TE Vfgh Erkenntnis 2019/11/27 E4911/2018

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Index

66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

B-VG Art7 Abs1
GSVG §41 Abs3, §367
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht mangels Berücksichtigung von – bereits nach dem GSVG geleisteten – Beitragszahlungen auf den nach dem ASVG nachzuentrichtenden Betrag auf Grund Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft entsprechend einer neugefassten Bestimmung hinsichtlich der Anrechnung bereits geleisteter Beiträge

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

I. Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführerin betreibt ein Hotel, in dessen Rahmen auch Massagen angeboten werden. Die unter anderem in den Jahren 2012 bis 2015 tätige Masseurin hatte mit der Beschwerdeführerin einen als "Werkvertrag" bezeichneten Vertrag abgeschlossen, auf dessen Grundlage die Abrechnung der gegenüber Hotelgästen erbrachten Massageleistungen zwischen der Masseurin, die über eine Gewerbeberechtigung als "gewerbliche, mobile Masseurin" verfügte, und der Beschwerdeführerin im Einzelnen erfolgte. Laut dem Vorbringen der Beschwerdeführerin hat die Masseurin auch Sozialversicherungsbeiträge nach GSVG entrichtet.

2.       Mit Bescheid vom 13. Februar 2017 stellte die Steiermärkische Gebietskrankenkasse fest, dass die bei der Beschwerdeführerin tätige Masseurin auf Grund ihrer Tätigkeit für die Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 1. Februar 2012 bis 30. November 2015 gemäß §4 Abs1 Z1 und Abs2 ASVG sowie gemäß §1 Abs1 lita AlVG der Voll- und Arbeitslosenversicherung unterlegen und die Beschwerdeführerin verpflichtet sei, aus diesem versicherungspflichtigen Dienstverhältnis für den angeführten Zeitraum gemäß den §§44 Abs1 und 49 Abs1 ASVG an Sozialversicherungsbeiträgen, Fondsbeiträgen, Umlagen und Sonderbeiträgen sowie Verzugszinsen insgesamt € 42.387,14 nachzuentrichten.

3.       Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 31. Oktober 2018 als unbegründet ab. Mit näherer Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die im Hotel der Beschwerdeführerin tätige Masseurin nicht selbständig erwerbstätig, sondern als Dienstnehmerin beschäftigt gewesen sei, da in einer Gesamtschau von einem Überwiegen der Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbstständiger Ausübung der Tätigkeit auszugehen sei.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art2 StGG, Art20 GRC), auf "Eigentum und zum Abschluss privatrechtlicher Verträge" (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK), auf "Freiheit der Erwerbsbetätigung" (Art6 StGG) sowie auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird. Die Beschwerdeführerin bringt unter anderem vor, die rückwirkende "Umqualifizierung" des Werkverhältnisses zwischen der Beschwerdeführerin in ein Dienstnehmerverhältnis sei als ein willkürliches Verhalten der belangten Behörde zu qualifizieren.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II.      Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1.       Die §§4, 412a bis 412c und 707 des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG), BGBl 189/1955, idF BGBl I 75/2016 (§4) und idF BGBl I 125/2017 (§§ 412a bis 412c und 707), laute(te)n samt Überschrift wie folgt:

"ABSCHNITT II

Umfang der Versicherung

1. Unterabschnitt

Pflichtversicherung

Vollversicherung

§4. (1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach §7 nur eine Teilversicherung begründet:

1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;

2. die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen (Lehrlinge);

3. die im Betrieb der Eltern, Großeltern, Wahl- oder Stiefeltern ohne Entgelt regelmäßig beschäftigten Kinder, Enkel, Wahl- oder Stiefkinder, die das 17. Lebensjahr vollendet haben und keiner anderen Erwerbstätigkeit hauptberuflich nachgehen, alle diese, soweit es sich nicht um eine Beschäftigung in einem land- oder forstwirtschaftlichen oder gleichgestellten Betrieb (§27 Abs2) handelt;

