TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/29 G304 2220769-1

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Veröffentlicht am 29.07.2019
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Entscheidungsdatum

29.07.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G304 2220769-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Italien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass in Spruchpunkt I. die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf neun (9) Jahre herabgesetzt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 27.05.2019, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.), und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 03.07.2019 vorgelegt. Mit Beschwerdevorlage brachte das BFA unter anderem vor, dass sich der BF in U-Haft befinde und nach seiner Entlassung seine Abschiebung geplant sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist italienischer Staatsangehöriger, dies seit 23.10.2014, und albanischer Herkunft.

1.2. Er war bereits im Zeitraum von 2005 bis 2007, als Asylwerber, im Bundesgebiet aufhältig, dann von 25.11.2014 bis 09.09.2016 in Österreich mit Nebenwohnsitz gemeldet und weist nunmehr seit 09.09.2016 bei seinem Bruder im Bundesgebiet eine Hauptwohnsitzmeldung auf.

1.3. Ihm wurde am 09.01.2015 eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer erteilt.

1.4. Er hat in Österreich keine Familienangehörigen und auch sonst keine berücksichtigungswürdigen sozialen Anknüpfungspunkte.

1.5. Der BF wurde im Bundesgebiet rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, und zwar mit

* Urteil von Mai 2014 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagsätzen zu je EUR 4,00 (EUR 480,00), im Nichteinbringungsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und mit

* Urteil von August 2017 wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren.

1.5.1. Der letzten strafrechtlichen Verurteilung des BF lag zugrunde, dass der BF am 25.02.2017 das selbst hergestellte amtliche Kennzeichen (...), mithin eine falsche inländische öffentliche Urkunde durch Anbringung auf seinem Pkw und Anwendung im Straßenverkehr zum Beweis der rechtmäßigen Fahrzeuganmeldung gebraucht hat.

Bei der Strafbemessung wurde das Geständnis des BF mildernd, kein Umstand hingegen erschwerend gewertet.

1.6. Laut Polizeiberichten vom 12.01.2019 und vom 23.05.2019 wird der BF nunmehr weiterer strafbarer Handlungen verdächtigt:

1.6.1. Laut einem Polizeibericht vom 12.01.2019 wird der BF verdächtigt, versuchte absichtliche schwere Körperverletzung begangen zu haben, und zwar am 12.01.2019 gemeinsam mit seinem Bruder einen österreichischen Staatsangehörigen mit serbischer Herkunft im Bundesgebiet am Heimweg abgepasst zu haben, nachdem es zuvor in einem Lokal zu einem Streit mit dem Bruder des BF gekommen sei. Der Bruder des BF und der BF selbst seien aus dem Auto ausgestiegen, hätten aus dem Kofferraum einen Baseballschläger sowie eine Eisenstange herausgeholt und damit auf das Tatopfer einzuschlagen versucht. Dieser habe den Schlägen jedoch ausweichen und flüchten können.

1.6.2. Laut einem weiteren polizeilichen "Anlassbericht" vom 23.05.2019 steht der BF im dringenden Verdacht, seit dem Jahr 2015 fortlaufend und in gemeinsamem und gewolltem Zusammenwirken mit seinem Bruder und dessen Sohn Heroin und Kokain in einer die Grenzmenge überschreitenden Menge in Slowenien beschaffen und dieses an mindestens 20 zum Teil ausgemittelte Personen im Bundesgebiet gewinnbringend verkaufen, und wurde auch darauf hingewiesen, dass gegen den BF und dessen Bruder separate Ermittlungen wegen Körperverletzungen, Schlepperei, gefährlicher Drohung, Zuführung zur Prostitution und sexuellen Missbrauchs geführt werden.

Der BF und sein Bruder wurden laut diesem Polizeibericht am 22.05.2019 in ihrer Wohnung im Bundesgebiet in Verwahrung von insgesamt 126,26 Gramm brutto Heroin, 4,28 Gramm Kokain und 1,5 Gramm Cannabisherz, sowie 2 Suchtgiftwaagen mit Suchtgift-Anhaftungen, Verpackungsmaterial, einer Pistole samt Magazin und Spring und Fixiermesser angetroffen.

Der BF und sein Bruder wurden deswegen am 22.05.2019 festgenommen und befinden sich seit 23.05.2019 in Untersuchungshaft.

1.7. Gegen beide - den BF und seinen Bruder - besteht ein Waffenverbot.

1.8. Der BF war im Bundesgebiet ab November 2014 erwerbstätig, arbeitete vor seiner Haft zusammen mit seinem Bruder als XXXX und bezog ab Oktober 2017 zwischendurch Arbeitslosen- und von 10.11.2018 bis 11.01.2019 und von 07.03.2019 bis 12.04.2019 Krankengeld.

