TE Vwgh Erkenntnis 2020/1/29 Ra 2019/08/0153

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Veröffentlicht am 29.01.2020
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §67 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima LL.M., über die Revision der t GmbH in H, vertreten durch Dr. Meinrad Einsle, Dr. Rupert Manhart, Dr. Susanne Manhart, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Römerstraße 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. September 2019, Zl. I401 2143113-1/24E, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 4 ASVG (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Vorarlberger Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, 6850 Dornbirn, Jahngasse 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Österreichische Gesundheitskasse hat der Revisionswerberin den Aufwand von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen, dass die revisionswerbende Partei als Betriebsnachfolgerin zur ungeteilten Hand für die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge, Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze der Betriebsvorgängerin L. GesmbH in Höhe von € 14.629,91 haftet. Die revisionswerbende Partei sei verpflichtet, diesen Betrag zuzüglich Verzugszinsen ab Zustellung des (erstinstanzlichen) Bescheides in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe (derzeit 7,88 %) bei sonstigen Zwangsfolgen an die belangte Behörde zu bezahlen.

2        M M. und Ing. L M. seien Gesellschafter und selbstständig vertretungsbefugte handelsrechtliche Geschäftsführer der revisionswerbenden Partei, die auf der Liegenschaft der genannten Gesellschafter eine Druckerei betreibe. Die revisionswerbende Partei sei in geschäftlichen Beziehungen zu der am 20. Juli 2001 in das Firmenbuch eingetragenen L. GmbH mit ihrem handelsrechtlichen Geschäftsführer H L. gestanden. Der Geschäftszweig der L. GmbH habe auf „Druckerei und Direktmarketing“ bzw. „Adressenverlage und Direktwerbeunternehmen“ gelautet. Mit Kaufvertrag vom 30. November 2007 habe die L. GmbH den (Teil)Betrieb der Offsetdruckerei und eine Spezialkonfektionierung an die V. GmbH übertragen. Ihr Unternehmensgegenstand habe sich ab diesem Zeitpunkt auf die Durchführung von „Mailings“ (Massen-Postsendungen als Teilbereich des Direktmarketings bzw. der Direktwerbung) beschränkt. Dazu habe das Adressieren, Kuvertieren, Einschweißen, Sortieren, Zählen, Bündeln und Vorbereiten der Versendung von Werbeprospekten, Katalogen, „Flyern“ und sonstigen Versandstücken gehört, die von den Kunden angeliefert worden seien. Zum Tätigkeitsbereich habe auch die „Porto-Optimierung“ (die Ermittlung der optimalen Versandart und des richtigen Portotarifes) gehört. Die Post habe die von der L. GmbH versandbereit gemachte Massen-Post verschickt. Mit Wirksamkeit vom 1. November 2011 hätten M M. sowie Ing. L M. mit der L. GmbH einen Mietvertrag über Teile der ihnen gehörenden Betriebsliegenschaft der revisionswerbenden Partei geschlossen, und zwar über ein Büro mit einer Nutzfläche von 50 m², eine daran anschließende Halle mit einer Nutzfläche von 400 m² sowie eine weitere Fläche im Ausmaß von 200 m². In diesen gemieteten Räumlichkeiten habe die L. GmbH bis zur Schließung ihres Unternehmens die Mailing-Tätigkeit mit in ihrem Eigentum stehenden Maschinen erbracht.

3        Am 30. September 2013 hätten die L. GmbH und die revisionswerbende Partei folgende Vereinbarung getroffen:

„1.  Die L. GmbH soll nicht in Konkurs gehen und weiter existieren. H L. verpflichtet sich daher voll und ganz für die Firma L. GmbH weiter tätig zu sein. Die hier aufgeführten Maßnahmen dienen einzig und alleine diesem Zweck. Sollten zu einem späteren Zeitpunkt weitere Maßnahmen notwendig sein, so können diese nach Übereinstimmung dieser Vereinbarung angefügt werden.