4. die zum Zwecke der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, abgeschlossene Hochschulbildung erfordernden Beruf nach Abschluß dieser Hochschulbildung beschäftigten Personen, wenn die Ausbildung nicht im Rahmen eines Dienst- oder Lehrverhältnisses erfolgt, jedoch mit Ausnahme der Volontäre;

5. Schülerinnen/Schüler an Schulen für Gesundheits- und Krankenpflege und Auszubildende in Lehrgängen nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG), BGBl I Nr 108/1997, Schülerinnen/Schüler und Auszubildende in Lehrgängen zu einem medizinischen Assistenzberuf nach dem Medizinische Assistenzberufe-Gesetz (MABG), BGBl I Nr 89/2012, sowie Studierende an einer medizinisch-technischen Akademie nach dem MTD-Gesetz, BGBl Nr 460/1992;

6. Vorstandsmitglieder (Geschäftsleiter) von Aktiengesellschaften, Sparkassen, Landeshypothekenbanken sowie Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und hauptberufliche Vorstandsmitglieder (Geschäftsleiter) von Kreditgenossenschaften, alle diese, soweit sie auf Grund ihrer Tätigkeit als Vorstandsmitglied (GeschäftsleiterIn) nicht schon nach Z1 in Verbindung mit Abs2 pflichtversichert sind;

7. die Heimarbeiter und die diesen nach den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften über die Heimarbeit arbeitsrechtlich gleichgestellten Personen;

8. Personen, denen im Rahmen beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation nach den §§198 oder 303 berufliche Ausbildung gewährt wird, wenn die Ausbildung nicht auf Grund eines Dienst- oder Lehrverhältnisses erfolgt;

9. Fachkräfte der Entwicklungshilfe nach §2 des Entwicklungshelfergesetzes, BGBl Nr 574/1983;

10.  Personen, die an einer Eignungsausbildung im Sinne der §§2b bis 2d des Vertragsbedienstetengesetzes 1948, BGBl Nr 86, teilnehmen;

11.  die Teilnehmer/innen des Freiwilligen Sozialjahres, des Freiwilligen Umweltschutzjahres, des Gedenkdienstes oder des Friedens- und Sozialdienstes im Ausland nach dem Freiwilligengesetz, BGBl I Nr 17/2012;

12.  Personen, die eine Geldleistung gemäß §4 des Militärberufsförderungsgesetzes, BGBl Nr 524/1994, beziehen;

13.  geistliche Amtsträger der Evangelischen Kirchen AB und HB hinsichtlich der Seelsorgetätigkeit und der sonstigen Tätigkeit, die sie in Erfüllung ihrer geistlichen Verpflichtung ausüben, zum Beispiel des Religionsunterrichtes, ferner Lehrvikare, Pfarramtskandidaten, Diakonissen und die Mitglieder der evangelischen Kirchenleitung, letztere soweit sie nicht ehrenamtlich tätig sind;

14.  die den Dienstnehmern im Sinne des Abs4 gleichgestellten Personen.

(2) Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Als Dienstnehmer gelten jedenfalls Personen, die mit Dienstleistungsscheck nach dem Dienstleistungsscheckgesetz (DLSG), BGBl I Nr 45/2005, entlohnt werden. Als Dienstnehmer gilt jedenfalls auch, wer nach §47 Abs1 in Verbindung mit Abs2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig ist, es sei denn, es handelt sich um

1. Bezieher von Einkünften nach §25 Abs1 Z4 lita oder b EStG 1988 oder

2. Bezieher von Einkünften nach §25 Abs1 Z4 litc EStG 1988, die in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen oder

3. Bezieher/innen von Geld- oder Sachleistungen nach dem Freiwilligengesetz.

(4) Den Dienstnehmern stehen im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten, und zwar für

1. einen Dienstgeber im Rahmen seines Geschäftsbetriebes, seiner Gewerbeberechtigung, seiner berufsrechtlichen Befugnis (Unternehmen, Betrieb usw) oder seines statutenmäßigen Wirkungsbereiches (Vereinsziel usw), mit Ausnahme der bäuerlichen Nachbarschaftshilfe,

