TE Vwgh Erkenntnis 2019/9/2 Ra 2018/02/0003

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Veröffentlicht am 02.09.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Führerscheingesetz

Norm

AVG §56
FSG 1997 §29 Abs3
FSG 1997 §37 Abs1
VStG §22 Abs1
VStG §24
VStG §31 Abs2
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs3
VwGVG 2014 §13 Abs2
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §38
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 21. November 2017, Zl. LVwG-S-1705/001-2017, betreffend Übertretung des FSG (mitbeteiligte Partei: K in H, vertreten durch Dr. Peter Böck, Rechtsanwalt in 7100 Neusiedl, Obere Hauptstraße 27), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Dem Mitbeteiligten wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 21. Februar 2017 die Lenkberechtigung für bestimmte Klassen auf die Dauer der "gesundheitlichen Nichteignung" entzogen, wobei die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen und ausgesprochen wurde, dass der Führerschein unverzüglich bei der Behörde oder der zuständigen Polizeiinspektion abzuliefern sei. Der damit ausgesprochenen Verpflichtung kam der Mitbeteiligte nicht nach. 2 Diesen Bescheid hob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Beschluss vom 31. Mai 2017 auf und verwies die Angelegenheit an die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha zur neuerlichen Entscheidung zurück.

3 Mit Erkenntnis VwGH 16. August 2017, Ra 2017/11/0205, wurde der soeben genannte Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich aufgehoben, wobei der Revision keine aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war.

4 Der Mitbeteiligte wurde mit Straferkenntnis vom 13. Juni 2017 schuldig erkannt, nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des oben genannten Entziehungsbescheides vom 21. Februar 2017 den über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerschein nicht unverzüglich der Behörde abgeliefert zu haben. Er habe dadurch § 29 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 1 FSG übertreten, weshalb über ihn eine Geldstrafe von EUR 250,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 115 Stunden) verhängt wurde. 5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Die ordentliche Revision erklärte es als nicht zulässig. Begründend führte es aus, im Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses habe der Bescheid über die Entziehung der Lenkberechtigung infolge Aufhebung durch das Landesverwaltungsgericht nicht mehr dem Rechtsbestand angehört, ihm habe es daher an der Vollstreckbarkeit gemangelt und der Mitbeteiligte sei sohin nicht zur Abgabe des Führerscheins verpflichtet gewesen. Damit habe der Mitbeteiligte keine Verwaltungsübertretung begangen.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

7 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er unter anderem die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragte.

Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:

8 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird u. a. vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es nicht auf die Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides im Tatzeitpunkt abgestellt habe.

9 Die Revision ist - entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes, der zudem nur formelhaft, im Wesentlichen mit dem Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG, und damit nicht gesetzmäßig im Sinne des § 25a Abs. 1 VwGG begründet ist - zulässig und begründet:

10 Nach § 24 Abs. 1 Z 1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Lenkberechtigung zu entziehen. Gemäß § 29 Abs. 3 leg. cit. ist nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides der über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellte Führerschein, sofern er nicht bereits abgenommen wurde, unverzüglich der Behörde abzuliefern. Dies gilt auch in Entziehungsverfahren für Besitzer von ausländischen Lenkberechtigungen und Führerscheinen gemäß § 30 FSG, sofern sich der Lenker noch in Österreich aufhält. 11 Gemäß § 37 Abs. 1 FSG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen zuwiderhandelt.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides die einzige Voraussetzung für die Verpflichtung zur Ablieferung der Lenkberechtigung dar (VwGH 15.9.2017, Ra 2017/02/0176, m.w.N.). Diese Verpflichtung besteht als Dauerdelikt so lange, als die im Entziehungsbescheid ausgesprochene Entziehungsdauer währt oder bis der Entziehungsbescheid auf andere Weise außer Kraft tritt (vgl. VwGH 16.9.2011, 2010/02/0245, mwN). Eine Verpflichtung zur unverzüglichen Ablieferung bedeutet "ohne Verzug", damit ist der Beginn der Ablieferungspflicht klar (VwGH 5.9.2008, 2007/02/0353). Zusätzlich ist aber auch das Ende des strafbaren Verhaltens anzuführen (VwGH 7.9.2007, 2007/02/0191, mwN).

13 Da der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Entziehungsbescheid vom 21. Februar 2017 keine aufschiebende Wirkung zukam, wurde er bereits mit der Erlassung vollstreckbar (vgl. zur gegenteiligen Konstellation der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung VwGH 21.9.2010, 2010/11/0150). Ab diesem Zeitpunkt bestand daher die Verpflichtung des Mitbeteiligten zur Ablieferung des über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerscheins.