2.   Zu diesem Zweck übernimmt die Beschwerdeführerin (T) [revisionswerbende Partei] per 01 10 2013 die gesamte maschinelle Ausrüstung It. Aufstellung, die in keinem guten Zustand ist sowie das gesamte Inventar lastenfrei von der Fa. L. GmbH bzw. H L. Als Kaufpreis wurde der Betrag von EUR 50.000,- exkl. MWSt. vereinbart. Ab der Übernahme werden die Kosten für Reparatur und Instandhaltung von der T getragen.

3.   Die Verbrauchsmaterialien zur Abwicklung der Aufträge werden weiterhin von der L. GmbH beschafft.

4.   Die T stellt der L. GmbH somit den gesamten Maschinenpark zur Abwicklung der Aufträge zur Verfügung. Ein Kostenersatz dafür muss jeweils auftragsbezogen vereinbart werden.

5.   Die L. GmbH wird zukünftig nur noch zwei Mitarbeiter beschäftigen, nämlich M S. und S S. Sollte zur Abwicklung von Aufträgen mehr Personal benötigt werden, so wird dies von der T der L. GmbH zur Verfügung gestellt. Ein Kostenersatz dafür muss jeweils auftragsbezogen vereinbart werden.

6.   Sämtliche Angebote, Abrechnungen und Zahlungen der L. GmbH unterliegen zukünftig dem 4-Augen-Prinzip (H L. + L M. oder H L. + M M.).

7.   Per 30 09 2013 schuldet die L. GmbH der T den Betrag von EUR 28.040,38.

8.   Die T gewährt der L. GmbH zur Zeit einen Kredit über die Monatsabrechnungen Juli/August/September 2013.

9.   ... .“

4        Die L. GmbH habe folgende Gegenstände an die revisionswerbende Partei veräußert:

„Buskro Inkjet

Laserprintsystem OCE Pagestream 240

BUHRS 300 12 Stationen

BUHRS 300 5 Stationen

Sitma Schweißstraße

Beck Schweißstraße mit Tunnel

Bell & Howell Kuvertiersystem

1 Stapler und div. Hubwagen

Strapex Palettenwickler

div. Ampag Bündelautomaten

PCs, Drucker, Büromöbel

Rico Printer groß“

5        Die Adressier-, Kuvertier-, Schweiß-, Bündel- und die anderen Maschinen seien die wesentlichen Grundlagen des Mailingbetriebs der L. GmbH gewesen. Hingegen seien die PCs, der Drucker, die Büromöbel etc. für die Aufrechterhaltung des Unternehmens nicht wesentlich gewesen. Die revisionswerbende Partei habe den veralteten, aber funktionstüchtigen Maschinenpark am 1. Oktober 2013 übernommen und den vereinbarten Kaufpreis bezahlt. Eine körperliche Übergabe habe nicht stattgefunden. Die L. GmbH habe den Mailingbetrieb nach der Veräußerung der Maschinen mit diesen fortgeführt. Es seien Wartungs- bzw. Servicearbeiten notwendig gewesen. Die revisionswerbende Partei habe in den Jahren 2017 bis 2019 teilweise die Maschinen durch neue ersetzt. Die L. GmbH sei kein Dienstleistungs-, sondern ein Produktionsunternehmen gewesen. Ein Kundenstock sei von der L. GmbH nicht an die revisionswerbende Partei übertragen worden. Allerdings habe ein solcher keinen Teil einer wesentlichen Betriebsgrundlage für einen „Mailing-Betrieb“ gebildet.

