TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/17 G314 2197321-1

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Veröffentlicht am 17.05.2019
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Entscheidungsdatum

17.05.2019

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §56 Abs1
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §60
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G314 2197321-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG zu Recht:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

"Dem Beschwerdeführer wird aufgrund seines Antrags vom 05.10.2017 gemäß §§ 56 Abs 1, 58 und 60 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 54 Abs 1 Z 1 AsylG erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Beschwerdeführers (BF) vom 05.10.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG ab und erließ gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG (Spruchpunkt I), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des BF nach Bosnien und Herzegowina fest (Spruchpunkt II) und bestimmte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG (Spruchpunkt III).

In der von seinem früheren Rechtsvertreter eingebrachten Beschwerde beantragt der BF, ihm in Anbetracht seines siebenjährigen Inlandsaufenthalts und der übrigen Integrationsmerkmale (Deutschkenntnisse, Ausbildung, Freunde, Erwerbstätigkeit) den beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen. Auslandsaufenthalte für Urlaube und Familienbesuche würden nicht die Aufgabe seines Lebensmittelpunkts im Bundesgebiet bedeuten und seien nach § 2 Abs 7 NAG zulässig.

Die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 05.06.2018 einlangten. Das BFA verzichtete auf die Durchführung und die Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung.

Aufgrund der Aufforderung des BVwG, das Einkommen und den Bestand einer Krankenversicherung nachzuweisen, teilte der BF mit Eingabe vom 18.06.2018 mit, dass die E-Card belege, dass er krankenversichert sei. Er sei mangels eines Aufenthaltstitels nicht erwerbstätig, habe aber eine verbindliche Arbeitsplatzzusage. Seine Eltern kämen derzeit für seinen Unterhalt auf; er beziehe keine staatliche Unterstützung.

Mit Eingabe vom 14.02.2019 gab der BF die Bevollmächtigung seiner nunmehrigen Rechtsvertretung bekannt und brachte zur Beschwerde ergänzend vor, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragen Aufenthaltstitels vorlägen, weil er sich seit sieben Jahren im Bundesgebiet aufhalte, davon fünf Jahre und acht Monate rechtmäßig. Er verfüge über einen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife entspreche, sodass gemäß § 9 Abs 4 Z 3 IntG Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt sei. Der vorgelegte Arbeitsvorvertrag, der im angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigt worden sei, belege seine Selbsterhaltungsfähigkeit. Im Rahmen der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung hätte das BFA zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Gleichzeitig beantragt der BF, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen, ihm in Stattgebung der Beschwerde den beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen und festzustellen, dass eine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina unzulässig sei. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt.

Feststellungen:

Der BF kam am XXXX in der bosnisch-herzegowinischen Stadt XXXX zur Welt und ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Er besitzt aktuell einen am 19.01.2016 ausgestellten und bis 19.01.2026 gültigen bosnisch-herzegowinischen Reisepass.

Der BF hält sich seit Anfang März 2012 kontinuierlich im Bundesgebiet auf und ist seither durchgehend an verschiedenen Adressen in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seit Anfang November 2014 bewohnt er gemeinsam mit einem Mitbewohner eine aus zwei Zimmern, Küche, Bad, WC und Vorraum bestehende, ca. 44 m2 große Mietwohnung aufgrund eines schriftlichen Mietvertrags mit der XXXX als Vermieterin. Das Mietverhältnis ist bis 31.10.2019 befristet. Der monatliche Mietzins (inklusive Möbelmiete) beträgt insgesamt EUR 443,78; dazu kommen die Stromkosten.

Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet hielt sich der BF immer wieder für kurze Zeit im Ausland auf, um Urlaub zu machen, seine in Bosnien und Herzegowina lebenden Eltern zu besuchen und Behördenwege zur Beschaffung von Dokumenten in seinem Heimatstaat zu erledigen.

Zwischen April 2012 und April 2017 verfügte der BF über Aufenthaltsbewilligungen als Studierender. Zuletzt wurde ihm aufgrund des Zweckänderungsantrags vom 24.03.2017 eine bis 04.10.2017 gültige Aufenthaltsbewilligung als Schüler erteilt. Obwohl er seither keine Aufenthaltsgenehmigung mehr hat, verließ er Österreich nicht. Abgesehen davon gibt es keine Anhaltspunkte für Verstöße gegen die öffentliche Ordnung.

Der (ledige und kinderlose) BF ist gesund und arbeitsfähig sowie strafgerichtlich unbescholten. Er hat keine wesentlichen finanziellen Verbindlichkeiten. Gegen ihn ist weder eine Rückkehrentscheidung noch eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz aufrecht.