2. eine Gebietskörperschaft oder eine sonstige juristische Person des öffentlichen Rechts bzw die von ihnen verwalteten Betriebe, Anstalten, Stiftungen oder Fonds (im Rahmen einer Teilrechtsfähigkeit),

wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen; es sei denn,

a) dass sie auf Grund dieser Tätigkeit bereits nach §2 Abs1 Z1 bis 3 GSVG oder §2 Abs1 BSVG oder nach §2 Abs1 und 2 FSVG versichert sind oder

b) dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine (Neben-)Tätigkeit nach §19 Abs1 Z1 litf B-KUVG handelt oder

c) dass eine selbständige Tätigkeit, die die Zugehörigkeit zu einer der Kammern der freien Berufe begründet, ausgeübt wird oder

d) dass es sich um eine Tätigkeit als Kunstschaffender, insbesondere als Künstler im Sinne des §2 Abs1 des Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetzes, handelt.

(6) Eine Pflichtversicherung gemäß Abs1 schließt für dieselbe Tätigkeit (Leistung) eine Pflichtversicherung gemäß Abs4 aus.

[…]

Verfahren zur Klärung der Versicherungszuordnung

§412a.

§412a. Zur Klärung der Versicherungszuordnung ist ein Verfahren mit wechselseitigen Verständigungspflichten des Krankenversicherungsträgers und der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw der Sozialversicherungsanstalt der Bauern durchzuführen. Die Einleitung dieses Verfahrens erfolgt

1. auf Grund einer amtswegigen Sachverhaltsfeststellung (§§412b und 412c) oder

2. auf Grund der Anmeldung zur Pflichtversicherung (§412d)

a)  nach §2 Abs1 Z1 GSVG, soweit es sich um Berechtigte zur Ausübung eines freien Gewerbes handelt, die von den Trägern der Krankenversicherung und der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft einvernehmlich bestimmt wurden, oder

b)  nach §2 Abs1 Z4 GSVG oder

c)  nach §2 Abs1 Z1 letzter Satz BSVG in Verbindung mit Punkt 6 oder 7 der Anlage 2 zum BSVG oder

3. auf Antrag der versicherten Person oder ihres Auftraggebers/ihrer Auftraggeberin (§412e).

Versicherungszuordnung auf Grund einer amtswegigen

Sachverhaltsfeststellung (Neuzuordnung)

§412b.

§412b. (1) Stellt der Krankenversicherungsträger oder das Finanzamt bei der Prüfung nach §41a dieses Bundesgesetzes oder nach §86 EStG 1988 für eine im geprüften Zeitraum nach dem GSVG bzw nach dem BSVG versicherte Person einen Sachverhalt fest, der zu weiteren Erhebungen über eine rückwirkende Feststellung der Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz (Neuzuordnung) Anlass gibt, so hat der Krankenversicherungsträger oder das Finanzamt die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw die Sozialversicherungsanstalt der Bauern ohne unnötigen Aufschub von dieser Prüfung zu verständigen. Die Verständigung hat den Namen, die Versicherungsnummer sowie den geprüften Zeitraum und die Art der Tätigkeit zu enthalten.

(2) Erfolgt eine Verständigung nach Abs1, so sind die weiteren Ermittlungen vom Krankenversicherungsträger und von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw der Sozialversicherungsanstalt der Bauern im Rahmen ihres jeweiligen Wirkungsbereiches durchzuführen.

Bindungswirkung, Bescheidzustellung

§412c.

§412c. (1) Wird nach Abschluss der Prüfungen nach §412b das Vorliegen einer Pflichtversicherung

1. nach dem ASVG vom Krankenversicherungsträger und dem Dienstgeber oder

2. nach dem ASVG oder nach dem GSVG bzw BSVG vom Krankenversicherungsträger und der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw der Sozialversicherungsanstalt der Bauern

bejaht, so sind die Krankenversicherungsträger, die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw die Sozialversicherungsanstalt der Bauern und das Finanzamt bei einer späteren Prüfung an diese Beurteilung gebunden (Bindungswirkung).

