TE Vwgh Beschluss 2019/12/6 Ra 2019/18/0437

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Veröffentlicht am 06.12.2019
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §53
MRK Art8

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S S, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2019, W124 1230188- 2/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Indiens, stellte am 28. Oktober  2001 unter Angabe einer anderen Identität seinen ersten Asylantrag in Österreich und am 3. Jänner 2002 seinen zweiten Asylantrag. Den ersten Antrag zog der Revisionswerber im Zuge des Verfahrens über seinen zweiten Antrag zurück, der zweite Antrag wurde gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien gemäß § 8 Asylgesetz 1997 für zulässig erklärt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof als unbegründet ab. 2 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. September 2010 wurde der Revisionswerber wegen der Verbrechen des vollendeten und des versuchten Mordes (aus religiösem Fanatismus) als Beitragstäter gemäß §§ 12, 15, 75 Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt.

3 Mit Bescheid vom 20. Oktober 2011 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Revisionswerber unter anderem eine Rückkehrentscheidung und ein unbefristetes Einreiseverbot.

4 Am 26. Juli 2018 stellte er aus dem Stande der Strafhaft den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, er fürchte, dass er aufgrund seiner Tat in Indien verhaftet und ermordet werde.

5 Mit Bescheid vom 31. Juli 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag nach Einholung fallspezifischer Länderberichte hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich des Status des Asylberechtigten begründete das BVwG mit der strafrechtlichen Verurteilung, nahm im Hinblick darauf eine näher begründete Gefährdungsprognose vor und kam zu dem Ergebnis, dass eine positive Zukunftsprognose nicht vorgenommen werden könne. Auch sei der vom Revisionswerber vorgebrachte Nachfluchtgrund nicht glaubhaft. Hinsichtlich der Abweisung des Antrags in Bezug auf den Status eines subsidiär Schutzberechtigten stehe dem Revisionswerber angesichts der Feststellungen zum Herkunftsstaat eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Dem Revisionswerber sei mangels Erfüllens der Voraussetzungen kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG zu Recht aberkannt worden. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung führte das BVwG aus, dass das BFA ein hinreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe und die Beschwerde auch keinen, dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens des BFA entgegenstehenden oder darüber hinausgehenden Sachverhalt konkret und substantiiert behauptet habe.

7 Gegen das Erkenntnis des BVwG wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe. Das BVwG hätte sich, insbesondere wegen der Gefährdungs- und Zukunftsprognose, einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen müssen, um die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu prüfen. 8 Die Revision erweist sich als nicht zulässig. 9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 12 Gemäß § 6 Abs. 2 AsylG 2005 kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden, wenn eine der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegt. Für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein: Der Revisionswerber muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden, drittens gemeingefährlich sein, und viertens müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen (vgl. VwGH 14.2.2018, Ra 2017/18/0419, mwN).

13 Unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind nach der hg. Rechtsprechung etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, nicht an (vgl. VwGH 26.2.2019, Ra 2018/18/0493, mwN). 14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel. Das hat sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose bzw. für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots Geltung. Gleiches gilt für die im Zusammenhang mit einer Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorzunehmende Gefährdungsprognose. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass im Rahmen einer Gefährdungsprognose nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (vgl. VwGH 10.7.2019, Ra 2019/19/0186, mwN).

15 Das BVwG ging im vorliegenden Fall davon aus, dass sämtliche Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 erfüllt seien. Der Revisionswerber wurde wegen des Verbrechens des vollendeten und versuchten Mordes aus religiösem Fanatismus gemäß §§ 12, 15, 75 Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt. Bei einem Tötungsdelikt handelt es sich, wie aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ersichtlich ist, um ein typischerweise besonders schweres Verbrechen.

16 Das BVwG hat zudem - wenn auch disloziert - nähere Feststellungen zur Straftat des Revisionswerbers und den Milderungsgründen, wie die andauernde Therapie während des Haftaufenthaltes und seine Tätigkeit während der Strafhaft, getroffen und sich mit der von ihm ausgehenden Gefährdung auseinandergesetzt, wobei es den für die Tat maßgeblichen Beweggrund des religiösen Fanatismus wie sogar bereits das zuständige Straflandesgericht als einen besonders verwerflichen qualifizierte. Zudem berücksichtigte das BVwG die Tatsache, dass der Revisionswerber sich aufgrund seiner Verurteilung nach wie vor in Haft aufhalte, die Therapie noch nicht abgeschlossen sei und zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG noch kein Rückschluss auf die Wirksamkeit der Therapie gezogen werden könne.

17 Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Gefährdungsprognose nicht auf verfahrensrechtlich einwandfreier Grundlage bzw. unvertretbar erfolgt wäre (vgl. auch VwGH 10.7.2019, Ra 2019/19/0186, sowie 25.2.2016, Ra 2016/21/0022).

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch festgehalten, dass in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann (vgl. VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0437, mwN; grundlegend zur Verhandlungspflicht 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018). 19 Mit dem lediglich abstrakt gehaltenen Vorbringen zur Verhandlungspflicht legt die Revision auch nicht dar, dass kein solch eindeutiger Fall vorliege und damit das BVwG von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-VG abgewichen wäre. Im gegenständlichen Fall wurde vom BVwG zudem keine neuerliche aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen, da die am 20. Oktober 2011 erlassene Rückkehrentscheidung mitsamt Einreiseverbot nach wie vor aufrecht ist.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 6. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180437.L00

Im RIS seit

21.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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