eheliche Lebensgemeinschaft war seit Dezember 2017 aufgelöst.

Der BF1 geht im Bundesgebiet seit 15.03.2017 mit ganz kurzen Unterbrechungen einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach. Er verdiente dabei zuletzt durchschnittlich netto rund EUR 1.200 bis EUR 1.300 monatlich. Er verfügt über für die Kommunikation im Alltag ausreichende Deutschkenntnisse; ein bestimmtes Sprachniveau kann nicht festgestellt werden.

Die Ehe des BF1 mit der Mutter der BF2 und der BF3, die in XXXX lebt, ist seit 2016 geschieden. Dem BF1 kommt die alleinige Obsorge für seine Töchter zu, die ab Jänner 2017, als er sich nach Österreich begab, zunächst bei seinen Eltern in XXXX lebten, wo auch noch ein Bruder des BF1 lebt.

Die BF3 leidet an Epilepsie und nimmt deswegen Medikamente ein. Die Diagnose wurde bereits in Serbien gestellt und sie wurde dort bereits entsprechend behandelt. Neben der Medikamenteneinnahme besteht die medizinische Behandlung aktuell aus ärztlichen Kontrollen, die auch schon in Serbien durchgeführt wurden. Der BF1 und die BF2 sind gesund; der BF1 ist erwerbsfähig.

Die BF haben in Österreich einen Freundeskreis, sind aber nicht in Vereinen oder anderen Organisationen engagiert. Der BF1 ist strafgerichtlich unbescholten.

Weitere Anhaltspunkte für eine Integration der BF in familiärer, beruflicher, sozialer oder gesellschaftlicher Hinsicht bestehen nicht.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungserhebliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren ebenfalls auf dem weitgehend widerspruchsfreien Akteninhalt, insbesondere auf den vom BF1 vorgelegten Urkunden und Unterlagen, seinen Angaben vor dem BFA und den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Fremdenregister, Strafregister sowie den Sozialversicherungsdaten.

Die Identität und Staatsangehörigkeit des BF1 wird durch seinen dem BVwG in Kopie vorliegenden, am 27.07.2011 ausgestellten und bis 27.07.2021 gültigen serbischen Reisepass belegt, dessen Echtheit nicht in Zweifel steht. Hinsichtlich der BF2 und der BF3 sind zwar keine Kopien ihrer Reisepässe oder sonstiger identitätsbezogener Dokumente aktenkundig, jedoch ergibt sich aus dem Fremdenregister und dem ZMR, dass sie über jeweils am 24.05.2016 ausgestellte und als authentisch eingestufte serbische Reisepässe verfügen. Zweifel an ihrer Identität und Staatsangehörigkeit sind nicht aufgekommen.

Aktenkundig sind weiters eine Kopie der österreichischen Heiratsurkunde des BF1, des Beschlusses des Bezirksgerichtes XXXX über die einvernehmliche Scheidung am XXXX.2018, ein ins Deutsche übersetzter medizinischer Befund der BF3 aus Serbien, Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen des BF1 von Jänner bis März 2019, eine Kopie seines Arbeitsvertrages sowie eine Kopie des Mietvertrages.

Aus dem Geburtsort der BF und den Angaben des BF1, dass seine Eltern nach wie vor in XXXX leben und sich auch die BF2 und BF3 vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet dort aufhielten, wird abgeleitet, dass die BF aus XXXX stammen. Ihre serbische Muttersprache ist aufgrund ihrer Herkunft nachvollziehbar. Die Wohnsitzmeldungen der BF ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), die auch ihren gemeinsamen Haushalt belegen. Die Ausstellung der Aufenthaltskarten der BF ergibt sich aus dem Fremdenregister, die Erwerbstätigkeit des BF1 sowohl aus dem Sozialversicherungsdatenauszug wie auch aus den vorliegenden Einkommensnachweisen und dem Dienstvertrag.

Der BF1 verfügt nach seinen Angaben nach über ein Deutsch-Zertifikat für das Sprachniveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Da es nicht vorgelegt wurde, kann keine entsprechende Feststellung getroffen werden. Da er vor dem BFA ohne Dolmetscher auf Deutsch vernommen werden konnte, ist davon auszugehen, dass er gewisse, für alltägliche Kommunikation ausreichende Deutschkenntnisse hat.

Die Feststellungen, dass die BF in Österreich keine weiteren Angehörigen haben, folgen ebenso wie die Feststellungen zu den in Serbien lebenden Angehörigen der BF der Schilderung des BF1 vor dem BFA.

Die Feststellungen zur Ehe des BF1 mit XXXX beruhen auf den dazu vorgelegten Unterlagen (Heiratsurkunde und Scheidungsbeschluss samt Verhandlungsprotokoll und Scheidungsvergleich). Aufgrund der Angaben des BF1 bei der Einvernahme vor dem BFA am 04.06.2019 und bei der Scheidungsverhandlung am XXXX.2018 ist entgegen dem Beschwerdevorbringen festzustellen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft bereits ab Dezember 2017 aufgelöst war.

Die Unbescholtenheit des BF1 in Österreich geht aus dem Strafregister hervor. Hinweise auf strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten sind nicht aktenkundig. Es gibt keine Indizien für Erkrankungen oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des BF1, der in einem erwerbsfähigen Alter ist und auch einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF2 und der BF3 ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des BF1 vor dem BFA sowie (hinsichtlich der BF3) aus dem vorliegenden medizinischen Befund.

Für weitere private oder familiäre Anknüpfungen oder zusätzliche Integrationsmomente gibt es weder im Akteninhalt noch im Vorbringen der BF Hinweise.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Das BVwG kann nach § 17 VwGVG iVm § 39 Abs 2 AVG unter Bedachtnahme auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis mehrere in seine Zuständigkeit fallende Rechtssachen zur gemeinsamen Entscheidung verbinden, soweit dies im Rahmen der Geschäftsverteilung möglich ist (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 276/1 und 798).

Da die BF in Familiengemeinschaft leben und die angefochtenen Bescheide sowie die Beschwerden inhaltlich weitgehend übereinstimmen, sodass in beiden Beschwerdeverfahren ähnliche Tatsachen- und Rechtsfragen zu klären sind, sind die Verfahren, die derselben Gerichtsabteilung des BVwG zugewiesen wurden, aus Zweckmäßigkeitsgründen zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

Zu Spruchteil B):

Als Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG gilt ein Fremder, der weder EWR-Bürger noch Schweizer Bürger ist. Als begünstigter Drittstaatsangehöriger gilt gemäß § 2 Abs 4 Z 11 FPG unter anderem der Ehegatte, sowie dessen Verwandte in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, eines EWR-Bürgers, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, insofern er den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Gemäß § 54 Abs 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Das Aufenthaltsrecht drittstaatsangehöriger Ehegatten bleibt (soweit entscheidungswesentlich) bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe gemäß § 54 Abs 5 NAG erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Z 1 und 2 NAG erfüllen und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 1); ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird (Z 3); es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe nicht zugemutet werden kann (Z 4) oder ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang - solange er für nötig erachtet wird - ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf ( Z 5).

Die BF sind als Staatsangehörige von Serbien grundsätzlich Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Durch die Ehe des BF1 mit einer ungarischen Staatsangehörigen erlangten er und in weiterer Folge auch die BF2 und die BF3 als seine minderjährigen Kinder (und somit Verwandte in gerader absteigender Linie vor Vollendung des 21.

Lebensjahres) den Status von begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd

§ 2 Abs 4 Z 11 FPG.

§ 55 NAG lautet:

"(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, welches eine Aufenthaltskarte dokumentieren soll, ist nicht automatisch auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet beendet. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Es soll ihm möglich sein, trotz des Wegfalls der Voraussetzungen für ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht während seines Aufenthalts im Inland auf einen für seinen künftigen Aufenthaltszweck passenden Aufenthaltstitel "umzusteigen", ohne dass dies zur Folge hätte, dass während dieses Verfahrens sein Aufenthalt unrechtmäßig wäre (VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005; siehe auch Abermann et al, Kommentar NAG 2016, § 55 Rz 7 ff).

Kommt die Niederlassungsbehörde - wie hier - bei der Prüfung des Fortbestands der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, hat sie die in § 55 Abs 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte (Befassung des BFA und Information des Betroffenen) zu setzen.

Die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung hat dann das BFA zu beurteilen (vgl VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378). Diese Frage ist anhand des § 66 FPG zu prüfen, ohne dass es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger

iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG ankommt.

Den BF wurden auf Grund der Ehe des BF1 mit einer freizügigkeitsberechtigten ungarischen Staatsangehörigen gemäß § 54 Abs 1 NAG Aufenthaltskarten ausgestellt. Die Ehe dauerte weniger als drei Jahre und blieb kinderlos. Trotz der Behauptung des BF1, das Alleinverschulden am Scheitern der Ehe träfe seine Ex-Ehefrau, bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass ein Härtefall iSd § 54 Abs 5 Z 4 NAG vorliegt. Mit dieser Bestimmung wurde Art 13 Abs 2 Unterabs 1 Buchst c der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) im nationalen Recht umgesetzt (VwGH 15.03.2018, Ro 2018/21/0002), wonach die Ehescheidung dann nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt, wenn es aufgrund besonders schwieriger Umstände erforderlich ist, wie etwa bei Opfern von Gewalt im häuslichen Bereich während der Ehe. Da der BF1 weder Opfer häuslicher Gewalt während der Ehe wurde noch vergleichbare andere "besonders schwierige Umstände" erkennbar sind, aufgrund derer die Aufrechterhaltung seines bisherigen Aufenthaltsrechts "erforderlich" wäre, sind die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht infolge der Ehescheidung unter Berücksichtigung von § 54 Abs 1 und 5 NAG weggefallen.

