TE Vfgh Erkenntnis 1996/9/25 V54/96, V55/96, V56/96

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Veröffentlicht am 25.09.1996
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art148e
Mustersatzung 1994 des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger §22
Satzung 1995 der Vlbg Gebietskrankenkasse §22
Satzung 1995 der Wr Gebietskrankenkasse §22
ASVG §123, §124
ASVG §455

Leitsatz

Zulässigkeit von Anträgen der Volksanwaltschaft auf Aufhebung von Regelungen einer Mustersatzung und von Satzungen von Krankenkassen; Verordnungsqualität der Satzungen; Erlassung durch Bundesbehörden im funktionellen Sinn; Notwendigkeit eines einheitlich gleichlautenden Angehörigenbegriffs für Selbstversicherte; keine Gleichheitsverletzung durch Unterschiede im Leistungsrecht bei Pflicht- und Selbstversicherten selbst bei gleicher Beitragshöhe; keine Bedenken gegen die Einschränkung des Angehörigenbegriffs bei Selbstversicherten durch unterschiedliche Altersgrenzen für mitversicherte Kinder im Gegensatz zu Pflichtversicherten

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Schreiben vom 3. April 1996 stellt die Volksanwaltschaft den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. §22 Abs2 MS 1994, verlautbart in Soziale Sicherheit 1995, S. 39, genehmigt mit Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 22. Dezember 1994, als gesetzwidrig aufheben, in eventu diese Bestimmung hinsichtlich der Wortfolge in deren Z. 2: '2. Die Kinder (§123 Abs2 Z. 2 bis 6 ASVG) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.' als gesetzwidrig aufheben, und

2. §22 Abs2 Z. 2 der Satzung der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, verlautbart in Soziale Sicherheit, 1995,

S. 624, genehmigt mit Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 2. August 1995, als gesetzwidrig aufheben und

3. §22 Abs2 Z. 2 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse, verlautbart in Soziale Sicherheit, 1995, S. 438, genehmigt mit Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 13. Juni 1995, als gesetzwidrig aufheben."

1.2. Die Volksanwaltschaft begründet diesen Antrag wie folgt:

"1. Zur Gesetzwidrigkeit des §22 Abs2 MS 1994:

a) Die Mustersatzung war ursprünglich als rechtlich unverbindliche Empfehlung konzipiert. Erst mit der 9. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 13/1962, wurde vorgesehen, daß Teile der Mustersatzung für alle oder bestimmte Versicherungsträger als verbindlich erklärt werden können.

Der Umfang dieser verbindlichen Bestimmungen ist jedoch zweifach begrenzt:

Da nur Teile der Mustersatzung für verbindlich erklärt werden können, wäre es jedenfalls unzulässig, den gesamten potentiellen Regelungsbereich der Satzung durch die Mustersatzung abschließend zu determinieren.

Überdies sind in §455 Abs2 ASVG Kriterien enthalten, die bei jeder verbindlichen Bestimmung in der Mustersatzung zu beachten sind. Danach hat der Hauptverband darauf Bedacht zu nehmen, ob zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen eine verbindliche Bestimmung in der Mustersatzung notwendig erscheint. Bei dieser Entscheidung sind auch die Interessen der Versicherten und der Dienstgeber an einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise der Versicherungsträger zu berücksichtigen.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich mit den Auswirkungen einer verbindlichen Mustersatzung auseinandergesetzt, als er zu prüfen hatte, ob Bestimmungen der Mustersatzung bereits vor der 9. ASVG-Novelle als verbindlich erklärt werden konnten, was der Übung des Hauptverbandes tatsächlich entsprach (VfSlg 3708).

Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis ausgeführt, daß solche Verbindlicherklärungen der Mustersatzung einen sehr weitgehenden Eingriff in die Autonomie des einzelnen Versicherungsträgers darstellen, der zu einer Einengung des 'Grundsatzes des Eigenlebens und der Selbstverantwortung' führt, der sich gerade in der Satzungsbefugnis des Versicherungsträgers manifestiert. Der Verfassungsgerichtshof hat somit einen dem Gesetz zu entnehmenden Grundsatz angenommen, der im Zweifel für die Autonomie der einzelnen Sozialversicherungsträger spricht, weshalb eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nur dann zulässig ist, wenn es das Gesetz klar und unmißverständlich anordnet.

Auch wenn zum Zeitpunkt dieser höchstgerichtlichen Entscheidung noch keine dem §455 ASVG vergleichbare Regelung bestand, sind die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im gegebenen Zusammenhang deshalb von Interesse, weil sie eine restriktive Auslegung der Befugnis des Hauptverbandes zur Verbindlicherklärung von Mustersatzungsbestimmungen nahelegen. Eine über die Befugnis des Hauptverbandes hinausgehende Einschränkung der Autonomie der Sozialversicherungsträger wäre nur dem Gesetzgeber möglich.

b) Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen stellt sich die Frage, ob §22 Abs2 MS 1994 über die Angehörigeneigenschaft zu Selbstversicherten diesen Grundsätzen entspricht.

Dies wäre zweifellos dann zu bejahen, wenn ein Interesse an dieser Regelung bestünde, das die vorgenommene Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit der Versicherungsträger rechtfertigte.

Die Gründe hiefür müßten nach Ansicht der Volksanwaltschaft unter Bedachtnahme auf die in §455 Abs2 ASVG festgelegten Kriterien allerdings von besonderem Gewicht sein, weil durch §22 Abs2 MS 1994 nicht nur die gemäß §124 Abs1 ASVG mögliche Einschränkung des Angehörigenkreises in der Krankenversicherung für Selbstversicherte abschließend festgelegt wird, sondern dadurch auch die Satzungsermächtigung der Krankenversicherungsträger gemäß §123 Abs8 ASVG zur Erweiterung des gesetzlich geregelten Kreises der Angehörigen völlig beseitigt wird.

Es ist jedoch bereits fraglich, ob die verbindliche Bestimmung des §22 Abs2 MS 1994 gemäß §455 Abs2 ASVG zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung der versicherungsrechtlichen Bestimmungen notwendig erscheint. Durch diese Mustersatzungsbestimmung wird nämlich weder §123 Abs8 ASVG noch §124 Abs1 ASVG präzisiert, sondern lediglich die gesetzlich vorgesehene Befugnis der Krankenversicherungsträger, den Angehörigenbegriff in der Krankenversicherung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen festzulegen, ausgeschlossen.

Überdies widerspricht diese Regelung auch den Interessen der Versicherten, die bei der Volksanwaltschaft Beschwerde geführt haben.

Zwar wäre die Regelung insoweit für die Selbstversicherten von Vorteil, als sie von vornherein wüßten, daß ihre Angehörigen in allen Bundesländern unter den gleichen Bedingungen beitragsfrei in der Krankenversicherung mitversichert sind. Dieser Vorteil verkehrt sich jedoch offensichtlich ins Gegenteil, wenn sie dafür in Kauf nehmen müssen, daß ihnen nahestehende Personen (z.B. die Lebensgefährten) überhaupt nicht als ihre Angehörigen Leistungen aus der Krankenversicherung erhalten können. Der Gewinn an Rechtssicherheit wird somit bei dieser Regelung durch den Verlust einer an sich möglichen Rechtsgestaltung im Interesse der Selbstversicherten überwogen.