14 Nun wurde zwar danach mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 31. Mai 2017 der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 21. Februar 2017 über die Entziehung der Lenkberechtigung des Mitbeteiligten aufgehoben, doch es wurde auch dieser Aufhebungsbeschluss, und zwar mit Erkenntnis VwGH 16. August 2017, Ra 2017/11/0205, aufgehoben.

15 Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses befunden hatte. Diese ex-tunc-Wirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bewirkt, dass die Rechtslage zwischen Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses des Verwaltungsgerichtes und seiner Aufhebung so zu betrachten ist, als sei das Erkenntnis oder der Beschluss des Verwaltungsgerichtes nie erlassen worden. Insbesondere treten solche Bescheide, die durch das aufgehobene Erkenntnis oder durch den aufgehobenen Beschluss beseitigt wurden, wieder in Kraft (vgl. zur früheren Rechtslage VwGH 25.1.2007, 2006/16/0105, mwN; diese Rechtsprechung ist auf die durch die Verwaltungsgerichtsreform geänderte Rechtslage übertragbar). Daran kann auch der Aufhebungsbeschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 31. Mai 2017 nichts ändern, der selbst eine ex-tunc-Wirkung nur entfalten hätte können, wenn er bestandskräftig geworden wäre (vgl. zur insoweit vergleichbaren ersatzlosen Aufhebung durch das Verwaltungsgericht VwGH 8.4.2019, Ra 2018/03/0086, m.w.N.).

16 Daraus folgt, dass durch die mit dem Erkenntnis VwGH 16. August 2017, Ra 2017/11/0205, erfolgte Aufhebung des Beschlusses des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 31. Mai 2017 der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 21. Februar 2017 über die Entziehung der Lenkberechtigung rückwirkend wieder so in Kraft trat, als ob der Aufhebungsbeschluss des Landesverwaltungsgerichtes

Niederösterreich vom 31. Mai 2017 nie erlassen worden wäre. 17 Damit hätte aus diesen Erwägungen die grundsätzliche Verpflichtung des Mitbeteiligten nach § 29 Abs. 3 erster Satz FSG bestanden, den über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerschein abzuliefern. Ob die in der Revisionsbeantwortung genannten Voraussetzungen für die Ausnahme nach § 29 Abs. 3 zweiter Satz FSG vorlagen, kann derzeit nicht beurteilt werden, weil im angefochtenen Erkenntnis Feststellungen über den Aufenthaltsort des Mitbeteiligten im Zeitraum der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins fehlen. Darüber hinaus wäre im Fall eines Schuldspruchs der vom bekämpften Straferkenntnis erfasste Tatzeitraum (vgl. Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 44a Rz 3) genau anzugeben.

18 Im Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses vom 13. Juni 2017 existierte nur die Aufhebung des Entziehungsbescheides durch den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 31. Mai 2017, sodass aus damaliger Sicht für die Bestrafung des Mitbeteiligten keine ausreichend sichere Grundlage bestand. Allerdings hat sich die Rechts- und Sachlage bis zur Erlassung des hier angefochtenen Erkenntnisses infolge des Erkenntnisses VwGH 16. August 2017, Ra 2017/11/0205, grundlegend geändert, weil damit - wie oben dargestellt - der Aufhebungsbeschluss des Landesverwaltungsgerichte s im Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung ex tunc außer Kraft trat und die Verpflichtung des Mitbeteiligten zur unverzüglichen Ablieferung des über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerscheins rückwirkend wieder in Kraft trat. Diese modifizierte Rechtslage hätte das Verwaltungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung über die Beschwerde gegen das Straferkenntnis berücksichtigen müssen, zumal durch Änderung der Rechts- und Sachlage ein zum Zeitpunkt seiner Erlassung rechtswidriger Bescheid rechtmäßig werden kann (vgl. Bumberger in Bumberger/Lampert/Larcher/Weber (Hrsg.), VwGVG (2019) § 28 Rz 63). 19 Der Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes, das auf eine im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Straferkenntnisses nicht bestehende Verpflichtung des Mitbeteiligten zur Abgabe des Führerscheins abstellte, kann daher nicht beigetreten werden. 20 Das angefochtene Erkenntnis ist sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 2. September 2019

Schlagworte

AllgemeinAnzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere Rechtsgebiete"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit DauerdeliktIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltZeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018020003.L00

Im RIS seit

06.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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