TE OGH 2019/11/28 2Ob183/19d

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** I*****, vertreten durch Mag. Peter A. Miklautz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 11.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR; Revisionsinteresse Nebengebühren), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Juni 2019, GZ 36 R 319/18f-50, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 26. September 2018, GZ 24 C 338/16k-46, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass es einschließlich der rechtskräftigen Teile zu lauten hat:

„1.) Die Klagsforderung besteht mit 8.250 EUR zu Recht.

2.) Die Gegenforderung besteht mit 2.922,19 EUR zu Recht.

3.) Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei 5.327,81 EUR samt 4 % Zinsen aus 3.617,81 EUR vom 16. 6. 2016 bis 6. 3. 2018 und aus 5.327,81 EUR ab 7. 3. 2018 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

4.) Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 5.672,19 EUR samt 4 % Zinsen aus 8.720 EUR vom 24. 5. 2016 bis 15. 6. 2016, aus 5.102,19 EUR vom 16. 6. 2016 bis 6. 3. 2018 sowie aus 5.672,19 EUR ab 7. 3. 2018 zu bezahlen, wird abgewiesen.

5.) Zwischen den Streitteilen wird festgestellt, dass die beklagte Partei bis zur Haftungshöchstsumme nach EKHG der klagenden Partei für sämtliche Spät- und Dauerfolgen aus dem gegenständlichen Unfallgeschehen vom 18. 2. 2016 in einem Ausmaß von 50 % haftet.

6.) Das Mehrbegehren, es möge zwischen den Streitteilen festgestellt werden, dass die beklagte Partei der klagenden Partei bis zur Haftungshöchstsumme nach EKHG für sämtliche Spät- und Dauerfolgen aus dem gegenständlichen Unfallgeschehen vom 18. 2. 2016 in einem weiteren Ausmaß von 16,66 % hafte, wird abgewiesen.

7.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.036 EUR (Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

8.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.194,72 EUR (darin enthalten 199,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 400,46 EUR (darin enthalten 31,08 EUR USt und 214 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 18. 2. 2016 ereignete sich in Wien ein Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin als Fußgängerin beim Überqueren der Fahrbahn durch einen Straßenbahnzug der Beklagten verletzt wurde.

Mit Schreiben vom 19. 5. 2016 forderte die Klägerin die Beklagte zum Eintritt in die Regulierung des Schadensfalls dem Grunde nach auf Basis einer Verschuldensteilung von 3 : 1 zu ihren Gunsten auf. Zahlenmäßig bestimmte Forderungen wurden darin nicht gestellt (vgl das in seinem Inhalt unstrittige Anspruchsschreiben Beilage ./A). Der Betriebshaftpflichtversicherer der Beklagten teilte dem Klagevertreter mit Schreiben vom 24. 5. 2016 mit, die Ansprüche der Klägerin würden zur Gänze zurückgewiesen.

Im Revisionsverfahren ist die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensteilung von 1 : 1 zwischen den Parteien nicht mehr strittig.

Die Klägerin begehrte mit der der Beklagten am 15. 6. 2016 zugestellten Klage unter Einräumung eines Mitverschuldens von einem Drittel Zahlung von 8.720 EUR (darunter 8.000 EUR Schmerzengeld) samt 4 % Zinsen seit 24. 5. 2016 und stellte ein – in dritter Instanz nicht mehr relevantes – Feststellungsbegehren. Den Beginn des Zinsenlaufs begründete sie damit, die Beklagte habe die Regulierung jeglichen Schadenersatzanspruchs nach außergerichtlicher Aufforderung mit dem Schreiben vom 24. 5. 2016 endgültig abgelehnt.

Nach dem Vorliegen des medizinischen Sachverständigengutachtens dehnte die Klägerin in der mündlichen Streitverhandlung vom 6. 3. 2018 das Leistungsbegehren hinsichtlich des begehrten Schmerzengeldes um 2.280 EUR aus.

Die Beklagte bestritt den ursprünglich geltend gemachten Beginn des Zinsenlaufs mangels „ziffernmäßiger Fälligstellung“ im Anspruchsschreiben der Klägerin. Das ausgedehnte Klagebegehren bestritt sie dem Grunde und der Höhe nach.

