TE Vfgh Erkenntnis 2019/9/23 E2226/2019 ua

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Veröffentlicht am 23.09.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §35, §60 Abs2
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Versagung von Einreisetiteln für die Ehegattin und die minderjährigen Kinder eines in Österreich asylberechtigten afghanischen Staatsangehörigen; keine nachvollziehbare Entscheidungsbegründung

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.270,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und stellten am 21. September 2016 persönlich bei der Österreichischen Botschaft Islamabad Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln gemäß §35 Abs1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005). Zur Begründung brachten sie vor, dem Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer, der seit 11. Juli 2015 in Österreich aufhältig sei, sei mit am 22. Jänner 2016 rechtskräftig verkündeten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden.

2.       In seiner Mitteilung gemäß §35 Abs4 AsylG 2005 vom 17. Juli 2017 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass die Stattgebung der Anträge auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status von Asylberechtigten oder von subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, weil die Erteilungsvoraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 leg.cit. nicht erfüllt worden seien und die Einreise der nunmehrigen Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens nicht geboten erscheine.

3.       In ihrer daraufhin erstatteten Stellungnahme brachten die Antragsteller auf das Wesentliche zusammengefasst vor, die Bezugsperson sei nach Zuerkennung des Asylstatus nicht unmittelbar über die Möglichkeit der Familienzusammenführung informiert gewesen. Die fünf Einschreiter hätten zunächst die notwendigen Dokumente zur Antragstellung beantragen und daraufhin zur nächstgelegenen Österreichischen Botschaft nach Islamabad reisen müssen. Schließlich hätten sie einen Termin für 21. September 2016 erhalten; an diesem Tag hätten sie ihre Einreiseanträge gestellt. Es müsse berücksichtigt werden, dass das sehr knappe Versäumen der Frist (um drei Wochen) nicht im Verschulden der Antragsteller gelegen sei (sie hätten sich weit vor Ablauf der Frist um die Vorbereitung des Antrages bemüht). Im vorliegenden Fall komme der Ausnahmetatbestand des §35 Abs4 Z3 AsylG 2005 zur Anwendung, weshalb die Erteilungsvoraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 leg.cit. außer Betracht zu bleiben hätten.

4.       Mit Bescheid vom 28. August 2017 wies die Österreichische Botschaft Islamabad die Anträge der Einschreiter auf Erteilung von Einreisetiteln ab. Begründend führte sie aus, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe im Hinblick auf Art8 EMRK nach erneuter Prüfung an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festgehalten.

5.       In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde wiederholten die Einschreiter im Wesentlichen die Ausführungen ihrer oben zusammengefassten Stellungnahme.

6.       Mit Beschwerdevorentscheidung vom 5. Dezember 2017 wies die Österreichische Botschaft Islamabad die Beschwerde ab.

7.       Am 14. Dezember 2017 wurde dagegen ein Vorlageantrag eingebracht.

8.       Mit dem nunmehr bekämpften Erkenntnis vom 30. April 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die von den Einschreitern erhobene Beschwerde ab.

8.1.    Begründend führt das erkennende Gericht aus, gemäß §75 Abs24 AsylG 2005 sei zur Beurteilung des Sachverhaltes im Hinblick auf die Erteilungsvoraussetzungen §35 Abs1 leg.cit. idgF maßgeblich, weil der vorliegende Antrag am 21. September 2016 und damit nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des §35 leg.cit. idF BGBl I 24/2016 eingebracht worden sei, weshalb zur Erteilung der beantragten Einreisetitel die in §60 Abs2 Z1 bis 3 leg.cit. normierten Erteilungsvoraussetzungen zu erfüllen seien. Trotz Aufforderung im Beschwerdeverfahren sei es den Einschreitern nicht gelungen, aktuelle Nachweise einer adäquaten Unterkunft (§60 Abs2 Z1 leg.cit.), einer Krankenversicherung (§60 Abs2 Z2 leg.cit.) sowie eigener und fester Einkünfte (§60 Abs2 Z3 leg.cit.) zu erbringen.

8.2.    Dem Vorbringen der Beschwerdeführer, es komme der Ausnahmetatbestand des §35 Abs4 Z3 AsylG 2005 zur Anwendung, sodass die Erteilungsvoraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 leg.cit. außer Betracht zu bleiben hätten, weil die Stattgebung der Anträge zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art8 EMRK geboten wäre, hält das Bundesverwaltungsgericht Folgendes entgegen:

"Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art8 EMRK steht unter Gesetzesvorbehalt. Wenn die Verweigerung eines Einreiseantrags in den Schutzbereich des Privatlebens oder des Familienlebens nach Art8 Abs1 EMRK eingreift, ist zu prüfen, ob sich diese auf eine gesetzliche Bestimmung stützt – was im vorliegenden Fall zutrifft – und ob sie Ziele verfolgt, die mit der EMRK in Einklang stehen, wofür fallbezogen insbesondere die Verteidigung der Ordnung im Bereich des Fremden- und Asylwesens sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes in Betracht kommen.

Nach der Rechtsprechung des EGMR stellen die Regeln des Einwanderungsrechtes eine ausreichende gesetzliche Grundlage in Hinblick auf die Frage der Rechtfertigung des Eingriffs nach Art8 Abs2 EMRK dar (EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua). Die Verweigerung eines Visums, welche dem öffentlichen Interesse an der effektiven Durchführung der Einwanderungskontrolle dient, kann nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art8 EMRK bedeuten. Ein solcher Ausnahmefall liegt gegenständlich jedoch nicht vor.

Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu (VfGH 29.09.2007, B328/07; VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247; 22.01.2013, 2011/18/0012).

Fallbezogen kommt der Ausnahmetatbestand des §35 Abs4 Z3 AsylG daher nicht zur Anwendung und führt das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführer aufgrund obiger Ausführungen ins Leere."

9.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

10.      Das Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, die Verwaltungs- und Gerichtsakten bereits dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt zu haben und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen.

II.      Rechtslage

1.       §35 Abs1, 4 und 5, §60 Abs2 und §75 Abs24 AsylG 2005 lauten:

"Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß §34 Abs1 Z1 iVm §2 Abs1 Z13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 zu erfüllen.

[…]

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art8 Abs2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs1 letzter Satz oder Abs2 die Voraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß §9 Abs2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß §11 Abs5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß §17 Abs1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen

§60. […]

(2) Aufenthaltstitel gemäß §56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,

2. der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,

3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§11 Abs5 NAG) führen könnte, und

4. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

[…]

Übergangsbestimmungen

§75. […]

(24) Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zuerkannt wurde und auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15. November 2015 gestellt haben, sind die §§2 Abs1 Z15, 3 Abs4 bis 4b, 7 Abs2a und 51a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 nicht anzuwenden. Für diese Fremden gilt weiter §2 Abs1 Z15 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016. §§17 Abs6 und 35 Abs1 bis 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, nicht anzuwenden. Auf Verfahren gemäß §35, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, ist §35 Abs1 bis 4 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 weiter anzuwenden. Handelt es sich bei einem Antragsteller auf Erteilung des Einreisetitels gemäß §35 Abs1 um den Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 rechtskräftig zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 nicht zu erfüllen, wenn der Antrag auf Erteilung des Einreisetitels innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 gestellt wurde. §22 Abs1 gilt für Verfahren, die mit Ablauf des 31. Mai 2018 bereits anhängig waren, auch noch nach dem 31. Mai 2018 weiter.

[…]"

2.       In den Materialien zu §35 Abs4 AsylG 2005 (AB 1097 BlgNR 25. GP, 9) heißt es wie folgt:

"Z3 stellt klar, dass im Falle einer später als drei Monate nach Statuszuerkennung erfolgten Antragsstellung des Familienangehörigen eines Asylberechtigten oder im Falle des Antrages des Familienangehörigen eines subsidiär Schutzberechtigten eine positive Mitteilung durch das Bundesamt nur erfolgen darf, wenn die Voraussetzungen nach §60 Abs2 Z1 bis 3 erfüllt sind, wobei aber vor einer negativen Mitteilung zu prüfen ist, ob sich ein Anspruch auf Familienzusammenführung im Lichte des Art8 EMRK entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur ergibt. Nach der Judikatur (vgl zB VwGH vom 11.11.2013, Zl 2013/22/0224) ist etwa bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art8 EMRK zulässig ist, zu beachten, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist und ob eine aus Asylgründen bedingte Trennung der Familie, den Eingriff in das Familienleben als unzulässig werten lassen könnte."

III.    Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

3.       Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4.       Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

5.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

5.1.    Das Bundesverwaltungsgericht hat es mit der oben wiedergegebenen – floskelhaften – Begründung zur Frage des Vorliegens des Ausnahmetatbestandes des §35 Abs4 Z3 AsylG 2005 – trotz der festgestellten Glaubhaftmachung der Beschwerdeführer, Familienangehörige der in Österreich asylberechtigten Bezugsperson zu sein – unterlassen, den nach der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl zB VwGH 11.11.2013, 2013/22/0224; 7.5.2014, 2012/22/0084) bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff nach Art8 EMRK zulässig ist (vgl zur verpflichtenden Berücksichtigung und Sicherstellung der Einhaltung des Art8 EMRK in Verfahren nach §35 AsylG 2005 VfGH 6.6.2014, B369/2013; 23.11.2015, E1510/2015 ua; 27.11.2017, E1001/2017 ua; 11.6.2018, E3362/2017 ua), maßgeblichen Aspekten Beachtung zu schenken, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist und ob eine aus Asylgründen bedingte Trennung der Familie den Eingriff in das Familienleben als unzulässig werten lassen könnte.

5.2.    Zudem hat es das Bundesverwaltungsgericht – trotz eines diesbezüglichen Vorbringens der Beschwerdeführer – unterlassen, die vom EuGH in seinem Urteil vom 7. November 2018, Rs. C-380/17, K, B gegen Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie, geforderte Überprüfung durchzuführen, ob die verspätete Antragstellung auf Grund besonderer Umstände objektiv entschuldbar ist, was die "Unzulässigkeit" des herangezogenen Ablehnungsgrundes zur Folge hätte (vgl auch VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0568).

6.       Durch das Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in mehreren wesentlichen Punkten hat das Bundesverwaltungsgericht bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung Willkür geübt.

IV.      Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer durch einen Rechtsanwalt vertreten sind und eine Entscheidung bekämpfen, war der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von 25 %, zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist überdies Umsatzsteuer in der Höhe von € 545,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E2226.2019

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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