6        Gleichzeitig mit dem Kaufvertrag hätten die genannten Gesellschaften einen Bestandvertrag zur Abwicklung der von der L. GmbH (weiterhin) zu besorgenden Mailing-Aufträge abgeschlossen. Für die Bereitstellung der Maschinen habe die L. GmbH an die revisionswerbende Partei ab 1. Oktober 2013 ein Benützungsentgelt von € 1.000,-- monatlich leisten müssen. Seit der Übernahme der Maschinen mit 1. Oktober 2013 seien sämtliche Angebote, Abrechnungen und Zahlungen der L. GmbH dem „Vier Augen Prinzip“ unterlegen, welches durch den Geschäftsführer der L. GmbH und einen der beiden Geschäftsführer der revisionswerbenden Partei wahrgenommen worden sei. Der Geschäftsführer der L. GmbH sei gegenüber der revisionswerbenden Partei rechenschaftspflichtig gewesen. Er habe Zahlungsanweisungen nicht mehr selbst unterschreiben können. Die revisionswerbende Partei habe Zugriff auf das Konto der L. GmbH gehabt. Sie habe überprüfen können, ob es Zahlungseingänge gegeben habe bzw. ob Zahlungen durchgeführt und die Eingangsrechnungen mit einem der beiden Geschäftsführer der revisionswerbenden Partei abgestimmt worden seien.

7        Mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 24. März 2014 sei über das Vermögen der L. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Betrieb der L. GmbH geschlossen worden. Das Mietverhältnis über die Betriebsräumlichkeiten der L. GmbH sei im Einvernehmen mit dem Insolvenzverwalter mit 20. Juli 2014 aufgelöst worden. Nach Schließung des Betriebes der L. GmbH sei in den von der L. GmbH angemieteten Betriebsräumlichkeiten für ca. sechs bis sieben Monate keine betriebliche Tätigkeit ausgeübt worden. Ab 1. August 2014 habe die revisionswerbende Partei die von der L. GmbH zuvor erbrachte betriebliche Tätigkeit in den Geschäftsräumlichkeiten mit den von ihr gekauften Maschinen aufgenommen.

8        Mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 27. Oktober 2017 sei das Insolvenzverfahren gemäß § 123a IO mangels Kostendeckung aufgehoben worden. Am 2. Februar 2018 sei die L. GmbH gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht worden.

9        G L. sei vom 1. April 2004 bis 10. März 2014, S S. vom 1. September 2001 bis 10. März 2014 und M M. vom 1. September 2001 bis 31. Dezember 2013 bei der L. GmbH als Arbeiterinnen beschäftigt gewesen. Die zuletzt genannte Dienstnehmerin habe vom 5. Februar bis 9. April 2014 und vom 12. April 2014 bis 9. März 2015 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Seit 1. Juli 2019 beziehe sie eine Alterspension. Für die revisionswerbende Partei übten sie keine Beschäftigung mehr aus. Der Dienstnehmer M S. sei vom 1. September 2001 bis 13. März 2014 bei der L. GmbH als Angestellter beschäftigt gewesen. Vom 18. bis 31. Juli 2014 habe er Arbeitslosengeld bezogen. Vom 1. Mai bis 31. Juli 2014 sei er bei der revisionswerbenden Partei als Arbeiter einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen. Seit 1. August 2014 (bis laufend) sei er für die revisionswerbende Partei als Arbeiter tätig.

10       Die meisten Kunden der L. GmbH seien sofort abgesprungen, als sie erfahren hätten, dass die L. GmbH insolvent sei. Die revisionswerbende Partei habe keine Kunden übernommen. 60 % bis 70 % der Kunden seien Stammkunden gewesen. Es habe jedoch keine Jahresverträge mit ihnen gegeben. Die L. GmbH habe den Mailing Auftrag durchführen können, wenn der Preis gepasst habe. Die revisionswerbende Partei sei nicht von der Übernahme eines fixen Kundenkreises bzw. von Stammkunden der L. GmbH abhängig gewesen.

11       In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe auf Grund des Kaufvertrages vom 30. September 2013 den für die Mailing-Tätigkeit betriebsnotwendigen Maschinenpark erworben. Die Haftung nach § 67 Abs. 4 ASVG wäre auch dann eingetreten, wenn der Betrieb des Unternehmens der L. GmbH nicht fortgeführt worden wäre. Die Möglichkeit, den lebenden bzw. lebensfähigen Vorgängerbetrieb mit den dafür wesentlichen Betriebsmitteln fortzuführen, genüge. Entscheidend sei, ob das Vorgängerunternehmen als eine in sich geschlossene Einheit persönlicher und sachlicher Mittel nach der erfolgten Übereignung der wesentlichen Betriebsmittel als organisatorisch selbstständiges Unternehmen weitergeführt werden könne. Die revisionswerbende Partei wäre durch den Erwerb der für die Durchführung der Massenpostsendungen noch funktionstüchtigen Maschinen in der Lage gewesen, den vor und nach der Vereinbarung mit der L. GmbH bis zur Betriebsschließung infolge Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübten Gewerbebetrieb fortzuführen.