Ende Jänner 2012 wurde der BF zum Bachelorstudium Maschinenbau an der Technischen Universität Graz als außerordentlicher Studierender zugelassen; gleichzeitig wurde ihm die Ablegung einer Ergänzungsprüfung für den Nachweis der Kenntnis der deutschen Sprache vorgeschrieben. Der BF besuchte im Bundesgebiet ab März 2012 den Vorstudienlehrgang der Grazer Universitäten, um Deutsch zu lernen. Am 10.07.2012 legte er eine Deutschprüfung für das Sprachniveau A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfolgreich ab, am 08.02.2013 eine für das Sprachniveau B1 und am 01.07.2013 eine für das Sprachniveau B2. Am 02.07.2013 legte er die vorgeschriebene Ergänzungsprüfung mit der Beurteilung "Genügend" ab. Im August 2013 wurde er daraufhin als ordentlicher Studierender zum Bachelorstudium Maschinenbau an der Technischen Universität Graz zugelassen. Im Studienjahr 2013/14 hatte er 23 ECTS-Punkte erreicht, im Studienjahr 2014/15 8 und im Studienjahr 2015/16 nur noch 3,5. Ende November 2015 meldete er sich vom Studium ab. Im Schuljahr 2016/17 besuchte er das Kolleg für Berufstätige für Maschinenbau an der Höheren Technischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt Graz-Gösting, wo er mit dem Semesterzeugnis vom 17.02.2017 in drei und mit dem Semesterzeugnis vom 07.07.2017 in fünf von jeweils sieben Pflichtgegenständen negativ beurteilt wurde.

Der BF war von März 2012 bis August 2014, im Oktober und November 2014, von März bis Oktober 2015 sowie von Jänner bis Dezember 2016 in der Krankenversicherung nach § 16 ASVG selbstversichert. Ab Juli 2013 war er im Bundesgebiet immer wieder - zum Teil mehrfach - geringfügig beschäftigt, z.B. als Wachorgan, Warenzusteller, Küchenhilfe und Reinigungskraft. Dafür wurde jeweils eine Beschäftigungsbewilligung erteilt. So bestanden von 20.07. bis 31.12.2013, von 08.03. bis 30.09.2014, von 24.09.2014 bis 08.02.2015, von 01.12.2014 bis 31.03.2015, von 01.11.2015 bis 02.01.2016, von 02.11.2015 bis 12.05.2016, ab 17.12.2016 und ab 06.06.2017 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Ab 17.12.2016 bestand eine Selbstversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung gemäß § 19a ASVG. Seit Ende 2017 geht der BF im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit mehr nach und wird von seinen Eltern, die in Bosnien und Herzegowina ein Haus besitzen, finanziell unterstützt. Er hat einen Arbeitsvorvertrag über eine Vollzeitbeschäftigung als Zustellfahrer beim Güterbeförderungsunternehmen XXXX in XXXX mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von EUR 1.800, dies entspricht ungefähr EUR 1.398 netto pro Monat. Wenn ihm der beantragte Aufenthaltstitel erteilt wird, möchte er neben dieser Erwerbstätigkeit das Kolleg für Maschinenbau abschließen.

Der BF hat in Österreich einen (durch Empfehlungsschreiben dokumentierten) Freundes- und Bekanntenkreis. Hier leben auch entferntere Verwandte (Cousins und Cousinen).

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und der Gerichtsakten des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Feststellungen beruhen vorwiegend auf den Angaben des BF in seinem ursprünglichen Antrag, bei seiner Einvernahme vor dem BFA und in der Beschwerde sowie auf den von ihm vorgelegten Unterlagen.

Die Identität des BF wird durch seinen (dem BVwG in Kopie vorliegenden) unbedenklichen Reisepass belegt. Auch seine Geburtsurkunde, ein Lichtbild, der Mietvertrag und der arbeitsrechtliche Vorvertrag wurden vorgelegt. Laut dem Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) verfügt der Einzelunternehmer XXXX am Standort XXXX, über eine Gewerbeberechtigung für Kleintransporte mit Fahrzeugen bis 3,5 t, sodass plausibel ist, dass er den BF als Zustellfahrer beschäftigen wird. Das im Arbeitsvorvertrag genannte monatliche Bruttoeinkommen von EUR 1.800 entspricht ungefähr EUR 1.398,88 netto (siehe Online Brutto-Netto-Rechner https://bruttonetto.arbeiterkammer.at/, Zugriff am 02.05.2019).