Ein weiteres Argument für die Einschränkung der Angehörigeneigenschaft könnte darin erblickt werden, daß sie angesichts der angespannten finanziellen Lage der Krankenversicherungsträger notwendig sei. Der Rückgriff auf finanzielle Erwägungen findet jedoch in §455 Abs2 ASVG, in dem - wie oben ausgeführt - detaillierte Regelungen für die Zulässigkeit verbindlicher Bestimmungen der Mustersatzung vorgesehen sind, keine Deckung.

Dies würde auch für eine allfällige Begründung der Regelung gelten, wonach diese notwendig sei, um Mißbrauchsmöglichkeiten auszuschließen. Dieses Argument ist deshalb nicht stichhaltig, weil im Falle des Mißbrauches (z.B. Umgehung der Pflichtversicherung durch Eingehung von 'Scheinwerkverträgen') das verbotene Verhalten in erster Linie in der Vermeidung der Pflichtversicherung besteht, die ihrerseits jedoch zur Angehörigeneigenschaft jener Personengruppe führen würde, die durch §22 Abs2 MS 1994 ausgeschlossen wurde.

Zu dem sei angemerkt, daß die Mustersatzung im Bereich der Selbstversicherten hinsichtlich einer einheitlichen Regelung auch inkonsequent bleibt, weil die Wartezeit für Selbstversicherte in §21 MS 1994 nicht verbindlich geregelt wird. Gerade die einheitliche Festlegung von Wartezeiten, die vom Selbstversicherten erfüllt sein müssen, bevor diesem ein Leistungsanspruch aus der Krankenversicherung zukommt, wäre im Interesse der Selbstversicherten gelegen.

Die Volksanwaltschaft ist daher der Ansicht, daß §22 Abs2 MS 1994 bereits aufgrund dieser Überlegungen gesetzwidrig ist.

2. Zur Gesetzwidrigkeit eines gespaltenen Kindesbegriffes in §22 Abs2 Z2 MS 1994 und in den entsprechenden Satzungsbestimmungen der Gebietskrankenkassen:

a) Die gesetzliche Grundlage für §22 Abs2 Z. 2 MS 1994 ist §124 Abs1 ASVG, wonach die Satzung den Kreis der Angehörigen zwar einschränken kann, aber die Kinder (§123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG) nicht ausgeschlossen werden dürfen.

Diese Bestimmung verweist somit auf die in §123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG genannten Kinder, ohne auf die in §123 Abs4 ASVG vorgesehene Regelung Bezug zu nehmen, die für das Fortbestehen der Kindeseigenschaft über das 18. Lebensjahr hinaus bestimmte Voraussetzungen festlegt.

Es ist daher bereits aufgrund dieses Verweisungszusammenhanges davon auszugehen, daß der Kindesbegriff in §124 Abs1 letzter Satz ASVG alle Kinder umfaßt, die als Angehörige gelten können. Dies auch dann, wenn sie das 18. Lebensjahr überschritten haben, weshalb §22 Abs2 Z. 2 MS 1994 und die entsprechenden Bestimmungen der Satzungen gesetzwidrig sind.

b) Dies ergibt sich auch daraus, daß in §123 Abs2 ASVG die Kindeseigenschaft nicht in Beziehung zu einer bestimmten Altersgrenze gesetzt wird. In §123 Abs2 ASVG wird nur der Personenkreis umschrieben, für den die Angehörigeneigenschaft als Kind in der Krankenversicherung in Betracht kommt. Die nähere Regelung der relevanten Altersgrenzen wird in §123 Abs4 ASVG vorgenommen.

Hätte daher nach der Intention des Gesetzgebers die Angehörigeneigenschaft der Kinder von Selbstversicherten nur bis zum 18. Lebensjahr gesichert werden sollen, so wäre ein ergänzender Verweis auf §123 Abs4 ASVG oder eine ausdrückliche Regelung notwendig gewesen, wonach die Angehörigeneigenschaft zu Selbstversicherten in der Krankenversicherung für Kinder an ein bestimmtes Lebensalter gebunden werden kann, um einen allfälligen Ermessensspielraum im Sinne des Gesetzes einzugrenzen.

Die Annahme eines umfassenden Kindesbegriffes in §124 Abs1 letzter Satz ASVG entspricht somit einer verfassungskonformen Interpretation dieser Bestimmung, durch die eine formalgesetzliche Delegation vermieden wird.

c) Aber selbst dann, wenn in §124 Abs1 ASVG vorgesehen wäre, daß die Angehörigeneigenschaft bei Selbstversicherten für Kinder an ein bestimmtes Lebensalter gebunden werden kann, wäre es zweifelhaft, ob eine solche ausdrückliche Regelung nicht dem Gleichheitsgrundsatz (Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG) widerspräche, weil sie - wie im folgenden näher ausgeführt - sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen ermöglichen würde.

Dies ergibt sich daraus, daß nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein Gesetz nur dann dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz entspricht, wenn gesetzliche Differenzierungen aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ableitbar sind (so z.B. VfSlg. 4392, VfSlg. 8169 uva).

Unter Bedachtnahme auf diesen Grundsatz bewirkt die gegenständliche Regelung in der Mustersatzung und den Satzungen der Gebietskrankenkassen aber unterschiedliche Beitragssätze in der Krankenversicherung innerhalb der Gruppe der Schüler sowie zwischen Schülern und Studenten, denen nicht ausreichend wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen gegenüberstehen, durch die eine solche rechtliche Differenzierung sachlich gerechtfertigt werden kann.

So haben Kinder von Selbstversicherten, die nicht aufgrund einer anderen Angehörigeneigenschaft zu einem Pflichtversicherten beitragsfrei in der Krankenversicherung mitversichert sind und sich in Schulausbildung befinden, nach den geltenden Satzungsbestimmungen ab dem 18. Lebensjahr Beiträge zu entrichten. Dies würde bei Schülern ohne Veränderung ihrer Lebenssituation willkürlich ab einem bestimmten Lebensalter erhebliche finanzielle Belastungen für deren Eltern bewirken, obwohl die Schüler die Ausbildung aufgrund des Zeitpunktes des Eintritts in die Schule oder wegen der Dauer der Schulzeit (z.B. bei berufsbildenden höheren Schulen) in der Regel nicht vor Vollendung des 18. Lebensjahres beenden können.