12       Der Betrieb sei - wenn auch nicht durch die revisionswerbende Partei selbst - mit demselben Personalstand unverändert und ohne zeitliche Unterbrechung weiter geführt worden. Im Fall, dass nicht die L. GmbH, sondern die revisionswerbende Partei nach dem Erwerb der wesentlichen Betriebsmittel den Mailing-Betrieb fortgeführt hätte, wäre ihr dies mit dem vorhandenen Personal, insbesondere dem Mitarbeiter M S. (der ab dem 1. August 2014 die zuvor bei der L. GmbH ausgeübte spezielle Tätigkeit wieder aufgenommen habe) und mit der ihn vertretenden Mitarbeiterin S S. möglich gewesen. Dabei falle die in der Vereinbarung vom 30. September 2013 festgehaltene Vorgabe, die L. GmbH werde zukünftig nur noch die zwei zuvor genannten Mitarbeiter beschäftigen, ins Gewicht. Es sei auch im Interesse der revisionswerbenden Partei gelegen, dass diese beiden Dienstnehmer weiter beschäftigt würden. Zudem hätten allfällige Schwierigkeiten bei der Fortführung des Betriebes auch durch entsprechende Einschulung von Personal begegnet werden können. M S. habe eine Handelsschule absolviert und keine fachspezifische Ausbildung abgeschlossen. Bei S S. habe die Einschulungsphase an den Maschinen ca. sechs Monate gedauert. M S. sei von der Schwester des Geschäftsführers der L. GmbH eingeschult worden. Er hätte auch vom Maschinenhersteller oder einem anderen ehemals bei der L. GmbH beschäftigten Mitarbeiter eingeschult werden können. Auch wenn es sich bei M S. um eine für die Bedienung der Inkjet-Maschine spezialisierte Fachkraft gehandelt habe, sei er durch S S. vertreten worden. Er hätte nach entsprechender Einschulung auch von einem anderen Dienstnehmer vertreten werden können. Durch die Übernahme der Maschinen wäre es der revisionswerbenden Partei möglich gewesen, die Mailing-Aufträge zu erfüllen und den Kundenstock bzw. die Stammkunden weiter zu betreuen.

13       Die Haftung umfasse die rückständigen Beiträge für die Zeit von höchstens zwölf Monaten vom Tage des Erwerbes zurückgerechnet. Aus dem Kaufvertrag vom 30. September 2013 ergebe sich, dass die revisionswerbende Partei per 1. Oktober 2013 die gesamte maschinelle Ausrüstung sowie das gesamte Inventar von der L. GmbH übernommen habe. Die revisionswerbende Partei hafte für den Haftungszeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 30. September 2013 mit einer Haftungssumme von € 14.629,91.

14       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

15       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie beantragt, die Revision als unbegründet abzuweisen.

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

17       Die revisionswerbende Partei führt zur Zulässigkeit der Revision aus, für die Betriebsnachfolgehaftung sei ausschlaggebend, ob vom Nachfolger eine organisierte Erwerbsgelegenheit erworben worden sei, die geeignet sei, unabhängig von dem zum Zeitpunkt des Erwerbs gegebenen Gewinnchancen oder Verlustgefahren wirtschaftlich verwertbare Leistungen auf dem in Betracht kommenden Markt zu erbringen. Unter Übereignung iSd § 67 Abs. 4 ASVG sei die Verschaffung bzw. der Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu verstehen. Auf die zivilrechtliche Gestaltung komme es nicht an. Das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es eine Haftung angenommen habe, obwohl kein Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht stattgefunden habe.

