RS Vfgh 2019/11/28 E707/2019

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EMRK Art8 Abs2
AsylG 2005 §10
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; unzureichende Interessensabwägung mit dem Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und seinem dreijährigen Kind

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) schließt zunächst zutreffend, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Kind ipso iure ein Familienleben iSd Art8 EMRK bestehe und es wird außerdem ausgeführt, dem Kindeswohl komme im Rahmen der Interessenabwägung nach Art8 EMRK ein besonderes Gewicht zu. Wenn das BVwG dann aber davon ausgeht, das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich auf Grund des bestehenden Familienlebens zu seiner minderjährigen Tochter sei erheblich gemindert, weil der Beschwerdeführer seine erst etwas über zweieinhalb Jahre alte Tochter - auf Grund einer ihm gegenüber erlassenen einstweiligen Verfügung - schon wenige Monate nach ihrer Geburt zunächst gar nicht mehr habe treffen können und er diese auch in weiterer Folge nur alle zwei Wochen für jeweils eine Stunde unter Aufsicht habe treffen dürfen, was bis zur Verhandlung vor dem BVwG insgesamt acht Mal erfolgt sei, und auch unter Berücksichtigung des Bemühens des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Tochter nicht ersichtlich sei, dass die zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter geführte Beziehung derart ausgeprägt sei, um eine durch die Rückkehrentscheidung erfolgende Verletzung des Rechtes auf ein Familienleben iSd Art8 EMRK anzunehmen und eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohles zu erkennen, so liegt darin - auch unter Berücksichtigung des vom BVwG im Rahmen der Interessenabwägung genannten Umstandes, dass das Familienleben durch Heirat des Beschwerdeführers zu einem Zeitpunkt begründet worden sei, in dem er nicht von einem dauerhaften Aufenthalt habe ausgehen dürfen, weil sein Verfahren im ersten Verfahrensgang bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei - eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Interessenabwägung.

Das BVwG stützt seine Erwägungen maßgeblich darauf, dass unter Berücksichtigung der Umstände des Falles die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Tochter nicht derart ausgeprägt sei, dass eine Rückkehrentscheidung eine Verletzung von Art8 EMRK darstellen könnte. Das BVwG stützt diese Annahme allerdings auf unzureichende Ermittlungen: Zwar wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt und es finden sich auch ansatzweise Erörterungen der Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Familienleben zwischen Beschwerdeführer und Kind, es fehlt allerdings zum einen eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Frage, aus welchen Gründen bisher nur wenige Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Kind stattgefunden haben. Der Umstand, dass der Kontakt zwischen Vater und Kind nicht vom Beschwerdeführer selbst, sondern von dritten Personen - entgegen gerichtlicher Anordnungen - verhindert wurde, scheint keinen Einfluss auf die Entscheidung des BVwG zu haben. Zudem wird die zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende Situation hinsichtlich rechtlicher Obsorge und tatsächlicher Obhut sowie Wohnort des Kindes nur unzureichend ermittelt und dargestellt.

Zum anderen ist aus der Entscheidung des BVwG nicht erkennbar, dass Ermittlungen angestellt worden wären, ob die Beziehung zwischen Vater und Kind im Interesse des Kindeswohles liegt oder liegen würde. Selbst wenn das BVwG davon ausgeht, dass bisher nur seltene Kontakte zwischen Vater und Kind stattgefunden haben und deshalb derzeit keine intensive Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter im Kleinkindalter bestehe, so hätte es ermitteln müssen, wie die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich des Familienlebens zum Entscheidungszeitpunkt waren und insbesondere inwiefern die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und der Tochter trotz derzeit nur selten stattfindender Kontakte im Interesse des Kindeswohles liegt. Die Frage, ob regelmäßige Kontakte zum Vater im Interesse des Kindeswohles sind und insbesondere deren Beurteilung durch die zuständigen Behörden und Gerichte im Verfahren über die Obsorge- und Kontaktregelungen lässt das BVwG allerdings außer Betracht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Privat- und Familienleben, Entscheidungsbegründung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E707.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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