TE Vwgh Erkenntnis 1998/7/10 97/02/0528

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Veröffentlicht am 10.07.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KFG 1967 §134;
KFG 1967 §64;
KFG 1967 §75 Abs4;
VStG §22 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des S, zuletzt in Bregenz, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 10. April 1997, Zl. 1-0705/96/E6, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. April 1997 für schuldig befunden, er habe "in der Zeit vom 29.4.1996 bis 7.5.1996 auf der Bezirkshauptmannschaft Bregenz nach der am 29.4.1996 eingetretenen Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides den Führerschein nicht unverzüglich bei der Behörde abgeliefert". Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 75 Abs. 4 Kraftfahrgesetz 1967 begangen, weshalb gemäß § 134 leg. cit. eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) verhängt wurde.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 6. Oktober 1997, B 1545/97, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat diese mit weiterem Beschluß vom 10. Dezember 1997 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab. In der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigebrachten Beschwerdeergänzung macht der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, daß den Ausführungen des Beschwerdeführers kein stichhältiger Hinweis darauf zu entnehmen ist, daß der belangten Behörde mangels Unabhängigkeit nicht Tribunalcharakter zukäme. Dem Antrag, den angefochtenen Bescheid schon aus diesem Grund aufzuheben, kann daher nicht gefolgt werden.

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten wurde dem Beschwerdeführer - im Zusammenhang mit einem Unfallereignis vom 4. Mai 1995 - mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 25. April 1996 die Lenkerberechtigung für die Gruppe B für die Dauer von sechs Monaten entzogen. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 4 Kraftfahrgesetz 1967 verpflichtet, den über die entzogene Lenkerberechtigung ausgestellten Führerschein unverzüglich der Bezirkshauptmannschaft Bregenz oder der nächsten Dienststelle des öffentlichen Sicherheitsdienstes abzuliefern. Einer allfälligen Berufung gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters am 29. April 1996 zugestellt. Am 10. Mai 1996 wurde der Führerschein des Beschwerdeführers von seinem Rechtsvertreter bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz abgegeben. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 8. August 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer wegen der eingangs angeführten Verwaltungsübertretung die vorgenannte Strafe verhängt.

Die belangte Behörde führte in der Begründung ihres die Berufung gegen diesen Bescheid abweisenden Bescheides aus, entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei die zwischen dem Unfallereignis und der Entziehung der Lenkerberechtigung gelegene Zeitspanne für das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren ohne Bedeutung. Dem Umstand, daß der den Entzug der Lenkerberechtigung verfügende Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 25. April 1996 dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 29. April 1996 zugestellt worden sei, sodaß der Beschwerdeführer selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Besitz dieses Bescheides gewesen sei, komme keine rechtliche Bedeutung zu, weil der Beschwerdeführer gemäß der hg. Judikatur grundsätzlich für Handlungen oder Unterlassungen seines Rechtsvertreters einzustehen habe. Der Beschwerdeführer habe der Verpflichtung zur unverzüglichen Abgabe seines Führerscheines bei der Behörde nicht entsprochen, was schon daraus ersichtlich sei, daß er diesen bei seinem Rechtsvertreter deponiert habe, was mit einer zeitlichen Verzögerung verbunden gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, wie er für eine unverzügliche Abgabe des Führerscheines Sorge getragen habe bzw. welche Schritte er unternommen habe, um der unverzüglichen Ablieferungspflicht zu entsprechen. Der Auffassung des Beschwerdeführers, der Führerschein sei unter Berücksichtigung der zur Verfügung gestandenen Zeitspanne von elf Tagen und eines dazwischen liegenden Feiertages unverzüglich abgegeben worden, könne nicht gefolgt werden, weil dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offengestanden wäre, nach der Verständigung durch seinen Rechtsvertreter den Führerschein direkt ohne unnötigen Aufschub bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz abzugeben.