Überdies wären diese Beiträge zur Selbstversicherung einerseits höher als jene für Studenten, für die eine begünstigte Selbstversicherung möglich ist. Andererseits wäre der Beitrag für Schüler zumeist auch höher als der grundsätzlich für Selbstversicherte vorgesehene Mindestbeitrag, weil gemäß §4 Abs4 der Richtlinien des Hauptverbandes über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung und über Form und Inhalt der Anträge gemäß §31 Abs5 Z. 9 ASVG bei Personen, die ihren Lebensunterhalt von Unterhaltsleistungen anderer Personen bestreiten, die Beitragsgrundlage nicht niedriger sein darf, als 25 % des dreißigfachen der Beitragsgrundlage nach §76 Abs1 ASVG. Dies wird aber gerade für Schüler der Fall sein, weil im Regelfall deren Eltern ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Durch die gegenständliche Regelung wären beispielsweise auch die 'Grenzgänger' als eine Gruppe von Versicherten massiv belastet, die keine andere Möglichkeit als die Selbstversicherung zur Erlangung des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes in Österreich haben, wenn sie im Ausland einer versicherungsfreien Beschäftigung nachgehen, deren Ausübung im Inland die Versicherungspflicht auslösen würde, sie aber ihren Wohnsitz in Österreich beibehalten.

Die gegenständlichen Satzungsbestimmungen bewirken somit erhebliche finanzielle Belastungen für die Familien, insbesondere aber für alleinerziehende Mütter, die nicht selbst pflichtversichert sind.

Der Verfassungsgerichtshof hat zwar bereits wiederholt ausgesprochen, daß ein Gesetz nicht schon dann gleichheitswidrig sei, wenn seine Anwendung nicht in allen Fällen zu einem befriedigenden Ergebnis führt (so z.B. VfSlg. 8827), und, daß auch Härtefälle grundsätzlich nicht unbedingt für die Bedenklichkeit eines Gesetzes sprechen (so z.B. VfSlg. 7996), doch vertritt die Volksanwaltschaft auch unter Bedachtnahme auf diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Ansicht, daß die aufgezeigten Härtefälle im gegebenen Zusammenhang sich nicht bloß ausnahmsweise ereigneten, sondern nach den Erfahrungen des täglichen Lebens häufig auftreten können, sodaß eine derartige Regelung gegen das Gleichheitsgebot verstößt (so z.B. VfSlg. 7012).

Eine derart undifferenzierte Regelung kann - unabhängig davon, daß dies wie gezeigt bereits durch den Wortlaut des §124 Abs1 letzter Satz ASVG nicht gedeckt ist - keinesfalls der Intention des Gesetzgebers unterstellt werden."

2. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat eine Äußerung erstattet, in der er den Ausführungen der Volksanwaltschaft wie folgt entgegentritt:

"2.1 Zulässigkeit der Regelung der gegenständlichen Materie in einer verbindlichen Bestimmung der Mustersatzung des Hauptverbandes:

Wie die Volksanwaltschaft in ihrer Antragsbegründung zutreffend ausführt, ist der Umfang der verbindlichen Bestimmung der Mustersatzung dahingehend begrenzt, daß der Hauptverband darauf Bedacht zu nehmen hat, ob zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen eine verbindliche Bestimmung in der Mustersatzung notwendig erscheint. Bei dieser Entscheidung sind auch die Interessen der Versicherten und der Dienstgeber an einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise der Versicherungsträger zu berücksichtigen.

Die Volksanwaltschaft bezweifelt einerseits, daß eine derartige Regelung tatsächlich zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen notwendig ist, andererseits sieht sie in ihr keine Berücksichtigung der Interessen der Versicherten und der Dienstgeber. Weiters zweifelt sie die hinreichende Determinierung des Gesetzes im Lichte des Art18 B-VG an. Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Im Vordergrund des Handelns eines Versicherungsträgers in den Bereichen, die ihm zur eigenverantwortlichen Besorgung übertragen sind, steht unzweifelhaft die Beobachtung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit. Zu keinem anderen Zweck als diesem gestattet das Gesetz dem Versicherungsträger durch diverse Satzungsermächtigungen, sein Leistungsspektrum zu erweitern oder einzuschränken. Diese Absicht ist dermaßen offensichtlich, sodaß es als absolut unnotwendig erscheint, in jedem einzelnen Fall in einer gesetzlichen Bestimmung gesondert darauf hinzuweisen und auf diese Weise lediglich den Gesetzestext zu überfrachten, ohne an Informationswert zu gewinnen.

Dort, wo der Gesetzgeber es als unumgänglich erachtet, im Interesse des Schutzes der Versicherten und ihrer Angehörigen - auch bei grundsätzlicher Dispositionsfreiheit des Versicherungsträgers - einen gewissen Mindeststandard zu normieren, schränkt er jedoch die Satzungsermächtigung gesetzlich ein. In dieser Form ist er auch hinsichtlich der Anspruchsberechtigung für Angehörige von Selbstversicherten vorgegangen.

Nicht nur die Versicherungsträger haben auf ihre, auch der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der gesamten Sozialversicherung zu achten. Dieser gesetzliche Auftrag kommt schon im §31 Abs3 Z2 ASVG zum Ausdruck, demzufolge zu den Aufgaben des Hauptverbandes die ständige Beobachtung der Entwicklung der Sozialversicherung in ihren Beziehungen zur Volkswirtschaft und die Ausarbeitung konkreter Vorschläge bzw. die Durchführung von Maßnahmen zur Erhaltung der dauernden Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung ohne Überlastung der Volkswirtschaft zählt. Ebenso deutlich wird diese Aufgabe in der oben zitierten Bestimmung des §455 Abs2 ASVG, nach der Bestimmungen der Mustersatzung für verbindlich zu erklären sind, insoweit dies zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen notwendig erscheint. In einer Zeit, in der sich alle Krankenversicherungsträger gleichermaßen in einer finanziell unerfreulichen Situation befinden, ist es einerseits Aufgabe des Hauptverbandes, Einsparungsmaßnahmen zu ergreifen, andererseits ist nicht nur gerechtfertigt sondern auch notwendig, daß diese Maßnahmen für alle Krankenversicherungsträger in gleicher Weise gelten, weshalb hier das Instrument einer verbindlichen Bestimmung der Mustersatzung zur Anwendung kommen muß.

Wie die Volksanwaltschaft selbst einräumt, ist damit auch dem Interesse der Versicherten und der Dienstgeber insofern Rechnung getragen, als sie sich damit auf eine bundeseinheitliche Regelung verlassen können. Zur Meinung der Volksanwaltschaft, daß durch die Normierung anderer Regelungen in der Mustersatzung den Interessen der genannten Personengruppen eher Rechnung getragen würde, kann nur angemerkt werden, daß es sich hiebei um eine Wertungsfrage handelt, die von der Volksanwaltschaft eben anders beantwortet wird als vom Hauptverband. Dies allein macht nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Vorgangsweise des Hauptverbandes noch nicht unzulässig.