Der Inlandsaufenthalt des BF ergibt sich aus seiner Aussage vor dem BFA und den Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR). Die ihm erteilten Aufenthaltsbewilligungen sind im Fremdenregister dokumentiert. Die Auslandsaufenthalte seit März 2012 werden durch die Grenzkontrollstempel in seinen Reisepässen belegt. Da die Aufenthalte außerhalb des Schengengebiets durchwegs nicht länger als mehrere Tage dauerten, ist davon auszugehen, dass dadurch die grundsätzliche Kontinuität des Inlandsaufenthalts nicht unterbrochen wurde. Auslandsaufenthalte, die "weit über das übliche Maß von Besuchszwecken hinausgehen" (siehe Seite 18 des angefochtenen Bescheids), können nicht festgestellt werden, zumal sich aus den Reisepässen anhand der Grenzkontrollstempel (soweit leserlich) chronologisch folgende Ein- und Ausreisen in bzw. aus dem Schengenraum nachvollziehen lassen: 28.02.2012 aus (Datum der Wiedereinreise unleserlich), 30.03.2012 aus, 15.04.2012 ein, 13.09.2012 aus, 23.09.2012 ein, 17.02.2013 aus, 01.04.2013 ein, 06.08.2013 aus (Datum der Wiedereinreise unleserlich), 05.01.2014 aus (Datum der Wiedereinreise unleserlich), 19.02.2014 aus, 23.02.2014 ein, 27.06.2014 aus (Datum der Wiedereinreise unleserlich), 03.08.2014 aus, 19.09.2014 ein, 09.01.2015 aus, 18.01.2015 ein, 10.02.2015 aus, 13.02.2015 ein, 21.10.2015 aus (Datum der Wiedereinreise unleserlich), 20.11.2015 aus, 23.11.2015 ein, 11.01.2016 aus, 17.01.2016 ein, 23.01.2016 aus, 26.01.2016 ein, 20.02.2016 aus, 22.02.2016 ein, 02.04.2016 aus, 03.04.2016 ein, 01.07.2016 aus, 11.07.2016 ein, 26.10.2016 aus, 01.11.2016 ein, 09.12.2016 aus, 11.12.2016 ein, 21.02.2017 aus, 24.02.2017 ein, 24.06.2017 aus, 06.07.2017 ein, 05.09.2017 aus, 11.09.2017 ein.

Zeugnisse über die Deutschprüfungen wurden vorgelegt. Entsprechende Deutschkenntnisse des BF sind insbesondere deshalb plausibel, weil er vor dem BFA ohne Dolmetsch vernommen wurde. Die Zulassung zum Studium und der Studienerfolg werden anhand der Abschrift der Studiendaten vom 08.08.2017 festgestellt. Die Feststellungen zum Besuch des Kollegs für Maschinenbau und zum (fehlenden) Schulerfolg beruhen auf den vorgelegten Schulbesuchsbestätigungen und Zeugnissen. Die Versicherungszeiten und die Erwerbstätigkeit des BF ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug;

Beschäftigungsbewilligungen und Einkommensnachweise wurden ebenfalls vorgelegt.

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF basieren auf seinen Angaben gegenüber dem BFA. Seine in Österreich geknüpften Sozialkontakte sind aufgrund des mehrjährigen Aufenthalts, der Ausbildungen und der Erwerbstätigkeit nachvollziehbar; sie werden auch durch die vorgelegten Empfehlungsschreiben belegt. Nach der vorgelegten KSV-Auskunft hat der BF keine relevanten finanziellen Verpflichtungen.

Die Unbescholtenheit des BF geht aus dem Strafregister hervor. Im Verfahren sind keine Hinweise für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit hervorgekommen, zumal er in einem erwerbsfähigen Alter ist, immer wieder erwerbstätig war und eine Vollzeitbeschäftigung anstrebt.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass gegen den BF vor dem angefochtenen Bescheid eine Rückkehr- oder Rückführungsentscheidung erlassen wurde, zumal dies weder aus dem Fremdenregister noch aus dem Schengener Informationssystem hervorgeht. Hinweise auf Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, die über den unrechtmäßigen Aufenthalt seit Oktober 2017 hinausgehen, sind nicht aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung:

Der BF ist als Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG.

Gemäß § 56 AsylG kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag eine Aufenthaltsberechtigung erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig war, davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, rechtmäßig. Unter anderem bei Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG ist eine "Aufenthaltsberechtigung plus" (§ 54 Abs 1 Z 1 AsylG) zu erteilen. Gemäß § 9 Abs 4 Z 3 Integrationsgesetz (IntG) ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ua dann erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs 1 UG oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht.

Gemäß § 56 Abs 3 erster Satz AsylG hat das BFA den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen.

Eine "Aufenthaltsberechtigung plus" berechtigt gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Eine "Aufenthaltsberechtigung" berechtigt demgegenüber gemäß § 54 Abs 1 Z 2 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist.