Der Beschwerdeführer gründet seine Beschwerde insbesondere darauf, daß ihm als Tatbegehungszeitraum die Zeit vom 29. April 1996 bis zum 7. Mai 1996 vorgeworfen werde. Demgegenüber könne er im Hinblick darauf, daß das erstinstanzliche Verwaltungsstraferkenntnis am 29. April 1996 seinem Rechtsvertreter zugestellt worden sei, zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheines gehabt haben. Sein Rechtsvertreter habe den Bescheid geprüft und diesen daraufhin dem Beschwerdeführer mit der Empfehlung, dagegen kein Rechtsmittel zu ergreifen, übermittelt. Dieser habe den Bescheid offenbar am 8. Mai 1996 erhalten und am 9. Mai 1996 den Führerschein in der Kanzlei seines Rechtsvertreters abgegeben. Eine Zeitspanne von elf Tagen ab der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides könne unter Berücksichtigung eines innerhalb dieses Zeitraumes gelegenen Feiertages nicht als offensichtlich in Widerspruch zum Gebot der unverzüglichen Abgabe gewertet werden, sodaß es Aufgabe der belangten Behörde gewesen wäre, Tatsachenfeststellungen zur individuellen Schuld des Beschwerdeführers zu treffen. Die Argumentation, der Beschwerdeführer habe grundsätzlich für Handlungen oder Unterlassungen seines Rechtsvertreters einzustehen, widerspreche den elementarsten Grundregeln des Strafrechtes und würde den Beschwerdeführer sogar für den Postweg haften lassen.

Gemäß § 75 Abs. 4 Kraftfahrgesetz 1967 ist nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des (die Lenkerberechtigung betreffenden) Entziehungsbescheides der über die entzogene Lenkerberechtigung ausgestellte Führerschein, sofern er nicht bereits abgenommen wurde, unverzüglich der Behörde abzuliefern. Voraussetzung für die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheines ist der Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides. Diese Verpflichtung besteht als Dauerdelikt so lange, als die im Entziehungsbescheid ausgesprochene Entziehungsdauer währt bzw. bis der Entziehungsbescheid auf andere Weise außer Kraft tritt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1994, Zl. 93/03/0226). Bei einem Dauerdelikt sind Anfang und Ende des strafbaren Verhaltens im Spruch des Bescheides anzuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 93/06/0103, mit weiteren Nachweisen).

Im Beschwerdefall ist die belangte Behörde davon ausgegangen, daß das dem Beschwerdeführer vorgeworfene strafbare Verhalten ab der Zustellung des die Abgabe des Führerscheins verfügenden Bescheides an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers begonnen habe, weil der Beschwerdeführer "grundsätzlich für Handlungen (oder Unterlassungen) seines Rechtsvertreters einzustehen" habe. In dieser Hinsicht hat die belangte Behörde die Rechtslage insoweit verkannt, als sie übersehen hat, daß die Strafbarkeit eines Verhaltens grundsätzlich Verschulden voraussetzt. Ein Verschulden des Beschwerdeführers konnte aber erst ab dem Zeitpunkt vorliegen, ab dem er von der ihm durch den Entziehungsbescheid auferlegten Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins Kenntnis erlangt hatte bzw. erlangen hätte müssen. Dieser Zeitpunkt kann aber - ohne entsprechende Ermittlungsergebnisse - nicht von vornherein mit dem Datum der Zustellung des Entziehungsbescheides an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gleichgesetzt werden, kann doch nicht unter allen Umständen angenommen werden, dem Rechtsvertreter sei es jedenfalls möglich gewesen, sofort Kontakt mit dem Beschwerdeführer aufzunehmen und ihn von der ihn treffenden Verpflichtung zu unterrichten. Solange aber der Beschwerdeführer keine Kenntnis von dieser Verpflichtung hatte, ist es rechtlich ausgeschlossen, ihm die Verletzung dieser Verpflichtung zum Vorwurf zu machen (vgl. das zu einer ähnlichen Problematik ergangene hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1982, Zl. 09/0817/80). Der Beschwerdeführer hat sowohl in der Berufung als auch in der Berufungsverhandlung ausgeführt, daß ihm der Entziehungsbescheid erst nach Zustellung an seinen Rechtsvertreter zur Kenntnis gelangt sei. Feststellungen in dieser Hinsicht hat die belangte Behörde - ausgehend von der in diesem Zusammenhang unzutreffenden Rechtsauffassung, der Beschwerdeführer habe für Unterlassungen seines Rechtsvertreters einzustehen - nicht getroffen. Damit ist im Beschwerdefall aber nicht geklärt, wann die dem Beschwerdeführer gegenüber ausgesprochene Verpflichtung für diesen überhaupt wirksam geworden ist. Damit ist somit weder der Beginn des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen strafbaren Verhaltens in rechtlich einwandfreier Weise bestimmt noch kann in nachvollziehbarer Weise ersehen werden, ob durch die am 10. Mai 1996 erfolgte Abgabe des Führerscheins bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz überhaupt gegen das Gebot der unverzüglichen Ablieferung verstoßen wurde.

Da die belangte Behörde somit ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsauffassung für die Klärung des Beschwerdefalles erforderliche Ermittlungen unterließ, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. Juli 1998

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Dauerdelikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997020528.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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