1.8.1. Mit E-Mail des BFA vom 12.01.2019 erging folgende Mitteilung an die für den BF zuständige Gebietskrankenkasse (Name des BF durch "BF" ersetzt):

"(...)

Anbei finden Sie einen Bericht der Polizei über eine absichtliche schwere Körperverletzung in (...), in der Nacht vom 11. Auf den 12.01.2019. beteiligt war der BF. Leider wurde sein Vorname im Abschlussbericht fälschlich mit (...) angegeben, es handelt sich bei dem verdächtigen jedoch um den BF!!!!

Er befindet sich laut Auskunft des AJ-WEB seit 10.11.2018 durchgehend im Krankenstand (...).

Ich denke, wer um 04:50 Uhr mit einer Eisenstange auf eine andere Person losgehen kann, es en Krankengeldbezug bzw. dessen Krankenstand sollte definitiv überprüft werden. Deshalb ersuche ich um Prüfung des Krankengeldbezuges seitens der (...-) GKK und um Rückmeldung anher.

Das BFA wird gegen den Fremden ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung einleiten. (...)."

1.9. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 27.05.2019 wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt und einer Beschwerde gegen das gegen ihn verhängte Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des nunmehr vorliegenden Gerichtsaktes.

2.2. Zur Person des BF und seinen individuellen Verhältnissen:

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit und Herkunft des BF getroffen wurden, beruhen diese auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

2.2.2. Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet beruhen auf einem Zentralmelderegister- und diejenigen zu seinem Aufenthaltsstatus auf einem Fremdenregisterauszug.

2.2.3. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des BF ergaben sich aus einem Auszug aus dem österreichischen Strafregister, die näheren Feststellungen zu seiner letzten Verurteilung aus einem dem Verwaltungsakt einliegenden diesbezüglichen gekürzten Urteilsausfertigung, die Feststellungen zum gegen den BF erhobenen Verdacht, im Bundesgebiet versuchte absichtliche schwere Körperverletzung begangen haben, aus einem dem Verwaltungsakt einliegenden Polizeibericht vom 12.01.2019 (AS 7ff) und zum gegen den BF erhobenen Verdacht, der BF beschaffe gemeinsam mit seinem Bruder und dessen Sohn in ihrer Wohnung seit dem Jahr 2015 fortlaufend und im gemeinsamen und gewollten Zusammenwirken Heroin und Kokain in einer die Grenzmenge überschreitende Menge in Slowenien, und verkaufe dieses Suchtgift mit seinem Bruder an mindestens 20 zum Teil ausgemittelte Personen im Bundesgebiet gewinnbringend, aus einem dem Verwaltungsakt einliegenden polizeilichen "Anlassbericht" vom 23.05.2019 (AS 79ff), in welchem auch auf gegen den BF und dessen Bruder separat geführte Ermittlungen wegen Körperverletzungen, Schlepperei, gefährlicher Drohung, Zuführung zur Prostitution und sexuellen Missbrauchs hingewiesen wurde (AS 101).

2.2.4. Die Feststellungen rund um die Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet beruhen auf dem diesbezüglichen Akteninhalt und einem Auszug aus dem AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug.

Dass der BF in Österreich zusammen mit seinem Bruder als XXXX tätig war, ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt (etwa auch aus dem polizeilichen Anlassbericht vom 23.05.2019, AS 85), ebenso wie die Tatsache, dass er von 09.09.2016 bis zur Inhaftnahme im Mai 2019 mit seinem Bruder in einer Wohnung zusammenwohnte, was auch aus den BF und seinen Bruder betreffenden Zentralmelderegisterauszügen ersichtlich ist.

Davon, dass der BF die ihm angelastete Straftat von Jänner 2019 während seines Krankenstandes begangen hat, wurde die zuständige Gebietskrankenkasse vom BFA per E-Mail vom 12.01.2019 benachrichtigt (AS 27).

2.2.5. Dass der BF neben seinem Bruder samt Familie noch weitere familiäre und soziale Bezugspersonen hat, konnte er mit seinem Schreiben vom 21.01.2019 glaubhaft machen.

