TE Vfgh Erkenntnis 2019/11/27 E2893/2019 ua

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

StGG Art5
Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG §19, §22, §26, §28 Abs1
AEUV §56
VStG §9 Abs7
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch Regelungen des Arbeitsvertragsrechts-AnpassungsG und des AusländerbeschäftigungsG betreffend eine – in der Zeit vor Erlassung einer Entscheidung des EuGH ergangene – Verhängung von kumulativen Strafen sowie eines Verfahrenskostenbeitrags idHv 20 %; Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit mangels angemessenem Verhältnis der Höhe der Geldstrafe zur Schwere der geahndeten Verstöße

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Die Erkenntnisse werden im Umfang der Straf- und Kostenaussprüche aufgehoben.

2. Hinsichtlich der Schuldaussprüche wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 3.576,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist Verantwortlicher eines Unternehmens mit Sitz in Slowenien, das Elektroinstallationen durchführt. Zwischen Dezember 2017 und Mai 2018 führte das Unternehmen Arbeiten in Österreich durch.

Nach einer Kontrolle durch die Finanzpolizei hat der Bürgermeister der Stadt Graz über den Beschwerdeführer Strafen wegen nicht rechtzeitiger Übermittlung von Lohnunterlagen nach §27 Abs1 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) und wegen Verstößen im Zusammenhang mit der Meldung der Arbeitsaufnahme an die Zentrale Koordinationsstelle gemäß §26 Abs1 Z1 LSD-BG idHv insgesamt € 26.950,– (inklusive Kosten) erlassen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerden an das Landesverwaltungsgericht Steiermark.

2.       Mit Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 8. Juli 2019, Z LVwG 33.26 299/2019-26, LVwG 33.26-298/2019-26, LVwG 30.26-302/2019/26 und LVwG 30.26-303/2019-26, wurde den Beschwerden hinsichtlich eines Spruchpunktes (verhängte Strafe iHv € 1.000,–) stattgegeben. Im Übrigen wurden die Beschwerden abgewiesen und insgesamt € 4.700,– an Kostenbeiträgen gemäß §52 Abs1 und 2 VwGVG sowie € 61,14 an Barauslagenersatz auferlegt.

3.       Gegen diese Entscheidungen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse beantragt wird.

4.       Das Landesverwaltungsgericht Steiermark und die belangte Behörde haben die Gerichts- bzw Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II.      Rechtslage

1.       §12, §26 und §27 LSD-BG, BGBl I 44/2016, sowie §19 LSD-BG, BGBl I 44/2016 idF BGBl I 64/2017, lauten auszugsweise wie folgt:

"Erhebungen der Abgabenbehörden

§12. (1) Die Abgabenbehörden sind berechtigt, das Bereithalten der Unterlagen nach den §§21 und 22 zu überwachen sowie in Bezug auf Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort außerhalb Österreichs, die nicht dem ASVG unterliegen, die zur Kontrolle des unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zustehenden Entgelts (Lohnkontrolle) im Sinne des §29 erforderlichen Erhebungen durchzuführen und

       1. die Betriebsstätten, Betriebsräume und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie die Aufenthaltsräume der Arbeitnehmer ungehindert zu betreten und Wege zu befahren, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist,

       2. von den dort angetroffenen Personen Auskünfte über alle für die Erhebung nach Abs1 maßgebenden Tatsachen zu verlangen, wenn Grund zur Annahme besteht, dass es sich bei diesen Personen um Arbeitgeber oder um Arbeitnehmer handelt, sowie

       3. in die zur Erhebung erforderlichen Unterlagen (§§21 und 22) Einsicht zu nehmen, Ablichtungen dieser Unterlagen anzufertigen und die Übermittlung dieser Unterlagen zu fordern, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktages abzusenden sind. Erfolgt bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten die Kontrolle nicht am ersten Arbeits(Einsatz)ort, sind die Unterlagen der Abgabenbehörde nachweislich zu übermitteln, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktages abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.

4. Abschnitt

Formale Verpflichtungen bei grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz

Meldepflicht bei Entsendung oder Überlassung aus einem EU-Mitgliedstaat

oder EWR-Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft

§19. (1) Arbeitgeber und Überlasser mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder EWR-Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft haben die Beschäftigung von nach Österreich entsandten Arbeitnehmern und nach Österreich überlassenen Arbeitskräften zu melden. Die Meldung hat für jede Entsendung oder Überlassung gesondert zu erfolgen. Nachträgliche Änderungen bei den Angaben gemäß Abs3 oder Abs4 sind unverzüglich zu melden. Ein Beschäftiger, der einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsendet, gilt in Bezug auf die Meldepflichten nach diesem Absatz und den Abs2 und 3 als Arbeitgeber.