Zu den Ausführungen der Volksanwaltschaft hinsichtlich der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Eingriff in die Autonomie der einzelnen Versicherungsträger ist lediglich darauf hinzuweisen, daß diese auf eine derzeit nicht mehr bestehende Rechtslage Bezug nimmt. Es ist selbstverständlich, daß ein Eingriff in die Selbstverwaltung eines Sozialversicherungsträgers ohne hinreichende gesetzliche Grundlage nicht zulässig ist. Diese Rechtsgrundlage findet sich jedoch im §455 ASVG. Der Gesetzgeber hat eine Entscheidung für eine möglichst einheitliche Vorgangsweise der einzelnen Versicherungsträger getroffen, indem er den Hauptverband ermächtigt hat, unter bestimmten Voraussetzungen einzelne Satzungsbestimmungen verbindlich vorzugeben. Er hat sich somit in diesem eingeschränkten Bereich zu einer Durchbrechung des Prinzips der Selbstverwaltung bekannt, weil ihm die Einheitlichkeit einer Regelung als höherwertiges Ziel erschienen ist.

2.2 Ausschluß der Lebensgefährtin eines Versicherten von der sozialversicherungsrechtlichen Angehörigeneigenschaft:

Die Volksanwaltschaft führt Beschwerde darüber, daß durch die taxative Aufzählung des Angehörigenkreises der Selbstversicherten nach §16 ASVG im §22 Abs2 der Mustersatzung des Hauptverbandes auch die im §123 Abs8 ASVG vorgesehene Satzungsermächtigung für die Krankenversicherungsträger abschließend und verbindlich festgelegt worden sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß §123 Abs8 ASVG als gesetzliche Grundlage des §22 Abs1 der Mustersatzung und §124 Abs1 letzter Satz ASVG als gesetzliche Grundlage des §22 Abs2 der Mustersatzung vollkommen unterschiedliche und voneinander unabhängige Regelungsinhalte haben und auch hinsichtlich ihrer Zielsetzung nicht miteinander vergleichbar sind.

Das österreichische Sozialversicherungssystem basiert auf dem Prinzip der Pflichtversicherung, die bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen ex lege Platz greift. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber einen bestimmten Kreis der näheren Angehörigen festgelegt, für den eine Anspruchsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben sein soll. Durch diese Regelung ist bereits ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung der gesetzlichen Sozialversicherung unterworfen.

Um jedoch auch jenen Personen - die aus welchen Gründen auch immer - eines Krankenversicherungsschutzes nicht teilhaftig werden, ebenfalls die Möglichkeit einer Versicherung zu bieten, läßt der Gesetzgeber eine freiwillige Versicherung für diese Personen, die von deren Willensentscheidung abhängig ist, zu. Der Gesetzgeber geht damit bereits über das oben dargestellte Prinzip der Pflichtversicherung hinaus. Gemessen an diesem Prinzip stellt die Einräumung der Möglichkeit einer Selbstversicherung bereits ein Entgegenkommen dar, aus dem weitere Rechte nicht ohne weiteres abgeleitet werden können.

Eine Ergänzung erfährt diese grundsätzliche Regelung durch zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Modifizierung des Kreises der anspruchsberechtigten Angehörigen eines Versicherten durch die Versicherungsträger. Einerseits gestattet das Gesetz eine Erweiterung der Angehörigeneigenschaft durch eine entsprechende Satzungsbestimmung (§123 Abs8 ASVG). Hievon macht §22 Abs1 der Mustersatzung Gebrauch. Andererseits ermöglicht es die Einschränkung des Personenkreises der anspruchsberechtigten Angehörigen von Selbstversicherten (§124 Abs1 letzter Satz ASVG). Die entsprechende Satzungsbestimmung findet sich im §22 Abs2 der Mustersatzung. Wenngleich die räumliche Nähe der beiden Ausführungsbestimmungen der Mustersatzung einen inneren Zusammenhang derselben suggeriert, so sind sie doch als voneinander selbständig zu betrachten. Mit jeder einzelnen den Krankenversicherungsträgern eingeräumten Satzungsermächtigung erhalten diese ein Steuerungsinstrument zur Anpassung der Rechtslage an ihre spezielle (insbesondere finanzielle) Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Zur Frage der Zulässigkeit der generellen Regelung dieses Problemkreises durch verbindliche Bestimmungen der Mustersatzung wurde bereits oben Stellung genommen. Neben der Berücksichtigung des finanziellen Aspektes sind auch Überlegungen zur Verhinderung von Mißbrauch nicht unbeachtlich. Insbesondere kann der gegenteiligen Auffassung der Volksanwaltschaft (Seite 8, unten) nicht gefolgt werden, da ein allfälliger Mißbrauch nicht dadurch stattfindet, daß eine Pflichtversicherung vermieden wird, sondern dadurch, daß eine Angehörigeneigenschaft zu einem Selbstversicherten in der Krankenversicherung (z.B. durch Vortäuschung einer Lebensgemeinschaft) konstruiert wird.

2.3 Ausschluß der Kinder nach Vollendung des 18. Lebensjahres von der sozialversicherungsrechtlichen Angehörigeneigenschaft:

Wie die Volksanwaltschaft zutreffend ausführt, ist gesetzliche Grundlage für §22 Abs2 Z2 der Mustersatzung §124 Abs1 ASVG, demzufolge die Satzung den Kreis der Angehörigen einschränken kann, aber die Kinder (§123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG) nicht ausgeschlossen werden dürfen. Die Volksanwaltschaft zieht aus der Zitierung des §123 Abs2 Z2 ASVG im §124 Abs1 letzter Satz ASVG den Schluß, daß dadurch alle Kinder im Sinne des §123 Abs4 ASVG gemeint sind und nicht nur jene, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Es ist zuzugestehen, daß dies ein Denkansatz ist, welcher nicht grundsätzlich und von vorneherein verworfen werden müßte. Es ist jedoch auch umgekehrt nicht denkunmöglich, in jenen Fällen, in denen ganz allgemein von 'Kindern' die Rede ist, ohne weitere Voraussetzungen für die Kindeseigenschaft zu nennen, von der grundsätzlichen Definition auszugehen, welche eine Altersgrenze von 18 Jahren beinhaltet. Daß der - im gegenständlichen Zusammenhang nicht zitierte - §123 Abs4 ASVG in bestimmten Fällen auch eine Ausdehnung der Anspruchsberechtigung für die Kinder in ihrer Eigenschaft als Angehörige eines Versicherten zuläßt, erscheint hier nach ho. Auffassung unbeachtlich. Von dieser Rechtsauffassung ist der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger bei der Beschlußfassung über die Mustersatzung ausgegangen und dieser war auch vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales anläßlich der Genehmigung der Mustersatzung nichts entgegenzuhalten, zumal die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme im Hinblick auf die finanzielle Situation der Krankenversicherungsträger außer Frage steht.

Hinsichtlich der von der Volksanwaltschaft behaupteten Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, ist auf die obigen Ausführungen zum Wesen der Selbstversicherung als Entgegenkommen des Gesetzgebers gegenüber einer ansonsten nicht vom Prinzip der Pflichtversicherung umfaßten und daher krankenversicherungsrechtlich auch nicht geschützten Personengruppe hinzuweisen. Es muß dem Gesetzgeber - nicht zuletzt im Hinblick auf finanzielle Überlegungen - gestattet sein, die Grenzen der Versicherungspflicht und der Anspruchsberechtigung selbst zu bestimmen bzw. die Determinanten für eine diesbezügliche, der Selbstverwaltung der Sozialversicherung eingeräumte Entscheidung festzulegen.

Allein der Umstand, daß die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung zu einer finanziellen Belastung für einen bestimmten Personenkreis (möglicherweise auch im Vergleich zu den Angehörigen einer anderen, wahllos herausgegriffenen Gruppe) führen oder zumindest führen können, ist für sich genommen noch kein Argument, das die Behauptung der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zu stützen vermag. Die Volksanwaltschaft selbst räumt ein, daß nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch Härtefälle nicht grundsätzlich für die Bedenklichkeit eines Gesetzes sprechen."

3. Auch der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist in seiner Äußerung dem Antrag der Volksanwaltschaft entgegengetreten. Der Hauptverband begründet dies im wesentlichen wie folgt:

"Durch die verbindliche Regelung des §22 Mustersatzung 1994 wird die Dispositionsfreiheit der einzelnen Krankenversicherungsträger bei der Einbeziehung von Angehörigen der Selbstversicherten in die Krankenversicherung gemäß §123 Abs8 ASVG sowie bei der Einschränkung des Angehörigenbegriffes bei in der Krankenversicherung Selbstversicherten gemäß §124 Abs1 letzter Satz ASVG beseitigt.

Die Mustersatzung und die Satzungen der Sozialversicherungsträger sind unbestritten Durchführungsverordnungen im Sinne des Artikel 18 Abs2 B-VG. Als generelle Regelungen von Selbstverwaltungskörpern bedürfen sie der inhaltlichen Bestimmung durch das Gesetz.

Die Rechtsgrundlage, Bestimmungen der Mustersatzung des Hauptverbandes für verbindlich zu erklären, ist der §455 Abs2

ASVG. ...

Vor Inkrafttreten der verbindlichen Bestimmung des §22 Mustersatzung 1994 gab es in diesem Bereich unterschiedliche Satzungsbestimmungen der einzelnen Krankenversicherungsträger. Die Verbindlicherklärung war daher notwendig, um eine bundeseinheitliche Vorgangsweise sicherzustellen, weil eine sachliche Rechtfertigung für unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Ländern nicht gegeben ist. Mangels einer sachlich gerechtfertigten Differenzierung und aus Gründen der Rechtssicherheit ist es unbedingt erforderlich, daß in ganz Österreich in der sozialen Krankenversicherung für Pflichtversicherte einerseits und für Selbstversicherte andererseits ein einheitlicher gleichlautender Angehörigenbegriff normiert ist. Dies liegt auch im Interesse der Gesamtheit aller Versicherten innerhalb einer Versichertengruppe nach gleicher Behandlung, unabhängig davon, ob dadurch einzelne Versicherte gegenüber der früheren Rechtslage allenfalls einen persönlichen Nachteil erleiden.

Aus diesem Grund bezieht sich die Erklärung der Verbindlichkeit nicht nur auf die Einschränkung des Angehörigenkreises bei den Selbstversicherten, sondern auch auf die Erweiterung des Personenkreises der anspruchsberechtigten Angehörigen im Bereich der Pflichtversicherten im Sinne des §123 Abs8 ASVG. Für den Bereich der Wartezeit gemäß §124 Abs1 dritter Satz ASVG war eine verbindliche Bestimmung in der Mustersatzung 1994 nicht erforderlich, weil in diesem Bereich schon bisher eine allgemeine Wartezeit von sechs Monaten bundeseinheitlich in den Satzungen aller Kassen normiert war und auch weiterhin ist.

... Unterschiedliche Behandlung der Pflichtversicherten und der freiwillig Versicherten:

Unterschiede in der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Pflichtversicherten und der freiwillig Versicherten sind vom Gesetzgeber durchaus gewollt und auch sachlich gerechtfertigt und wurden schon mit der Einführung des ASVG im Jahre 1955 festgelegt (siehe Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage; 599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates,

VII. GP.).

Ein für die gesetzliche Sozialversicherung typisches Grundprinzip ist der Versicherungszwang. Die Riskengemeinschaft kommt durch einen Akt des Gesetzgebers zustande, indem die von gleichartigen Gefahren bedrohten Personen zu einer Versicherungsgemeinschaft zusammengeschlossen und einem Sozialversicherungsträger zugeordnet werden. Der notwendige Riskenausgleich kann nur durch das Prinzip der Pflichtversicherung erreicht werden, weil in der gesetzlichen Sozialversicherung im Gegensatz zur Privatversicherung keine Riskenauslese vorgesehen ist. Der Versicherungsträger kann die ihm durch Gesetz zugewiesenen Versicherungsverhältnisse nicht selektieren, also keine ihm zu groß erscheinenden Risken ablehnen.

Erst in der 32. ASVG-Novelle 1977 wurde das Prinzip der Pflichtversicherung mit der Einräumung der uneingeschränkten Berechtigung zur freiwilligen Versicherung in der sozialen Krankenversicherung durch die 'Selbstversicherung' im Sinne des §16 ASVG umfassend ergänzt. Damit wollte der Gesetzgeber auch für jenen Personenkreis einen Sozialversicherungsschutz anbieten, der von den Bestimmungen der Pflichtversicherung nicht erfaßt ist, ohne dies wie bisher von der Erfüllung besonders strenger Voraussetzungen abhängig zu machen (siehe Erläuterungen zur Regierungsvorlage; 181 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIV. GP.).

Der Gesetzgeber hat aber eine differenzierte Behandlung der freiwillig Versicherten in verschiedenen Bereichen gewollt und auch verwirklicht. Eine unterschiedliche Behandlung der freiwillig Versicherten ist einerseits insbesondere deswegen sachlich gerechtfertigt, weil dieser Personenkreis es sich aussuchen kann, ob und wann er einen gesetzlichen Sozialversicherungsschutz erhalten möchte. Er hat die Möglichkeit, eine Risikoabschätzung vorzunehmen sowie einen Kosten-Nutzen-Vergleich zu privaten Versicherungsunternehmen anzustellen. Nach Abschätzung aller Für und Wider kann es sich dieser Personenkreis freiwillig aussuchen, welchem System der Versicherung (gesetzlich oder privat) er beitreten möchte. Im Gegensatz dazu kann es sich der soziale Krankenversicherungsträger auch im Bereich der Selbstversicherung nicht aussuchen, ob und unter welchen Konditionen er einen Versicherten aufnimmt. Er unterliegt einem absoluten Kontrahierungszwang und ist verpflichtet, alle Anträge zur Selbstversicherung ohne Berücksichtigung unterschiedlicher Risken- und Gefahrenverteilung unter den gleichen Bedingungen anzunehmen.

Andererseits wollte der Gesetzgeber auch durch Einführung einer Wartezeit für Leistungsansprüche und einer Mindestversicherungsdauer von sechs aufeinanderfolgenden Kalendermonaten eine mißbräuchliche und spekulative Inanspruchnahme der freiwilligen sozialen Krankenversicherung möglichst ausschließen; z.B. Eintritt in die Selbstversicherung, wenn Leistungen benötigt werden und sofortiger Austritt, wenn dies nicht mehr der Fall ist (siehe Erläuterungen zur Regierungsvorlage; 181 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIV. GP.).

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber im §124 Abs1 letzter Satz ASVG die Möglichkeit vorgesehen, den Kreis der beitragsfrei anspruchsberechtigten Angehörigen von Selbstversicherten einzuschränken, mit der Maßgabe, daß die Kinder im Sinne des §123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG nicht ausgeschlossen werden dürfen. Von dieser gesetzlichen Ermächtigung wurde im §22 Abs2 Mustersatzung 1994 Gebrauch gemacht. Durch diese Bestimmung wurde der Rahmen der oben beschriebenen gesetzlichen Einschränkungsermächtigung nicht vollends ausgeschöpft, weil auch der Ehegatte eines Selbstversicherten von der beitragsfreien Anspruchsberechtigung nicht ausgeschlossen wurde.

... Kinder im Sinne des §123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG:

...

Eine Altersgrenze für Kinder als anspruchsberechtigte Angehörige ist im §123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG nicht ausdrücklich enthalten. Es muß daher im Wege der Interpretation unter Anwendung der Auslegungsregeln des ABGB, die nicht nur auf die 'bürgerlichen', sondern grundsätzlich auch auf alle sonstigen Gesetze anzuwenden sind, der unbestimmte Kinderbegriff gemäß §123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG näher umschrieben werden.

§6 ABGB bestimmt, daß einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden darf, als welcher aus der eigentlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Demnach ist ein kundgemachtes Gesetz grundsätzlich aus sich selbst heraus auszulegen (Auslegung nach Gesetzestext; Wortinterpretation). Die sprachliche Auslegung muß den Zusammenhang mit anderen Worten des Gesetzes in ihrem Bedeutungszusammenhang berücksichtigen.

Betrachtet man nun §123 Abs4 erster Satz ASVG, so erkennt man den Grundsatz, daß Kinder und Enkel im Sinne des Abs2 Z2 bis 6 leg. cit. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Angehörige gelten. Erst im zweiten Satz leg. cit. wird dieser Grundsatz durch eine Ausnahme durchbrochen. Danach gelten diese Kinder und Enkel über den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus auch dann als Angehörige, wenn und solange sie

1. sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden, die ihre Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres; ...

2. seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in Z1 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Gebrechen erwerbsunfähig sind oder erwerbslos sind.

Diese Auslegung wird auch durch §123 Abs5 ASVG unterstützt. Dieser normiert, daß Kinder und Enkel im Sinne des Abs2 Z2 bis 6 Im Rahmen der Altersgrenzen des Abs4 Z1 auch dann als Angehörige gelten, wenn sie sich im Ausland, in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden; dies gilt auch bei nur vorübergehendem Aufenthalt im Inland. Aus der Formulierung des eben beschriebenen Abs5 ergibt sich eindeutig, daß der Gesetzgeber die Angehörigeneigenschaft der Kinder und Enkel im Sinne des Abs2 Z2 bis 6 grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres vorgesehen hat, weil sich sonst der Hinweis im Abs5 ('... im Rahmen der Altersgrenzen des Abs4 Z1 ...') erübrigt hätte. Dem Gesetzgeber kann aber grundsätzlich nicht unterstellt werden, eine überflüssige und daher inhaltslose Regelung getroffen zu haben.

Hinzu kommt, daß in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der ASVG-Stammfassung vom 19. Juli 1955 (599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VII. GP.) zum §123 folgender Text zu finden ist:

'... Als Altersgrenze für die Einbeziehung in den Schutz der Krankenversicherung sieht die Vorlage bei Kindern und Enkeln das vollendete 18. Lebensjahr vor. Darüber hinaus wird bis zur äußersten Grenze des vollendeten 24. Lebensjahres die Angehörigeneigenschaft anerkannt, wenn die in der Vorlage genau angegebenen besonderen Gründe (Berufsausbildung, Gebrechlichkeit) bei den betreffenden Familienangehörigen zutreffen.'

§124 Abs1 dritter Satz ASVG i.d.F. dieser Regierungsvorlage normierte noch eine ausdrückliche Altersgenze. Demnach durfte in der Selbstversicherung die Angehörigeneigenschaft der Kinder im Sinne des §123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG bis zum vollendeten 14. Lebensjahr durch die Satzung nicht ausgeschlossen werden. Der historische Gesetzgeber hatte also eine sehr restriktive Regelung vorgesehen. Wenn also in der derzeit geltenden Fassung des §124 Abs1 vierter Satz ASVG der ausdrückliche Hinweis auf eine Altersgrenze nicht mehr gegeben ist, kann daraus nur geschlossen werden, daß der Gesetzgeber nunmehr die generelle Altersgrenze des vollendeten 18. Lebensjahres zur Anwendung bringen wollte, nicht jedoch die Ausnahmebestimmung des §123 Abs4 zweiter Satz ASVG bis zur äußersten Grenze des vollendeten 27. Lebensjahres.

Zusammenfassend ergibt sich daher, daß im §124 Abs1 letzter Satz ASVG durch den Hinweis auf §123 Abs2 Z2 bis 6 nur jene Kinder von der beitragsfreien Anspruchsberechtigung als Angehörige von Selbstversicherten durch die Satzung nicht ausgeschlossen werden dürfen, die das 18. Lebensjahr noch nicht überschritten haben."

4. Auch die Wiener Gebietskrankenkasse hat eine Äußerung erstattet, in der sie die angegriffenen Satzungsbestimmungen verteidigt. Sie führt im wesentlichen aus:

"a) §124 Abs1 letzter Satz ASVG ... stellt die gesetzliche Grundlage für §22 Abs2 Z.2 der Mustersatzung 1994 des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger sowie für die gleichlautende Bestimmung der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse dar.

§123 Abs2 ASVG setzt die Kindeseigenschaft nicht in Beziehung zu einer bestimmten Altersgrenze. Erst die systematische Interpretation unter Einbeziehung des §123 Abs4 ASVG führt zu dem Ergebnis, daß die Kindeseigenschaft der in §123 Abs2 Z.2-6 ASVG genannten Kinder grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres besteht.

b) §124 Abs1 letzter Satz ASVG ermächtigt die Versicherungsträger, in den Satzungen für Selbstversicherte auch den Kreis der Angehörigen einzuschränken, doch dürfen die Kinder (§123 Abs2 Z.2-6) nicht ausgeschlossen werden. Der Gesetzgeber hat damit die Angehörigeneigenschaft der Kinder von Selbstversicherten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gesichert. Eine Erstreckung der Angehörigeneigenschaft der Kinder von Selbstversicherten über das 18. Lebensjahr hinaus hätte eines ausdrücklich Verweises in §124 Abs1 letzter Satz auf §123 Abs4 ASVG in der Form bedurft, daß der Klammerausdruck nach dem Wort Kinder zu lauten hätte:(§123 Abs2 Z.2-6 und Abs4).

c) Bindung der Angehörigeneigenschaft für Kinder von Selbstversicherten an ein bestimmtes Lebensalter - Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz?