2.2.6. Abgesehen von der im Schreiben des BF vom 21.01.2019 glaubhaft gemachten erlittenen Leistenverletzung, weswegen er im Krankenstand war und laut AJ WEB-Auskunftsverfahrensauszug im März, April 2019 Krankengeld bezogen hat, hat der BF keine weitere gesundheitliche Beeinträchtigung vorgebracht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Anzuwendendes Recht:

3.1.1. Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.1.2. Der Beschwerde war teilweise stattzugeben, was folgendermaßen begründet wird:

Mit im Spruch angeführtem Bescheid wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Begründet wurde dieses im Wesentlichen damit, der BF sei am 22.05.2019 von der Polizei nach umfangreichen Ermittlungen und einer vorhergehenden technischen Überwachung festgenommen und daraufhin in Untersuchungshaft gekommen, weil gegen ihn der Verdacht bestehe, Suchtgifthandel mit Heroin und Kokain betrieben zu haben, und gegen den BF separat wegen Körperverletzungen, Schlepperei, gefährlicher Drohung, Zuführung zur Prostitution sowie sexuellen Missbrauchs ermittelt werde, und, wenn auch die diesbezüglichen strafrechtlichen Ermittlungen noch laufen, aufgrund der Ergebnisse der technischen Überwachung die objektive Tatverwirklichung feststehe. Die beiden rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF wegen Körperverletzung und Fälschung besonders geschützter Urkunden seien für das vom BFA erlassene Aufenthaltsverbot ebenso mitursächlich gewesen.

Fest steht, dass sich der BF jedenfalls seit seiner Hauptwohnsitzmeldung bei seinem Bruder im September 2016 durchgehend im Bundesgebiet aufhält, dies viel weniger als zehn Jahre lang, welche ununterbrochene Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet für die Anwendung des erhöhten Prüfungsmaßstabes nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG gefordert wird. Ein ununterbrochener zehnjähriger Aufenthalt des BF im Bundesgebiet wäre auch bei Wahrunterstellung seines Vorbringens, sich bereits seit 2013 in Österreich aufzuhalten, nicht erfüllt.

Es kommt daher nicht der erhöhte, sondern der einfache Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 2 FPG, wonach für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eine aktuelle, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefordert wird, zur Anwendung.

Fest steht im gegenständlichen Fall, dass der BF im Bundesgebiet zweimal, einmal wegen Körperverletzung und ein zweites Mal wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden, rechtskräftig strafrechtlich verurteilt wurde, zuerst im Mai 2014 zu einer Geldstrafe und zuletzt im August 2017 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren.

Bei der Strafbemessung dieses letzten Strafrechtsurteils wurde das Geständnis des BF mildernd, kein Umstand hingegen erschwerend gewertet.

Hinsichtlich dieser strafrechtlichen Verurteilungen weist das erkennende Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig, von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Abgesehen von den beiden rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF von Mai 2014 wegen Körperverletzung und von August 2017 wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden wird der BF laut Polizeiberichten weiterer Straftaten verdächtigt, und zwar laut einem Polizeibericht vom 12.01.2019 der Begehung der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung und laut einem weiteren Polizeibericht vom 23.05.2019 des zusammen mit seinem Bruder gewerbsmäßig betriebenen Suchtgifthandels mit Heroin und Kokain. Der BF wird auch begangener Körperverletzungen, der Schlepperei, gefährlicher Drohung, Zuführung von Prostitution und sexuellen Missbrauchs verdächtigt. Obwohl die diesbezüglichen strafrechtlichen Ermittlungen noch laufen, steht, wie auch das BFA im angefochtenen Bescheid betonte, aufgrund der Ergebnisse der technischen Überwachung die objektive Tatverwirklichung fest.

Nach umfangreichen Ermittlungen und einer vorgehenden technischen Überwachung konnte der BF und sein Bruder am 22.05.2019 in Verwahrung von Suchtgift von insgesamt 126,26 Gramm brutto Heroin, 4,28 Gramm Kokain und 1,5 Gramm Cannabisharz, sowie zwei Suchtgiftwaagen mit Suchtgift-Anhaftungen, Verpackungsmaterial, einer Pistole samt Magazin und Spring und Fixiermesser angetroffen, festgenommen und daraufhin in Untersuchungshaft gebracht werden.

Gegen den BF und seinen Bruder - der BF lebte mit diesem ab Wohnsitzanmeldung bei ihm im September 2016 bis zur gemeinsamen Festnahme am 22.05.2019 in gemeinsamem Haushalt zusammen - besteht außerdem ein Waffenverbot.