Das Erstgericht entschied über das Leistungsbegehren ziffernmäßig wie aus dem Spruch dieses Urteils ersichtlich, ließ jedoch für den zugesprochenen Betrag von 5.327,81 EUR den Zinsenlauf mit 24. 5. 2016 beginnen. Die Klägerin habe Anspruch auf Verzugszinsen ab der Ablehnung der Haftung durch das Schreiben vom selben Tag.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten in der Hauptsache nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Zum angefochtenen Zinsenzuspruch führte das Berufungsgericht aus, nach den Feststellungen habe der Haftpflichtversicherer der Beklagten die Ansprüche der Klägerin mit Schreiben vom 24. 5. 2016 zur Gänze zurückgewiesen. Aufgrund dieser gänzlichen Ablehnung dem Grunde nach sei eine ziffernmäßige Fälligstellung nicht mehr notwendig gewesen, weshalb die Fälligkeit mit der Ablehnung eingetreten sei. Verzugszinsen aus der am 6. 3. 2018 erfolgten Klagsausdehnung stünden an sich erst ab 7. 3. 2018 zu. Es seien jedoch nur 5.327,81 EUR (sA) zugesprochen worden. Dieser Betrag finde zur Gänze im ursprünglichen Leistungsbegehren von 8.720 EUR Deckung. Der Zinsenzuspruch sei daher (auch insoweit) zu Recht erfolgt.

Das Berufungsgericht ließ gemäß § 508 Abs 3 ZPO die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendung der in Zusammenhang mit § 12 Abs 2 VersVG entwickelten Judikatur, wonach die Fälligkeit des Geldleistungsanspruchs des Versicherten jedenfalls eintritt, sobald der Versicherer die Leistung ablehnt (RS0114507), auf Fälle wie den gegenständlichen vorliege, wenn der Geschädigte gegenüber dem Schädiger eine Deckungszusage dem Grunde nach verlange, eine solche von dessen Haftpflichtversicherer jedoch abgelehnt werde.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich nur hinsichtlich des Zinsenlaufs die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass der Klägerin lediglich 5.327,81 EUR samt 4 % Zinsen aus 3.617,81 EUR ab 16. 6. 2016 und 4 % Zinsen aus 1.710 EUR ab 7. 3. 2018 zugesprochen werden.

Die Klägerin hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von oberstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, die Fälligkeit einer Schadenersatzforderung trete erst ein, wenn der Schaden feststellbar und zumindest vom Beschädigten zahlenmäßig bestimmt worden sei. Mangels früherer Bezifferung gebührten Zinsen daher erst ab der Zustellung der Klage. Da der Zuspruch auch Positionen enthalte, die erst mit der Klagsausdehnung geltend gemacht worden seien (einen Teil des Schmerzengeldes), liefen insoweit die Zinsen erst ab der Klagsausdehnung.

Hierzu wurde erwogen:

1. Zum Beginn des Zinsenlaufs für das ursprüngliche Klagebegehren:

1.1. Ein Ersatzanspruch wird erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klagserweiterung fällig, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (RS0023392 [T6, T8]; Danzl in KBB5 § 1334 Rz 1).

Dass die Klägerin ihre Schadenersatzansprüche aus dem Unfall schon vor der Klage gegenüber der Beklagten zahlenmäßig bestimmt geltend gemacht hätte, hat sie nicht behauptet. Wie schon ausgeführt, hat sie im Anspruchsschreiben ihre Forderungen nicht beziffert.

Nach der zitierten ständigen Rechtsprechung begann daher der Zinsenlauf für die ursprünglich geltend gemachten Ansprüche erst an dem auf die Zustellung der Klage an die Beklagte folgenden Tag.

1.2. Der Verweis des Berufungsgerichts auf § 12 Abs 2 VersVG und die dazu ergangene Rechtsprechung (RS0114507) ist nicht einschlägig: § 12 VersVG hat nach seinem eindeutigen Wortlaut Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zum Gegenstand (vgl § 12 Abs 1 VersVG). Solche sind hier aber nicht zu beurteilen, weil die Klägerin die Beklagte als deliktisch haftende Betriebsunternehmerin des Straßenbahnzugs in Anspruch nimmt.

2. Zum Beginn des Zinsenlaufs für das ausgedehnte Schmerzengeldbegehren:

Auch dafür gilt die bereits unter Punkt 1.1. dargestellte Rechtsprechung: Der im Zuspruch anteilig enthaltene Ausdehnungsbetrag (der auf ein höheres als das eingeklagte Schmerzengeld rechtfertigende Schmerzperioden im medizinischen Gutachten und nicht etwa auf der Annahme eines geringeren Mitverschuldens der Klägerin beruht) wurde erst in der mündlichen Streitverhandlung vom 6. 3. 2018 beziffert geltend gemacht, weshalb insoweit erst dadurch der Zinsenlauf ausgelöst werden konnte.

3. Zusammengefasst erweist sich die Revision in beiden Punkten als berechtigt, weshalb die angefochtene Entscheidung spruchgemäß abzuändern ist. Abweichend von den Vorinstanzen ist jedoch im ersten Spruchpunkt der Bestand der Klageforderung ohne Zinsenlauf auszusprechen (vgl Danzl, Geo.8 § 545 [Stand 31. 1. 2019, rdb.at] Anm 12 vorletzter Absatz).

4. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E127044

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00183.19D.1128.000

Im RIS seit

17.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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