TE Vwgh Erkenntnis 2019/8/23 Ra 2019/18/0188

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.08.2019
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §19 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des A M in S, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. März 2019, Zl. L524 2137133-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; weitere Partei: Bundesminister für Inneres),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang (Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und darauf aufbauende Spruchpunkte) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 25. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2 Zu seinen Fluchtgründen brachte er - zusammengefasst - vor, er habe im Irak als Lebensmittelverteiler für die Regierung gearbeitet. Als am 6. Juni 2014 die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Mossul einmarschiert sei, hätten Mitglieder des IS eine Liste der christlichen und der schiitischen Personen, an die der Revisionswerber Lebensmittel verteilt habe, von ihm verlangt. Da er sich geweigert habe, den Mitgliedern des IS eine solche Liste auszustellen, hätten ihn diese geschlagen und entführt. Sie hätten ihm eine zehntägige Frist für die Ausstellung jener Liste gewährt. Nachdem der Revisionswerber in dieser Frist geflohen sei, habe die Miliz in dem Haus seiner Eltern nach ihm gefragt und gedroht, ihm die rechte Hand - auf welcher der Revisionswerber tätowiert sei - abzuhacken und ihn vor allen Menschen umzubringen.

3 Mit Bescheid vom 23. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters legte die Behörde eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft. Eine Rückkehr in den Irak sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen und aufgrund der individuellen Situation des Revisionswerbers - er sei ein junger, arbeitsfähiger Mann, der über eine zwölfjährige Schulbildung sowie jahrelange Berufserfahrung verfüge, - auch zumutbar.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Begründung der Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, dem BVwG sei eine Verletzung der Ermittlungs- und Begründungspflicht anzulasten, weil das BVwG das Parteivorbringen ignoriert habe. Zudem hafte dem angefochtenen Erkenntnis eine nicht nachvollziehbare Beweiswürdigung an, und das BVwG habe sich nicht mit der risikofreien Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Revisionswerbers auseinandergesetzt. 7 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist teilweise zulässig und teilweise begründet. 10 Zu Spruchpunkt I.:

11 Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet, gelingt es ihr nicht, eine Rechtsfrage darzulegen, der - entgegen dem Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. 12 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft (vgl. VwGH 1.3.2019, Ra 2018/18/0446, mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 1.3.2019, Ra 2018/18/0552, mwN). 13 Die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG stützen sich in zentraler Weise auf das Aufzeigen von Widersprüchen im Vorbringen und in den Angaben des Revisionswerbers im Verfahren. Wenn die Revision vorbringt, dass das BVwG in unzulässiger Weise den Inhalt der Erstbefragung unreflektiert übernommen habe, ist auszuführen, dass sich die Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0213, mwN). Aber auf dem Boden des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem BVwG verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 14.6.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). 14 Im gegenständlichen Fall ist nicht erkennbar, dass das BVwG die Angaben der Erstbefragung unreflektiert übernommen habe. Zudem hat es auch eine mündliche Verhandlung durchgeführt, um sich ein persönliches Bild vom Revisionswerber machen zu können. Das BVwG zeigte in dem angefochtenen Erkenntnis nicht nur Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme auf, sondern auch Widersprüche in der mündlichen Verhandlung selbst. Da das BVwG die widersprüchlichen Angaben im Erkenntnis offenlegte und die beweiswürdigenden Überlegungen des BFA nicht bloß übernommen hat, ist die Beweiswürdigung nicht als unvertretbar zu qualifizieren und daher nicht revisibel.

15 Zu Spruchpunkt II.:

16 Berechtigung kommt der Revision jedoch insoweit zu, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten richtet.

17 Das BVwG geht in seiner Begründung zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon aus, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in den Irak grundsätzlich möglich und auch zumutbar sei, weil er bis zu seiner Ausreise ohne größere Probleme in Mossul gelebt habe. Nähere Feststellungen zur aktuellen Sicherheitslage der Herkunftsregion hat das BVwG jedoch unterlassen.

18 Wie die Revision zutreffend vorbringt, finden sich in den vom BVwG getroffenen Länderfeststellungen darüber hinaus auch keine Feststellungen zur sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Revisionswerbers. Dabei unterlässt es das BVwG, sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, wonach die sichere Erreichbarkeit seiner Herkunftsregion nicht gegeben sei, in der gebotenen Weise - etwa durch Einholung ausführlicherer Länderberichte - auseinanderzusetzen (zur Notwendigkeit von Feststellungen hinsichtlich der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0183; sowie 14.2.2019, Ra 2018/18/0522, jeweils mwN).

19 Diesen Verfahrensmängeln kann auch nicht die Relevanz abgesprochen werden, weil nicht auszuschließen ist, dass das BVwG aufgrund zusätzlicher Ermittlungen zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die Rückkehr des Revisionswerbers in seine Herkunftsregion problematisch wäre, wobei sich dieser Umstand für die Beurteilung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als relevant erweisen könnte.

20 Es bedarf daher einer nachvollziehbaren, auf aktuellen Länderberichten beruhenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob es dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Irak tatsächlich möglich wäre, seine Herkunftsregion auf sicherem und legalem Wege zu erreichen, und wie sich die aktuelle Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsregion des Revisionswerbers darstellt.

21 Aus den dargelegten Gründen belastete das BVwG das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz sowie hinsichtlich der darauf aufbauenden Spruchpunkte mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. 22 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG im genannten Umfang aufzuheben.

23 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die Befreiung von der Entrichtung der Eingabegebühr im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen.

Wien, am 23. August 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180188.L01

Im RIS seit

25.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten