TE Vwgh Erkenntnis 2020/1/29 Ra 2019/18/0367

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Veröffentlicht am 29.01.2020
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des B A, vertreten durch die Rihs Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2019, W105 2214578-1/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Seine Familie stammt aus der Provinz Ghazni.

2 Er stellte in Österreich am 12. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

3 Mit Bescheid vom 11. November 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine bis 11. November 2016 befristete Aufenthaltsberechtigung.

4 Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BFA im Wesentlichen aus, dass afghanische Staatsangehörige, die außerhalb des Familienverbandes oder nach längerer Abwesenheit im Ausland nach Afghanistan zurückkehrten, dort auf große Schwierigkeiten stoßen würden, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlten. Es sei daher zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber, der mit seinen Eltern im Alter von zwei Jahren in den Iran gezogen sei, über keine Familienangehörigen in Afghanistan verfüge. Seine gesamte Familie lebe in der Stadt Isfahan im Iran. Für den Revisionswerber bestehe daher ohne soziale und familiäre Netzwerke in Afghanistan eine reale Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK. 5 Aufgrund eines Verlängerungsantrages vom 5. Oktober 2016 wurde dem Revisionswerber mit Bescheid des BFA vom 27. Oktober 2016 eine bis 11. November 2018 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) erteilt.

6 Am 23. Oktober 2018 beantragte der Revisionswerber die neuerliche Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

7 Mit Bescheid vom 9. Jänner 2018 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab, wies seinen Verlängerungsantrag vom 23. Oktober 2018 ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise.

8 Begründend führte da BFA aus, die Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz lägen nicht mehr vor. Die Lage habe sich im Hinblick auf die subjektive Situation des Revisionswerbers insofern geändert, als dieser nunmehr volljährig sei und er darüber hinaus während seines Aufenthaltes in Österreich seinen Erfahrungsschatz erweitert und zusätzliche Kenntnisse erlangt habe. In Afghanistan habe sich die Lage insofern geändert, als es nunmehr möglich sei, dass u.a. alleinstehende, junge und gesunde Männer "problemlos" zurückkehren könnten. Es sei dem Revisionswerber daher nunmehr auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte eine Rückkehr nach Afghanistan möglich und zumutbar. Es bestehe für ihn unter Berücksichtigung von weiteren, näher dargestellten Umständen eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat.

9 Der Revisionswerber erhob Beschwerde, in der er der Annahme der Behörde, es bestehe für ihn in Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative, entgegentrat.

10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig. 11 Das Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung dahin, dass für den volljährigen, gesunden Revisionswerber im erwerbsfähigen Alter mit Schulbildung und Berufserfahrung als Schneider eine Neuansiedelung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat möglich und zumutbar sei. Es sei dem BFA daher nicht entgegenzutreten, wenn es gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 "auf Grund von nicht mehr vorliegenden Voraussetzungen" dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und die ihm "mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2014, Zl. W225 1431122-1/14E" erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen habe.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit u. a. darauf hinweist, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 27. Oktober 2016 bereits volljährig gewesen sei. Darüber hinaus habe sich die Lage in Afghanistan seit diesem Zeitpunkt nicht wesentlich verändert.

13 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet. 15 Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Status (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht mehr vorliegen.

16 Das BFA stützte die Aberkennung des subsidiären Schutzes im gegenständlichen Fall auf diesen Tatbestand und begründete seine Entscheidung einerseits unter Hinweis auf die Änderung in den persönlichen Umständen des Revisionswerbers (infolge der mittlerweile erlangten Volljährigkeit sowie aufgrund des seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erweiterten Erfahrungsschatzes). Andererseits sah das BFA maßgebliche Änderungen in der Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat.

17 Bei dieser Beurteilung ließ das BFA außer Acht, dass dem Revisionswerber zuletzt mit Bescheid vom 27. Oktober 2016 eine verlängerte Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde und er zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig war. Die Begründung des BFA zeigt, dass die Behörde von der unrichtigen Rechtsansicht ausging, die Änderung der Voraussetzungen im Sinn von § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 seien ausschließlich im Vergleich zu jenem Bescheid, mit dem dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, zu beurteilen, während der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 27. Oktober 2016 zu Unrecht keine Beachtung geschenkt wurde.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung (im dort entschiedenen Fall: gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005) auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat (VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155). 19 Diese Überlegungen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, auch auf Fälle übertragen, in denen - wie im gegenständlichen Fall - die Aberkennung auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 gestützt wird (vgl. dazu auch VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). 20 Die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses lässt nicht erkennen, dass das BVwG die soeben dargestellte unzutreffende Rechtsansicht des BFA erkannt und entsprechend korrigiert hat. Das angefochtene Erkenntnis beschäftigt sich unter Bezugnahme auf die individuelle Situation des Revisionswerbers ausschließlich mit den aktuell gegebenen Umständen, ohne im Hinblick auf die persönlichen oder im Herkunftsstaat maßgeblichen Verhältnisse Veränderungen aufzuzeigen. Im angefochtenen Erkenntnis wird im Zusammenhang mit § 9 Abs. 1 AsylG 2005 lediglich kursorisch auf "nun nicht mehr vorliegende Voraussetzungen" sowie insbesondere auf eine Entscheidung verwiesen, die keinen Bezug zum gegenständlichen Fall aufweist.

21 Bezogen auf diese Begründung erweist sich schon die - nicht nur vom BFA, sondern auch vom BVwG zum Ausdruck gebrachte - Rechtsauffassung, es sei in der vorliegenden Konstellation ausschließlich auf jene Entscheidung abzustellen, mit der dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigte zuerkannt bzw. erstmals eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigten erteilt worden sei, aus den oben dargelegten Erwägungen als inhaltlich verfehlt (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation siehe VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Das angefochtene Erkenntnis war daher vorrangig gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 22 Bei diesem Ergebnis war auf die in der Revision betreffend die Verletzung der Verhandlungspflicht geltend gemachte Frage nicht weiter einzugehen.

23 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abzusehen.

24 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 29. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180367.L00

Im RIS seit

27.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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