(2) Wird nach Abschluss der Prüfungen nach §412b vom Krankenversicherungsträger das Vorliegen einer Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz bejaht, während die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw die Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom Vorliegen einer Pflichtversicherung nach dem GSVG bzw BSVG ausgeht, so hat der Krankenversicherungsträger die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz mit Bescheid festzustellen. Die Behörden sind an diese Beurteilung gebunden (Bindungswirkung), wenn der Bescheid des Krankenversicherungsträgers rechtskräftig wurde.

(3) Im Bescheid hat sich der Krankenversicherungsträger im Rahmen der rechtlichen Beurteilung mit dem abweichenden Vorbringen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw der Sozialversicherungsanstalt der Bauern auseinander zu setzen.

(4) Bescheide des Krankenversicherungsträgers sind neben der versicherten Person und ihrem Dienstgeber auch der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bzw der Sozialversicherungsanstalt der Bauern sowie dem sachlich und örtlich zuständigen Finanzamt zuzustellen.

(5) Die Bindungswirkung nach den Abs1 und 2 gilt nicht, wenn eine Änderung des für die Beurteilung der Pflichtversicherung maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Schlussbestimmungen zu Art1 des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017

§707. (1) Die §§247 Abs2, 412a bis 412e samt Überschriften, 607 Abs12 und 617 Abs13 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017 treten mit 1. Juli 2017 in Kraft.

(2) Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen hat bis 31. Dezember 2017 unter Berücksichtigung der Patienten- und Versorgungssicherheit einen Gesetzentwurf zum Medikamentenmanagement für stationäre Pflegeeinrichtungen auszuarbeiten, der insbesondere einen begünstigten Bezug von Arzneimitteln sowie deren Bevorratung durch Wohn- und stationäre Pflegeeinrichtungen vorsieht."

2.       §41 und §367 Bundesgesetz vom 11. Oktober 1978 über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz – GSVG), BGBl 560/1978 idF BGBl I 125/2017, lauten:

"Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge

§41. (1) Zu Ungebühr entrichtete Beiträge können, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, zurückgefordert werden. Das Recht auf Rückforderung verjährt nach Ablauf von fünf Jahren nach deren Zahlung. Der Lauf der Verjährung des Rückforderungsrechtes wird durch Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Herbeiführung einer Entscheidung, aus der sich die Ungebührlichkeit der Beitragsentrichtung ergibt, bis zu einem Anerkenntnis durch den Versicherungsträger bzw bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren unterbrochen.

(2) Die Rückforderung von Beiträgen, durch welche eine Formalversicherung begründet wurde, sowie von Beiträgen zu einer Versicherung, aus welcher innerhalb des Zeitraumes, für den Beiträge ungebührlich entrichtet worden sind, eine Leistung erbracht wurde, ist für den gesamten Zeitraum ausgeschlossen. Desgleichen ist die Rückforderung ausgeschlossen, wenn nach dem Zeitraum, für den Beiträge ungebührlich entrichtet worden sind, eine Leistung zuerkannt worden ist und die Beiträge auf den Bestand oder das Ausmaß des Leistungsanspruches von Einfluß waren, es sei denn, der zur Leistungserbringung zuständige Versicherungsträger hatte die Möglichkeit, im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens (§69 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl Nr 51) neuerlich über den Leistungsanspruch zu entscheiden und konnte die zu Unrecht geleisteten Beträge mit Erfolg zur Gänze zurückfordern.

(3) Wenn für eine Person auf Grund einer bestimmten Tätigkeit nachträglich statt der Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz die Pflichtversicherung nach dem ASVG festgestellt wird, so hat die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft

1.  keine Pflichtversicherung für den entsprechenden Zeitraum festzustellen, wenn in diesem Zeitraum keine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, andernfalls

2.  die Beitragsgrundlagen nach §26 um die auf Grund dieser Tätigkeit festgestellten Beitragsgrundlagen nach dem ASVG (allgemeine Beitragsgrundlage und Sonderzahlungen) zu vermindern.

Soweit aus diesem Grund Beiträge zur Pflichtversicherung in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung zu Ungebühr entrichtet wurden, sind diese an den für die Beitragseinhebung zuständigen Krankenversicherungsträger zu überweisen. Abs1 ist nicht anzuwenden. Der zuständige Versicherungsträger hat die überwiesenen Beiträge auf die ihm geschuldeten Beiträge anzurechnen. Übersteigen die anzurechnenden die dem zuständigen Versicherungsträger geschuldeten Beiträge, so ist der Überschuss der versicherten Person durch den zuständigen Versicherungsträger zu erstatten.