18       Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

19       § 67 Abs. 4 ASVG lautet:

„Wird ein Betrieb übereignet, so haftet der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 38 des Unternehmensgesetzbuches (UGB), dRGBl. S. 219/1897, für die Zeit von höchstens zwölf Monaten vom Tag des Erwerbes zurückgerechnet. Im Fall einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.“

20       Ausschlaggebend für die Betriebsnachfolgehaftung ist, ob vom Nachfolger eine organisierte Erwerbsgelegenheit als Objekt im Rechtsverkehr erworben wurde, die als solche geeignet ist, unabhängig von den im Zeitpunkt des Erwerbs gegebenen Gewinnchancen oder Verlustgefahren, wirtschaftlich werthafte Leistungen auf dem für sie in Betracht kommenden Markt zu erbringen. Wurden vom Nachfolger nicht ein Betrieb als solcher, sondern nur Betriebsmittel erworben, so kommt es für die Qualifizierung als Betriebserwerb im Sinne des § 67 Abs. 4 ASVG darauf an, ob jene Betriebsmittel erworben wurden, die nach der Betriebsart und dem Betriebsgegenstand die wesentliche Grundlage des Betriebes des Vorgängers, also die Grundlage für die Erbringung wirtschaftlich werthafter Leistungen im genannten Sinn, gebildet haben und den Erwerber mit ihrem Erwerb objektiv in die Lage versetzten, den Betrieb (in dem Umfang, mit dem Betriebsgegenstand und in der Betriebsart wie der Vorgänger) - unter Einsatz weiterer, nicht die wesentliche Grundlage des Betriebes bildender Betriebsmittel - fortzuführen (VwGH 21.11.1989, 88/08/0130, mwN). Welche Betriebsmittel in diesem Sinne wesentlich sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und hängt im Besonderen von Art und Gegenstand des Betriebes ab (VwGH 30.9.1997, 95/08/0248, mwN).

21       Unter dem im Gesetz verwendeten Begriff “Übereignung“ ist die „Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht“ anzusehen, wobei es dabei nicht auf eine besondere zivilrechtliche Gestaltung ankommt. Maßgebend ist somit der - wenn auch nicht unmittelbare - auf Rechtsgeschäft beruhende Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht vom Vorgänger auf den Erwerber. Für die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht kommt es nach der Judikatur auf eine bestimmte zivilrechtliche Ausgestaltung nicht an, daher auch nicht auf eine bestimmte sachenrechtliche Zuordnung der Betriebsmittel (VwGH 19.2.2003, 98/08/0104).

22       Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes hat die bei der revisionswerbenden Partei verschuldete L. GmbH (im Rahmen eines Finanzierungsleasings) ihren Maschinenpark an diese verkauft und ihn zugleich von dieser zurückgemietet. Dieses Geschäft hat es der L. GmbH ermöglicht, ihr Unternehmen fortzuführen. Die revisionswerbende Partei hat damit im maßgeblichen Zeitraum nicht die wirtschaftliche Verfügungsmacht über wesentliche Betriebsmittel erlangt, die es ihr erlaubt hätten, das Unternehmen auf eigene Rechnung und Gefahr fortzuführen. Anders als in dem dem genannten Erkenntnis (98/08/0104 zu Grunde liegenden Fall hat die revisionswerbende Partei nicht etwa einen Maschinenpark von einer Leasingfirma in einem rechtsgeschäftlich zu deutenden Einvernehmen mit einer Betriebsvorgängerin erworben, sondern sie hat - auch zur Absicherung der von ihr gewährten Kredite - zugleich mit der Eigentumsübertragung die Funktion einer Vermieterin bzw. Leasinggeberin übernommen (vgl. VwGH 17.10.2012, 2012/08/0208).

23       Eine Übereignung eines Betriebes iSd § 67 Abs. 4 ASVG von der L. GmbH an die revisionswerbende Partei hat im Oktober 2013 auf der Basis der Feststellung nicht stattgefunden.

24       Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

25       Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Ein Ersatz einer Eingabengebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.

Wien, am 29. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019080153.L00

Im RIS seit

05.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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