In Gesamtbetrachtung aller Umstände, vor allem des Umstandes, dass die zuletzt gegen den BF ausgesprochene viermonatige auf die Probezeit von drei Jahren bedingte Freiheitsstrafe ihn nicht von weiteren Straftaten abhalten konnte, sondern er am 22.05.2019 zusammen mit seinem Bruder in Verwahrung von Suchtgift - Heroin und Kokain - entsprechendem Zubehör und einer Pistole - angetroffen und festgenommen wurde und gegen ihn nunmehr der Verdacht bestehe, am 12.01.2019 versuchte absichtliche schwere Körperverletzung begangen und ab 2015 fortlaufend und im gemeinsamen und gewollten Zusammenwirken mit seinem Bruder gewerbsmäßigen Suchtgifthandel betrieben zu haben, und gegen ihn und seinen Bruder weitere strafrechtliche Ermittlungen wegen Körperverletzungen, Schlepperei, gefährlicher Drohung, Zuführung von Prostitution und sexuellen Missbrauchs laufen, war unter Berücksichtigung, dass der BF, der vor seiner Haft zuletzt mit seinem Bruder zusammen als Pizzabäcker arbeitete, die ihm angelastete strafbare Handlung von Jänner 2019 während seines Krankenstandes begangen hat, was das BFA veranlasste, ein aufenthaltsbeendendes Verfahren gegen den BF einzuleiten, und die für den BF zuständige Gebietskrankenkasse mit E-Mail vom 12.01.2019 vom gegen den BF erhobenen Verdacht, in der Nacht vom 11. auf den 12.01.2019 im Bundesgebiet eine absichtlich schwere Körperverletzung begangen zu haben, zu verständigen, im gegenständlichen Fall von keiner positiven Zukunftsprognose und einer aktuellen, erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSv § 67 Abs. 1 S. 2 FPG auszugehen.

Das vom BFA ausgesprochene Einreiseverbot war demnach jedenfalls dem Grunde nach gerechtfertigt.

Unter Berücksichtigung seiner während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet aufgebauten Bindungen sozialer und beruflicher Natur, seiner - nicht durchgehenden - Erwerbstätigkeit ab November 2014 zusammen mit seinem Bruder, zu welchem er seiner Stellungnahme vom 21.01.2019 folgend ein besonders gutes Verhältnis pflegt - auch zu dessen Kindern, und seines am 09.01.2015 erlangten Aufenthaltstitels mit dem Aufenthaltszweck "Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)", ist im gegenständlichen Fall die Herabsetzung des vom BFA ausgesprochenen zehnjährigen Aufenthaltsverbotes auf die Dauer von neun Jahren gerechtfertigt.

Eine weitere Herabsetzung kann auch das besonders gute Verhältnis des BF zu seinem Bruder, der sein Arbeitgeber war, nicht bewirken, befindet sich der BF doch in der Familie seines Bruders offensichtlich in einem hochkriminellen familiären Umfeld, was daraus hervorgeht, dass am 22.05.2019 beide in Verwahrung von Suchtgift, entsprechendem Zubehör und einer Pistole angetroffen, in ihrer Wohnung festgenommen und in Haft gebracht wurden, gegen beide ein Waffenverbot besteht, gegen beide und auch gegen den Sohn seines Bruders der dringende Verdacht des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels besteht, und trotz noch laufender strafrechtlicher Ermittlungen aufgrund der Ergebnisse der technischen Überwachung die objektive Tatverwirklichung auch weiterer vom BF und seinem Bruder begangener besonders verwerflicher strafbarer Handlungen, wie unter anderem Zuführung der Prostitution, sexuellen Missbrauchs und Schlepperei feststeht.

Eine neunjährige Einreiseverbotsdauer wird angesichts der besonderen Gefährlichkeit des BF jedenfalls für notwendig gehalten, um den BF zu einer Gesinnungsumkehr bewegen zu können.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß teilweise stattzugeben und das vom BFA erlassene zehnjährige Aufenthaltsverbot auf die Dauer von neun Jahre herabgesetzt.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Aus Sicht des erkennenden Gerichtes war das Absehen von der Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes wegen der von der Person des BF ausgehenden, erheblichen Gefahr für das Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig, um diese beiden Belange zu schützen, sodass die belangte Behörde dem BF in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht keinen Durchsetzungsaufschub gewährt hat.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Aus dem zuvor Gesagten ist eindeutig erkennbar, dass der BF durch sein bisheriges strafbares Verhalten ein gewichtiges Gefahrenmoment für die öffentlichen Interessen der Republik Österreich darstellt. Die von der belangten Behörde ausgesprochene Aberkennung der aufschiebenden Wirkung war daher unbedingt vonnöten, um ein weiteres derartiges Handeln des BF hintanzuhalten.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Herabsetzung, Interessenabwägung, öffentliche
Interessen, strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G304.2220769.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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