Die allgemeine Sozialversicherung basiert auf dem Prinzip der Pflichtversicherung. Dies bedeutet, daß eine Versicherung dann eintritt, wenn die im Gesetz umschriebenen Voraussetzungen (§10 ASVG) vorliegen und die Versicherung endet (§11 ASVG) wenn diese Voraussetzungen wieder wegfallen. Der Wille des Betroffenen ist hiebei ohne Belang und auch dem unterschiedlichen Versicherungsrisiko kommt keine Bedeutung zu. Der Versicherungsträger kann die ihm durch Gesetz zugewiesenen Versicherungsverhältnisse nicht selektieren, also schlechte Risken nicht ablehnen.

Durch die 32. ASVG-Novelle wurde das Prinzip der Pflichtversicherung durch Einräumung der Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung in der sozialen Krankenversicherung durch die Selbstversicherung im Sinne des §16 ASVG ergänzt. Im Gegensatz zur Pflichtversicherung besteht bei der freiwilligen Versicherung im Sinne des §16 ASVG die Möglichkeit, nach Abwägung aller Argumente für bzw. gegen die freiwillige Versicherung die Entscheidung darüber zu treffen. Der zur freiwilligen Versicherung Berechtigte kann einen Vergleich der zu zahlenden Beiträge und der aus einer solchen Versicherung entstehenden Leistungsansprüche anstellen und sich danach für die freiwillige Versicherung gemäß §16 ASVG oder zur Abdeckung des Risikos durch eine private Versicherung entscheiden. Der Träger der sozialen Krankenversicherung hingegen kann es sich auch im Bereich der Selbstversicherung nicht aussuchen, ob und unter welchen Konditionen er einen Versicherten in die Riskengemeinschaft aufnimmt. Er unterliegt einem absoluten Kontrahierungszwang und ist verpflichtet, alle Anträge zur Selbstversicherung ohne Berücksichtigung unterschiedlicher Risken- und Gefahrenverteilung unter den gleichen Bedingungen anzunehmen.

Diese Unterschiede im Tatsächlichen rechtfertigen grundsätzlich auch die vom Gesetzgeber in mehreren Bereichen gewollte und auch realisierte differenzierte Behandlung der freiwillig Versicherten im Vergleich zu den Pflichtversicherten. Neben der Einschränkung der Angehörigeneigenschaft exemplarisch anzuführen sind hier die Wartezeit für Leistungsansprüche bei Selbstversicherten, die Mindestversicherungsdauer von 6 aufeinanderfolgenden Kalendermonaten sowie die im Regelfall gegenüber Pflichtversicherten höheren Beiträge."

5. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse hat ebenfalls eine Äußerung erstattet. Sie erachtet zunächst die Antragslegitimation der Volksanwaltschaft für "überprüfenswert", da der Verfassungsgerichtshof nach Art148e B-VG auf Antrag der Volksanwaltschaft über die Gesetzwidrigkeit einer Verordnung einer Bundesbehörde erkenne und es sich bei den von den Aufhebungsanträgen der Volksanwaltschaft betroffenen Bestimmungen um Verordnungs(Satzungs)bestimmungen handle, welche von Selbstverwaltungskörpern erlassen wurden. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse führt weiters aus, daß sie aufgrund der Gesetzeslage verpflichtet war, §22 Abs2 der Mustersatzung 1994 des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger wörtlich zu übernehmen. Sie sei davon ausgegangen, daß die Verfassungsmäßigkeit des §22 der Mustersatzung 1994 sowohl seitens des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger anläßlich der Erlassung der Mustersatzung 1994 als auch vom Bundesminister für Arbeit und Soziales als oberste Aufsichtsbehörde anläßlich des Genehmigungsverfahrens geprüft wurde.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

6.1. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen in ihrem Zusammenhang stellen sich wie folgt dar:

6.1.1. §124 ASVG trifft Sonderregelungen für Selbstversicherte und Pensionisten. Der hier maßgebliche §124 Abs1 letzter Satz lautet wie folgt:

"Die Satzung kann ferner für Selbstversicherte auch den Kreis der Angehörigen einschränken, doch dürfen die Kinder (§123 Abs2 Z2 bis 6) nicht ausgeschlossen werden."

In den verwiesenen Z2 bis 6 des Abs2 des §123 leg.cit. finden sich nähere Regelungen darüber, welche Personen unter den Begriff "Kind" im Sinne des ASVG fallen. Eine ausdrückliche Regelung, bis zu welchem Lebensjahr Kinder Angehörige mit Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung sind, findet sich allerdings nicht in den verwiesenen Bestimmungen, sondern in §123 Abs4 leg.cit. Nach dieser Bestimmung gelten Kinder grundsätzlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Angehörige. Die Z1 und 2 des Abs4 der zitierten Gesetzesbestimmung regeln näher bezeichnete Sonderfälle, in denen die Angehörigeneigenschaft über diesen Zeitpunkt hinaus bestehen bleibt.

Gemäß §123 Abs5 leg.cit. gelten Kinder im Rahmen der Altersgrenzen des Abs4 Z1 auch dann als Angehörige, wenn sie sich im Ausland in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden; dies gilt auch bei nur vorübergehendem Aufenthalt im Inland.

6.1.2. Der als "verbindlich" bezeichnete §22 Abs2 der in SoSi 1995, 33, kundgemachten Mustersatzung 1994 des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, dessen Aufhebung von der Volksanwaltschaft begehrt wird, lautet wie folgt:

"§22.(2) -verbindlich- Als Angehörige von Selbstversicherten nach §16 ASVG gelten nur:

1.

der Ehegatte,

2.

die Kinder(§123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres."

Grundlage für die Verbindlicherklärung dieser Bestimmungen der Mustersatzung ist §455 Abs2 ASVG. Diese Bestimmung lautet:

"(2) Der Hauptverband hat für den Bereich der Krankenversicherung eine Mustersatzung aufzustellen und Bestimmungen dieser Mustersatzung für alle Versicherungsträger oder bestimmte Gruppen von Versicherungsträgern für verbindlich zu erklären, insoweit dies zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen notwendig erscheint. Er hat dabei auch auf das Interesse der Versicherten und der Dienstgeber an einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise der Versicherungsträger Bedacht zu nehmen. Der Klärung der Verbindlichkeit von Bestimmungen der Mustersatzung und die Mustersatzung selbst bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch den Bundesminister für Arbeit und Soziales. Abs1 ist anzuwenden."

6.1.3. Im §22 Abs2 der Satzung 1995 der Wiener und der Vorarlberger Gebietskrankenkasse - beide hat die Volksanwaltschaft ebenfalls angegriffen - heißt es jeweils wortgleich:

"§22.(2) Als Angehörige von Selbstversicherten nach §16 ASVG gelten nur:

1.

der Ehegatte,

2.

die Kinder(§123 Abs2 Z2 bis 6 ASVG) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres."

6.2.1. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sind die in der Mustersatzung für die Versicherungsträger verbindlich erklärten Bestimmungen eine an die Krankenversicherungsträger gerichtete Verordnung (vgl. VfSlg. 8698/1979 und 9163/1981). Es kommt daher der bekämpften Bestimmung der Mustersatzung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ebenso wie den Satzungen der Wiener und der Vorarlberger Gebietskrankenkasse Verordnungsqualität zu.

6.2.2. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse zieht die Zulässigkeit des vorliegenden Antrages der Volksanwaltschaft in Zweifel, da nach Art148e B-VG der Verfassungsgerichtshof auf Antrag der Volksanwaltschaft lediglich über Gesetzwidrigkeit von "Verordnungen einer Bundesbehörde" erkennt.

Der Verfassungsgerichtshof teilt die in der Lehre vertretene Ansicht (vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht2 (1995) 228, Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts8 (1996) Rz 1274), daß der Begriff "Bundesbehörde" im Art148e B-VG - ebenso wie der Begriff "Bundesbehörde" im Art139 Abs1 B-VG - im funktionellen Sinn zu verstehen ist (vgl. zu Art139 Abs1 B-VG auch VfSlg. 5637/1967). Da es sich bei den Behörden, die die genannten Satzungen erlassen haben, um funktionelle Bundesbehörden handelt, und auch sonst nichts gegen das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen spricht, ist der Antrag zulässig.

6.3. Er ist jedoch nicht berechtigt.

6.3.1. Die Volksanwaltschaft bezweifelt die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Satzungsbestimmungen zunächst mit dem Argument, daß diese zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung der versicherungsrechtlichen Bestimmungen nicht notwendig seien. Überdies widersprächen diese Regelungen auch den Interessen der Versicherten, die bei der Volksanwaltschaft Beschwerde geführt haben.

Der Verfassungsgerichtshof vermag sich dieser Argumentation nicht anzuschließen.

Der Verfassungsgerichtshof zweifelt aufgrund der Textierung des §455 Abs2 ASVG nicht daran, daß zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen ein einheitlicher gleichlautender Angehörigenbegriff für Selbstversicherte notwendig sein kann. Wenn die Volksanwaltschaft die Gesetzwidrigkeit der bekämpften Bestimmungen mit dem Argument, daß diese den Interessen der Versicherten widerstreben, die bei der Volksanwaltschaft Beschwerde geführt haben, darzutun versucht, so übersieht sie, daß §455 Abs2 ASVG auf das Interesse der Versicherten und der Dienstgeber an einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise der Versicherungsträger, nicht aber auf sonstige Interessen der Versicherten (etwa auf einen möglichst hohen Standard der gewährten Leistungen) abstellt.

6.3.2. Die Volksanwaltschaft führt weiters aus, daß sich eine Gleichstellung der Kinder von Pflichtversicherten und Selbstversicherten bereits aufgrund des Verweisungszusammenhanges der §§123 und 124 ASVG ergebe.

Der Verfassungsgerichtshof vermag sich auch diesen Ausführungen nicht anzuschließen:

Das ASVG enthielt bereits in seiner Stammfassung, BGBl. Nr. 189/1955, Sonderregelungen für Selbstversicherte. Gemäß §124 Abs1 letzter Satz leg.cit. in seiner Stammfassung konnte die Satzung für Selbstversicherte auch den Kreis jener Angehörigen einschränken, die bei den Selbstversicherten mitversichert sind, doch durften weder die Ehegattin noch die Kinder - bereits damals wurde hier auf §123 Abs2 Z2 bis 6 leg.cit. verwiesen - bis zum vollendeten 14. Lebensjahr ausgeschlossen werden.

Diese Bestimmung wurde mit der 21. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 6/1968, geändert. §124 Abs1 letzter Satz ASVG in der genannten Fassung lautete wie folgt:

"Die Satzung kann für Selbstversicherte auch den Kreis der Angehörigen einschränken, doch dürfen weder die Kinder (§123 Abs2 Z2 bis 6) bis zum vollendeten 15. Lebensjahr noch die Ehegattin ausgeschlossen werden, es sei denn, daß die Personen selbst berechtigt sind, der Selbstversicherung in der Krankenversicherung beizutreten."

Durch die 32. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 704/1976, erhielt §124 Abs1 letzter Satz ASVG seine heute maßgebliche Fassung. Durch diese Novelle wurde somit das bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Verbot des Ausschlusses von Kindern bis zum vollendeten 15. Lebensjahr aus dem Kreis der mitversicherten Angehörigen des Selbstversicherten beseitigt. Eine ausdrückliche Regelung, ob damit Kinder von Selbstversicherten mit Kindern von Pflichtversicherten gleichgestellt sind, wurde nicht getroffen.

Bei einer systematischen Interpretation des Gesetzes kommt der Regelung des §123 Abs4 ASVG besondere Bedeutung zu. Nach der Grundregel des ersten Satzes des §123 Abs4 gelten Kinder und Enkel nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Angehörige. Es ist daher davon auszugehen, daß die Durchbrechung dieser Regelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedarf. Eine solche findet sich im ASVG lediglich in den Z1 und 2 des §123 Abs4 sowie in §123 Abs5, nicht aber in §124 Abs1 leg.cit.

Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung hinsichtlich der für die Angehörigeneigenschaft im Sinne des ASVG maßgeblichen Altersgrenzen von Kindern von Selbstversicherten ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber dann, wenn er eine völlige Gleichbehandlung von Pflichtversicherten und Selbstversicherten hinsichtlich der Mitversicherung ihrer Kinder beabsichtigt hätte, dies - auch im Hinblick auf §123 Abs4 ASVG - ausdrücklich angeordnet hätte. Aus den Materialien ergibt sich aber kein Anhaltspunkt dafür, daß die Frage der - schon in finanzieller Hinsicht bedeutsamen - Gleichstellung im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens überhaupt diskutiert wurde. Es wird wohl ausgeführt, daß "der Entwurf auch eine Neuregelung der freiwilligen Versicherung im Bereich der Krankenversicherung (enthält)", im hier maßgeblichen Zusammenhang finden sich jedoch keine Aussagen. Angesichts dessen ist nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes §124 Abs1 ASVG idF BGBl. Nr. 704/1976 kein so weitreichender, den autonomen Gestaltungsbereich der Sozialversicherungsträger beträchtlich einschränkender Inhalt zu unterstellen.

6.3.3. Die Volksanwaltschaft versucht diese Interpretation mit dem Argument zu bekämpfen, daß si

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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