(4) Abs2 gilt nicht für Beiträge, die zwar nicht zur Gänze ungebührlich, jedoch von einer zu hohen Beitragsgrundlage oder unter Anwendung eines zu hohen Beitragssatzes entrichtet worden sind, sofern innerhalb des in Betracht kommenden Zeitraumes nur solche Leistungen erbracht wurden, die auch dann, wenn die Beiträge in richtiger Höhe entrichtet worden wären, im gleichen Ausmaß gebührt hätten.

(5) Wird die Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge geltend gemacht, so hat der zur Entscheidung zuständige Versicherungsträger vorerst bei den Versicherungsträgern, denen nach §411 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes Parteistellung im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden zukommt, sowie bei der zuständigen Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice anzufragen, ob gemäß Abs2 im Hinblick auf erbrachte oder zu erbringende Leistungen aus der Unfall-, Pensions- oder Arbeitslosenversicherung ein Einwand gegen die Rückerstattung der ungebührlich entrichteten Unfall- Pensions- oder Arbeitslosenversicherungsbeiträge besteht.

(6) Die Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge steht dem Versicherten zu.

Schlussbestimmung zu Art2 des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017

§367. Die §§41 Abs3, 117a Abs2, 194b samt Überschrift, 298 Abs12 und 306 Abs10 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017 treten mit 1. Juli 2017 in Kraft."

III.    Erwägungen

1.       Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Das Bundesverwaltungsgericht hat sowohl die Qualifikation des Rechtsverhältnisses zwischen der Beschwerdeführerin und der in ihrem Hotel tätigen Masseurin als Dienstverhältnis nach §4 Abs2 ASVG durch die Steiermärkische Gebietskrankenkasse als auch die daraus abgeleitete Pflicht zur Nachentrichtung von Beiträgen ua in Höhe von € 42.387,14 bestätigt.

2.2.     Während des anhängigen verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz, BGBl I 125/2017, unter anderem §41 Abs3 GSVG neu gefasst, der seitdem den Fall regelt, dass für eine Person nachträglich statt der Pflichtversicherung nach dem GSVG die Pflichtversicherung nach ASVG festgestellt wird; soweit aus diesem Grund Pflichtversicherungsbeiträge nach GSVG zu Unrecht entrichtet wurden, sind diese an den für die Beitragseinhebung zuständigen Krankenversicherungsträger zu überweisen, und der zuständige Versicherungsträger hat die überwiesenen Beiträge auf die ihm geschuldeten Beiträge anzurechnen. §41 Abs3 GSVG ist gemäß §367 leg. cit. zum 1. Juli 2017 ohne weitere Übergangsanordnung in Kraft getreten.

2.3.    Die Beschwerdeführerin hat vor dem Bundesverwaltungsgericht insbesondere vorgebracht, dass die in ihrem Betrieb tätige Masseurin, deren Arbeitnehmereigenschaft das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, Sozialversicherungsbeiträge nach GSVG entrichtet habe. Das Bundesverwaltungsgericht hat es jedoch unterlassen, allfällige Beitragszahlungen nach GSVG und daraus resultierende Überweisungsbeträge an die Steiermärkische Gebietskrankenkasse festzustellen, und statt dessen ohne Auseinandersetzung mit §41 Abs3 GSVG den von der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse mit Bescheid vom 13. Februar 2017 – also noch vor Kundmachung und Inkrafttreten des Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetzes – festgesetzten, nach ASVG nachzuentrichtenden Betrag bestätigt.

2.4.    Indem das Verwaltungsgericht die Rechtslage in diesem – entscheidungswesentlichen – Punkt grob verkennt und eine Auseinandersetzung mit §41 Abs3 GSVG sowie diesbezügliche Sachverhaltsfeststellungen unterlassen hat, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet.

IV.      Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Sozialversicherung, Beiträge

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E4911.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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