Gemäß § 66 Abs 1 FPG können begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Wenn sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Gemäß § 66 Abs 2 FPG sind bei einer Ausweisung insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter des Betroffenen, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Die Erlassung einer Ausweisung gegen begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist gemäß § 66 Abs 3 FPG zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 9 BFA-VG ist ua eine Ausweisung gemäß § 66 FPG, die in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im

Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß

§ 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Gemäß § 9 Abs 1 und 2 BFA-VG sind bei einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, von der Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 24.09.2019, Ra 2019/20/0274).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF1 hält sich seit seiner Einreise im Jänner 2017 nunmehr noch nicht ganz drei Jahre im Bundesgebiet auf, die BF2 und die BF3 seit ihrer Einreise im März 2018 etwas über eineinhalb Jahre. Der BF1 ist seit 15.03.2017 mit wenigen kurzen Unterbrechungen sozialversicherungspflichtig erwerbstätig, geht auch zum Entscheidungszeitpunkt einer Beschäftigung nach und spricht so gut Deutsch, dass er vor dem BFA ohne Dolmetscher einvernommen werden konnte. Die BF2 und die BF3 besuchen in Österreich die Schule. Außer untereinander haben die BF keine weiteren familiären Bindungen im Bundesgebiet. Eine Trennung des BF1 von der BF2 und der BF3 ist mit der Ausweisung nicht verbunden, zumal alle BF gleichermaßen von den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen sind. Der BF1 ist ein gesunder Erwachsener im erwerbsfähigen Alter. Er ist selbsterhaltungsfähig und unbescholten.

Die Ausweisung greift zwar nicht in das Familienleben, wohl aber in das Privatleben der BF ein. Es wird ihnen aber möglich sein, die Kontakte zu ihren in Österreich lebenden Freunden und Bekannten über diverse Kommunikationsmittel (etwa Internet oder Telefon) und durch allfällige wechselseitige Besuche aufrechtzuerhalten, zumal sie Österreich auch nach ihrer Rückkehr nach Serbien während erlaubter visumfreier Aufenthalte besuchen können.

Die BF haben starke Bindungen zu ihrem Heimatstaat, wo sie aufwuchsen und sprachkundig sind, wo die Eltern des BF1 und Großeltern der BF2 und BF3, ein Bruder des BF1 und nicht zuletzt die Mutter der BF2 und der BF3 leben und wo auch eine Wohnmöglichkeit im Elternhaus des BF1 besteht. Der BF1 wird nach seiner Rückkehr dorthin - allenfalls mit Unterstützung durch seine Eltern und seinen Bruder - auch aufgrund der im Bundesgebiet gesammelten Berufserfahrung in der Lage sein, sich mit Tätigkeiten wie den bisher ausgeübten ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften und damit für den Lebensunterhalt für sich und die BF2 und BF3 aufzukommen.

Die BF3 erhielt bereits in Serbien die Diagnose Epilepsie. Sie wurde deswegen bereits dort medikamentös behandelt und ihr Zustand regelmäßig ärztlich kontrolliert. Da sie in Österreich dasselbe Medikament erhält wie in Serbien und sich die Therapie ihrer Erkrankung nicht verändert hat, sie auch hier die Schule besucht und nicht vorgebracht wurde, dass nunmehr eine Behandlung in Serbien nicht mehr möglich wäre, liegen keine medizinischen Gründe vor, die einer Ausweisung entgegenstehen würden.

Die Behörde ist daher im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung daher Art 8 EMRK nicht verletzt, zumal dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt und der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet zum Teil auch darauf zurückzuführen ist, dass der BF1 der Behörde die Ehescheidung erst mit geraumer Verspätung bekannt gab.

Die nach § 9 BFA-VG gebotene Berücksichtigung des Wohls der aktuell XXXX-jährigen BF2 und der aktuell XXXX-jährigen BF3 führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal sie bis vor kurzem in ihrem Geburtsland Serbien aufwuchsen, wo sie auch geboren wurden, und erst im Alter von XXXX bzw. XXXX Jahren von dort nach Österreich einreisten. Bei einer Rückkehr nach Serbien können sie aufgrund der räumlichen Nähe auch wieder intensivere Kontakte zu ihren Großeltern, ihrem Onkel und vor allem ihrer Mutter haben, wobei nach § 138 Z 9 ABGB verlässliche Kontakte von Kindern zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen zu diesen Personen wichtige Kriterien bei der Beurteilung des Kindeswohls sind und diese Bestimmung auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen ist, als Orientierungsmaßstab dient (siehe VwGH 24.09.2019, Ra 2019/20/0274).

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide ist daher als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist ua begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung grundsätzlich von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen. Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht zu beanstanden.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal keine widerstreitenden Beweisergebnisse vorliegen und von einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG keine weitere Klärung dieser Angelegenheit zu erwarten ist.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Interessenabwägung, öffentliche Ordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2222123.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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