§ 60 AsylG legt allgemeine Erteilungsvoraussetzungen für Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen fest (siehe VwGH 14.04.2016, Ra 2016/21/0077). Nach § 60 Abs 1 AsylG dürfen Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn gegen den betreffenden Drittstaatsangehörigen eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs 2 oder 3 FPG oder eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht. Gemäß § 60 Abs 2 AsylG dürfen Aufenthaltstitel gemäß § 56 AsylG nur erteilt werden, wenn der Antragsteller einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird (Z 1), über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und die Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist (Z 2), sein Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs 5 NAG) führen könnte (Z 3) und dadurch die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden (Z 4). Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nach § 60 Abs 3 AsylG nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dieser durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt (Z 1) oder im Falle der §§ 56 und 57 AsylG der Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde (Z 2).

Gemäß § 11 Abs 5 NAG führt der Aufenthalt eines Fremden dann zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, wenn er feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen. Für Alleinstehende beträgt dieser Richtsatz ab 01.01.2019 EUR 933,06. Diese Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe (EUR 294,65 für das Jahr 2019) unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche oder durch eine Haftungserklärung ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a EO übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

§ 58 AsylG regelt das Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 ff AsylG.

Der BF hielt sich zum Zeitpunkt der Antragstellung im Oktober 2017 seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Sein Aufenthalt war großteils, konkret von April 2012 bis Oktober 2017 (ca. 5 1/2 Jahre lang), rechtmäßig. Die kurzfristigen Auslandsaufenthalte unterbrechen dabei die anspruchsbegründende Dauer des Aufenthalts nicht (siehe § 2 Abs 7 NAG). Das BVwG teilt die Rechtsansicht des BFA, schon ein kurzfristiger Auslandsaufenthalt von nur einem Tag würde den durchgängigen Aufenthalt unterbrechen (Seite 8 des angefochtenen Bescheids) vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht, zumal nach der Rechtsprechung des VwGH kurzfristige Auslandsaufenthalte (etwa eine Woche und ca. drei Wochen) bzw. Ferienaufenthalte den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Betroffenen nicht verändern (siehe VwGH 16.12.2014, Ra 2014/22/0071). Da der BF Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat, zumal sich aus der Zulassung zum Bachelorstudium als ordentlicher Studierender ergibt, dass er jedenfalls über einen Schulabschluss verfügt, der zum Besuch einer Universität berechtigt (§ 9 Abs 4 Z 3 IntG), liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 56 Abs 1 AsylG vor. Im Rahmen der in § 56 Abs 3 erster Satz AsylG festgelegten Kriterien ist dabei zu berücksichtigen, dass der BF eine Ausbildung im tertiären Bildungsbereich gemacht (wenn auch noch nicht abgeschlossen) hat, legal erwerbstätig war, gute Deutschkenntnisse hat und eine Einstellungszusage vorliegt.

Auch die Erteilungsvoraussetzungen nach § 60 AsylG sind erfüllt. Es liegen keine Erteilungshindernisse iSd § 60 Abs 1, Abs 2 Z 4 und Abs 3 AsylG vor. Der BF hat durch die Vorlage des Mietvertrags einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft nach § 60 Abs 2 Z 1 AsylG nachgewiesen. Aus dem vorgelegten arbeitsrechtlichen Vorvertrag, der sich gemäß § 7 Abs 1 Z 7 NAG-DV zum Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts eignet, ergibt sich, dass sein Aufenthalt iSd § 60 Abs 2 Z 3 AsylG iVm § 11 Abs 5 NAG zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen wird, weil demnach Einkünfte zur Verfügung stehen werden, die den Ausgleichszulagenrichtsatz übersteigen, und die monatlichen regelmäßigen Kosten den Wert der freien Station (EUR 294,65) nicht übersteigen, zumal er keine Kredite bedienen muss und die anteiligen Mietkosten (bei Berücksichtigung seines Mitmieters) EUR 221,89 pro Monat betragen. Da aufgrund der aufzunehmenden Beschäftigung eine gesetzliche Pflichtversicherung bestehen wird, ist kein gesonderter Nachweis über den nach § 60 Abs 2 Z 2 AsylG erforderlichen Krankenversicherungsschutz zu erbringen (vgl § 7 Abs 1 Z 6 NAG-DV).

Dem BF ist daher in Stattgebung der Beschwerde eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 56 Abs 1 AsylG zu erteilen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern, die Spruchpunkt II. und III. haben als Folge dieser Entscheidung ersatzlos zu entfallen.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt eine Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal keine widerstreitenden Beweisergebnisse vorliegen und von einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG keine weitere Klärung dieser Angelegenheit zu erwarten ist. Das durch diese Entscheidung allein beschwerte BFA hat ausdrücklich auf eine Beschwerdeverhandlung verzichtet.

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig, weil das BVwG grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht zu lösen hatte.

Schlagworte

Abänderung eines Bescheides, Aufenthaltsberechtigung plus

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2197321.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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