(2) Die Entsendung oder Überlassung im Sinne des Abs1 ist vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle zu melden. Im Fall von mobilen Arbeitnehmern im Transportbereich ist die Meldung vor der Einreise in das Bundesgebiet zu erstatten. Die Meldung hat ausschließlich automationsunterstützt über die elektronischen Formulare des Bundesministeriums für Finanzen zu erfolgen. Arbeitgeber haben im Fall einer Entsendung der Ansprechperson nach §23 oder, sofern nur ein Arbeitnehmer entsandt wird, diesem die Meldung in Abschrift auszuhändigen oder in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen.

Verstöße im Zusammenhang mit den Melde- und Bereithaltungspflichten bei

Entsendung oder Überlassung

§26. (1) Wer als Arbeitgeber oder Überlasser im Sinne des §19 Abs1

       1. die Meldung oder die Meldung über nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Änderungsmeldung) entgegen §19 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erstattet oder

       2. in der Meldung oder Änderungsmeldung vorsätzlich unrichtige Angaben erstattet oder

       3. die erforderlichen Unterlagen entgegen §21 Abs1 oder Abs2 nicht bereithält oder den Abgabebehörden oder der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vor Ort nicht unmittelbar in elektronischer Form zugänglich macht,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis 10.000 Euro, im Wiederholungsfall von 2.000 Euro bis 20.000 Euro zu bestrafen.

(2) Wer als Beschäftiger im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung die erforderlichen Unterlagen entgegen §21 Abs3 nicht bereithält oder zugänglich macht, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5.000 Euro, im Wiederholungsfall von 1.000 Euro bis 10.000 Euro zu bestrafen.

Vereitelungshandlungen im Zusammenhang mit der Lohnkontrolle

§27. (1) Wer die erforderlichen Unterlagen entgegen den §§12 Abs1 Z3 nicht übermittelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer entgegen den §§14 Abs2 oder 15 Abs2 die Unterlagen nicht übermittelt.

(2) Wer entgegen §12 Abs1 den Zutritt zu den Betriebsstätten, Betriebsräumen und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie den Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer und das damit verbundene Befahren von Wegen oder die Erteilung von Auskünften verweigert oder die Kontrolle sonst erschwert oder behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(3) Wer die Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§21 Abs1 oder 22 verweigert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist für jeden Arbeitnehmer von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(4) Ebenso ist nach Abs3 zu bestrafen, wer als Arbeitgeber entgegen §14 Abs2 die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert."

III.    Erwägungen

1.       Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

2.       Mit den angefochtenen Erkenntnissen wird der Beschwerdeführer zur Leistung einer Geldstrafe und eines Verfahrenskostenbeitrags verpflichtet; die Entscheidungen greifen daher in das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers ein.

Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

3.       Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Steiermark unterlaufen:

3.1.    In seinem Urteil vom 12. September 2019, Rs. C-64/18 ua, Maksimovic, hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass Art56 AEUV, der die Dienstleistungsfreiheit gewährleistet, einer nationalen Regelung, wie sie in den §§7d und 7i Abs4 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), BGBl 459/1993 idF BGBl I 94/2014, und in §28 Abs1 Z1 lita iVm §3 Abs1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl 218/1975 idF BGBl I 66/2017, festgelegt ist, entgegensteht. In den diesem Urteil zugrunde liegenden Verfahren wurden über den Geschäftsführer eines kroatischen Unternehmens sowie über vier Vorstände einer österreichischen AG Geldstrafen in Millionenhöhe verhängt; ihnen wurde zur Last gelegt, es unterlassen zu haben, Lohnunterlagen für 217 Arbeitnehmer bereitzustellen bzw bereitzuhalten (§7d AVRAG) sowie für 200 ausländische Arbeitnehmer Beschäftigungsbewilligungen einzuholen (§28 Abs1 Z1 lita AuslBG). Dem Gerichtshof der Europäischen Union zufolge sind derartige Vorschriften, die nicht unmittelbar Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen betreffen, sondern der Wirksamkeit von Kontrollen dienen, die zur Wahrung und Einhaltung dieser Bedingungen durchgeführt werden können, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, weil für den Fall der Nichtbeachtung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorgesehen ist, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung zu verhängen sind, im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden (EuGH 12.9.2019, Rs. C-64/18 ua, Maksimovic, Rz 50).

3.2.    Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer auf Grund im Wesentlichen gleichartiger Verwaltungsübertretungen zu einer Geldstrafe verurteilt (fehlende Übermittlung von Lohnunterlagen, Verstöße im Zusammenhang mit der Meldung der Arbeitsaufnahme an die Zentrale Koordinationsstelle); zudem wurde über ihn ein Verfahrenskostenbeitrag von 20 % der Geldstrafe verhängt. Auch die Sanktionsbestimmungen sind gleich gelagert: §26 Abs1 LSD-BG sieht ebenso wie die betreffende (Vorgänger-)Bestimmung im AVRAG oder im AuslBG für das Grunddelikt Mindeststrafen von € 1.000,– (im Wiederholungsfall von € 2.000,–), bei mehr als drei Arbeitnehmern € 2.000,– (im Wiederholungsfall € 4.000,–) vor. §27 Abs1 LSD-BG enthält eine vergleichbare Strafdrohung für Bestimmungen, die der Wirksamkeit von Kontrollen dienen, wobei die Mindeststrafe bei € 500,– (im Wiederholungsfall bei € 1.000,–) liegt. Auch sind die Geldstrafen pro Arbeitnehmer zu verhängen, wobei keine Obergrenze festgelegt ist. Ebenso bemisst sich der Verfahrenskostenbeitrag nach der verhängten Strafe (20 %) und wird die Strafe im Fall der Uneinbringlichkeit in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 12. September 2019, Rs. C-64/18 ua, Maksimovic, folgend, verstoßen sohin auch die §§26 Abs1 und 27 Abs1 LSD-BG gegen die Dienstleistungsfreiheit, da insbesondere nicht gewährleistet ist, dass die Geldstrafen auch in ihrer Summe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen (vgl EuGH 12.9.2019, Rs. C-64/18 ua, Maksimovic, Rz 42 und 46; siehe VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033).

3.3.    Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat den angefochtenen Erkenntnissen damit innerstaatliche gesetzliche Vorschriften zugrunde gelegt, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Norm des Unionsrechts widersprechen, nämlich Art56 AEUV (zur unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Bestimmung vgl auch Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht6, 2017, 69), deren Anwendung also der Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbaren Unionsrechts entgegensteht. Eine derartige Gesetzesanwendung ist einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten, weshalb der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art1 des 1. ZPEMRK verletzt ist (vgl hiezu VfSlg 15.448/1999, 19.661/2012).

4.       Zwar ist dem Landesverwaltungsgericht Steiermark nicht subjektiv vorwerfbar, dass es die Unanwendbarkeit der von ihm den Erkenntnissen zugrunde gelegten innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht erkannt hat, da deren Unanwendbarkeit erst mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 12. September 2019, Rs. C-64/18 ua, Maksimovic, offenkundig wurde (vgl VfSlg 15.448/1999, 19.661/2012). Der Verfassungsgerichtshof hat den nunmehr deutlich gewordenen Fehler in der rechtlichen Beurteilung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark allerdings aufzugreifen: Alle Gerichte der Mitgliedstaaten haben nämlich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und für die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Normen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (vgl EuGH 9.3.1978, Rs. 106/77, Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal, Slg. 1978, I-629 [Rz 21/23]). Der Verfassungsgerichtshof hat daher die festgestellte Rechtswidrigkeit der Gesetzesanwendung im Sinne der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts in jedem Stadium des Verfahrens zu beachten, und zwar auch dann, wenn die korrekte Auslegung des Unionsrechts erst im Zuge des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof offenkundig wurde (VfSlg 15.448/1999, 19.661/2012, VfGH 29.6.2013, U706/2012, 29.6.2013, U2465/2012, 2.10.2013, U2576/2012).

5.       Unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben sind die Erkenntnisse daher im Umfang der Strafaussprüche und damit auch im Hinblick auf die Verfahrenskostenbeiträge sowie die Barauslagen (vgl VwGH 5.3.2015, Ra 2015/02/0012) aufzuheben.

6.       Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

6.1.    Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

6.2.    Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

IV.      Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art1 des 1. ZPEMRK verletzt worden.

Die Erkenntnisse sind daher im Umfang der Straf- und Kostenaussprüche aufzuheben (siehe VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033).

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 und §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 960,– enthalten.

Schlagworte

Eigentumseingriff, EU-Recht, Dienstleistungsfreiheit, Arbeitsrecht, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Anwendbarkeit eines Gesetzes, Zeitpunkt maßgeblich für Rechtslage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E2893.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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